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Nachahmen erwünscht: Innovationsmanagement in Chemie und Pharma

Gemeinsamkeiten in komplexen Zukunftsmärkten erfordern Austausch von Strategien und Methoden

15.06.2012 -

„Innovationsmanagement - Wie können Chemie- und Pharmaindustrie sich gegenseitig inspirieren?" Diese Fragestellung verfolgte das fünfte gemeinsame Symposium „Markterfolg durch Spitzentechnologie" der Unternehmensberatung Management Engineers und der Technischen Universität München. Moderiert von Prof. Dr. Utz-Hellmuth Felcht diskutierten hochkarätige Experten lebhaft darüber, wie sich der Fortschritt in Chemie und Pharma gleichermaßen effizient wie erfolgreich managen lässt.

Die Frage nach gegenseitigen Lerneffekten mutet dabei - zumindest auf den ersten Blick - durchaus ambitioniert an, so Dr. Hanno Brandes, Geschäftsführer von Management Engineers: „Früher waren Chemie und Pharma symbiotische Industrien - fast siamesische Zwillinge. Doch dann begann in den 1980er Jahren die große Scheidungswelle." Heute gibt es weltweit kaum noch integrierte Chemie-Pharma-Konzerne: Beispiele sind Bayer und Merck. Doch warum ist das Zusammenleben unter einem Dach heute so selten geworden? Brandes sieht die Gründe dafür insbesondere in den unterschiedlichen Kosten-, Markt- und Wettbewerbsstrukturen sowie Erfolgsfaktoren.

In der Pharmaindustrie ist F&E ein dominanter Kostentreiber. Der Aufwand für ein neues marktfähiges Produkt erreicht immer häufiger den Euro-Milliardenbereich. Dies auch deshalb, weil viele andere Wirkstoffe und Medikamente vorher an den Zulassungsbehörden scheitern und quasi ‚mitfinanziert‘ werden müssen. Für die Unternehmen der Chemischen Industrie hingegen ist die Produktion oftmals der größte Kostenblock. Die Entwicklung neuer Lösungen und Substanzen hingegen schlägt bisweilen nur mit sechsstelligen Beträgen zu Buche. Dafür tummeln sich in vielen Segmenten der Chemie aber viel mehr Wettbewerber als im Pharmabereich. Effizienz im Vergleich zur Konkurrenz ist hier das Maß aller Dinge.
Geeint werden beide Industrien in ihrem Streben nach Innovation - allerdings mit bis dato unterschiedlicher Fokussierung.

Die Pharmaindustrie zeigt ihre Stärken vor allem im Managen komplexer F&E-Kompetenzen. Die Chemie hingegen kann bislang vor allem bei kostensparenden Prozessinnovationen punkten. Nun aber müssen sich beide Branchen auch in der jeweils anderen Innovationsdisziplin beweisen. In der Pharmaindustrie ist angesichts eines stetig steigenden Margendrucks mehr Kosteneffizienz gefragt. Für die Chemie wiederum dürften künftig die F&E-Erfordernisse deutlich komplexer als bislang ausfallen, weil sie sich noch stärker zu einem branchenübergreifenden Enabler für die Realisierung neuer Technologien und Marktchancen entwickeln wird.

Denken in neuen Geschäftsmodellen

Hiervon überzeugt zeigt sich auch Dr. Bernd Reckmann, Mitglied der Geschäftsleitung von Merck. Die Elektromobilität inklusive Leichtbau oder die Displaytechnik durch Flüssigkristalle und OLEDs sind für ihn zwei besonders prägnante Beispiele. Weitere perspektivreiche Schnittstellen sieht er zwischen der Chemie- und Pharmaindustrie, so vor allem in der personalisierten Medizin. Hieraus können sich aber nur dann gewinnbringende Schnittmengen entwickeln, wenn gemeinsam und konsequent an der Entwicklung neuer Geschäftsmodelle gearbeitet wird. Die integrierte Gesamtlösung für den Nachfrager muss immer das Ziel sein. Value-Chain-Integration wird damit zum Schlüssel für den nachhaltigen Markt- und Geschäftserfolg - ebenso eine Vernetzung mit anderen Disziplinen aus Wirtschaft und Wissenschaft.

Kooperationen zwischen Wirtschaft und Wissenschaft

„Herausragende Beispiele für erfolgreiche Kooperationen zwischen Wirtschaft und Wissenschaft gibt es mittlerweile viele", wie Prof. Dr. Wolfgang A. Herrmann, Präsident der TU München betont. Die bayerische Eliteuniversität ist hier auch im internationalen Vergleich zu einem starken Partner mit einem exzellenten, branchenübergreifendem Kompetenzspektrum gereift. „Die Herausforderungen für die Pharmaindustrie sind dabei besonders groß", so sein Kollege Prof. Dr. Horst Kessler vom Institut for Advanced Study der TU München: „Die Entwicklungskosten steigen kontinuierlich - und zwar bei gleichzeitig sinkenden Kostenbudgets der Krankenkassen. Die Unternehmen fokussieren sich folgerichtig auf Block Buster und auf die ‚rentable Behandlung‘ weit verbreiteter Krankheiten mit langer Behandlungsdauer.

