Strategie & Management

Bioökonomie in Europa: ein welkendes Pflänzchen?

Großinvestitionen werden meist außerhalb Europas getätigt

19.11.2015 -

Die Europäische Kommission sieht für die Bioökonomie in Europa eine strahlende Zukunft voraus: 2 Bio. EUR Jahresumsatz, 22 Mio. Arbeitsplätze, die 9% der arbeitenden Bevölkerung in Europa beschäftigen, und ein Ende ist nicht abzusehen. Kritiker dagegen malen dunkle Wolken in das positive Bild.

Europa ist zwar stark im Sektor Forschung und Entwicklung, doch die biobasierten Großanlagen sucht man noch weitgehend vergeblich. Experten sprechen von einem “Tal des Todes” zwischen der wissenschaftlichen Spitzenleistung und dem wirtschaftlichen Erfolg. Großinvestitionen in die Bioökonomie werden zunehmend außerhalb von Europa gemacht. Beispiel dafür ist die Bernsteinsäureproduktion von BioAmber: Eine Anlage im industriellen Maßstab läuft erfolgreich seit 2010 in Frankreich, ein neuer Betrieb zur Produktion von 30.000 t/a wurde jedoch im kanadischen Sarnia errichtet. „Finanzierungsprobleme“ werden häufig als Grund genannt, wenn Entscheider nach dem schleppenden Wachstum der europäischen Bioökonomie befragt werden. Finanzierungsexperten entgegnen, dass das Kapital durchaus verfügbar sei, es sei nur eine Frage des Herankommens. Wagniskapital ist noch immer eine wichtige Finanzierungsquelle, jedoch hat die weltweite Wirtschaftskrise ihre Spuren im Markt hinterlassen. Vor 2009 floss ein Großteil des Wagniskapitals in Unternehmen, die jünger als drei Jahre waren. Nach der Krise bevorzugen die Kapitalgeber etwas gereiftere Unternehmen – vier Jahre und älter.

Maximale Förderung aus mehreren Fonds

An der Schnittstelle zwischen öffentlicher und privater Finanzierung bewegt sich das Bio-Based Industries Joint Undertaking der Europäischen Union und dem Konsortium der bio-based Industries (BIC). Diese öffentlich-private Partnerschaft ist Teil von Horizon 2020 und mit 2,7 Mrd. EUR von privaten Investoren und 975 Mio. EUR EU-Geldern ausgestattet. Horizon 2020 ist das aktuelle Forschungs-Rahmenprogramm der EU für die Jahre bis 2020 und umfasst 80 Mrd. EUR.

Ergänzend zu Horizon 2020 hat die EU fünf Struktur- und Investmentfonds (ESIF) auf den Weg gebracht, die strukturschwache Regionen unterstützen sollen: Der europäische Regionalentwicklungsfonds (ERDF), der europäische Sozialfonds (ESF), der Kohäsionsfonds (CF), der europäische Landwirtschaftsfonds für ländliche Entwicklung (EAFRD) und der europäische Fischereifonds (EMFF) umfassen insgesamt 80-100 Mrd. EUR. Wegen ihrer großen Vielfalt passen bioökonomische Themen in jeden dieser Fonds. Die EU beabsichtigt ausdrücklich, bestmögliche Synergien zwischen Horizon 202 und ESIF zu schaffen. Für Antragsteller bedeutet dies, dass sie sich aus beiden Fördertöpfen gleichzeitig bedienen können, wobei jedoch keine Einzelmaßnahme doppelt gefördert werden darf. Die Europäische Investitionsbank startet als Ergänzung zu Horizon 2020 das Innovfin-Programm, um die Finanzierung innovativer Geschäftsideen zu erleichtern. Im Angebot sind Darlehen und Garantien ab 25.000 Euro für kleine und mittelständische Betriebe bis hin zu 300 Mio. EUR für Großunternehmen.

Europa braucht Richtungswechsel – Vorbild USA

Als weiterer Hemmschuh für die Bioökonomie gilt die europäische Politik. Alle Beteiligten sind sich einig, dass Europa einen Strategiewechsel braucht, um im weltweiten Wettbewerb bestehen zu können. Investoren brauchen langfristige Planungssicherheit, doch diese finden sie nur außerhalb von Europa. Das erneuerbare Energiegesetz gilt bis 2020; was danach kommt ist ungewiss. Bis dahin sind Treibstoffhersteller im Vorteil, wenn es um die Beschaffung von Biomasse geht. Firmen, die aus Biomasse Chemikalien oder Materialien herstellen wollen, haben das Nachsehen. Gleiche Bedingungen für alle Biomasseverwerter ist deshalb die meistgehörte Forderung in Industriekreisen, die auch vom deutschen Bioökonomierat und anderen Institutionen aufgegriffen wird.

