Chemie & Life Sciences

EU-Biozidrecht: Frühzeitiges Handeln ist gefragt

EU-Biozid-Verordnung bringt weitreichende Änderungen für Industrie und Handel

10.04.2012 -

Das Europäische Parlament hat in zweiter Lesung am 19. Januar 2012 die neue EU-Biozid-Verordnung verabschiedet. Nach derzeitigem Stand der Dinge ist davon auszugehen, dass der Rat die vom Parlament verabschiedete Fassung im ersten Halbjahr 2012 billigen wird. Damit kann die Verordnung voraussichtlich wie geplant zum 1. September 2013 in Kraft treten. Die bisherige Rechtslage wird hierdurch teils in erheblicher Weise verändert. Industrie und Handel werden sich hierauf rechtzeitig einstellen müssen.

Das geltende Biozidrecht ist vergleichsweise neu. Die einschlägige EU-Richtlinie 98/8/EG trat erst Mitte Mai 1998 in Kraft und musste bis Mitte 2000 in den Mitgliedstaaten umgesetzt werden. Die Richtlinie brachte als wesentliche Neuerung eine nationale Zulassungspflicht für Biozide. Zusätzlich sieht die Richtlinie vor, dass die in Bioziden verwendeten Wirkstoffe auf europäischer Ebene zu genehmigen sind. Für bereits im Markt befindliche Biozide stellte dies einen erheblichen Einschnitt dar. Die Richtlinie sah daher großzügige Übergangsregelungen vor, um diese Folgen abzufedern. Für alle zum Stichtag im Jahr 2000 auf dem Markt befindlichen Altwirkstoffe mussten die Hersteller entscheiden, ob sie diese Wirkstoffe weiter vermarkten und somit die Unterlagen für das Genehmigungsverfahren zur Verfügung zu stellen wollten. War dies der Fall, so wurde der Wirkstoff notifiziert und konnte weiterhin in Bioziden verwendet werden. Solange der jeweilige Wirkstoff noch nicht abschließend bewertet war, konnten die betreffenden Biozide weiterhin ohne Zulassung vermarktet werden. Sie mussten lediglich bei der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA) gemeldet werden.

Diese Übergangsphase (und die Überprüfung der Altwirkstoffe) sollte ursprünglich bis Mai 2010 abgeschlossen sein. Dieses Ziel war ambitioniert, aber unrealistisch. Die Überprüfung der Altwirkstoffe wurde mittlerweile bis 2014 verlängert. Aufgrund der immer noch laufenden Wirkstoffüberprüfung unterlagen bislang nur wenige Biozide der Zulassungspflicht. Die frühere Vielfalt an Bioziden gibt es dennoch nicht mehr, weil es an Wirkstoffen fehlt. Die Richtlinie hat zu einer signifikanten Verringerung der auf dem Markt befindlichen Wirkstoffe geführt. Für nur etwa die Hälfte aller identifizierten Altwirkstoffe waren die Hersteller überhaupt bereit, diese zu notifizieren und Genehmigungsunterlagen einzureichen. Nicht für jedes Biozidprodukt sind die Erstellung der notwendigen Dossiers und die daraus entstehenden Kosten wirtschaftlich.

Vor diesem Hintergrund legte die EU-Kommission bereits Mitte 2009 einen Vorschlag für eine europäische Biozid-Verordnung vor. Offizielles Ziel war es, die bislang identifizierten Probleme für kleinere und mittlere Unternehmen zu beheben. Die Hoffnung der Industrie war daher groß. Angesichts dieses Ziels ist umso enttäuschender, dass die Genehmigung von Wirkstoffen praktisch nicht erleichtet wird. Die Verordnung bringt stattdessen u.a. eine Ausweitung der Zulassungspflichten für Biozide, die kritisch zu sehen sind. Positiv sind demgegenüber die vorgesehenen Vereinfachungen für eine europaweite Zulassung eines Biozids.

Erweiterte Zulassungspflichten

Die verabschiedete Biozid-Verordnung bringt erhebliche Änderungen für die in situ-Herstellung von Bioziden. Nach bisheriger Rechtslage sind Vorrichtungen oder Erzeugnisse, die zur in situ-Herstellung von Bioziden dienen, zulassungsfrei. Gleiches gilt für die in situ-Verwendung eines derartigen Biozids. Die Rechtslage ändert sich zumindest im letztgenannten Punkt. Hier sieht die verabschiedete Verordnung eine Zulassungspflicht vor, wobei die ursprünglich vorgesehene Ausnahme für Industrieanlagen leider nicht beibehalten wurde. Unklarer ist die Lage bei in situ-Vorrichtungen. Während im ursprünglichen Verordnungsentwurf auch Biozid-Vorrichtungen zulassungspflichtig waren, indem der Biozidbegriff auf „Geräte" oder „Erzeugnisse" erstreckt wurde, lässt die verabschiedete Fassung hier Vieles im Dunkeln.

