Anlagenbau & Prozesstechnik

Wirkzusammenhänge begreifen

Simulative Druckschwingungsanalyse verzweigter Rohrleitungssysteme

01.12.2017 -

Am Beispiel einer Pumpenstation werden die wesentlichen Aspekte der simulativen Druckschwingungsanalyse eines verzweigten Rohrleitungssystems präsentiert.

Druckschwingungen in Rohrleitungssystemen verursachen mechanische Dauerbelastungen an Rohrbögen, Leitungsverzweigungen und Befestigungspunkten, die zu Bauteilschädigungen führen und die Funktion und Zuverlässigkeit der Anlage negativ beeinflussen. Darüber hinaus können sie die Sensoren beschädigen sowie die Messgenauigkeit beeinflussen.
Eine genaue Analyse der Druckschwingungssituation kann nur im Gesamtsystemzusammenhang erfolgen, da Leitungseinbauten, -verzweigungen und -abschlüsse eine Teilreflexion der Druckwellen verursachen, was wiederum Einfluss auf die Resonanzfrequenzen und die Schwingungsformen hat.
Die simulative Analyse und die anschließende Visualisierung der Schwingungsformen dienen dem Verständnis der Wirkzusammenhänge im Rohrleitungssystem und sind eine Grundvoraussetzung, um geeignete Abhilfemaßnahmen zu entwickeln.

Das Problem
Ob Neuentwicklung oder Retrofit einer Anlage, das Druckschwingungsverhalten des Rohrleitungssystems stellt die Entwickler stets vor die gleichen Herausforderungen. Bei Corbo[1] ist sehr anschaulich beschrieben, dass insbesondere die Verdrängerpumpen für die Pulsationsanregung im Rohrleitungssystem verantwortlich sind. Vetter [2] zeigt aber, dass das Druckschwingungsverhalten der Anlage als Ganzes betrachtet werden muss, wenn störende Resonanzen bereits frühzeitig bei der Auslegung identifiziert werden sollen. Für geeignete Abhilfemaßnahmen gibt Wachtel [3] eine Übersicht zur Wirkungsweise verschiedener Pulsationsdämpfer, erinnert jedoch gleichzeitig daran, dass die richtige Positionierung wesentlich für deren Wirkung ist.
Wie aber ist ein Dämpfer richtig im Rohrleitungssystem zu positionieren? Ist es sogar möglich, eine störende Resonanz durch geschickten Aufbau des Rohrleitungssystems ganz zu vermeiden? Mit ein paar „einfachen“ Hand- oder Excelrechnungen lassen sich solche Fragen nur unzureichend beantworten, denn neben der Länge der Leitungszweige haben auch die Stoffdaten sowie die Material­beschaffenheit und Durchmesserwechsel der Leitung Einfluss auf die Resonanzfrequenzen. Die simulative Druckschwingungsanalyse ist hier ein erprobtes Hilfsmittel, um die Resonanzsituation im Rohrleitungssystem zu ermitteln, diese zu analysieren und abschließend zu optimieren.

Druckschwingungsanalyse einer Pumpenstation
Jedes verzweigte Rohrleitungssystem hat mehrere Eigenfrequenzen. Ob es jedoch zu einem Pulsationsschwingungsproblem kommt, hängt davon ab, ob die Eigenfrequenzen im Betrieb angeregt werden. Ungeachtet der Charakteristik der anregenden Volumenstrom- und der daraus resultierenden Druckpulsation breitet sich die Druckpulsation der Quelle im Rohrleitungssystem aus und wird an Leitungsenden, Verzweigungen oder Armaturen ganz oder auch nur teilweise reflektiert. Bei der für die metallische Leitung üblichen geringen Systemdämpfung im Rohrleitungssystem gelangt die teilreflektierte Druckwelle wieder zurück zur Quelle. Geschieht dies zeitgleich mit der Erzeugung einer neuen Druckwelle mit gleicher Phase, addieren sich beide Druckwellen, und die Resonanzbedingung für den entsprechenden Rohrleitungsabschnitt ist erfüllt. Die Wechseldruckamplitude erhöht sich binnen weniger Schwingungen, was zu den eingangs beschriebenen Problemen im Anlagenbetrieb führen kann.
Als Beispiel für ein verzweigtes Rohrleitungssystem wird eine Pumpenstation, bei der vier Pumpen mit konstanter Drehzahl Behälter befüllen, herangezogen. Das Simulationsmodell ist im Simulationsprogramm für fluidtechnisch mechatronische Systeme DSHplus aufgebaut und umfasst neben Rohrleitungen, Pumpen und Ventilen auch Signalbauteile zur Ansteuerung der Pumpen und zur Visualisierung der Druckschwingung.
Die mathematische Beschreibung der Rohrleitung basiert auf der Methode der Charakteristiken (MOC) und berücksichtigt neben druckabhängigen Stoffdaten, der druckabhängigen Durchmesseraufweitung (Kessel-Formel) und der stationären Reibung auch die frequenzabhängige Reibung, die für eine exakte Ermittlung von Resonanzfrequenzen unverzichtbar ist. Die Druckverluste der Ventile und Widerstände des Simulationsmodells werden aus Datenblättern parametriert. Das verwendete Pumpenmodell berücksichtigt neben der kinematischen Volumenstrompulsation auch die für Verdrängerpumpen typischen kompressionsbedingten Pulsationsanteile.

