Strategie & Management

Die Zukunft von Kunststoffen neu gestalten

Borealis will Vorreiter bei der Förderung der Kreislaufwirtschaft für Polyolefine werden

16.01.2017 -

Die EU-Kommission hat mit ihrem im Dezember 2015 vorgelegten Kreislaufwirtschaftspaket anspruchsvolle Ziele für die Kunststoffindustrie vorgegeben: Bis 2025 müssen 55 % des Kunststoffverpackungsmülls wiederverwendbar und recyclebar sein. Ein Großteil aller Kunststoffverpackungen besteht aus Polyethylen und Polypropylen. Borealis ist zweitgrößter Produzent dieser Polyolefine in Europa. Der Kunststoffhersteller mit Sitz in Wien, Österreich, produziert jährlich mehr als 3,6 Mio. t Polyethylen und Polypropylen, die außer im Verpackungssektor in weiteren Schlüsselindustrien wie Automobil, Infrastruktur, Energie und Medizin Anwendung finden. Dr. Michael Reubold sprach mit Dr. Alfred Stern, der im Vorstand von Borealis die Bereiche Polyolefine sowie Innovation & Technologie verantwortet, über seine Nachhaltigskeits- und Produktentwicklungsstrategie.

CHEManager: Herr Dr. Stern, mit dem Kreislaufwirtschaftspaket hat die EU-Kommission vor etwas mehr als einem Jahr insbesondere die Produzenten von Verpackungskunststoffen vor neue Herausforderungen gestellt. Wie haben Sie darauf reagiert?

A. Stern: Die Kunststoffbranche hat erkannt, dass die Ziele der Europäischen Kommission bis 2025 nicht mit einem „Business-as-usual“-Ansatz erreicht werden können. Frische Ansätze und eine enge Zusammenarbeit entlang der gesamten Wertschöpfungskette sind gefragt. Borealis sieht sich dazu verpflichtet, die Möglichkeiten, die sich im Rahmen der Kreislaufwirtschaft bieten, zu entdecken und zu nutzen. Nichtsdestotrotz bleibt es eine Herausforderung. Borealis hat darauf mit zwei wichtigen Schritten reagiert. So beteiligten wir uns zum einen an der Initiierung der „Polyolefin Circular Economy Platform“ – kurz: PCEP –, die im Oktober 2016 von den drei Kunststofffachverbänden PlasticsEurope, European Plastic Converters und Plastic Recyclers Europe ins Leben gerufen wurde. Um die Arbeit der PCEP zu unterstützen, sind  wir außerdem als erster Produzent von Primärkunststoffen der „New Plastics Economy“-Initiative der Ellen McArthur-Stiftung beigetreten.

Wie wichtig sind diese Initiativen, um die von der EU-Kommission gesetzten Ziele zu erreichen?

A. Stern: Beide Initiativen werden eine wichtige Rolle dabei spielen, sämtliche Interessensgruppen zu einer engeren Zusammenarbeit zu bewegen und Grenzen zu durchbrechen, um die Kreislaufwirtschaft in die Tat umzusetzen.

Die PCEP macht es sich als Interessensvertretung zur Aufgabe, Hindernisse und Chancen zur Förderung von Recycling in Europa zu identifizieren sowie die Versorgung des europäischen Markts mit hochwertigen Recyclingkunststoffen sicherzustellen. Ziel ist es, die Ressourceneffizienz von Kunststoffen besser zu nutzen, ihre Wiederverwertung sicherzustellen und den Austritt von Abfällen in die Weltmeere zu verhindern. Kunststoffe sind Wertstoffe und sollten nicht auf Mülldeponien landen. Leider sind Kunststoffe aber gegenüber anderen Materialien bezüglich der Sammlung und Verwertung noch benachteiligt. Dabei wird die PCEP mit einem Fünf- bis Zehnjahreshorizont arbeiten, um effektive und wissenschaftlich fundierte Lösungen zu liefern.

Das „New Plastics Economy“-Projekt vereint eine breit gefächerte Gruppe von Stakeholdern aus Unternehmen und Städten mit Philanthropen, politischen Entscheidungsträgern, Akademikern, Studenten, NGOs und Vertretern der Bevölkerung. Im Verlauf der nächsten drei Jahre will die Initiative die Zukunft von Kunststoffen neu gestalten und setzt zu diesem Zweck bei Verpackungen an. Sie wird die Zusammenarbeit entlang der Wertschöpfungskette vorantreiben, Innovationen lenken, um effektive Märkte zu schaffen, „Moonshot“-Innovationen fördern und überzeugende Beweise ausarbeiten, um Verbesserungen zu bewirken sowie eng mit Interessensgruppen zusammenzuarbeiten.