Außer für Biokraftstoff gibt es in Europa keinen Marktzug. Die USA dagegen haben einen Markt geschaffen, indem das Landwirtschaftsministerium (USDA) das Biopreferred-Programm eingeführt hat. Mit dieser Maßnahme sind öffentliche Einrichtungen verpflichtet, bei Anschaffungen über 10.000 USD das Material mit dem höchsten Anteil an nachwachsenden Rohstoffen einzukaufen. Kritiker werfen dem US-Landwirtschaftsministerium Marktverzerrung vor, doch die Hersteller in Europa blicken mit einem gewissen Neid in die USA. Sie würden ein ähnliches Programm für Europa begrüßen, denn im öffentlichen Beschaffungswesen werden hier jährlich 2.000 Mrd. EUR ausgegeben. Die Fachagentur Nachwachsende Rohstoffe betreibt eine Datenbank für Beschaffungsmanager und die europäische “Green Public Procurement”-Initiative arbeitet ebenfalls in diese Richtung. Beides ist jedoch rein freiwillig und der Erfolg hängt davon ab, ob dem einzelnen Einkäufer das Thema Nachhaltigkeit wichtig ist.

Zusätzlich zum öffentlichen Beschaffungsprogramm gibt es das “USDA Certified Biobased Product”-Siegel. Dieses zeigt an, dass das Produkt getestet wurde, um den Gehalt an nachwachsenden Rohstoffen zu bestimmen, und dass eine festgelegte Mindestmenge erreicht wurde. Dieses Programm ist nicht auf US-Hersteller beschränkt, auch Firmen aus Europa können ihre Produkte anmelden. Ein Qualitätssiegel sollte eindeutige Auskunft geben, welche Umweltstandards ein Produkt erfüllt und den Verbraucher zu Kaufentscheidungen im Sinne der Nachhaltigkeit führen. Die europäische Bioökonomie würde davon ebenfalls profitieren, wie die OECD schon 2011 festgestellte, doch über die Qualitätsstandards wird noch diskutiert. Das fängt schon bei der Frage an, wie der Anteil nachwachsender Rohstoffe bestimmt wird – Gehalt an Kohlenstoff aus Biomasse, oder zählt der Sauerstoff auch mit, geht es nach Massenanteilen… die Diskussion ist komplex. Schon heute weist der Ecolabel Index bald 500 verschiedene Qualitätssiegel weltweit aus; ein weiteres zu etablieren, das sich gegen die bestehenden durchsetzt, dürfte schwierig werden.

Maßnahmen mit Dominoeffekt

Quoten und Verbote sind weitere Mittel, um den Markt zu beeinflussen. Brasilien führte vor 40 Jahren als erstes Land die Ethanolbeimischung  zum Benzin ein und legte damit den Grundstein zur Karriere als einer der weltgrößten Ethanolproduzenten. Die Idee setzte sich durch und in vielen Ländern sind Ethanolquoten heute die Regel.

Italien zeigt mit einem positiven Beispiel, wie man das Verbot eines Produktes bestmöglich ausnutzen kann. Dünne Einwegplastiktüten, wie man sie aus der Obst- und Gemüseabteilung kennt, wurden 2011 verboten. Sie wurden durch kompostierbare Tüten ersetzt, die auch gleich noch der Aufklärung dienten: Auf die Tüten wurde die Bitte an die Verbraucher gedruckt, die Beutel zum Sammeln von Biomüll zu verwenden. Diese Informationskampagne war ein Riesenerfolg. Der Verbrauch der Einwegtüten fiel um 50% und für viele Verbraucher war es der Anstoß, erstmalig Bioabfälle in der Küche zu sammeln. Auch die Qualität des produzierten Kompostes stieg: weil nur noch kompostierbare Einwegtüten im Umlauf sind, gibt es deutlich weniger Verunreinigungen mit nicht-abbaubaren Kunststoffen. Und es gibt noch mehr Vorteile: Es sind insgesamt weniger Plastiktüten im Umlauf, dadurch landen auch weniger Exemplare in der Landschaft. Wenn biologisch abbaubare Tüten ins Meer gelangen, zersetzen sie sich schnell und stellen keine Gefahr für die Meeresbewohner dar.

 

Basis dieses Beitrags ist ein Trendbericht, der im Auftrag der Dechema im Vorfeld der Achema 2015 von internationalen Fachjournalisten erstellt wurde.

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