Anlagenbau & Prozesstechnik

MOC-Kondensationsrate: Neue Bewertungszahl für die Leistungsbeurteilung von Reinräumen?

27.04.2015 -

Organische Kontaminationen auf Oberflächen und Bestimmung deren Kondensationsrate.

Mit einer entsprechenden Reinraumumgebung erreicht man je nach Anforderung und technischer Ausstattung eine definierte kontrollierte partikuläre Reinheit der Atmosphäre im Reinraum. Die nach der Filtration verbleibende Restkonzentration an Partikeln wird in Abhängigkeit deren Größenverteilung als ISO-Klasse nach ISO 14644-1
ausgedrückt. Eine weitere immer wichtiger werdende Kontaminationsart für reine Produktionsumgebungen sind luftgetragene chemische Verbindungen (ACC - airborne contamination by chemicals), welche sich beispielsweise auf Produktoberflächen niederschlagen können. Die ACC-Konzentration wird gemäß ISO 14644-8 als eine ISO-ACC-Klasse (x) gemäß Tabelle 1 ausgedrückt. Tatsächlich prozesskritisch sind hingegen chemischen Verbindungen, welche auf Produktoberflächen kondensieren und folglich eine entsprechende Oberflächenkontamination verursachen. Diese Kontaminationsart wird als SCC (surface contamination by chemicals) bezeichnet. Deren Konzentration wird nach ISO 14644-10 als eine ISO-SCC-Klasse (x) gemäß Tabelle 1 ausgedrückt.
Der für die Klassifizierung notwendige Deskriptor x beschreibt die betrachtete chemische Verbindungsklasse, beispielsweise „VOC" für flüchtige organische Verbindungen, „dp" für Dotierstoffe, „ac" für gasförmige Säuren wie Fluorwasserstoff und Chlorwasserstoff und „ba" für gasförmige Basen wie Ammoniak und flüchtige Amine. Für die Halbleiterindustrie wurde eine Gruppierung der luftgetragenen chemischen Verbindungen (ACC) in der Richtlinie SEMI F21-1102 hinsichtlich ihrer chemischen oder physikalischen Wirkung vorgestellt, welche in der Richtlinie ISO 14644-8 übernommen und erweitert wurde.
In der Raumfahrtindustrie, insbesondere im kontaminationssensitiven Satellitenbau, wird meist der Begriff „MOC" als Abkürzung für „molecular organic contamination" von Oberflächen verwendet. Prinzipiell kann MOC als ­Synonym für SCC (or) verstanden werden.

Gefährdungspotentiale
Kommt beispielsweise Ammoniak als luftgetragene basische Verbindung mit dem Fotolack auf einem Wafer in Kontakt, kann dieser Fotolack irreversibel geschädigt werden. Säuren können bei Materialkontakt Korrosion verursachen. Dotierstoffe können sensitive Waferoberflächen unkontrolliert dotieren. Kondensierende Verbindungen (meist schwerflüchtige organische Verbindungen, sogenannte SVOC wie Organophosphate aus Flammschutzmitteln, Siloxane aus Silikonbeschichtungen und -Dichtstoffen aber auch hochmolekulare Kohlenwasserstoffe wie Weichmacher und Paraffinverbindungen) können sich auf Materialoberflächen niederschlagen, ohne dabei direkten chemischen Schaden anzurichten. Dieser Niederschlag kann jedoch empfindliche Optiken durch Änderung der Transmissionseigenschaften, unerwünschte Streueffekte und Adsorption von bestimmten Banden elektromagnetischer Wellen nachhaltig schädigen. Streueffekte aufgrund einer organisch-molekularen Verunreinigung einer Lithographielinse in der Halbleiterindustrie führen unweigerlich zu Abbildungsfehlern während des Belichtungsprozess und damit zu fehlerhaften Bauteilen. Kondensieren Paraffinverbindungen, Siloxane oder Weichmacher auf einer hochsensitiven Intrarotoptik eines Erdbeobachtungssatelliten während seiner Montage, führen diese Verbindungen im Betrieb des Satelliten zu unerwünschter Absorption bestimmter Wellenlängen im Infrarotbereich, was die Leistungsfähigkeit des gesamten abbildenden Systems stark mindern kann. Schon monomolekulare Filme aus Siloxanen und Phthalaten auf Materialoberflächen ändern die Benetzungseigenschaft der Oberfläche drastisch, was sich in Beschichtungsfehlern beispielsweise der Fotolacke für Wafer oder anderen Beschichtungsvorgängen bemerkbar machen kann.