Welche Rolle spielt der Verpackungssektor als Abnehmer Ihrer Polyolefine?

A. Stern: Der Verpackungsbereich ist natürlich wichtig für uns, wobei wir uns aber eher auf hochwertige Verpackungen konzentrieren. Damit meine ich Verpackungslösungen, die besondere Anforderungen an den Kunststoff stellen, beispielsweise Temperaturanforderungen. Ich nenne Ihnen ein Beispiel, welches veranschaulicht, wie der Kreislaufgedanke bereits in unserer Produktentwicklung zum Tragen kommt: Wir haben ein Polypropylen-Produkt, das sich sehr gut schäumen lässt. Aus diesem geschäumten Produkt können sie Becher für heiße Getränke oder auch Container für Take-Away-Gerichte fertigen. Der große Vorteil des Materials ist neben der Stabilität und Isolierfähigkeit, dass es ich um eine Monomaterial-Lösung handelt. Das heißt, dass solche Behälter einfach rezykliert werden können.

Wir handeln entsprechend unserer Philosophie, Wertschöpfung durch Innovation zu erzielen. Und dabei ist die Zusammenarbeit vor Ort mit den Verarbeitern und Endabnehmern unserer Produkte entscheidend.

Wie viel Innovationspotenzial ist bei diesen vermeintlich reifen Standardkunststoffen Polyethylen und Polypropylen noch vorhanden?

A. Stern: Das Eigenschaftsportfolio insbesondere bei PE und PP ist bei Weitem noch nicht ausgeschöpft und beide Polyolefine sind umwelttechnisch, aber auch insgesamt sehr effiziente Polymere. Mit unseren eigenen Technologien haben wir die Möglichkeit, Produkte herzustellen, die am oberen Ende des Eigenschaftsspektrums sind. Und das möchten wir immer weiter vorantreiben. So können wir neue PE- und PP-Qualitäten zur Substitution von anderen Kunststoffen in immer neuen Anwendungen entwickeln.

Das sehen Sie zum Beispiel im Automobilbereich. Im neuen Opel Astra, der in Europa zum Auto des Jahres 2016 gewählt wurde, hat Borealis einen signifikanten Beitrag geleistet, dass gegenüber dem Vorgängermodell Gewichtseinsparungen von rund 200 kg erreicht werden konnten. In jedem Astra sind rund 35 kg unserer Kunststoffe sowohl im Exterieur- als auch im Interieur-Bereich und unter der Kühlerhaube. Aufgrund unserer breiten Produktpalette sind wir fähig, gemeinsam mit den Automobilherstellern und OEMs immer neue Bauteile zu entwickeln.

Gerade im Automobilbau werden viele Bauteile aus Verbundwerkstoffen oder Polymer-Blends verwendet. Das dient zwar der Gewichtseinsparung, verringert aber auch die Rezyklierfähigkeit.

A. Stern: Ich glaube, diesen Spagat muss man machen. Im Automobilbau spielen Sicherheitsaspekte oder andere Anforderungen, die Sie nicht mit einer Monomateriallösung erfüllen können, eine größere Rolle als die Wiederverwertbarkeit. Auch der Aspekt der Kostenersparnis ist für unsere Kunden wichtig. Wir haben beispielsweise ein kohlefaserverstärktes PP auf den Markt gebracht, das spritzgussfähig ist. Daraus können sehr effizient Strukturbauteile hergestellt werden, weil wir die Steifigkeit von Polypropylen nochmals deutlich erhöhen konnten.

Kunststoffe leisten grundsätzlich große Beiträge zum Umweltschutz, weil sie durch ihre Gewichtsersparnis CO2-Emissionen reduzieren.

Es gibt aber auch Beispiele, wo Sie keine Kompromisse eingehen müssen. Wir haben ein neues PP-Stoßfängermaterial entwickelt, mit dem Sie beim Lackieren auf den Primer verzichten können, ohne die Lackhaftung zu verlieren. Das bringt Gewichtsreduzierung, Kostenersparnis und Umweltverbesserung in einem.