Die Zahl der Neuzulassungen geht zurück und die Innovationsleistung ist auf immer weniger Schultern verteilt." Wie kann ein solcher Teufelskreis durchbrochen werden? Kessler setzt vor allem auf ein optimiertes Innovationsmanagement in der präklinischen Forschungsphase. Denn im Vergleich zu den klinischen Tests sind die Kosten hier noch minimal - insbesondere dann, wenn Unternehmen und Wissenschaft bei der Bewertung der Innovationspipeline gemeinsam effiziente Kriterien, leistungsfähige Technologien und exzellentes Know-how in die Waagschale werfen können. „Hohe Zahlen allein ersetzen fundierte Ideen nicht", so die Botschaft.

Steter Blick auf Gesamtportfolio

Gleichwohl ist es angesichts wachsender Kosten und sinkender Zulassungszahlen unabdingbar, die Innovationspipeline stets gut gefüllt zu halten. „Potenzial für die Pharmaindustrie besteht unter anderem im so genannten Continuous Manufacturing - also in der Herstellung von Wirkstoffen in kompakten, geschlossenen Einheiten mit einem hohen Automatisierungsgrad", wie Dr. Steffen Lang, Head Technical R&D, Novartis Pharma, betont. Neue Technologien, sowohl für chemische als auch für pharmazeutische Prozesse sind die Voraussetzung für die erfolgreiche Implementierung von Continuous Manufacturing. Neben kürzeren Durchlaufzeiten können hier höhere Ausbeuten realisiert werden. Gleichzeitig können somit die steigenden Qualitätsanforderungen an pharmazeutische Prozesse erfüllt werden. "Innovative Technologien werden einen wichtigen Beitrag leisten, pharmazeutische Produckte in Zukunft schneller und effizienter zu entwickeln und gleichzeitig die Qualitätsstandards weiter zu erhöhen" zeigt sich Lang überzeugt.

Die drei Bayer-Teilkonzerne - HealthCare, CropScience und MaterialScience - haben jeweils individuelle Prozesse für ihr Innovationsmanagement etabliert. „Doch bei allen sinnvollen Differenzierungen ist ihnen doch eines gemein. Sie müssen sich konsequent am angestrebten Gesamtportfolio des Konzerns orientieren", so Prof. Dr. Wolfgang Plischke, Mitglied des Vorstands. „In welchen Märkten wollen wir künftig mit welchen Produkten basierend auf welcher Technologie erfolgreich agieren?" Das ist immer die Kernfrage.

Die Beantwortung stellt enorme Herausforderungen an das Innovationsmanagement. Es muss dynamisch agieren können und gleichzeitig mit einem klaren Blick für die komplexe Welt von morgen ausgestattet sein. Ein enges Miteinander von Technologie- und Marketingexperten, effiziente Bewertungsmethoden sowie ein wachsames Auge auf den Wettbewerb sind hier essentiell. „Letztlich entscheiden immer Menschen über den Innovationserfolg. Dabei sollten es ihnen leistungsfähige Methoden und Prozesse so einfach wie möglich machen", so Plischke.

Paradebeispiel Synthetische Biologie

Wie weit der Blick dabei reichen muss, zeigt sich an der Synthetischen Biologie. Sie ist ein Paradebeispiel dafür, wie traditionelle Forschungsfelder - hier die Biologie, die Chemie sowie die Ingenieurswissenschaften - miteinander zu einer viel versprechenden Zukunftsdisziplin verschmelzen. „Ziel der Synthetischen Biologie ist es, neue lebendige Systeme zu bauen, die in der Natur so nicht vorkommen", sagt Prof. Dr. Joachim Henkel vom Lehrstuhl für Technologie- und Innovationsmanagement der TU München. Grundlage für dieses Vorhaben sollen standardisierte Teile sein, die in reproduzier- und vorhersehbarer Weise funktionieren. Potenziell hat diese komplexe Technologie einiges zu bieten - sei es für den Fortschritt in der Medizin, in der Landwirtschaft oder in der Umwelttechnologie.

Mut, Enthusiasmus und der unbedingte Glaube an die Technologie sind in einer solchen Frühphase der Forschung unabdingbar. Gekoppelt mit einem klaren Blick für die Märkte kann daraus eine trag- und marktfähige Zukunftslösung werden.

Auf dem Weg zu solchen Zielen hat gerade das Innovationsmanagement von Chemie- und Pharmaunternehmen ganze Arbeit zu leisten - auf neuen, vielfach auch gemeinsamen Feldern. Der Blick nach rechts und links ist dabei nicht nur erlaubt, sondern vielmehr ausdrücklich erwünscht, weil überaus lohnend.

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