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Erhalt der biologischen Vielfalt

Das Nagoya-Protokoll zur Nutzung genetischer Ressourcen und seine Bedeutung für die chemische Industrie

19.03.2014 -

Nach über 20 Jahren intensiver Verhandlungen war es in den frühen Morgenstunden des 30. Oktober 2010 so weit. Auf der UN-Konferenz zur biologischen Vielfalt in Nagoya, Japan, wurde das internationale Abkommen über den Zugang zu genetischen Ressourcen und den fairen Vorteilsausgleich für deren Nutzung verabschiedet. Die teilnehmenden internationalen Vertragspartner, zu denen u.a. Deutschland und die EU zählen, müssen es nun in nationales Recht umsetzen.

Der Ursprung des „Nagoya Protocol on Access and Benefit-sharing (ABS)" liegt in dem Übereinkommen über die Biologische Vielfalt (Convention on Biological Diversity, kurz CBD). Dieses wurde 1992 in Rio de Janeiro auf der UN-Konferenz „Umwelt und Entwicklung" beschlossen und verfolgt drei Ziele: die biologische Vielfalt erhalten, ihren Gebrauch nachhaltiger gestalten und entstandene Vorteile aus der Nutzung genetischer Ressourcen gerecht aufteilen.

Das Nagoya-Protokoll setzt das dritte Ziel der CBD um und will einen Beitrag zum Erhalt der biologischen Vielfalt leisten. Es definiert die genetischen Bestandteile von Pflanzen, Tieren und Mikroorganismen als Ressource, die international handelbar ist. Außerdem regelt es deren Verwendung - z.B. als Ausgangsmaterial für Arzneimittel, Impfstoffe oder Enzyme für die industrielle Biotechnologie. Genetische Ressourcen menschlichen Ursprungs sind vom Protokoll ausgeschlossen.

Alle Industriezweige, die mit biotechnologischen Verfahren oder Produkten Werte schaffen - wie etwa Chemie, Pharma, Diagnostika, Tiergesundheit, Textilien, Papier, Kosmetika, Lebens- und Futtermittel bis hin zur Bioenergie - sind potenziell von den Ausführungsbestimmungen des Nagoya-Protokolls betroffen. Aus Sicht der Industrie kann das Regelwerk grundsätzlich Rechtssicherheit, Klarheit und Transparenz in gesetzlichen Bestimmungen schaffen, die den Zugang zu genetischen Ressourcen und den gerechten Vorteilsausgleich festlegen. Am Ende wird es darauf ankommen, dass die EU-Mitgliedstaaten international wettbewerbsfähige, praktikable, transparente und rechtssichere nationale Systeme schaffen, die gleichzeitig Wertschöpfung und Nutzengewinnung unterstützen.

Der potenzielle Wert genetischer Ressourcen

Genetische Ressourcen werden bereits seit Jahrzehnten von Chemie- und Biotechnologie-Unternehmen genutzt. Die Produktion von Nahrungs- und Futtermitteln, Chemikalien und Biokraftstoffen aus nachwachsenden Rohstoffen, Pharmazeutika, Vakzinen, Diagnostika, Tierarzneimitteln, Kosmetika, Textilien, Biopolymeren und vielen weiteren bio-basierten Produkten ist ohne den Einsatz genetischer Ressourcen kaum noch denkbar.
In jedem Gramm Ackerboden sind so viele Bakterienzellen enthalten, wie es Menschen auf unserem Planeten gibt. Hinzu kommt ein Heer anderer Mikroorganismen wie Pilze und Protozoen. Das ist eine schier unüberschaubare Vielfalt an Erbsubstanz. Aus ihr wurden bereits in der Vergangenheit Gene für Enzyme isoliert, die z.B. heute dafür sorgen, dass Waschmittel unsere Kleidung schon bei 20°C sauber bekommt. Weitere solcher Schätze gilt es noch zu entdecken. Biodiversität ist dabei die Grundlage für Innovationen, mit denen die chemische und biotechnische Industrie neue Ressourcen erschließen und bestehende effizienter nutzen kann.

