Strategie & Management

Big Biotech: Aufstieg mit Hürden

Große Biotechs spielen in Pharmawelt vorne mit – Hohe Biopharmazeutikapreise wecken Kritik

27.10.2015 -

Die Biotechszene ist den Kinderschuhen entwachsen. US-Unternehmen wie Amgen, Vertex Pharmaceuticals, Biogen Idec oder Gilead Sciences vermarkten milliardenschwere Medikamente und verfügen über gut gefüllte Entwicklungspipelines. Auch die hohen Marktkapitalisierungen zeugen vom Aufstieg der Big Biotechs in den vergangenen Jahren. Manche sehen sie bereits als neue Pharmariesen. Doch die aktuelle Diskussion um hohe Arzneimittelpreise hat den Biotechriesen erstmal einen Dämpfer versetzt.

Es war nur ein Immobiliengeschäft. Aber eines mit Symbolkraft. Das US-Biotechunternehmen Celgene übernahm im Juli 2015 vom US-Pharmariesen Merck & Co. einen Campus in Summit bei New York und vergrößerte damit seine ohnehin vorhandenen fünf Standorte nahe der Ostküstenmetropole um weitere 120.000 m². Dieses Geschäft zeigte: Big Biotech ist auch physisch in der Welt von Big Pharma angekommen.

Auch ein Blick auf die wirtschaftlichen Kennzahlen belegt, dass insbesondere die großen US-Biotechunternehmen mittlerweile zur Top-Liga in der Pharmaindustrie gehören. Ihre Umsätze liegen im zweistelligen Milliardenbereich, die Gewinnspannen zählen zu den höchsten in der Pharmabranche – und damit zu den höchsten in der Industrie überhaupt - die Zahl der Mitarbeiter geht in die Zehntausende.

Der Grund liegt in den Produkten. Biopharmazeutische Medikamente haben die Behandlung von schweren Erkrankungen wie Krebs, Autoimmunstörungen oder Diabetes in den vergangenen 20 Jahren stark verbessert. Sieben der weltweiten Top-Ten-Arzneimittel stammen heute aus Biotechlaboren. Biopharmazeutika zählen allerdings auch zu den teuersten Arzneimitteln. Die jährlichen Kosten pro Patient liegen oftmals zwischen 50.000 und 300.000 USD.

Angesichts dieser Marktstärke und Finanzkraft ist es kein Wunder, dass die großen Biotechfirmen mittlerweile auch im Übernahmepoker der Pharmaindustrie eine wesentliche Rolle spielen. Zukäufe im Milliardenbereich durch Biotechs sind zur Normalität geworden.

Amgens Chance auf ein Avastin-Biosimilar

Das weltweit größte unabhängige Biotechunternehmen ist Amgen aus der Nähe von Los Angeles. Der US-Konzern hat im vergangenen Jahr mehr als 20 Mrd. USD umgesetzt und verfügt über eine Marktkapitalisierung von 111 Mrd. USD. Zuletzt ist der Biotech-Goliath mit seinem Partner Allergan einen deutlichen Schritt weiter gekommen, von der US-Zulassungsbehörde FDA das Okay für ihr Biosimilar ABP 215 zu erhalten, ein mögliches Nachfolgeprodukt zum milliardenschweren Krebsmittel Avastin. Sollte das gelingen, dürfte Amgen seine Umsätze nochmals steigern.

Gilead Sciences gefüllte Kassen

Ein mächtiger Marktteilnehmer in der Biotechszene ist auch Gilead Sciences. Das kalifornische Unternehmen entwickelt und vermarktet Therapien zur Behandlung lebensbedrohlicher Infektionskrankheiten mit Fokus auf HIV und Hepatitis B und C. Durch mehrere Akquisitionen hat Gilead sein Produktspektrum zudem auf pulmonare und kardiovaskuläre Erkrankungen sowie Krebs erweitert. Durch die Übernahme von Pharmasset im Jahr 2011 für 11 Mrd. USD hat Gilead außerdem die Rechte an der Hepatitis-C-Arznei Sovaldi erworben. Das Arzneimittel soll es erstmals möglich machen, Patienten wieder vollkommen zu heilen. Diesen Effekt lässt sich Gilead jedoch teuer bezahlen: Anfangs verlangte Gilead pro Pille 700 EUR, womit bei einem 24-Wochen-Behandlungszyklus rund 100.000 EUR zusammenkamen. „Wertvoller als Gold“, urteilte die AOK. Mittlerweile hat der Konzern den Pillenpreis um rund 200 EUR gesenkt.

„Gilead's Fokus auf Infektionskrankheiten hat sich in höchstem Maße ausgezahlt“, stellten die Analysten von Morningstar vor einiger Zeit fest. Das Unternehmen generiere „traumhafte Gewinnmargen.“ Zusammen mit einer kürzlich vorgenommenen Kapitalmaßnahme besitzt Gilead rund 24,7 Mrd. USD an Cash – genug, um eine weitere Mega-Übernahmen zu stemmen.

