Forschung & Innovation

Visionär, Nobelpreisträger, Kriegsverbrecher

Eine biografische Notiz zu Fritz Haber, Chemie-Nobelpreisträger von 1920

24.05.2013 -

Im Kleinen Haus am Staatstheater Darmstadt wird derzeit ein Stück gegeben, das Leben, Werk und Wirkung von Fritz Haber zum Thema hat: Fritz Haber Deutsch oder Stimmt die Chemie?, so der Titel des Stückes über den Chemiker von Weltruf. Die Uraufführung fand am 10. Mai 2013 statt. Weitere Vorstellungen sind für den 30.05., 7.06., 14.06. und 2.07. geplant. Wir nehmen dies zum Anlass, den umstrittenen Wissenschaftler, den Wegbereiter des Kunstdüngers und Vater der chemischen Kriegführung, vorzustellen. Der Autor des Beitrages ist freier Mitarbeiter von CHEManager und CITplus und war als Dramaturg bei der Umsetzung des Theatestücks von Peter Schanz unter der Regie von Wolfgang Hofmann beteiligt.

Brot aus Luft und Tod durch Gas
Fritz Haber (1868-1934), Chemiker, Nobelpreisträger, Deutscher, Jude, rettet Menschen vor dem Hungertod. Und er tötet sie durch die von ihm entwickelten ersten Massenvernichtungswaffen. Haber ist ehrgeiziger Forscher und Förderer der Wissenschaften. Haber verknüpft geschickt Industrie, Politik und Kapital. Und mit Haber verliert die Wissenschaft endgültig ihre Unschuld.

N2 + 3H2 = 2NH3
Welcher Chemiker kennt sie nicht? Die Formel beschreibt die gleichgewichtige Reaktion im Rahmen der Ammoniaksynthese. Und für diese Ammoniaksynthese hat Fritz Haber 1920 rückwirkend für das Jahr 1918 den Nobelpreis erhalten. Entwickelt hatte er das Verfahren aber schon zehn Jahre zuvor. Darstellung des Ammoniaks aus den Elementen, so das Patent, das er 1908 beim Reichspatentamt anmeldete. Ein entscheidender Meilenstein der Chemie war gesetzt: die Aufspaltung des Luftstickstoffs und die Verbindung mit Wasserstoff zu Ammoniak. Das hatten vor Haber schon andere Chemiker versucht, aber keiner hatte diese Aufgabe so hartnäckig und besessen verfolgt wie er. Es war eine Frage des richtigen Drucks, der richtigen Temperatur und des entsprechenden Katalysators. Haber fand die Lösung. Fortan war die Ammoniaksynthese die Voraussetzung zur Herstellung von Kunstdünger, aber auch von Salpetersäure und damit von Sprengstoffen und Schießpulver. Mit Hilfe des Verfahrens, das Haber im Labormaßstab entwickelt und später von den BASF-Mitarbeitern Carl Bosch und Alwin Mittasch im großtechnischen Maßstab umgesetzt wurde, war es möglich, Kunstdünger in industriellem Maßstab herzustellen und damit ein wirksames Mittel gegen die Hungersnot auf der Welt in der Hand zu haben. In Ludwigshafen-Oppau ging 1913 das erste Ammoniakwerk in Betrieb, es folgten Werke in Leuna und Bitterfeld. Ohne das sogenannte Haber-Bosch-Verfahren wären aber auch die Materialschlachten des Ersten Weltkrieges nicht möglich gewesen. Dieser wäre, wahrscheinlich schon nach wenigen Wochen oder Monaten, zu Ende gewesen, weil Deutschland durch die Kontinentalblockade von der Einfuhr natürlichen Salpeters aus Südamerika abgeschnitten war.

„Ich mach euch das mit Gas"
Während des Krieges zeichnet sich Fritz Haber noch durch ein anderes, entscheidendes Engagement aus. Haber stellt das Kaiser-Wilhelm-Institut für physikalische Chemie und Elektrochemie (KWI), dessen Gründungsdirektor er war und das er von 1912 bis 1933 leitete, mit Ausbruch des Krieges 1914 in den Dienst der Obersten Heeresleitung. Als sich die Kampfhandlungen in den Schützengräben Flanderns und Lothringens festgefahren hatten, arbeitet man im „Büro Haber" fieberhaft daran, wie dieser Stellungskrieg wieder in einen Bewegungskrieg zu überführen sei. Dabei kam Haber auf Gas. Am 22. April 1915 wurde bei Ypern in Flandern der erste militärisch-wissenschaftlich geplante Gasangriff mit Chlorgas durchgeführt. Allein die Franzosen bezifferten ihre Verluste am 22. April bei Ypern auf 18.000. Haber hatte diesen Angriff wie viele weitere danach nicht nur akribisch geplant, sondern auch persönlich überwacht. Seine erste Frau Clara Immerwahr, ebenfalls promovierte Chemikerin, nahm sich daraufhin das Leben. Haber fuhr am nächsten Tag an die Ostfront. Strategisch hatten die in der Folge entwickelten, immer perfideren Chemiewaffen wenig Wirkung. Außer, dass sie das vier Jahre lang währende Kriegsgeschehen um extremes, physisches und psychisches Leid bereicherten. Allerdings: Die Verwundung mit Senfgas in der Nähe von Ypern wird für einen deutschen Meldegänger zum Initialerlebnis. Er beschließt, Politiker zu werden. Sein Name: Adolf Hitler.

