Anlagenbau & Prozesstechnik

Lebensmittelindustrie mit Reinraumtechnik

Generalversammlung und Fachtagung der SRRT 2017

13.09.2017 -

Die Fachtagung der SwissCCS (Schweizerische Gesellschaft für Reinraumtechnik) griff erstmalig als Themenschwerpunkt die Reinraumtechnik und Kontaminationskontrolle aus dem Blickwinkel der Lebensmittelbranche auf. Unter Reinraumbedingungen laufen heute viele der Prozesse, die zur Herstellung und Verpackung von Lebensmitteln erforderlich sind. Die Beherrschung der Lebensmittel­sicherheit auf Oberflächen sowie in Reinstmedien ist essentiell für die Foodbranche.

Die Teilnehmer der SwissCCS der diesjährigen Frühjahrstagung, die am 26. April 2017 stattfand, konnten eine Fülle von neuen Ideen und Kontakten mit nach Hause nehmen.
Reinraumexperten aus der ganzen Schweiz waren zur GV und Fachtagung der SwissCCS in den Cleanroom Experience Showroom in Wangen an der Aare angereist. Die Vorstände der schweizerischen Gesellschaft für Reinraumtechnik, die CEOs von Reinraumfirmen, Vertreter von Partnern der Reinraumakademie und nicht zuletzt die Fachpresse nutzten die Möglichkeit, an der GV mit Kollegen und Geschäftspartnern Kontakte zu pflegen. An der Frühjahrstagung wurde als Novum die Lebensmitteltechnologie in den Vordergrund gestellt.
Wie wird sich die Lebensmittelproduktion im Reinraum in den nächsten Jahren verändern? Welche Rolle spielen dabei Planung und Layout? Diese Fragen beleuchteten hochkarätige Experten für die Lebensmittelindustrie unter aktuellen Gesichtspunkten.
Lebensmittel müssen sauber gefertigt sein und den hohen Hygiene- und Reinheits-Anforderungen der Kunden und Behörden genügen. Besonders für Fertig- und Convenience-Produkte spielt darüber hinaus die Haltbarkeit eine grosse Rolle. Wenn diese Produkte überdies Haltbarkeit zu gewährleisten und dabei ohne Konservierungsmittel auskommen sollen, müssen an die Hygiene höchste Anforderungen gestellt werden.
Eine besondere Anforderung an die Hygiene stellt sich beim Transport der verpackten Lebensmittel vom Produktionsort bis hin zu den Supermärkten. Auch hier muss die Hygiene garantiert sein, um eine Kontamination der Produkte zu vermeiden.

Reinraumtechnik für die Lebens­mittel-Industrie
Eine Herausforderung für Anwender, Planer und Installateure, die steril arbeiten müssen, sind die zunehmend stringenten Anforderungen an die Hygiene. Die Produktion von Lebensmitteln in Reinräumen trägt zu einer deutlichen Erhöhung der Sicherheit und Haltbarkeit bei. Mit den flexiblen Möglichkeiten der neuesten Standards lässt sich Reinraumtechnik auch in kleineren Betrieben sinnvoll integrieren. Innovative Umlufttechnik und hochgradige Dichtheit stellen eine Voraussetzung für die Partikelreinheit der Reinräume, für eine adäquate Temperatur, Feuchte und Druck – und damit für die Produktsicherheit – dar.
Interessante Informationen zur Lebensmittelherstellung, dem Handling, den Risiken, der Anwendung, Problemen und Qualitätssicherung und Informationen aus der internationalen Reinraumwelt wurden am Frühjahrsseminar der SwissCCS präsentiert.

Was läuft in der Schweizerischen ­Reinraumbranche?
Die Generalversammlung der SwissCCS leitete Hans Zingre, Präsident der SwissCCS, ein mit einem Überblick über die Aktivitäten der Reinraumbranche im Jahr 2017. Wie er betonte liegt die Finanzentwicklung über den Erwartungen. Die Schulungen der SwissCCS tragen zur Finanzierung der Reinraumgesellschaft bei. Darüber hinaus bietet die SwissCCS pro Jahr drei Firmen-Exkursionen an. Der Vorstand wird sich im kommenden Jahr neu aufstellen müssen, da einige Vorstandsmitglieder ihren Abschied geben.
Unter ihnen ist Tauno Jalanti, Präsident von Microscan Service, ein wissenschaftliches Zentrum für Mikroskopie, Mikroanalyse und Beratung für reine Umgebungen, der nach vielen Jahren der Aktivitäten im Sinne der SwissCCS, speziell in der Romandie, für seinen Einsatz geehrt wurde. Der gesamte Vorstand mit Arnold Brunner, Andrea Stärk, Werner Straub und Norbert Otto würdigte seinen immensen Beitrag für die Reinraumgesellschaft (Abb. 2).