Mögliche Resonanzfrequenzen
Um zu ermitteln, welche Anregungsfrequenzen Druckschwingungen im Rohrleitungssystem verursachen, wird die Frequenz der Pulsationsanregung während der Simulation linear erhöht. Dadurch kommt es auch zu einer Anregung von Resonanzfrequenzen, die in der Praxis nur beim Anlauf bzw. Auslauf der Pumpen auftritt oder oberhalb der Pumpenanregungsfrequenz liegt. Der Anwender erhält so einen Überblick über alle möglichen Resonanzfrequenzen des Rohrleitungssystems.
Für die Visualisierung der Druckschwingung werden die bauteilinternen Drücke eines Rohrleitungsstrangs zu einem Druckvektor zusammengefasst, der während der Simulation kontinuierlich in eine Datei gespeichert wird und der die jeweilige Druckverteilung entlang der Mittel­achse des Rohrleitungsstrangs repräsentiert. Im Verlauf der Simulation entsteht so eine Datenmatrix aus Druckwerten, deren x-Achse die Simulationszeit und deren y-Achse die Position im Rohrleitungsstrang ist.
Die erste Resonanzfrequenz im Rohrleitungssystem der Pumpenstation hat eine λ/4-Schwingungsform, welche typisch für eine Leitung ist, die auf der einen Seite ein offenes Ende (Behälterflansch) und auf der anderen ein geschlossenes Ende (vier Pumpen) hat. Am offenen Ende befindet sich bei einer λ/4-Schwingungsform stets ein Druckknoten (keine Druckpulsation) und am geschlossenen Ende ein Druckbauch (hohe Pulsationsamplituden). Mit steigender Anregungsfrequenz sind die höheren Ordnungen der Grundschwingungsform im Druckvektorplot zu erkennen.
Für den stationären Betrieb der Pumpen, in Abb. 1 mit „Anregungsfrequenz der Pumpen“ gekennzeichnet, sollte sichergestellt sein, dass keine Vielfachen der Grundschwingung angeregt werden. Umso interessanter ist hier, dass im Rohrleitungsabschnitt zwischen T1 und T3 eine deutliche Pulsationsamplitude sichtbar ist, die jedoch im Abschnitt von T3 zur Pumpe P4 nahezu verschwindet und im Abschnitt von T1 zum Behälterflansch nur noch abgeschwächt zu erkennen ist.