Bestimmung der MOC-Kondensationsrate
Wie kann man ein Kontaminationsrisiko durch kondensierende organische Verbindungen auf Oberflächen beurteilen? Ist es möglich, für eine Reinraumumgebung einen Wert anzugeben, wieviel Masse an organischen Verbindungen sich auf Oberflächen in Abhängigkeit der Expositionsdauer möglicherweise abscheiden?

Allgemeine Beschreibung der Methodik
Zur Beantwortung dieser Fragestellung werden Kondensationsproben (sogenannte witness samples) verwendet, welche für eine bestimmte Dauer in dem zu bewertenden Reinraum an festgelegten Stellen ausgelegt werden. Nach Beendigung der Exposition werden dann direkt die auf den Kondensationsproben kondensierten organischen Verbindungen mittels infrarotspektroskopischer Transmissionsuntersuchung quantifiziert. Bei Transmissionsmessungen gilt allgemein das Lambert-Beersche Gesetz, sodass die gemessene Abschwächung der Strahlungsquelle (spektraler Absorptionskoeffizient) direkt linear von der Stoffmengenkonzentration der absorbierenden Substanz und der Schichtdicke des durchstrahlten Körpers abhängt. Diese Methodik wird in der neuen Richtlinie DIN EN 16602-70-05 detailliert beschrieben und ist Bestandteil des Leistungsspektrums der Abteilung Reinst- und Mikroproduktion am Fraunhofer IPA in Stuttgart.

Kondensationsproben
Als Substrat für die Kondensationsproben werden polierte Zinksulfid-Kristallscheiben verwendet. Diese werden in passende optische Röhren montiert, welche mittels eines Klemmhalters in einer Transportbox fixiert werden. Die Transportbox besteht komplett als unbehandeltem Aluminium, welche im verschlossenen Zustand nochmals in Aluminiumfolie eingewickelt wird. Dadurch werden Einflüsse beim Transport der Kondensationsproben weitgehend ausgeschlossen. Dennoch wird immer ein Feldblindwert zusätzlich analysiert, welcher denselben Transport- und Handhabungsprozessen wie die eigentlichen Kondensationsproben ausgesetzt ist, jedoch nicht der Atmosphäre des zu analysierenden Reinraums. Zum Start der Exposition wird die Aluminiumverpackung entfernt und der Deckel der Transportbox geöffnet. Nach Ablauf der festgelegten Expositionsdauer (meist, mehrere Wochen) wird die Transportbox wieder verschlossen, in Aluminiumfolie eingeschlagen und zurück ans Labor geschickt. Im Labor wird die Röhre mit der Kristallscheibe aus dem Halter der Transportbox ausgebaut und in einen anderen passenden Halter direkt in die Messkammer des Fourier-Transformations-Infrarotspektrometers überführt.

IR-Spetroskopie
Als Messgerät dient gemäß DIN EN 16602-­70-05 ein Fourier-Transformations-Infrarot-Spektrometer (FTIR-Spektrometer), welches über ein Scanbereich von 4000 - 600 cm-1 mit einer Auflösung von 4 cm-1 und einer Absorption von 0,0001 als Detektionslimit für Transmissionsmessungen verfügt. Zur Kalibrierung werden jeweils separat Kalibrierstandards mit einer definierten Konzentration an Paraffin (für die Verbindungsklasse Kohlenwasserstoffe, Peakmaximum bei 2920 cm-1), Hexamoll DINCH (für die Verbindungsklasse Ester, Peakmaximum bei 1735 cm-1) und Polydimethylsiloxan (für die Verbindungsklasse Siloxane, Peakmaximum bei 1260 cm-1) in Cyclohexan hergestellt. Nach Bestimmung des jeweiligen Untergrundsignals werden die einzelnen Kalibrierproben durch Aufbringen der Kalibrierstandards auf die Kristallscheiben und anschließendem Verdampfen des Lösemittels unter einem Chemikalienabzug hergestellt und anschließend mit dem FTIR vermessen. Für jede Verbindungsklasse wird die Fläche des typischen Peaks integriert und mit den aufgebrachten absoluten Massen und der Fläche des IR-Strahls korreliert. Somit ergibt sich eine über einen weiten Konzentrationsbereich lineare Kalibriergerade in Form der integrierten Fläche im Verhältnis zur analysierten Oberflächenkonzentration. Aktuell wird eine untere Nachweisgrenze von 12,5 ng/cm2 der einzelnen Verbindungsklassen Kohlenwasserstoffe, Siloxane und Ester erreicht.

