Strategie & Management

Freudenberg: Aus Tradition innovativ

Dr. Jörg Böcking: Beim Innovationsmanagement muss man die richtigen Fragen stellen

23.09.2014 -

Mit einem Anstieg von 4,8 % auf 6,6 Mrd. € hat die Freudenberg Gruppe im Jahr 2013 erneut einen Umsatzrekord erzielt. „Erfolgreicher und innovativer als je zuvor", sei die Gruppe laut Vorstandssprecher Dr. Mohsen Sohi. Wie wichtig Innovationen für das breit diversifizierte Technologieunternehmen aus Weinheim sind, verdeutlicht eine Personalentscheidung. Erstmals in seiner 165-jährigen Firmengeschichte hat Freudenberg einen für Innovation zuständigen Chief Technology Officer (CTO) installiert. CHEManager sprach mit CTO Dr. Jörg Böcking über die Innovationskraft des traditionsreichen Familienunternehmens und über Synergien in der Forschung, die sich aus der internationalen Ausrichtung und dem breiten Produktportfolio ergeben.

CHEManager: Herr Dr. Böcking, Sie sind seit Januar 2013 CTO der Freudenberg Gruppe. In Ihren Verantwortungsbereich fällt die Innovationsstrategie. Wie sieht diese Strategie aus?

Dr. J. Böcking: Die Innovationsstrategie von Freudenberg basiert auf drei Säulen. 90 % der Forschungs- und Entwicklungsleistung findet in den zwölf Geschäftsgruppen statt. Nah am Kunden und den Märkten, direkt dort wo die Lösungen gesucht werden. Das ist die tragende Säule für unsere Innovationskraft.

Die zweite Säule ist die Arbeit der Abteilung Innovation. In meinem Team arbeiten wir eng mit den Geschäftsgruppen zusammen und bieten diesen einen Mehrwert im Bereich Innovation, indem wir entsprechende Synergien und Rahmenbedingungen schaffen. Konkret bedeutet das die Umsetzung der Innovationsstrategie, das Innovationsmarketing, Unterstützung im Bereich der öffentlichen Förderung, die Führung der Konzernforschung, die wir als Service für alle Geschäftsgruppen anbieten, sowie der Aufbau von neuen Geschäften in Form von internem und externem Venturing, also New Business Development und Venture Capital.

Die dritte Säule sind gezielte Akquisitionen, um die Technologiebasis einzelner Geschäfte zu erweitern. Dabei geht es vor allem um die Frage: Wie schaffe ich es, meine Breite an Technologien durch gezielte Akquisitionen zu erweitern?

In welcher Phase des Innovationsmanagements lässt sich das Potential einer Idee erkennen?

Dr. J. Böcking: Innovation ist immer mit Risiko verbunden, das liegt in der Natur der Sache. Ich kann ihnen auch heute, nach 18 Jahren Innovationsmanagement nicht sofort sagen, ob eine Idee zum Erfolg wird oder nicht. Im Prozess von der Idee zum Markterfolg werden die meisten Ideen scheitern, das ist eine nüchterne Feststellung, aber das ist normal. Beim Innovationsmanagement versucht man also Prozesse und Fragen zu formulieren, um immer mehr Sicherheit zu gewinnen. Idealerweise gibt man am Anfang in einem Prozess weniger Ressourcen aus, um diese Fragen zu beantworten. Je sicherer man ist, desto mehr Ressourcen ist man bereit, in das Projekt zu investieren.

Welche Fragen müssen auf dem Weg von der Idee zum fertigen Produkt beantwortet werden?

Dr. J. Böcking: Die wichtigste Fragestellung ist: Adressieren wir mit dem Produkt überhaupt ein reales Kundenproblem? Dem Kunden ist es zunächst nämlich egal, wie sein Problem gelöst wird. Aus unserer Sicht ist das zunächst schwer zu verstehen, denn wir haben eine bestimmte Technologie und sind davon überzeugt, dass sie gut ist. Der Kunde legt darauf keinen Wert, denn er will einfach nur eine funktionierende Lösung. Also müssen wir uns fragen: Was gibt es sonst noch für Lösungen für dieses Problem? Was ist unser Vorteil gegenüber der Konkurrenz? Warum ist unsere Lösung die beste? Darum drehen sich die meisten Fragen in der Frühphase der Entwicklung.

Danach stellt sich die Frage: Können wir das überhaupt umsetzen? Haben wir die Fähigkeiten und die Technologien? Technisch scheitern wir sehr selten, das ist weniger ein Problem. Es ist meistens eher eine Frage des Marktes. Damit ein Projekt attraktiv ist, muss man eine gewisse Marktgröße adressieren. Das heißt man muss sich fragen wie die Kundenbasis aussieht, ob es ein regionales oder globales Thema ist, wie die Marktstruktur aussieht, was es für Wertschöpfungsketten gibt und wo wir uns in der Wertschöpfungskette positionieren.

Und am Ende steht natürlich die Frage des financial impact. Wie sieht unsere Kostenstruktur aus, was für Preise kann man erzielen, was für einen Wettbewerb trifft man an und wie verändern sich die Preise? Erst wenn man diese vier Dimensionen positiv beantworten kann, geht man in die nächste Phase und entscheidet sich z.B. für die Investition in eine Pilotanlage.

Freudenberg hat die Ausgaben für Forschung & Entwicklung abermals erhöht. Welche Rolle spielen die F&E Aktivitäten für den wirtschaftlichen Erfolg des Unternehmens?

