Anlagenbau & Prozesstechnik

NMR-Spektroskopie im Feld?

Monitoring chemischer Reaktionen in der Prozesskontrolle

10.12.2014 -

Wie die Kernspinresonanzspektroskopie auch als Online-Methode für das Monitoring chemischer Reaktionen in der Prozesskontrolle einsetzbar gemacht werden kann, wird untersucht.

Der Vorteil gegenüber beispielsweise optischen Methoden ist, dass aus den Spektren über die chemische Verschiebung und ­J-Kopplungs-Feinstruktur direkt auf die Struktur der Moleküle geschlossen werden kann. Für die Produktion viel interessanter ist aber die Peakfläche, welche in der NMR-Spektroskopie direkt proportional zur Anzahl der beobachteten Kernspins in der spezifischen chemischen Umgebung und damit zur Stoffmengenkonzentration ist - und das über den gesamten Konzentrationsbereich. Darüber hin­aus spielen die optischen Eigenschaften des Reaktionsgemisches keine Rolle, wodurch auch stark absorbierende und intransparente Medien zugänglich sind.

Ein starkes, homogenes Magnetfeld als Voraussetzung
Voraussetzung für die Untersuchung der magnetischen Resonanz ist jedoch ein starkes, homogenes Magnetfeld, welches in der Regel durch supraleitende Magnete erzeugt wird, die zur Kühlung flüssigen Stickstoff und Helium benötigen. Diese Geräte sind für den Einsatz in einer Laborumgebung gebaut und können daher in der Regel nicht in der Nähe eines industriellen Prozesses aufgebaut werden. Kompakte Magnete basierend auf Permanentmagneten hatten bislang meist kein ausreichend homogenes magnetisches Feld, um damit Spektroskopie zu betreiben.
Durch Innovationen im Bereich der Niederfeld-NMR-Spektroskopie (MR-NMR-Spektroskopie von englisch medium resolution) sind seit kurzem jedoch kompakte Benchtop-Laborgeräte kommerziell von einer wachsenden Zahl an Herstellern erwerblich, die den Anforderungen der Spektroskopie gerecht werden. Wesentliche Elemente sind eine präzise Temperierung des Magneten in Verbindung mit einer Kompensationselektronik für Signaldrifts sowie der Einsatz von Shimspulen für die Homogenisierung des Feldes und eine spezielle Anordnung der Magnete. Eine schnelle Rotation der Probe, wie sie in den Anfangsjahren der NMR-Spektroskopie allgemein üblich war, wird heute nur noch für spezielle Hochauflösungs-Anwendungen eingesetzt. Sowohl durch die geringere Feldstärke der Magneten und die damit verbundene Dominanz der ­J-Kopplung als auch aufgrund der immer noch geringeren Magnetfeldhomogenität wird diese Technik als Medium-Resolution-NMR-Spektroskopie (MR-NMR) im Vergleich zur High-Resolution-NMR-Spektroskopie bezeichnet.
Üblicherweise werden in der NMR-Spektroskopie flüssige Proben in 5-mm-NMR-Glasröhrchen in das Spektrometer eingeführt. Um eine Online-Kopplung zu ermöglichen, beispielsweise an ein Reaktionsgefäß, werden Durchflussmesszellen mit automatischer Probenzuführung über fest angeschlossene Zuleitungen benötigt. Einige Geräte auf dem Markt verwenden Kapillarleitungen mit denen bereits Flüssigkeiten bei der Betriebstemperatur der Geräte (ca. 35-45 °C) eingebracht werden und im kontinuierlichen oder Stop-flow Betrieb gemessen werden können.

