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Flugsimulator für Manager

Simulationsgestütztes Komplexitätsmanagement senkt Kosten und bringt Wettbewerbsvorteile

31.08.2012 -

Prof. Erhard Meyer-Galow erläutert wie Unternehmen mit simulationsgestütztem Komplexitätsmanagement Wettbewerbsvorteile aufbauen können.

Prof. Erhard Meyer-Galow ist Buchautor, Stiftungspräsident und Aufsichtsratsvorsitzender. Fragt man ihn nach dem gemeinsamen Nenner für diese und seine zahlreichen weiteren Aktivitäten, muss man nicht lange auf eine Antwort warten. Mit seinen Initiativen und Beiträgen will er Unterstützung für die Orientierung in einer sich schnell verändernden Welt geben - für Menschen im Privat-und Berufsleben genauso wie für Unternehmen oder Geschäftseinheiten in einer immer komplexer werden Geschäftswelt.

Der ehemalige GDCh-Präsident und Vorstandsvorsitzende von Hüls und Stinnes beschäftigt sich heute im Rahmen seiner Aufsichtsratsfunktion bei der SAT Strategic Advisors for Transformation AG in Freiburg seit vielen Jahren mit simulationsgestütztem Komplexitätsmanagement. Für CHEManager erläutert er, wie Unternehmen damit Wettbewerbsvorteile aufbauen können.

CHEManager: Herr Prof. Meyer-Galow, warum sollte sich eine Unternehmensführung mit simulationsgestütztem Komplexitätsmanagement befassen?

Erhard Meyer-Galow: Die Komplexität im Unternehmen und zwischen dem Unternehmen und dem Markt hat sich im Laufe der letzten Jahre enorm erhöht und beschleunigt. Mit den bisherigen Managementmethoden lässt sich die Komplexität nicht mehr beherrschen. Es nützt nichts, sich zu bemühen, die Komplexität zu verringern. Man muss lernen, die Komplexität zu managen, wie sie ist, sonst verliert man zu viel Ergebnispotential und ist nicht schnell genug.

Die Gefahr von strategischen Fehlentscheidungen und von zu langsamen und nicht ausreichenden Optimierungsprozessen hat deshalb enorm zugenommen. Die Ergebnisse kann man fast täglich in den Zeitungen lesen. Simulationsgestütztes Komplexitätsmanagement ist heute „must have" und nicht mehr „nice to have". Wer damit beginnt, baut deutliche Wettbewerbsvorteile auf.

Was ist denn der Unterschied zu den heute bekannten und praktizierten Managementmethoden?

Erhard Meyer-Galow:
Heute verwendet man noch immer die gleiche Methodik wie zu meiner aktiven Zeit als Vorstandsvorsitzender von Hüls und Stinnes. Wir planen einen 5-Jahreszeitraum und einen 1-Jahreszeitraum. Für die Ableitung von Strategie-, Investitions-und Akquisitionsentscheidungen werden die Stäbe, manchmal mit Unterstützung von Unternehmensberatungen, beauftragt, aus der Vergangenheit unter der Annahme von Prämissen die Zukunft abzuleiten. Es werden mehrere Szenarien gerechnet und eine Rangfolge der Ergebnisse der Szenarien ermittelt.

Die Variante mit dem besten geplanten Ergebnis wird dann, mit oder ohne Sicherheitsabschlag, in die Planung eingestellt. Meistens ist man dann überrascht, wenn alles ganz anders kommt. Diese Vorgehensweise ist viel zu statisch, sie berücksichtigt nicht die Multidimensionalität und Feedbackeffekte von Marktdynamik angesichts von Innovation, Wettbewerbern, Politik und Umwelt. Schnelle Veränderungen im Markt, bei den Wettbewerbern, den Kosten, den Preisen, der Nachfrage können überhaupt nicht zügig genug einfließen.

Was ist denn mit Simulation möglich?

Erhard Meyer-Galow: Mit simulationsgestütztem Komplexitätsmanagement können Geschäftsführungen die Auswirkungen von schnellen, auch drastischen Veränderungen erkennen und sofort handeln. Die Methode ist dynamisch, integriert Risiko und lässt täglichen, wöchentlichen, monatlichen und jährlichen Handlungsbedarf erkennen. Wir modellieren ein Geschäft, einen Markt oder ein ganzes Unternehmen zum Zeitpunkt der Implementierung.

Die KPIs oder Key Performance Indicators werden definiert in ihrer Größe und Abhängigkeit von einander und von Größen außerhalb des Unternehmens. Strategische Fragen werden immer durch Antworten auf „What if?"-Fragen beantwortet und sofort quantifiziert. Dafür gibt es je nach Fragestellung verschiedene Simulations- und Optimierungstechnologien. Operative Verbesserungen können jederzeit durch den Einsatz von Optimierern erreicht werden.

Häufige Aufgabenstellungen sind die schnelle Reduzierung der variablen Kosten oder die Erhöhung des Deckungsbeitrages. Nach unseren Erfahrungen gibt es in den Unternehmen ein schnell umsetzbares Senkungspotential von 5 % der variablen Kosten, weil der Mensch seine Geschäfte zwar mit großer Erfahrung, aber naturgemäß mit eingeschränkter Assoziationsfähigkeit betreibt und deshalb um diese Quote am Optimum vorbei managt. Das sage ich ohne Vorwurf, aber wir Menschen können es nicht besser. Auch haben wir globale Supply Chain-Projekte mit 4 bis 8 % EBIT-Steigerungen durchgeführt.

