Strategie & Management

Eldorado für Grüne Chemie

Kanadas Provinz Ontario nutzt Petrochemie-Infrastruktur zum Aufbau eines biobasierten Chemie-Clusters

11.11.2015 -

Die weltweiten Investitionen in chemische Produktionsanlagen verlagern sich infolge der Wachstumsabschwächung in China und der Schiefergasvorkommen in den USA zunehmend wieder nach Nordamerika. Gemessen am Nachbarn USA spielt Kanada im nordamerikanischen Chemiemarkt zwar nur eine Nebenrolle, eine genauere Betrachtung fördert jedoch erstaunliche Fakten zutage.

Kanadas Chemieindustrie produzierte 2014 Erzeugnisse im Wert von rund 50 Mrd. kanadischen Dollar (CAD) - ein Plus von 5% gegenüber dem Vorjahr. Den größten Anteil haben die Industriechemikalien mit rund 40%, gefolgt von Arzneimitteln und formulierten Produkten (Farben, Klebstoffe, Körperpflegemittel etc.) mit jeweils 25% sowie Agrarchemikalien mit 10%. Etwa drei Viertel der gut 2.700 kanadischen Chemiefirmen mit rund 78.000 Beschäftigten sind in den Ostprovinzen Ontario und Quebec angesiedelt.

Chemiestandort Ontario

In Ontario produzieren rund 600 Chemieunternehmen mit 27.000 Beschäftigten chemische Erzeugnisse im Wert von ca. 16,8 Mrd. CAD (rund 11,6 Mrd. EUR bzw. 12,8 Mrd. USD). Damit trägt die Provinz ein Drittel zur gesamten kanadischen Chemieproduktion bei. Im Vergleich mit einzelnen US-Bundesstaaten ist Ontario für sich betrachtet der neuntgrößte Chemikalienproduzent in Nordamerika und rangiert in etwa auf Augenhöhe mit Kalifornien und Pennsylvania und noch vor South Carolina.

Öl-Boom

Die große Bedeutung der Chemieindustrie in Ontario hat ihren Ursprung in der Entdeckung immenser Ölvorkommen im äußersten Südwesten der Provinz Mitte des 19. Jahrhunderts. Die Region zwischen der Südspitze des Lake Huron und dem Nordufer von Lake Erie nahe der Grenze zu den USA wurde in den 1850er Jahren zur Keimzelle des kanadischen Öl-Booms. Ortsnamen wie Oil Springs oder Petrolia zeugen noch heute davon.

Gegen Ende des 19. Jahrhunderts entstand bei der verkehrsgünstig am St. Clair River gelegenen Stadt Sarnia die erste Raffinerie der 1880 gegründeten Imperial Oil Company, die via Pipeline aus Petrolia mit Rohöl versorgt wurde. Ab der Mitte des 20. Jahrhunderts siedelten sich entlang des St. Clair River, der die natürliche Grenze zu den USA bildet, die ersten petrochemischen Unternehmen an, die das Öl zu chemischen Grundstoffen weiterverarbeiteten.

Chemical Valley

In den folgenden Jahren florierte die „Chemical Valley“ getaufte Region. Immer mehr Petrochemieunternehmen bauten Produktionsanlagen in Sarnia, die über Pipelines mit Erdöl aus den umliegenden Feldern und später auch mit Erdgas aus Kanadas westlichster Provinz, Alberta, versorgt wurden, und verschifften ihre Produkte über den St. Clair River und die Großen Seen vor allem zu Abnehmern in Kanada und den Industriezentren im Norden der Vereinigten Staaten. Die gute Energieversorgung und die gleichzeitige Lage der Region über ausgiebigen Salzvorkommen führte auch bereits früh zum Aufbau von Anlagen zur Chlorerzeugung, bspw. durch Dow Chemical.

Umbruch und Neubeginn

In den 1970/80er Jahren mussten viele der petrochemischen Anlagen wegen mangelnder Wettbewerbsfähigkeit geschlossen werden. 1993 legte Dow Chemical seine Chloralkalielektrolyseanlage in Sarnia still und mit der Einstellung der Erdgaslieferungen via Pipeline aus Alberta im Jahr 2006 schloss Dow 2008 auch seine verbliebenen Polymeranlagen in Sarnia. Das rückgebaute und sanierte Areal wird nun von dem benachbarten Energieerzeuger TransAlta als Bluewater Energy Park für Neuansiedlungen vermarktet.