Optimierte Durchflussgeschwindigkeit
An der BAM wurde ein anderer Ansatz gewählt: Hier wurde eine 1/16"-FEP-Kapillarleitung mit einem Innendurchmesser von 0.04" (1.02 mm) als Durchflussmesszelle verwendet. Die thermische Isolierung zwischen Durchflussmesszelle und dem NMR-Probenkopf wurde mit einem 5-mm-Glasdewar realisiert. Um in einem strömenden Medium das größte mögliche Signal-zu-Rausch-Verhältnis zu erhalten, muss die Durchflussgeschwindigkeit hinsichtlich einer ausreichend langen effektiven Vormagnetisierungsstrecke optimiert werden. Für einen schnellen Transfer des Reaktionsgemisches vom Reaktor zum Spektrometer kann ein Bypass-System verwendet werden, bei dem ein kleiner Teil für die NMR-Messung abgezweigt wird.
Da beim Reaktionsmonitoring eine große Menge an Daten anfallen, sind nicht zuletzt automatische Routinen für die Spektrenvorbehandlung und -auswertung erforderlich. Hierfür wurden im Rahmen des Projektes automatisierbare Routinen für die Basislinien- und Phasenkorrektur getestet und weiterentwickelt. In der NMR Spektroskopie sind mehrere Ansätze zur quantitativen Datenauswertung der vorbehandelten Daten bekannt (in Abb. 1 als Modul bezeichnet): Die traditionelle Methode ist die direkte Integration der einzelnen Signale (DI, vgl. Abb. 1). Für diese Methode stellen jedoch fehlerhafte Basislinien und Phasenkorrektur beachtliche Fehlerquellen dar. Zudem können überlagernde Signale nur mit großen Unsicherheiten quantifiziert werden.
In einem weitergehenden Ansatz werden die Signale mit analytischen Funktionen wie der Lorentz-Gauss-Funktion modelliert (LF und IHM). Das Spektrum wird entweder durch statistische Methoden, durch Vorwissen aus den Modell-Funktionen oder in einer Kombination aus beiden Herangehensweisen zusammengesetzt. So können aus komplexen Spektren die einzelnen Komponenten ermittelt werden. Während beim Linefitting (LF) alle Modell-Funktionen unabhängig voneinander betrachtet werden, lassen sich bei einer Variante dieses Vorgehens, dem Indirect Hard Modeling (IHM) Signalgruppen zusammenfassen. Damit werden parametrisierte, „physikalische" Modelle basierend auf allen Signalen der Reinstoffe erstellt. Beim Modell-Fitting wird das Gemischspektrum als gewichtete Summe des Reinstoffmodells (component weights) wiedergegeben. Dabei sind die Reinstoffmodelle hinsichtlich der Peak-Position, Peakbreite, dem Formfaktor und der Intensität in gewissen Grenzen flexibel und es ist möglich, nicht-lineare Effekte (wie z. B. Spektrendrifts, wie sie speziell in der NMR-Spektroskopie häufig vorkommen) auszugleichen. In einem zweiten Schritt werden die component weights durch eine Kalibrierung auf die Konzentrationsachse skaliert um quantitative Informationen zu erhalten. Neben Linienanpassung wurden auch chemometrische Verfahren wie PLS-R erfolgreich in der MR-NMR-Spektroskopie angewendet.
Aufgrund der Häufigkeit von 1H-Atomen in chemischen Verbindungen und ihrer hohen Empfindlichkeit gehört die 1H-Spektroskopie zu den wichtigsten Methoden. Zusätzlich besteht bei manchen modernen MR-NMR-Spektrometern auch die Möglichkeit, Heterokerne wie Fluor (19F) zu messen. Fluor hat für die NMR-Spektroskopie positive Eigenschaften. So ist 19F das einzige Isotop und weist eine ähnlich hohe Sensitivität wie 1H auf (84 % Sensitivität im Vergleich zu 1H). Da Fluor das elektronegativste Element ist, können die physikochemischen Eigenschaften von chemischen Verbindungen, wie ihre Azidität und Basizität, durch die Einführung von Fluor leicht beeinflusst werden. Daher wird Fluor in einer Vielzahl von organischen Verbindungen, Polymeren und Pharmazeutika eingesetzt.

Simultane Aufnahme von 19F- und 1H-NMR-Spektren
Die nahezu simultane Aufnahme von 19F- und 1H-NMR-Spektren kann vorteilhaft für das Reaktionsmonitoring genutzt werden, insbesondere wenn Protonenspektren überlagerte Signale aufweisen. So erstreckt sich die chemische Verschiebung von 19F über einen Bereich von ca. 0 bis -200 ppm im Vergleich zu 0 bis 10 ppm bei 1H. Eine Signalüberlagerung ist im Fluorspektrum daher weniger wahrscheinlich. Zudem ist eine höhere Zeitauflösung möglich, da Fluor in der Regel geringere T1-Relaxationszeiten aufweist. Je nach technischer Realisierung muss zwischen der Messung von Fluor und Proton auch keine neue Abstimmung des Probenkopfes oder erneutes Shimmen durchgeführt werden. Das Reaktionsmonitoring mit gekoppelter 1H- und 19F-NMR-Spektroskopie wurde anhand der Schwefelsäure-katalysierten Esterreaktion von 2,2,2-Trifluorethanol mit Essigsäure zu 2,2,2-Trifluorethylacetat in einem 50-mL-Laborreaktor demonstriert.
Diverse wissenschaftliche Publikationen zeigen, dass die MR-NMR-Spektroskopie vorteilhaft für die Prozessanalytik genutzt werden kann. Vielerlei Arbeiten zeigen die Möglichkeiten anhand von Veresterungsreaktionen, Polymerisationen oder Hydrierungen in Batch- und kontinuierlichen Prozessen. Ebenso sind robuste Datenanalysen bekannt, die je nach Anwendung ausgewählt werden können. Für die Zukunft ist geplant die MR-NMR-Spektroskopie direkt im Prozess einzusetzen. Hierfür ist als nächstes ein Demonstrator geplant, der die Anforderungen für den Einsatz im Feld erfüllt. Dazu zählen insbesondere der Explosionsschutz und die Steuerung mittels einer SPS (Speicherprogrammierbare Steuerung).

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