Bewertung
Ausgehend von der gemessenen Oberflächenkonzentration an Siloxanen von beispielsweise 50 ng/cm2 und einer Expositionsdauer von beispielsweise 20 Tagen, wird eine Kondensationsrate von 2,5 ng/cm2d für Siloxane errechnet. Diese Kondensationsrate beschreibt als Kennzahl das Kontaminationspotential der analysierten Produktionsumgebung für exponierte Oberflächen hinsichtlich Siloxanen. Eine Reduzierung des Werts kann mit entsprechender molekularer Filtrationstechnik der Zu- und Umluft und durch die Verwendung extrem ausgasungsarmer Materialien oder konsequenter Vermeidung kritischer Verbindungsklassen als Bestandteil der eingesetzten Materialien erreicht werden. Eine andere Möglichkeit besteht darin, die exponierte Werkstoffoberfläche zu erwärmen. Eine Erhöhung der Substrattemperatur verschiebt das thermodynamische Gleichgewicht der Kondensation und Desorption einer chemischen Verbindung zu Gunsten der Desorption. Je nach Material (hydrophob, hydrophil, Oberflächenenergie,...) und Oberflächenbeschaffenheit des Werkstoffs (Texturierung, Rauheit,...) kann der werkstoffspezifische Wert leicht variieren. Wird jedoch für die Bewertung unterschiedlicher Produktionsumgebungen dieselbe Methode mit einem identischen Substrat verwendet, eignet sich der Wert hervorragend zur vergleichenden Bewertung der einzelnen Messstellen. Muss jedoch der absolute Wert einer Kontaminationsrate für eine bestimmte Werkstoffoberfläche ermittelt werden, wird eine Probe aus genau diesem Werkstoff ausgelegt und die darauf kondensierten organischen Verbindungen, falls es sich bei dem Werkstoff nicht um ein IR-inaktives transparentes Material handelt, mittels einem oder mehreren geeigneten Lösemitteln (Cyclohexan, Chloroform, Methanol, Aceton oder weitere Lösemittel) von der Oberfläche eluiert. Das Eluat wird wiederum auf einen Zinksulfid-Kristall aufgebracht und nach Verdampfen des Lösemittels mittels Transmissions-FTIR vermessen.

Zusammenfassung
Die Kondensationsrate für organische Verbindungen ist ein weiterer wichtiger Leistungsparameter für reine Produktionsumgebungen, welcher direkt in eine Bewertung hinsichtlich der Kontamination einer Produktoberfläche mit organischen Verbindungen in Abhängigkeit der Expositionsdauer einfließen kann. Bislang wird vor allem die organisch-molekulare Luftqualität eines Reinraums mit einer entsprechenden ISO-ACC-Klasse (or) definiert, um die erforderliche Prozesssicherheit für das Produkt zu erreichen. Die Konzentration organischer Verunreinigungen in der Luft dient somit als indirektes Maß für die Betrachtung des Kontaminationsrisikos für Produktoberflächen. Als Analytik wird meist eine Probenahme auf ein geeignetes Adsorbens mit anschließender thermischer Desoprtion und gaschromatographischer Analytik eingesetzt. Diese kann jedoch nur organische Verbindungen erfassen, welche im Siedebereich der maximalen Einsatztemperatur des verwendeten Gaschromatographen liegen, insbesondere für flüchtige und schwerflüchtige organische Verbindungen (VOC und SVOC). Es kann jedoch aus dem Ergebnis der Bewertung der Luftqualität hinsichtlich VOC und SVOC kein direkter Bezug zur Kondensationsrate organischer Verbindungen für eine Oberfläche hergestellt werden. Eine Produktschädigung tritt aber nur dann auf, wenn die kritische Kontaminationsart auch tatsächlich in Kontakt mit der Produktoberfläche kommt. Für eine direkte Gefährdungsbeurteilung hinsichtlich kondensierender organischer Verbindungen ist die hier vorgestellte und in der Richtlinie DIN EN DIN EN 16602-70-05 beschriebene Methode das Mittel der Wahl, da hierbei Oberflächenkontaminationen (SCC) vergleichend betrachtet werden und keine Korrelation der Luftreinheit (ACC) zur Oberflächenreinheit (SCC) hergestellt werden muss.

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