Das Nagoya-Protokoll legt dafür im Grundsatz das folgende Verfahren fest: Erforscht z.B. ein Unternehmen die genetische Ressource einer Heilpflanze zur Herstellung eines Medikamentes, ist es deren „Nutzer". Es muss sich daher zunächst an die zuständige Behörde des Landes wenden, aus dem die Pflanze stammt, und eine Genehmigung für die Erforschung und Nutzung einholen. Jedes Land muss laut Nagoya-Protokoll eine oder mehrere Kontrollstellen einführen, bei denen Informationen über die Nutzung seiner genetischen Ressourcen gesammelt werden.

Im nächsten Schritt wird mit Unterstützung der zuständigen Behörde ein bilateraler Vertrag zwischen dem Bereitsteller der Ressource und dem Unternehmen ausgearbeitet. Darin werden die Zugangsvoraussetzungen und Regeln zum gegenseitigen Vorteilsausgleich vereinbart. Dem Bereitsteller muss eine ausgewogene und gerechte Teilnahme an den Vorteilen der kommerziellen Nutzung ermöglicht werden. Die international vereinbarten Bonner Leitlinien listen dafür viele verschiedene Möglichkeiten auf: Dazu gehören u.a. Geldzahlungen, Technologietransfer, Wissenstransfer oder der Aufbau institutioneller Kapazitäten. Das Nagoya-Protokoll enthält auch Bestimmungen über den Zugang und den Vorteilsausgleich bei der Nutzung von traditionellem Wissen indigener und lokaler Gemeinschaften. Rückwirkend ist das Protokoll nicht anwendbar. Genetische Ressourcen, die vor Inkrafttreten des Regelwerks gesammelt wurden, fallen nicht mehr unter dessen Anwendungsbereich. Das Nagoya-Protokoll greift daher auch nicht in bestehende Bestimmungen über das geistige Eigentum ein.

Industriebranchen können eigene Verhaltensregeln aufstellen

Auf EU-Ebene befindet sich eine Verordnung zur Umsetzung des Nagoya-Protokolls kurz vor der finalen Fertigstellung. EU-Kommission, EU-Parlament und Europäischer Rat haben ihre Trilog-Verhandlungen Ende 2013 abgeschlossen. Das Plenum des Europäischen Parlaments und der Rat werden den Verordnungsentwurf vermutlich noch in der ersten Jahreshälfte 2014 in der jetzigen Fassung annehmen. Anschließend werden die einzelnen EU-Staaten die neuen Regelungen mit nationalen Gesetzen weiter ausgestalten.

Der Verordnungsentwurf besagt, dass die Anforderungen an die Nutzung einer genetischen Ressource je nach Industriezweig sehr unterschiedlich sein können. Akademische Bereiche und Industriebranchen können Verhaltensregeln für sich festlegen, die den Zugang und den Vorteilsausgleich für die jeweilige Branche regeln. Diese sog. „Nutzerverbände" können die EU-Kommission anschließend ersuchen, diese spezifischen Verfahren, Instrumente oder Mechanismen als bewährtes Verfahren anzuerkennen. Die anschließende Anwendung der Verfahren senkt für Unternehmen das Risiko eines Regelverstoßes und verringert die behördlichen Kontrollen zur Einhaltung des Nagoya-Protokolls. Die Deutsche Industrievereinigung Biotechnologie (DIB) arbeitet zurzeit an solchen Verhaltensregeln für die chemische und biotechnische Industrie.

Bei der Umsetzung des Nagoya-Protokolls sollten möglichst bestehende Regelungen zur Anwendung kommen, die insbesondere für kleine oder mittelständische Unternehmen ohne Erhöhung des administrativen Aufwandes erfüllbar sind. Gleichzeitig müssen Maßnahmen verhindert werden, die Innovationen blockieren und den Handel erschweren. Werden nämlich die nationalen Zugangshürden zu genetischen Ressourcen von einem Nutzer als zu hoch empfunden, stellen sie ein Knock-out-Kriterium dar. Entweder wird auf die Entnahme der Ressource verzichtet, da das kommerzielle Potenzial im Vorfeld nicht abgeschätzt werden kann. Oder man wendet sich Ländern mit niedrigeren Zugangshürden zu. Die Herkunftsländer genetischer Ressourcen stehen im strengen Wettbewerb zueinander. Je einfacher die nationalen Zugangsregelungen sind, umso größer wird die Chance sein, von einer Kommerzialisierung des nationalen genetischen Pools zu profitieren.

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