Celgene mit hohem Wachstum

Auch Celgene hat sich einen festen Platz in der Top-Liga der Biotechfirmen erarbeitet. Das US-Biotechunternehmen hat sich auf die Entwicklung von Arzneimitteln zur Behandlung von Krebs und Immunerkrankungen spezialisiert und ist mit einem durchschnittlichen jährlichen Wachstum von 23% über die vergangenen fünf Jahre eines der am schnellsten wachsenden Pharmaunternehmen gewesen. Nach einem Umsatz von 7,7  Mrd. USD im vergangenen Jahr peilt Vorstandschef Bob Hugin mittlerweile die 12-Milliarden-Dollar-Marke für 2018 an. Hauptumsatzbringer ist das Krebsmedikament Revlimid. Branchenkenner schätzen, dass künftig 60% von Celgenes Umsatz aus diesem Produkt kommen – rund 11 Mrd. USD im Jahr 2020. Damit dürfte der Konzern auch in den kommenden Jahren weiter wachsen.

Biogen Idec mit gemischtem Ausblick

Der US-Biotechkonzern Biogen Idec gibt aktuell ein gespaltenes Bild ab. Einerseits erfreut sich das Unternehmen der zunehmenden Profitabilität von drei Multiple-Sklerose-Produkten und seiner Krebsarznei Rituxan. Analysten von Morningstar sehen in Biogens Fokus auf Spezialarzneien wie auch in seiner Pipeline eine erhebliche Stärke. So führt Biogen den 18-Milliarden-Dollar schweren globalen Multiple-Sklerose-Markt an. Die Markteinführung von Tecfidera sollte die Position des Unternehmens in diesem Bereich zudem für die kommenden Jahre weiter sichern. Andererseits hat der Konzern Ende Juli aufgrund schlechterer Aussichten für eben diesen Hoffnungsträger die wirtschaftlichen Ziele für das Gesamtjahr gesenkt. Seitdem hat der Aktienkurs des Biotech-Schwergewichtes massiv an Wert verloren.

Regeneron stark in Augenheilkunde

Mit einem Jahresumsatz von rund 2,8 Mrd. USD im Jahr 2014 zählt das US-Unternehmen Regeneron Pharmaceuticals zu den eher kleinen unter den Big Biotechs. Doch das Unternehmen mit Sitz nahe New Yorks verfügt über eine ganze Reihe an Antikörper-Medikamenten, wächst kontinuierlich und hat seinen Aktienkurs in den vergangenen Jahren vervielfacht. Das wichtigste Präparat ist das Augenmittel Eylea. Der Wirkstoff wurde zusammen mit Bayer entwickelt und wird bei drohendem Sehverlust durch ein Makula-Ödem eingesetzt. Ende Juli hat Regeneron einen weiteren wichtigen Schritt gemacht: das Unternehmen erhielt von der FDA die Marktzulassung für seinen neuen PCSK9-Inhibitor, einen Cholesterinsenker.

Actelion – Europas Vorzeigefirma

Die europäischen Biotechunternehmen können mit der Größe ihrer nordamerikanischen Wettbewerber nicht mithalten. Am nächsten kommt ihnen noch die Schweizer Firma Actelion. Mit immerhin 13,5 Mrd. CHF Marktkapitalisierung und Spezialisierung auf Lungen-Bluthochdruck rangiert Actelion deutlich oberhalb der Wahrnehmungsschwelle. Die würde das Unternehmen weiter anheben, wenn die Gespräche zur Übernahme des US-Rivalen ZS Pharma für angeblich 2,5 Mrd. USD zu einem Ergebnis führen würden. Die Aktionäre goutieren den geplanten Einkauf allerdings nicht – zu teuer, urteilen Marktkenner.

Diskussion um hohe Medikamentenpreise

Trotz ihres jahrelangen Aufstiegs wachsen die Bäume für die Big Biotechs nicht in den Himmel. Seit September gerieten die Aktienkurse nahezu aller großen Unternehmen massiv unter die Räder. Ursache hierfür ist vor allem die Diskussion um hohe Medikamentenpreise. Nachdem das Thema wegen Gileads teurer Hepatitis-C-Behandlung bereits monatelang kursiert war, erhielt es durch den 32jährigen US-Hedge-Fonds-Manager Martin Shkreli, Gründer der Start-up-Firma Turing Pharmaceuticals, neue Nahrung. Turing hatte die Rechte an einem alten Medikament gegen Toxoplasmose, einer Parasitenerkrankung, gekauft. Im Sommer dieses Jahres erhöhte Shkreli dann den Preis pro Tablette von 13,30 USD (Deutschland: 0,92 EUR) um sagenhafte 5.500% auf 750 USD.

Shkrelis Streben nach Gewinnmaximierung befeuerte in den USA die Diskussion um angemessene Arzneimittelpreise aufs Neue. Mit einem kurzen Tweed twitterte die Bewerberin für die US-Präsidentschaftskandidatur, Hillary Clinton: „Eine Preisabzocke wie die im Spezialpharmamarkt, ist skandalös. Morgen werde ich meinen Plan dagegen vorlegen.“

Das Thema ist brisant und könnte die Branche durch den gesamten US-Präsidentschaftswahlkampf hindurch begleiten. Klar ist: Die Sensibilität für angemessene Arzneimittelpreise nimmt zu. Das wird auch die Top-Etagen in den Biotechunternehmen beschäftigen.

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