Stand der Überarbeitung der ISO 14644 Normenfamilie und neue Normen
Der aus dem SwissCCS Vorstand in den Normengremien aktive Experte Werner Straub, Convenor der ISO 14644 WG 9 & 12, – früher bei der Fa. Engie – erläuterte Interessantes von den Normen-­Sitzungen in ISO und CEN. Welche neuen Vorschriften sind in der Reinraumtechnik einzuhalten?
Die EN ISO 14644 ist eine Norm für Reinräume und zugehörige Reinraumbereiche. Sie behandelt den Schutz des Produktes vor dem Menschen und vor schädlichen Umweltbedingungen, z. B. im Halbleiterbereich. Im Bereich Biologische Gefahrenstoffe geht es dagegen mehr um den Schutz des Menschen und der Umwelt vor dem Produkt.
Die ISO-Normen „security & environmental standards“ sind bei den Produzenten sehr gefragt. Sie dienen der Produktionssicherheit. Nur muss die Arbeit an einem Standard nach drei Jahren abgeschlossen sein, ansonsten beginnt das Comittee mit einer Neugründung von vorn. Die Convenors sind neu nur noch drei Jahre im Amt. Danach erfolgt eine Neuwahl. Im Fall der ISO 14644 WG 12 gab es Probleme, die eine Verlängerung der Fristen notwendig machten. Regelmässig nach fünf Jahren wird der Standard überarbeitet. Eine Strategy Study Group gibt vor, wie es mit den Normen – z. B. mit der TC209 – weitergehen soll. Die Entwicklung zur Messung der Oberflächenreinheit anstelle der Luft setzt sich fort.
Welche Methoden muss ich anwenden um Oberflächen regelkonform zu reinigen? Welche Vorschriften gibt es für die Messung? Die Anzahl der Messpunkte im Reinraum wurde neu definiert. In der neuen Version wird eine Mindestanzahl von Messpunkten pro Flächeneinheit über eine Tabelle vorgegeben, anstatt sie als Wurzel aus der Mindestanzahl von Messungen zu definieren.
Am kommenden ICCCS Meeting 2018 in ­China wird das Thema "energy saving in clean environments" sein.
Die vor einigen Jahren ins Leben gerufenen SwissCCS-Expertengruppen für Reinraum Anlagenbau, Mikrobiologie im Reinraum und Betrieb von Reinräumen, berichteten von ihren Aktivitäten:

  • Die Expertengruppe Reinraum-Anlagenbau, die von René Zimmermann geleitet wird, erarbeitet für die SwissCCS Mitglieder Merkblätter zu den Themen Einsatz der Umluftfassung, Sicherheitswerkbänke, Regulation der Nachtabsenkung im Reinraum sowie Reinräume und Lifte.
  • Die Expertengruppe Reinraum-Biokontamination, präsidiert von Alexandra Stärk, befasst sich mit mikrobiologischen Strategien für den Reinraum.
  • Bei der Expertengruppe Reinraum-Betrieb, Vorsitz Michael Müller, ging es im letzten Jahr um Datenschutzgesetze für den Reinraum und um die Interpretation von Normen unter verschiedenen Reinraumbedingungen. Für die Anwender sind diese Vorgaben eine willkommene Hilfestellung.