Können Sie das an einem Beispiel verdeutlichen?

Erhard Meyer-Galow: In unserer Chemie sind ja Verbundsysteme weit verbreitet. Da ist der Verbesserungseffekt gewaltig. Nehmen wir ein gängiges Beispiel: 300 verschiedene Chemieprodukte werden global an 20 Standorten hergestellt. Dafür braucht man 20 Rohstoffe, die im Einkaufspreis täglich, wöchentlich oder monatlich schwanken. Die Prozesse sind meistens exotherm, sodass den Produkten Gutschriften für Strom und Dampf zu allerdings schwankenden Preisen zugerechnet werden können. Es gibt ca. 5.000 Kunden, die mit unterschiedlichen Logistikkosten weltweit beliefert werden.

Globale Bestände zum Puffern von Volatilität existieren auch. Das ist also ein System, dessen Entscheidungsraum durch mehrere hundert Variablen, die sich gegenseitig bedingen, aufgespannt wird. Dazu kommen sehr komplex verschränkte Randbedingungen wie Kapazitäten, Stillstandszeiten oder Kundenfreigaben. Deshalb kann kein Businessmanager die Frage beantworten, an welchem Tag welcher Kunde unter Erzielung der niedrigsten variablen Kosten beliefert werden sollte. Also versetzen wir den Manager mit dem Optimierer auf seinem Laptop in die Lage, unter Eingabe von Preisen für Rohstoffe, Preisen für Gutschriften und Kosten für Logistik und Produktion einen Optimierungslauf durchzuführen, der ihm aufzeigt, wie er die niedrigsten variablen Kosten erreichen und sein Ergebnis sofort verbessern kann - und das täglich.

Das nenne ich Geschäftsführung mit dynamischer Simulation, ganz im Sinne eines Management-Flugsimulators. Für den Manager wird es dann noch viel schwieriger, wenn die Produkte sich auch noch in 1.000 Artikel oder Spezifikationen aufspalten. Für unser Modell ist das kein Problem.

Können Sie auch ein Beispiel für eine durch simulationsgestütztes Komplexitätsmanagement abgeleitete strategische Entscheidung aufzeigen?

Erhard Meyer-Galow: Ja, bei der Strategieentscheidung, z.B. einer Investition in eine neue Produktionsanlage, liegt die Ergebnisverbesserung weiter in der Zukunft. Auch dafür wird zunächst das Business modelliert. Dann werden die Einflüsse auf das Gesamtsystem über Simulationsschleifen gerechnet und „What if"-Fragen quantitativ beantwortet. Man kann bei sich ändernden Einflüssen immer wieder neu optimieren und im Sinne von „War Gaming" Anpassungen vornehmen.

Auch das ist dynamische und ganzheitliche Unternehmensmodellierung. Die nächsten Schritte werden immer wieder überprüft und Anpassungen der nächsten Schritte vorgenommen. Die alte Szenariotechnik ist hier viel zu statisch.

Denken Sie, dass es leichtsinnig ist, wenn man strategische Entscheidungen nicht ständig dynamisch simulationsgestützt optimiert?

Erhard Meyer-Galow: Ja, aus der heutigen Sicht ist das richtig. Change ist immer dynamisch. Deshalb muss Change Management heute auch immer ein dynamischer, fließender Prozess sein. Das geht nur mit Unterstützung durch dynamische Computersimulation und nicht mit sporadischen Szenariobetrachtungen.

Wie haben Sie und Ihre damaligen Kollegen denn früher Strategien überprüft und optimiert?

Erhard Meyer-Galow:
Es gab früher auch schon Teilmethoden in der Simulations- und Optimierungstechnologie aus dem Operations Research. Wir haben damals sehr erfolgreich „händisch" optimiert und Strategien beschlossen. Aber kaum hatten wir mit der Umsetzung begonnen, mussten wir feststellen, dass die Wettbewerber auch nicht geschlafen haben, sich Nachfrageänderungen eingestellt hatten oder dass Portfolioveränderungen bei uns und bei anderen alles schnell obsolet werden ließen.

Dann haben wir nur noch improvisiert und das viel zu langsam. Wir haben immer angepasst, aber viel zu oft nur reaktiv. Wenn die Margen hoch genug sind, fällt das nicht sofort auf, aber das ist ja längerfristig nicht der Normalfall.

Und in Zukunft, werden sich Simulationsmethoden im Management durchsetzen?

Erhard Meyer-Galow:
In der Wissenschaft wird heute in allen denkbaren Bereichen simuliert und optimiert, von der Entstehung des Universums bis zur Kollision von Galaxien, vom Wetter bis zur globalen Ausbreitung von Epidemien. Nur im Business steht man noch ahnungslos vor der wertsteigernden Modellierung der Komplexität. Das wird sich jedoch schnell ändern, wenn ich an die vielen Gespräche denke, die ich führe.


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Einen Beitrag zum Thema „Simulationsgestütztes Komplexitätsmanagement - Neue Risikomanagement-Methode zur Entscheidungsunterstützung in einer volatilen und komplexen Welt" lesen Sie in der nächsten Ausgabe CHEManager 18/2012 am 27. September.