Eine substantielle Erweiterung des Biozidrechts ist bei Lebensmittel-Kontaktmaterialien zu verzeichnen. Nach bestehender Rechtslage findet die Richtlinie 98/8/EG keine Anwendung auf derartige Gegenstände. Das ist folgerichtig, da die Sicherheit von Lebensmittel-Kontaktmaterialien in der Verordnung (EG) Nr. 1935/2004 hinreichend geregelt wird. Die Einbeziehung von Lebensmittel-Kontaktmaterialien ist während des Gesetzgebungsverfahrens scharf kritisiert worden. Die Gefahr überflüssiger Doppelprüfungen ist jetzt schon erkennbar.

Schließlich werden durch die verabschiedete Biozid-Verordnung auch erstmals mit Bioziden behandelte Waren zulassungspflichtig. Derzeit ist dies nicht der Fall. Zwar dürfen Waren in der EU nur mit zugelassenen Bioziden behandelt werden; für die Einfuhr von außerhalb der EU mit Bioziden behandelter Waren gilt dies jedoch nicht. Aus Sicht der Hersteller derartiger Waren ist zu begrüßen, dass die Ungleichbehandlung von in der EU hergestellter Waren beseitigt wird. Der Handel wird sich an diese Regelung gewöhnen müssen.

Europaweite Zulassung vereinfacht

Positiv sind zwei neue Wege, auf denen eine europaweite Zulassung für Biozide erreicht werden kann. Bei der sog. Unionszulassung hat das jeweilige Unternehmen einen Antrag bei der Europäischen Chemikalienagentur (ECHA) einzureichen. Die Bewertung des Antrags erfolgt dann durch eine nationale Behörde, die vom Antragsteller zu benennen ist. Auf Grundlage dieser Bewertung verfasst die ECHA eine Stellungnahme und übermittelt sie der Kommission, die die Zulassungsentscheidung trifft. Leider können nicht alle Biozide von der neuen Unionszulassung profitieren. Sollten ursprünglich alle Biozide derart zugelassen werden können, ist dies nunmehr eingeschränkt worden. Für Bekämpfungsmittel gegen Mäuse, Ratten und andere Nagetiere, gegen Vögel, gegen Fische sowie für Schutzmittel für Lebens- und Futtermittel sowie Antifouling-Produkte ist eine Unionszulassung nicht vorgesehen. Im Übrigen gilt eine recht komplizierte zeitliche Staffelung, bei der schrittweise die Unionszulassung für alle übrigen Biozide eingeführt wird, für die in der gesamten Union ähnliche Verwendungsbedingungen gelten. Hier hätte man sich einen unkomplizierteren Ansatz gewünscht.

Neben der Unionszulassung gibt es zukünftig auch ein vereinfachtes Zulassungsverfahren, bei dem ein nach diesem Verfahren zugelassenes Biozid auch in den übrigen EU-Mitgliedsstaaten vermarktet werden kann. Anders als bei der Unionszulassung wird die Zulassung hier jedoch von der nationalen Behörde erteilt. Die in der Verordnung genannten Zulassungsvoraussetzungen dürfte bei nicht wenigen Bioziden vorliegen (genehmigter Wirkstoff, hinreichende Wirksamkeit, keine persönliche Schutzausrüstung erforderlich etc.). In der Praxis wird es vielfach daher darauf ankommen, ob es sich um einen CMR-, PBT- oder vPvB-Wirkstoff handelt oder das Biozid einen sonstigen bedenklichen Stoff enthält. In beiden Fällen steht dieses Zulassungsverfahren nicht zu Verfügung.

Frühzeitiges Handeln ist geboten

Die in der Verordnung vorgesehenen Zulassungsmöglichkeiten für Biozide sind zu begrüßen. Ab dem 1. September 2013 dürfte eine europaweite Vermarktung von Bioziden schneller und kostengünstiger möglich sein. Umgekehrt kommen für die Industrie und den Handel auch weitere Zulassungspflichten hinzu. Allerdings werden hierfür Übergangsregelungen gelten. Danach können die betroffenen Produkte auch nach Inkrafttreten der Verordnung zum 1. September 2013 unter bestimmten Bedingungen vorläufig weiter vermarktet werden. Die betroffenen Unternehmen sind gut beraten, sich zeitnah auf diese Übergangsregelungen einzustellen. 

 

Kontakt:

Dr. Christian Stallberg, LL.M. (Cambridge)

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