Die bestehende chemische Infrastruktur und die Nähe zu großen US-Schiefergasfeldern haben in der jüngeren Vergangenheit dazu geführt, dass das Chemical Valley wiederbelebt wird. Zwischen den verbliebenen Raffinerien von Imperial Oil (ExxonMobil), Shell und Suncor, die via Pipeline geliefertes nordamerikanisches Rohöl und Erdgas verarbeiten, siedeln sich vermehrt Chemieunternehmen an den alten Standorten an. Chemiekonzerne wie Lanxess, Basell, Nova Chemicals, Styrolution oder Cabot produzieren in Sarnia und dem südlich am St. Clair River gelegenen Lambton eine breite Palette an chemischen Produkten von Basischemikalien, Industriegasen und Düngemitteln über Kunststoffe und Kautschuk bis zu Spezialchemikalien.

Zudem wird das Pipeline-Netz von den US-Schiefergasvorkommen im Marcellus- und Utica-Becken zum Natural Gas Hub von Union Gas in Dawn südlich von Sarnia derzeit stark ausgebaut. Eines der ehrgeizigen Investitionsprojekte ist UTOPIA, kurz für: Utica to Ontario Pipeline Access. Der Ausbau des Pipeline-Netzes garantiert den Chemieunternehmen in der Region langfristig Zugang zu einer wettbewerbsfähigen Energie- und Rohstoffversorgung.

Diversifizierung der Rohstoffbasis

Doch Ontario hat längst eine zweite Rohstoffquelle für die chemische Industrie erschlossen und schickt sich an, ein Vorreiter für Grüne Chemie zu werden.

Ontario ist reich an land- und forstwirtschaftlicher Biomasse. Die hohe Verfügbarkeit von nachwachsenden Rohstoffen wie Soja, Mais, Weizen oder Holz aus den üppigen Agrarflächen der Provinz und umliegender Regionen des südkanadischen Landwirtschaftsgürtels begünstigt die Herstellung biobasierter Chemikalien und Materialien.

Bio-Hybrid Chemistry

Mit dem Fokus auf die Entwicklung und Kommerzialisierung von innovativen biotechnologischen Verfahren in Verbindung mit den traditionellen Stärken in der klassischen petrochemischen Verfahrenstechnik entsteht in Ontario eine zukunftsweisende Biohybrid-Chemiebranche.

Unternehmen wie BioAmber, EcoSynthetix, Greenfield Specialty Alcohols oder Greencore sind Paradebeispiele für diese moderne Chemie. Der kanadische Chemiekonzern BioAmber eröffnete im August in dem von Lanxess verwalteten Bio-Industrial Park Sarnia die mit einer Kapazität von 30.000 t/a weltweit größte Anlage zur Herstellung von biobasierter Bernsteinsäure. Rohstoff der Anlage, an der Mitsui einen Anteil von 30 % hält, ist Glukose, die aus dem regionalen Maisanbau gewonnen wird und mit einem von Cargill lizensierten biotechnologischen Verfahren zu Bernsteinsäure umgesetzt wird.

BioAmber ist Teil des sich dynamisch entwickelnden Chemie-Clusters von Sarnia-Lambton im südlichen Ontario. Die Provinzregierung fördert die Ansiedlung von Unternehmen aus der Biochemie- und Biotechnologiebranche schon seit Jahren. So wurde auch der 141,5 Mio. USD teure Bau der neuen Anlage u.a. mit einem Darlehen des Wirtschaftsminiserums im Wert von 15 Mio. USD unterstützt.

Investitionsstandort

Das wirtschaftsfreundliche Umfeld motiviert Unternehmen, sich langfristig in der Region zu engagieren und zu investieren - auch weiterhin in die bestehende Petrochemieinfrastruktur. Nova Chemicals hat in den vergangenen Jahren rund 250 Mio. CAD in die Umrüstung seines Ethylen-Crackers in Corunna südlich von Sarnia gesteckt, um den Rohstoffeinsatz von Naphtha auf Ethan umzustellen und dafür als erstes Unternehmen Ethan aus den Schiefergasvorkommen der Marcellus-Formation zu nutzen. Das kanadische Unternehmen, das eines der Gründungsmitglieder der 1985 von Kanadas Chemieverband ins Leben gerufenen Responsible Care-Initiative war, gab weitere Investitionen in Höhe von 300 Mio. CAD in die Kapazitätserweiterung des Crackers, die Schiefergasversorgung und die Weiterentwicklung seines Verfahrens zur Polyolefinherstellung bekannt.

Wie Petrochemie und bio-basierte Chemie in Ontario nicht nur coexistieren, sondern sich sogar ergänzen, zeigt folgendes Beispiel: Die Umstellung des Nova-Crackers in Sarnia von Naphtha auf Ethan mit der Folge, dass künftig weniger C4-Grundchemikalien zur Verfügung stehen, erhöht die Nachfrage nach bio-basierten C4-Alternativen. Davon profitiert u.a. BioAmber.

