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Christa Thoben: Chemie als Schlüsselindustrie von NRW

18.10.2011 -

NRW-Wirtschaftsministerin Christa Thoben: Bei Innovationen ist mehr Schwung gefragt. Christa Thoben, Ministerin für Wirtschaft, Mittelstand und Energie des Landes Nordrhein-Westfalen, sieht Nordrhein-Westfalens Chemie als Schlüsselindustrie des Landes. Was NRW tut, um die Branche zu unterstützen, verriet die Ministerin im Interview mit CHEManager. Das Gespräch führte Dr. Michael Klinge.

CHEManager: Frau Ministerin, mit Unternehmen wie Evonik, Bayer, Cognis und Henkel beheimatet Nordrhein-Westfalen einige große Unternehmen der chemischen und pharmazeutischen Industrie. Welchen Stellenwert räumt das Land dieser Industrie heute und in Zukunft ein?

Christa Thoben: Die chemische Industrie ist eine Schlüsselindustrie. Für nahezu jede andere Branche gilt: Wer auf dem Weltmarkt Erfolg haben will, braucht die Chemie am Anfang der Wertschöpfungskette. Nordrhein-Westfalen ist die europäische Chemieregion. Von der Grundstoff- bis zur Spezialchemie bilden wir in unserem Land die gesamte Palette ab.
Im Rahmen unserer Clusterstrategie ist die Chemie als Profil bildendes Cluster vertreten. Darüber finden sich die Chemie und auch die pharmazeutische Industrie in weiteren Clustern vom Kunststoff über die Biotechnologie bis hin zur Gesundheitswirtschaft wieder. Ohne die Chemie läuft in Nordrhein-Westfalen nichts. Entsprechend fördert das Land gemeinsam mit der Industrie ein professionelles Clustermanagement sowie Förderwettbewerbe, die wichtige Innovationsimpulse liefern. Derzeit bereiten wir gerade die zweite Auflage des Chemie- und Kunststoffwettbewerbs Chek.NRW vor.

Welche Erwartungen haben Sie an die Investitionstätigkeit der Branche in Nordrhein-Westfalen? Wo liegen die Schwerpunkte?

Christa Thoben: Wir setzen auf drei Felder: Zum einen brauchen wir kontinuierliche Investitionen in die Großanlagen der Grundstoffchemie. Nur wenn sie sich auf neuestem Stand hält, hält sie auch dem wachsenden Wettbewerbsdruck stand. Zum zweiten setzen wir in diesem Zusammenhang auf den Verbund der Standorte etwa über ein Pipelinenetz. Dabei müssen wir als Land auch in strittigen Fragen Farbe bekennen, wie wir das bei der CO-Pipeline zwischen Dormagen und Krefeld tun.
Schließlich setzen wir auf die Innovationskraft der chemischen Industrie. Bei allen wichtigen Zukunftsfragen, vom Klimaschutz bis hin zum sparsamen Umgang mit unseren Ressourcen, ist die Chemie als Problemlöser gefragt. Leistungsstarke Batterien etwa helfen die Antriebstechnik zu revolutionieren. Dämmungen helfen Energie zu sparen, vielleicht sogar aufzunehmen und zu speichern. An solchen Lösungen wird in Nordrhein-Westfalens Chemie gearbeitet. Dieses Innovationspotential auszubauen, daran arbeiten Industrie und Land gemeinsam.

Welche Aktivitäten unternimmt die Landesregierung, um die Attraktivität der Chemiestandorte an Rhein und Ruhr zu erhöhen?

Christa Thoben: Die Chemiestandorte an Rhein und Ruhr sind attraktiv. Dieses Niveau wollen wir halten und ausbauen. Entsprechend lohnt ein Blick auf die Stärken und Schwächen: Unsere Arbeitnehmer sind hervorragend ausgebildet, allerdings macht sich der Fachkräftemangel bemerkbar. Deshalb stärken wir in unserem Bildungswesen die naturwissenschaftlichen Fächer und bauen die Partnerschaften zwischen Schule und Unternehmen aus.
Die nordrhein-westfälische Chemie zählt zu den innovativsten Branchen, allerdings ist noch mehr Schwung gefragt. Wissenschaft und Industrie müssen noch enger zusammenrücken. Hier hilft das Hochschulfreiheitsgesetz, denn es macht z. B. die Einrichtung von Lehrstühlen möglich, die privat finanziert werden. Des Weiteren haben wir unsere Förderpolitik auf Wettbewerbsverfahren umgestellt, in denen Kooperationsprojekte besonders gewürdigt werden.
Schließlich, um ein drittes Beispiel zu nennen, flankiert die Landesregierung die Branche politisch. Als energieintensive Industrie ist die Chemie auf faire Bedingungen im künftigen Zertifikatehandel angewiesen. Land, Industrie und Sozialpartner streiten nicht nur in dieser Frage gemeinsam für eine entsprechende Lösung. Ein eigens beim Ministerpräsidenten angesiedelter Branchendialog bündelt die Kräfte, mit denen wir in Brüssel vorstellig werden.

Die Landesregierung verwendet den Begriff der „Kreativen Ökonomie“ als Leitbild für die Industrie von morgen. Was genau ist damit gemeint und inwiefern betrifft das die Chemie und Biotechnologie?

Christa Thoben: Der Begriff „Kreative Ökonomie“ hat sich seit erster Wortschöpfung durch den amerikanischen Soziologen Richard Florida ausdifferenziert und weiterentwickelt. Er beschreibt zum einen neue Berufsgruppen und Milieus, die neben der Industriearbeit entstanden sind. Zum anderen gibt es genügend Hinweise, dass das Kreative auch hier zunehmend wichtiger wird. Die Chance der Chemie und Biotechnologie, Teil dieses Prozesses zu sein, ist schon deshalb hoch, als etwa neue Materialien oder neue Oberflächentechnologien Voraussetzung für neue, kreative Anwendungen sind. Wo sich also kreative Wertschöpfungsketten entwickeln, ist die Chemie mit am Tisch oder an den Tisch zu nehmen. Dies gilt erst recht dort, wo die Chemie sogar Endprodukte herstellt.
Aber auch in der Grundstoffchemie wird die „Kreative Ökonomie“ wichtig, wenn man sie als Prozess der permanenten Innovation versteht. Der Druck etwa, nicht mehr nur kohlenstoffbasierte Rohstoffe zur Grundlage zu haben, wächst. Biotechnologischen Verfahren gehört damit beispielsweise eine große Zukunft. Zugleich wird es immer wichtiger, den Prozess der Innovation selbst innovativ zu steuern, wie es z. B. in den Science-to-Business Zentren gelingt.

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