Chemie & Life Sciences

Nachhaltige Synthese von Feinchemikalien mit Hefe

Was Bier, Handcreme und Malariamittel gemeinsam haben

05.03.2015 -

Chemie-, Pharma-, Kosmetik- und Lebensmittelindustrie verarbeiten und verbrauchen jeden Tag tonnenweise wertvolle Feinchemikalien. Wertvoll nicht nur aufgrund der jährlichen Weltmarktproduktion von 85 Mrd. EUR, sondern vor allem deshalb, weil viele dieser Substanzen auf Basis der endlichen Ressource Erdöl oder aus bedrohten Pflanzen- und Tierarten gewonnen werden. Doch es gibt alternative Produktionsformen, die effizient und kostengünstig sind: Mikroorganismen. Sie erlauben eine nachhaltige biotechnologische Produktion von Chemikalien wie Zuckerderivate, organische Säuren, Fette, Aromaten oder Terpene.

Insbesondere die Hefe wird für diese Zwecke immer wieder neu entdeckt. „Mithilfe von Hefen lässt sich eine große Palette Feinchemikalien im Industriemaßstab herstellen", erklärt Christine Lang, Gründerin und Geschäftsführerin von Organobalance. Die Produktion mit diesem Mikroorganismus erlaubt eine nachhaltige Herstellungsweise. Außerdem sind die Produkte von hoher Reinheit und konstanter Qualität - was bei pflanzlichen oder tierischen Produkten nicht immer gewährleistet werden kann. „Der Einsatz von Hefen ist nicht neu, doch was wir daraus machen können, ist revolutionär", sagt Lang.

Weit über die traditionelle Anwendung beim Backen, Brauen und Weinfermentieren hinaus hat Hefe einen wesentlichen Anteil an den biotechnologischen Produktionsverfahren für Feinchemikalien. Dass nicht nur die Brauer auf ihre Lieblingshefe schwören - und die Biertrinker dies als ihren jeweiligen Lieblingsgeschmack identifizieren können - zeigt, dass es „die Hefe" an sich gar nicht gibt: Besondere und einzigartige Stämme bestimmen traditionell die Geschmackswelt im Wein oder im Bier. Heute lernen wir, dass diese Einzigartigkeit eines Stammes nicht nur für die Lebensmittelherstellung von besonderer Bedeutung ist, sondern dass auch die industrielle Herstellung von biotechnologischen Produkten von der richtigen Wahl des Produktionsstammes profitieren kann. In der Sammlung des Biotechnologie-Unternehmens Organobalance befinden sich mehrere Hundert Wildtyp-Hefe-Stämme; jeder einzelne mit dem Potenzial, der Produzent einer neuen Feinchemikalie von morgen zu werden.

Gezielte Auswahl und das gewisse Extra

Um einen geeigneten Hefestamm für die Produktion einer speziellen Chemikalie auszuwählen, werden Stämme vorselektiert, die das Produkt oder seine Vorläufer schon natürlicherweise effizient bilden. Auch erwünschte Prozesseigenschaften wie Temperatur-, pH-, und Osmotoleranz spielen eine wichtige Rolle bei der Selektion des richtigen Basisstammes. Des Weiteren sind häufig die Unempfindlichkeit gegenüber Prozesschemikalien oder Lösungsmitteln für die großtechnische Produktion von Bedeutung.

Wo nötig, wird das natürliche Potenzial der selektierten Hefen durch „Metabolic Engineering" - das gezielte An- und Abschalten von Genen oder das Einbringen neuer Stoffwechsel- und Produktionswege - erweitert. Der entstandene neue Produktionsstamm vereint dann alle Reaktionsschritte zur Herstellung der gewünschten Substanz in einer Zelle. Ziel ist im Normalfall eine Produktion, die von einfachen  Substraten wie z.B. Zucker oder Glycerin ausgeht und - im Gegensatz zu vielen chemischen Reaktionswegen - bereits bei geringer Wärme stattfinden kann. Weitere Katalysatoren werden nicht benötigt. Dies und der vergleichsweise geringe Energieeintrag senken die Produktionskosten. Darüber hinaus ermöglicht die Synthese von Feinchemikalien in Hefen auch flexible und bedarfsgerechte Produktionen beliebigen Größenmaßstabs. Vorteilhaft ist auch, dass die Produktion unabhängig von limitierten oder saisonal verfügbaren tierischen oder pflanzlichen Rohstoffen stattfinden kann.