Dr. J. Böcking: Freudenberg ist ein breit diversifiziertes Technologieunternehmen, das anspruchsvolle Komponenten liefert. Für unsere Kunden haben diese Komponenten eine hohe Bedeutung, weil sie konkrete Probleme lösen. Die Welt verändert sich stetig und somit auch die Anforderungen an unsere Produkte. Wir sind deshalb gezwungen, immer weiter zu entwickeln. Ohne Innovationen ist unser Geschäftsmodell gar nicht vorstellbar.

Den wirtschaftlichen Erfolg von Innovationen messen wir mit dem Umsatzanteil von Produkten, die jünger als vier Jahre sind. Der Anteil ist bei Freudenberg sehr hoch, im letzten Jahr haben wir die Quote nochmals von 27 % auf 27,5 % gesteigert. Das heißt, mehr als ein Viertel der Produkte, mit denen wir heute Umsatz machen, sind jünger als vier Jahre. Das ist ein sehr hoher Anteil und zeigt auch, welche Bedeutung Innovationen für uns haben. Würden wir nicht mehr so intensiv forschen, würden wir dem Unternehmen die Grundlage für Wachstum entziehen.

Freudenberg ist bekannt als ein eher konservatives Familienunternehmen. Wie passt das mit Innovation zusammen?

Dr. J. Böcking: Der Slogan dazu heißt: Freudenberg - aus Tradition innovativ. Und das ist auch richtig so. Wir sind konservativ im Sinne eines Familienunternehmens, das stimmt. Das oberste Ziel all unseres Strebens ist es, das Unternehmen zu erhalten. Aber wenn Sie sich die Historie anschauen sehen Sie, dass Freudenberg deshalb 165 Jahre alt geworden ist, weil es sich permanent entwickeln und an Veränderungen anpassen konnte. Freudenberg hat Veränderungen immer als Chance erkannt und genutzt. Das fängt bereits 1849 mit der Entwicklung des Lackleders an und geht mit den Simmerringen in den 30er Jahren oder den ersten Vliesstoffen in den 70er Jahren weiter. Hätte sich Freudenberg nicht immer wieder neu erfunden, würde das Unternehmen heute mit Sicherheit ganz anders aussehen.

Wenn Sie auf die Innovationsgeschichte zurückblicken: Können Sie eine Erfindung besonders herausstellen?

Dr. J. Böcking: Es gibt nicht die eine Innovation, die sich herausstellen lässt. Wenn Sie sich die Breite des Produktportfolios anschauen, dann gibt es ein paar wesentliche Innovationsschritte wie z.B. die Entwicklung des Simmerrings, der aus einer Lederkomponente entstanden ist. Daraus ist heute ein Dichtungsgeschäft mit mehr als zwei Milliarden Euro Umsatz gewachsen. Das lässt sich schon auf diese einzelne Innovation zurückführen. Ähnlich ist es mit den Vliesstoffen, aus denen seit den 70er Jahren ein Geschäft in vielen Marktsegmenten und Anwendungen geworden ist, das eine wesentliche Bedeutung für Freudenberg hat.

Die Gruppe umfasst zwölf Geschäftsgruppen, die in den unterschiedlichsten Märkten aktiv sind. Kann es da überhaupt eine Zusammenarbeit im F&E-Bereich geben?

Dr. J. Böcking: Die Geschäftsgruppen treffen sich natürlich nicht am Markt, denn ein Wischmopp ist augenscheinlich ein anderes Produkt als eine gasgeschmierte Turbodichtung. Auf dieser Ebene lassen sich nur wenige Synergien finden. Die Gemeinsamkeiten findet man, wenn man sich die Technologien anschaut, die dahinter stehen. Wir haben diese Technologien in vier Kategorien unterteilt: Materialien, Prozesse, Oberflächentechnologie und Anwendung. Schauen wir uns zwei Extreme an: Ein O-Ring und ein Wischmopp, die auf den ersten Blick nichts gemeinsam haben. Sie treffen sich aber z.B. auf der Materialebene. Beide bestehen aus polymeren Materialien, im einen Fall Fasern aus Polypropylen oder Polyethylen und im anderen Fall Elastomere aus Kautschuk. Von der Materialklasse sind das beides Polymere. Sie treffen sich aber auch bei den Prozessen. Die Fasern für einen solchen Wischmopp werden durch Extrusion hergestellt, ein Prozess, den sehr viele Geschäftsgruppen verwenden. Auf dieser Ebene treffen wir uns wieder und können Gemeinsamkeiten finden.

Geforscht wird bei Freudenberg nicht nur in Deutschland, sondern u.a. auch in Indien und China. Wie sind Ihre Erfahrungen mit den F&E-Aktivitäten im Ausland? Wie funktioniert die Zusammenarbeit über Ländergrenzen hinweg?

Dr. J. Böcking: Wir müssen nah beim Kunden sein, um erfolgreich forschen zu können. Unsere Kunden haben ihre Probleme vor Ort, deshalb müssen wir auch im F&E-Bereich lokal vertreten sein. In Indien z.B. haben wir gerade einen neuen Besen entwickelt, den „No Dust Broom". Traditionell nutzt man in indischen Haushalten zum Putzen einen Reisigbesen, der aber leider mehr Staub und Dreck erzeugt, als er entfernt. Die Idee war also, einen Besen aus Kunstfasern zu entwickeln, der genauso aussieht und sich auch genauso anwenden lässt wie der traditionelle Reisigbesen. Dieser neue Besen ist von Teams in Indien, Italien und Deutschland entwickelt worden. Das lokale Entwicklungsteam vor Ort kannte die Kundenbedürfnisse, das Team in Italien entwickelte die Maschine und das Team in Weinheim brachte das Know-how zum Thema Reinigung ein. Das ist ein Beispiel dafür, wie einzelne globale Teams ihre Stärken eingebracht haben, um ein konkretes Kundenproblem zu lösen.

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