Sinn und Unsinn von Reinraumtechnik in der Food ­Industrie
Die heutigen Ziele im Lebensmittelbereich sind eine Verlängerung der Haltbarkeit ohne Konservierungsstoffe, eine Verbesserung der Keim­armut und der Unbedenklichkeit der Lebensmittel. Eine geschlossene Luftführung und die Strahlendesinfektion tragen dazu bei, frische Produkte vor Schimmelpilzen und Bakterien zu schützen. Häufig erreicht man dies durch Bestrahlung der Verpackungen nach einer Produktion unter sterilen Bedingungen. Wie Frau Prof. Dr. Christa Schröder von der Hochschule Albstadt-Sigmaringen, betonte, gibt es in der Lebensmittelindustrie im Grunde keine Regularien. Dennoch arbeiten alle Anwender nach den Normen der ISO 14644, um den Produkt- und Personenschutz zu garantieren. Jeder im Lebensmittelbereich muss eine Risikoanalyse gemäss HCCP durchführen und im Schadensfall die Einhaltung der Regularien nachweisen können. Die Konsumenten wünschen sichere Produkte ohne Konservierungsmittel und fordern gleichzeitig eine längere Haltbarkeit ein. Um diesen Trends nachzukommen muss der Produzent heute für ein hygienisches Produktionsumfeld sorgen und zu diesem Zweck die bisherige Herstellungsart umstellen. Werden Produkte im Reinraum hergestellt und verpackt, lässt sich ihre Haltbarkeit um bis zu 50 % verlängern. Strikt vorgegebene Monitoring-Systeme mit Produktion in reiner Umgebung wird es in Zukunft sicher im Fleischereibereich geben, ansonsten wird die Lebensmittelindustrie sich gegen die Einführung eines Monitoring wehren, weil sie unter hohem Margendruck steht.
Frau Prof. Schröder ging auf die Herausforderungen bei der Sterilabfüllung, bei der Behandlung von Käse (monoseptisches Verfahren) und von Eiern (Hygienekonzepte) ein. Sterilverpackungen mit Vakuumtechnologie liegen im Trend, weil Frischeprodukte auf diese Weise lange haltbar gemacht werden können. Allerdings stehen dem hohe Herstellungs-, Schulungs- und Wartungskosten entgegen und eine Portionierung ist unmöglich. Angesichts des Kostendrucks auch von den Supermärkten her stelle sich für mittelständische Unternehmen die Frage: „Wieviel ist der Verbraucher am Ende bereit, für die Produktsicherheit zu bezahlen?“

Raumsparende Fabrik­planung: Produkt­sicherheit durch ganzheitliche Konzepte in der Food-Industrie
Stefan Fischer vom Planungsunternehmen IE-Group beschäftigte sich mit der Frage: Wieviel Hygiene ist genug? Als Beispiel diente die Planung der Produktionserweiterung eines schweizerischen Milchverarbeiters. Nachdem die Produktionskapazität am Stammsitz an die Kapazitätsgrenzen kam, war die Frage: Soll die Geschäftsleitung am bestehenden Standort festhalten, oder wäre es sinnvoller auf einen anderen Standort auszuweichen um die Produktion dort auszubauen? Wie die Experten des Planungsbüros gleich erkannten, hatte das ungebremste Wachstum des Joghurtherstellers zu verzweigten Strukturen und Prozessen geführt. Das Flächenpotential des Grundstücks wurde bei weitem nicht ausgeschöpft. IE realisierte ein „Raumwunder“, indem die einzelnen Funktionen aufgetrennt und der Betrieb unter Effizienz-Gesichtspunkten zentralisiert wurde.
Hygiene ist aufwendig. Bei der Planung eines Reinraums stellt sich daher als erstes die Frage: Wieviel Hygiene ist erforderlich? IE arbeitet dabei mit einem Masterplan, der ein zuverlässiges Steuerungsinstrument für geordnetes Wachstum darstellt. Damit lassen sich Veränderungs- und Wachstumsszenarien antizipieren und Leitplanken für eine etappenweise Entwicklung von Gebäuden und Infrastruktur unter laufendem Betrieb erstellen. Eine Zonen-basierte Produktionsumgebung strukturiert den Prozess und die heiklen Prozesse werden separiert. Die Planung verfolgt einen ganzheitlichen Ansatz von innen nach aussen, d. h. die reine Produktionsumgebung steht im Zentrum, Anlieferung und Verpackung werden sinnvoll darum herum gruppiert.
Die Layout Planung stellt einen iterativen Prozess im Sinne der Produktsicherheit dar. Je kritischer dabei die Produktion ist, um so mehr spielt das Personal eine Rolle bei der Hygiene. Die reine Umgebung ist das Resultat eines kooperierenden Teams. Absatz im Reinraum erfordert vermehrte Hygienisierung nach standardisierten Protokollen. Das Hygiene-Niveau sollte auf allen Ebenen gleich hoch sein, nicht nur auf einer Ebene. Ansonsten kommt es zu Zonenbrüchen und zu einem Flickenteppich an Zonen, anstatt kontrollierte Zonen. Kühlketten können mit Hilfe eines Zonenplans effizienter aufrecht erhalten werden.
Auch der Einfluss von Rohstoffen, hier der angelieferten Milch, ist massgebend: Die Umgebung der Produktion ist ein Teil des Prozesses, der nicht mehr funktioniert, wenn die Produktionsumgebung nicht ausreichend definiert ist. Je geringer die Anfangskeimbelastung, desto höher der Keimeinfluss im Schadensfall.
Geschlossene Prozesse bei der Abfüllung sind im Lebensmittelbereich die Regel. Die Umsetzung des Masterplans für das oben beschriebene Erweiterungsprojekt war eine Erfolgsgeschichte: Die Flächen wurden in die verschiedenen Funktionsbereiche unterteilt, bislang über das gesamte Gelände verstreute Räume ein und desselben Funktionsbereichs wurden an einem Ort zusammengeführt. Die neuen Gebäude nutzen die baurechtlich mögliche Kubatur konsequent aus und eine Verlagerung der Produktion war definitiv nicht nötig.