Wachstumsmarkt: Terpene & Terpenoide

Terpene und Terpenoide sind hochwertige Wirkstoffe, die üblicherweise aus Pflanzen oder Tieren isoliert werden und in der Aromen-, Kosmetik- oder Pharmabranche Anwendung finden. Ein wichtiges Terpen ist Squalen, das aktuell mit einem Jahresvolumen von mehr als 2.000 t und in einem Gesamtwert von über 120 Mio. USD produziert wird. Hauptsächlich gewonnen wird es zurzeit aus zwei begrenzt verfügbaren Quellen, nämlich Olivenöl-Resten und Haifisch-Öl. Letzteres wirft sowohl Naturschutz- als auch ethische Fragen auf.

Die industrielle Biotechnologie benötigt lediglich den richtigen Hefestamm, welcher im Fermenter mit einfachen Zuckern oder Glycerin gefüttert wird und aus diesen C-Quellen das hochwertige Terpen bildet. Die Produktion verläuft ressourcenschonend, verzichtet auf den Einsatz von Pestiziden und kämpft nicht mit Schwermetallkontaminationen. Organobalance hat in den letzten Jahren maßgeblich zur Entwicklung der Squalen- und Squalenderivate-Synthese in Hefe beigetragen. „Unsere eingehenden Forschungen und das Metabolic Engineering in unseren Stämmen haben uns zu einem großen Wissens- und Erfahrungsschatz auf diesem Gebiet und zu ertragreichen Stämmen verholfen", erklärt Christine Lang. „Sowohl Squalen als auch weitere Terpene und Terpenoide können mit unseren patentierten Hefe-basierten Prozessen hergestellt werden."

Der Zeitpunkt für diese neue Technologie ist passend; so prognostizieren z.B. Markets and Markets, dass die Nachfrage nach Squalen bis 2019 um jährlich mehr als 10% ansteigen wird. Gleichzeitig verlangen Weiterverarbeiter und Endverbraucher nach „Grünen Produkten". Dies kann mit dem Produktionsorganismus Hefe und den damit etablierten industriellen Prozessen erreicht werden. Zwar ist nicht für jede Fragestellung in der Produktion organischer Moleküle gleich der perfekte Hefestamm vorrätig, sozusagen „off the shelf" verfügbar. Aber das Potenzial zur biologischen Lösung für die bislang chemischen Prozessschritte hat sich in diesem Sektor nicht zuletzt durch den exponentiellen Wissenszuwachs erheblich erhöht. Ein Blick über den Tellerrand der rein chemischen Synthese lohnt sich also; eine Machbarkeitsstudie, welcher Hefestamm ein chemisches Syntheseproblem am besten löst, ist lohnender denn je.

Weites Feld der Möglichkeiten

Squalen ist ein Paradebeispiel, aber nur die Spitze des Eisbergs. „Mit unserer Sammlung von über 600 natürlichen Hefestämmen der Gattung Saccharomyces können wir für fast jeden Spezialauftrag die richtige Hefe auswählen", erklärt Lang. Produktionsstämme für Terpene, Terpenoide, Sterole und andere lipidische Substanzen hat Organobalance bereits entwickelt. Weitere interessante Verbindungen wie Flavonoide oder Alkaloide, deren chemische Synthese oder Gewinnung schwierig oder teuer ist, können mit Hilfe von Hefe hergestellt werden. So gelang einem internationalen Verbund von Unternehmen und der Gates Stiftung die großtechnische Herstellung des Malariamittels Artemisinin in Hefe; dies ist seit 2014 als biotechnologisches Produkt auf dem Markt verfügbar. Die Nutzung von Hefe für industrielle Produktionen in der Chemie und im Pharmabereich nimmt zu. Mikrobielle Produktionsprozesse werden patentiert, Unternehmen sichern sich ihre eigenen Produktionsstämme. Natürliche Ressourcen werden knapp und Alternativen sind gefragt. „Die biotechnologische Produktion hat großes Potenzial", folgert Lang. „Die Produzenten der Zukunft sind zwar mikroskopisch klein, erzielen jedoch am Ende die größte und nachhaltigste Wirkung."