Mit MTM Plastics und MTM Compact haben Sie im vergangenen Jahr führende Recyclingunternehmen in Deutschland übernommen.

A. Stern: Ja, in den letzten Jahren hat Borealis seine Aktivitäten im Zusammenhang mit Recycling und Nachhaltigkeit kontinuierlich vorangetrieben. Wir sehen die Wiederverwertbarkeit von Polyolefinen als strategischen Bestandteil unseres Geschäfts. Es geht darum, unsere Wachstumsziele mit konkreten Lösungen zu kombinieren, die einen Beitrag zur Lösung globaler Herausforderungen liefern. Daher haben wir uns voll und ganz den Prinzipien der Kreislaufwirtschaft verschrieben.

MTM gilt als Technologieführer im Bereich Recycling von gemischten Post-Consumer-Kunststoffabfällen und ist einer der größten europäischen Hersteller von Post-Consumer-Polyolefin-Rezyklaten. Mit dieser Akquisition setzen wir den nächsten wichtigen Schritt im Rahmen unseres Engagements für Kunststoffrecycling. Wir sehen das als Wachstumsbereich. Und wir wollen Synergien zwischen Recycler und Rohstoffhersteller finden, um das Verständnis füreinander aufzubauen und künftig die Anforderungen für das Recycling in immer mehr Anwendungen bereits beim Produktdesign zu berücksichtigen: Design for Recycling.

In welchen Anwendungen außer den angesprochenen sehen Sie Wachstumspotenziale für Polyolefine?

A. Stern: Bleiben wir zunächst noch im Automobilbereich: Bei Elektroautos sehen wir natürlich viel Wachstumspotential, denn dort spielt Gewichtsersparnis eine noch größere Rolle. Und Gewichtseinsparung führt automatisch zu CO2-Reduzierung.

Wir sehen auch großes Wachstumspotential im Kabelummantelungsbereich, und zwar insbesondere bei Hoch- und Höchstspannungskabeln im Rahmen der Energiewende, um beispielsweise die in Offshore-Windparks erzeugte Elektrizität zu den Verbrauchern zu transportieren.

Wir sind mit unseren Materialien auch stark im Healthcare-Bereich, beispielsweise bei Infusionsbeuteln. Darunter sind Anwendungen, die überhaupt erst durch unsere Kunststofflösungen möglich werden. Hier haben wir ein Portfolio an qualitativ hochwertigen Produkten und bringen unser Bormed-Konzept auf den Markt, wo wir die Verfügbarkeit der Materialien auch mit der entsprechenden Pharmacopeia-Zertifizierung über lange Zeit garantieren.
 

Kreislaufwirtschaftspaket

Das im Dezember 2015 vorgestellte ambitionierte Kreislaufwirtschaftspaket der EU-Kommission beinhaltet u.a. einen Aktionsplan mit weitreichenden für die Kunststoffindustrie relevanten Maßnahmen, bspw. zu Recycling, Herstellerverantwortung oder Ökodesign, die bis 2018 implementiert sein sollen. Die EU strebt eine ganz neue Strategie im Umgang mit Kunststoffen an, angefangen bei Regelungen zum Produktdesign über die Ressourcen- und Stoffpolitik bis hin zur Verbraucherpolitik. Das Ziel ist eine fast vollständige Kreislaufwirtschaft, in der Produkte und deren Werkstoffe nach Gebrauch recycelt werden und lediglich ein minimaler Stoffstrom als Restabfall anfällt.

Borealis Gruppe

Borealis ist ein Anbieter innovativer Lösungen in den Bereichen Polyolefine, Basischemikalien und Pflanzennährstoffe. Das Unternehmen hat seine Konzernzentrale in Wien, Österreich, beschäftigt rund 6.500 Mitarbeiter und ist weltweit in über 120 Ländern aktiv. Der Konzern, der 2015 einen Umsatz von EUR 7,7 Mrd. und einen Nettogewinn von 988 Mio. EUR erwirtschaftet hat, gehört zu 64% der International Petroleum Investment Company (IPIC), Abu Dhabi, und zu 36% dem österreichischen Öl- und Gaskonzern OMV. Gemeinsam mit Borouge, einem Joint Venture mit der Abu Dhabi National Oil Company (ADNOC), bietet Borealis weltweit Produkte und Dienstleistungen an.

 


 

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