Die Gesamtschwingungssituation
Um hier die richtigen Schlüsse zu ziehen, ist ein Blick auf die Gesamtschwingungssituation unerlässlich. Abbildung 2 bietet einen Überblick der Druckschwingungsplots aller vier Rohrleitungsstränge. Der Vergleich von Rohrleitungsstrang 3 und Rohrleitungsstrang 4 zeigt, dass sich ab T3 die beiden Rohrleitungsstränge die Rohrleitung bis zum Behälterflansch „teilen“, sodass die Druckvektorplots in diesem Bereich die gleichen Druckschwingungen zeigen. Gleiches gilt für die Pumpen P1 und P2, bei denen sich von T2 bis zu T1 auch hier die Rohrleitungsstränge 1 und 2 einen Rohrleitungsabschnitt „teilen“. Der Rohrleitungsabschnitt von T1 bis zum Behälterflansch ist sogar Teil aller vier Rohrleitungsstränge.
Die Zerlegung der Druckvektorplots in Rohrleitungsabschnitte macht deutlich, dass die Druckpulsation im Bereich zwischen T1 und T3 des Rohrleitungsstrangs 4 zu einer Schwingungsform gehört, die bereits an der Pumpe 3 startet. Die abgeschwächte Fortsetzung der Schwingungsform bis zum Behälterflansch deutet darauf hin, dass es sich hierbei nicht um ein Vielfaches der λ/4-Grundschwingungsform handelt. Hohe Druckschwingungen sind hingegen in den Rohrleitungssträngen 1 und 2 jeweils von den Pumpen bis hin zu T1 zu erkennen. Hier handelt es sich um die 4. Ordnung einer λ/2-Schwingungsform, die sich zwischen den Pumpen 1-2 und der Pumpe 3 ausbildet. Die Schwingung zeigt die höchsten Druckamplituden, da sie durch drei Pumpen angeregt wird, ist aber unabhängig von der λ/4-Grundschwingungsform des Rohrleitungssystems. Die dennoch sichtbare Pulsation im Abschnitt von T1 zum Behälterflansch liegt darin begründet, dass sich das T-Stück T1 am Rande eines Schwingungsbauches befindet, wodurch es im abzweigenden Rohrleitungsabschnitt zu einer Zwangsanregung kommt. Die Analyse der Positionen von Druckbäuchen und Druckknoten erklärt auch, warum im Rohrleitungsabschnitt von Pumpe 4 bis zu T3 keine Pulsation auftritt. Das T-Stück T3 liegt genau in einem Druckknoten der Schwingung.
Damit kann auch die 4. Ordnung der λ/4-Grundschwingungsform interpretiert werden: Im längsten Rohrleitungsstrang 3 bildet sich die Schwingungsform als erstes aus. Das T-Stück T3 liegt genau in einem Druckbauch dieser Schwingung, sodass der Rohrleitungsabschnitt von T3 zur Pumpe 4 ebenfalls in die Schwingung einbezogen wird, obwohl die Gesamtlänge des Rohrleitungsstrangs 4 noch nicht ganz passend zur Anregungsfrequenz ist. Das T-Stück T1 hingegen liegt wieder genau in einem Druckknoten, sodass die Rohrleitungsabschnitte vom T1 zu den Pumpen 1 und 2 nicht durch die Schwingungsform im Rohrleitungsstrang 3 beeinflusst werden.

Optimales Rohrleitungsrouting
Die gemeinsame Interpretation der vier Druckvektorplots in Abb. 2 macht deutlich, wie komplex die schwingungstechnischen Wechselwirkungen in einem verzweigten Rohrleitungssystem sein können. Wenn sich nur eine Rohrleitungslänge ändert oder das System durch den Einbau eines Pulsationsdämpfers modifiziert wird, wirkt sich dies zwangsläufig auf alle Schwingungsformen des Rohrleitungssystems aus und die Schwingungssituation muss neu bewertet werden. Die simulative Druckschwingungsanalyse kann den Anwender bei der Suche nach dem optimalen Rohrleitungsrouting unterstützen. Rohrleitungslängen können z.  B. so gestaltet werden, dass es zu keiner Anregung der Pumpen untereinander kommt, oder es können T-Stücke gezielt in Druckknoten positioniert werden, um eine Zwangsanregung der Leitungszweige zu verhindern. Wenn erforderlich, kann die Simulation zusätzlich die Dimensionierung und Positionierung vor Pulsationsdämpfer unterstützen.
Letztlich ermöglicht das erstellte Simulationsmodell auch eine Druckschlagberechnung unter Berücksichtigung von Kavitationseffekten. Da bei der Pulsations- oder der Druckschlagsimulation das Rohrleitungssystem mit dem Nennvolumenstrom der Pumpen durchströmt wird, können die Ergebnisse auch direkt zur Druckverlustberechnung dienen.

Literatur
[1]  Corbo, M. A.; Stearns, C. F.: „Practical Design against Pump Pulsations“, Procedings of the 22nd International Pump Users Symposium, 2005, Seite 137-177
[2]  Vetter, G.; Seidel, B.: „Pressure Pulsation Damping Methods for Reciprocating Pumps“, Procedings 10th Pump Users Symposium, Huston Texas 1993, Seite 25-39
[3]  Wachtel, J. C.; Prince, S. M.: „Understanding How Pulsation Accumulators Work“, Pipeline Engineering Symposium – 1988 – PD-Vol. 14, Seite 23-31

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