Hygiene am Bau für ­­Lebens­mittelhersteller
Dr. Edwin Delsing stellte Lebensmittelfabriken-Konzepte im Wandel vor. So sieht z. B. der Hygienezonenplan einer Pilotanlage für Cerealien bei Villars ein Box in Box-Fabrikgebäude mit ineinander verschachtelten Hygienezonen vor.

Reinräume für die Fleisch-und Käse-Herstellung/ Verpackung
Hartmut Harders von Travaglini Cinisello B – Milano (IT) erläuterte die Konzepte inklusive Planung und Beratung, mit denen in der Wurst- und Käseindustrie produziert wird. Die Firma Travaglini, die Fabrikations- und Kühlanlagen und für Salami und Parmaschinken herstellt, besteht seit 1950. Wie der Referent betonte, gibt der Handel die Anforderungen vor, die Produzenten reagieren aufgrund der Rahmenbedingungen einzig darauf.
In der Food-Industrie werden Reinräume wie üblich hinsichtlich Partikelzahl (100.000 P/ m3), HEPA Partikelfilter, Temperatur und Feuchte kontrolliert. Nur im Slicing-Bereich für Wurst ist die Klassifizierung mit maximal 1000 P/m3 höher. Es ist wichtig, den Reinraum 24 h am Tag durchlaufen zu lassen, ansonsten können die Hygieneanforderungen nicht erfüllt werden.

Effizientes Reinigen – Waschen – Trocknen von Hygieneräumen
Thomas Murer vom Ingenieurbüro Kalt+Halb­eisen stellte konkrete Untersuchungen vor. Er erläuterte, welche Herausforderungen es für die energetische Optimierung des Reinigungsprozesses in der Lebensmittelbranchebranche gibt und wie die erforderliche Hygiene erreicht werden kann. Je nach der Betriebsart im Reinigungsbetrieb, die er in den Normalbetrieb, Waschbetrieb, Trocknungsbetrieb und den Einregulierungsbe­trieb unterteilte, gestaltet sich die Regulierung der Parameter Feuchte und Temperatur im Reinraum anders. Jede Betriebsart muss für sich energetisch und auch zeitlich optimal einreguliert werden.
Zunächst werden die Raumdaten erstellt: Wie verhält sich der Raum während des Reinigungsbetriebs? Wegen des laufenden Betriebs muss der Reinigungsvorgang innert kurzer Zeit erfolgen. Dabei darf z. B. aus Zeit-Gründen die Trocknungszeit von vier Stunden nicht überschritten werden. Wann immer möglich sollte die Aussenluft genutzt werden, und es sollte nur nachgewärmt und nicht entfeuchtet werden, um Energie zu sparen. Dabei lässt sich auch Abwärme zur Erwärmung der Luft nutzen. Im Sinne kurzer Trocknungszeiten sollten hohe Luftgeschwindigkeiten mit mobilen Ventilatoren produziert werden und eine höhere Temperatur eingestellt sein.
Über moderne Produktionsbedingungen in Reinräumen der LebensmitteiIndustrie konnten sich die Teilnehmer im Rahmen einer Diskus­sionsrunde mit Werner Straub und am abschliessenden Apéro informieren.