BioAmber entschied sich u.a. auch deswegen für den Bau der neuen Bernsteinsäureanlage unter mehr als 100 Standorten für Sarnia. Da die gesamte Jahreskapazität bereits durch langfristige Abnahmeverträge ausverkauft ist und die Nachfrage nach biobasierten Produkten steigt, plant das Unternehmen, bis 2020 eine weitere Anlage mit einer Kapazität von 200.000 t/a zu errichten. Die Chancen, dass diese Anlage in Sarnia gebaut wird, stehen gut.

Greenfield Specialty Alcohols, Kanadas größter Ethanolhersteller, erweitert momentan seine Produktionskapazität für Bioethanol der 2. Generation in Chatham, Ontario. Seit Gründung des Standorts vor knapp 20 Jahren investierte das Unternehmen bislang rund 300 Mio. CAD in das Werk.

Das US-Unternehmen EcoSynthetix ist seit 2010 in Burlington, Ontario ansässig und will auf fossilen Rohstoffen basierende Polymere wie Styrol-Butadien-Binder in verschiedenen Anwendungsfeldern durch Materialien auf nachwachsender Basis ersetzen. EcoSynthetix produziert u.a. Bio-Latexbinder für die Papierbeschichtung sowie Formaldehyd-freie Binder für Bauanwendungen wie Holzverbundpaneele oder für Glasfaser/Glaswolle-Isolationsmaterialien. Dafür setzt die Firma bspw. aus Canola und anderen nachwachsenden Rohstoffen gewonnene Polysaccharide in einem patentierten Prozess zu Biopolymeren mit definierten Eigenschaften um.

Drehscheibe für F&E

Der Aufbau einer Bioökonomie und der Ausbau des Bio-Hybrid Chemistry Clusters in Ontario ist eng verzahnt mit wissenschaftlichen Forschungs- und Lehreinrichtungen in Bereichen wie chemische Verfahrenstechnik oder industrielle Biotechnologie sowie Organisationen, die Unternehmen bei der Entwicklung und Kommerzialisierung ihrer Verfahren und Produkte unterstützen. Zentrale Bedeutung dabei hat die Bioindustrial Innovation Canada (BIC), eine von der regierung finanzierte Organisation, die Startkapital für Firmengründer bereitstellt. BIC will bis 2020 in Südontario eine Biomasse-Supply Chain auf Basis von Maisplanzenrückständen aufbauen und plant bis 2018 den Bau einer Anlage, in der bis zu 250.000 t/a landwirtschaftlicher Abfälle aufgeschlossen werden können. Diese Rückintegration sichert die Versorgung der Industrie mit biobasierten Rohstoffen.

Einzigartig in der Provinz ist auch die „Rückintegration“ der biobasierten chemischen Industrie bis in die agrarwirtschaftliche Forschung. Das Bioproducts Discovery and Development Centre in Guelph nahe Toronto führt interdsiziplinäre Forschungsprojekte von Pflanzenbiologen, Chemikern und Ingenieuren auf den Gebieten Pflanzengenetik, molekulare Biologie, Agrarökonomie und Verarbeitungstechnik für biobasierte Werkstoffe durch.

Auch der 2003 gegründete Western-Sarnia-Lambton Research Park, der das Bowman Centre for Technology Commercialization beherbergt, spielt als „Cleantech Incubator“ eine Schlüsselrolle für die Entwicklung und Kommerzialisierung von Verfahren der industriellen Botechnologie in der Provinz.

Gute Aussichten

Ontario bietet Unternehmen ein unternehmensfreundliches Umfeld, das ihnen ermöglicht, Kapitalkosten zu senken und langfristige Erfolge zu optimieren. Alleine die Region um Sarnia erwartet in den nächsten Jahren Investitionen von bis zu 1 Mrd. USD.

Die Entwicklung einer umweltfreundlichen Chemiewirtschaft fördert die Provinzregierung dabei mit weitreichenden Maßnahmen und bietet Unternehmen bspw. großzügige Steuervorteile für Forschung und Entwicklung sowie finanzielle Unterstützung von Pilotanlagen und Demonstrationsanlagen auf den Gebieten nachhaltige Chemie und industrielle Biotechnologie.
 

Weiterführende Links:

CHEManager-Beiträge über Ontario

BioIndustrial Innovation Canada (BIC)

Bioproducts Discovery and Development Centre

Western-Sarnia-Lambton Research Park

BioIndustrial Park Sarnia

Bluewater Industrial Park

Sarnia-Lambton Economic Partnership

Ontario International Marketing Centre

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