Glühender Patriot und umtriebiger Netzwerker
Fritz Haber musste schon früh erfahren, dass ihm im wilhelminischen Reich als Jude nicht die Aufstiegschancen gewährt wurden, die er sich wünschte. Der glühende Patriot will gefallen, strebt nach Anerkennung, will es zu etwas bringen, will - im Unterschied zu Albert Einstein, mit dem ihn eine lebenslange Freundschaft verband - dazugehören, gleichberechtigt sein in diesem endlich errungenen Nationalstaat. Fritz Stern, der renommierte amerikanische Historiker, dessen Patenonkel Haber war, formuliert: „Haber hatte eine Art Zivilreligion", in der „nominelles Christentum, privates Judentum und sein spezifisches Deutschtum miteinander verschmolzen". Sein Motto: Im Frieden für die Menschheit, im Krieg fürs Vaterland. So konvertiert Haber 1893, studiert Chemie, erhält schließlich eine Professur an der TU Karlsruhe, wechselt 1912 als Direktor des KWI nach Berlin. 1920 ereilt ihn, kein Auslieferungsgesuch der Siegermächte, sondern der Ruf aus Oslo. Er erhält den Chemie-Nobelpreis. Anfang der zwanziger Jahre ist er erster Geschäftsführer der Deutschen Gesellschaft zur Schädlingsbekämpfung (Degesch), aus deren Laboren später die Schädlingsbekämpfungsmittel Zyklon A und Zyklon B zum Patent angemeldet werden. Was damit in den Vernichtungslagern der Nationalsozialisten passiert, hätte wohl auch Habers Vorstellungsvermögen überstiegen. 1925 sitzt er im Aufsichtsrat der IG Farben. Mit seiner zweiten Frau, der um 30 Jahre jüngeren Charlotte Nathan, unternimmt er eine zweijährige Weltreise. Er ist der gefeierte Star der internationalen Scientific Community. Zuvor hatte er jahrelang vergeblich versucht, Gold aus Meerwasser zu destillieren, um seinem Land die immensen Reparationszahlungen zu ermöglichen.

1933 wird er aufgrund des Arierparagraphen im neuen Beamtengesetz aus allen seinen Ämtern gedrängt, nicht ohne vorher noch seinen jüdischen Mitarbeitern aufgrund seiner Beziehungen ins Ausland neue Perspektiven zu eröffnen. Sein Leben lang hatte er sich ohne Ansehen von Rasse, Religion und Staatszugehörigkeit für die Förderung und die Finanzierung von Forschung und Entwicklung eingesetzt. National wie international. Jetzt ist er in seinem geliebten Vaterland nicht mal mehr als Bürger zweiter Klasse geduldet. Schon bald werden Juden gar keine Rechte mehr haben. Haber emigriert nach England, wo man ihn auf Betreiben des Zionisten und späteren ersten Präsidenten des Staates Israel, Chaim Weizmann, nach Cambridge eingeladen hatte. Aber schon da ist Haber ein gebrochener Mann. Mit Weizmann führt er mehrere Gespräche bezüglich seiner Mitarbeit an einem naturwissenschaftlichen Institut in Rehovot bei Tel Aviv. Doch dazu kommt es nicht. Haber stirbt 1934 in Basel.

Wegducken vor der ethischen Verantwortung
In kaum einer anderen Biografie prallen Fluch und Segen der Wissenschaft derart aufeinander wie im Leben Fritz Habers. Moralische Verantwortung für sein militärisches Wirken im Ersten Weltkrieg weist er von sich. Die Weimarer Republik gibt ihm Recht. Auch von den anderen Krieg führenden Mächten kommen keine Proteste. Man verständigt sich stillschweigend darauf, dass die Haager Landkriegsordnung von 1907, die den Einsatz von Chemiewaffen verbot, von allen Kriegsbeteiligten außer Kraft gesetzt wurde. So verliert mit Fritz Haber die Wissenschaft endgültig ihre Unschuld. Und seit Fritz Haber sehen sich Wissenschaftler verstärkt der Frage konfrontiert, ob das, was sie in ihren Laboren entfesseln, auch ethisch vertretbar ist.

 

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