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Kreislaufwirtschaft: Design for Recyclability

Wie Clariant nachhaltige und kreislauffähige Additive entwickelt

16.03.2020 -

Nicht nur die Schüler von Fridays for Future, auch die Top-Manager der Chemieindustrie wünschen sich einen Wertwandel in der Wirtschaft hin zu einer nachhaltigeren Wertschöpfung. Dies bestätigten 95 % der Befragten bei der CHEMonitor-Umfrage im vergangenen Herbst. Der erste Schritt dahin ist die konsequente Berücksichtigung dieser Ziele bei der Produktentwicklung. Andrea Gruß sprach mit Martin Vollmer, Chief Technology Officer bei Clariant, über Strategien des Schweizer Chemiekonzerns für die Entwicklung nachhaltiger Produkte sowie Initiativen zum Ausbau der Kreislaufwirtschaft bei Kunststoffen.

CHEManager: Welchen Beitrag leistet Clariant für eine nachhaltige Wertschöpfung?

Martin Vollmer: Nachhaltigkeit ist einer der Pfeiler unserer Unternehmensstrategie. Um als Unternehmen nachhaltige Werte zu schaffen, müssen ökonomische, ökologische und soziale Ziele Hand in Hand gehen; sie müssen zudem nachvollziehbar und messbar sein. Aus diesem Grund stellen wir uns jedes Jahr der Bewertung durch RobecoSAM und sind bereits im siebten Jahr in Folge im Dow Jones Sustainability Index gelistet.

Unsere Produkte bewerten wir seit dem Jahr 2013 im Rahmen des Sustainability@Clariant Portfolio Value Program, das durch das Wuppertal Institut zertifiziert wurde. Dabei wird jedes Produkt über den gesamten Lebenszyklus betrachtet und gemäß 36 einfacher Nachhaltigkeitskriterien eingestuft. Produkte, die eine Best-in-Class-Bewertung erzielen, führen wir unter unserer Nachhaltigkeitsmarke EcoTain. Mit ihnen liefern wir gleichzeitig einen wichtigen Beitrag für die Nachhaltigkeitsziele unserer Kunden.

Und für Kunden, die nach Produkten mit bestimmten Nachhaltigkeitsmerkmalen suchen, haben wir im vergangenen Jahr die vier Nachhaltigkeitsdesignatoren Aqua, Terra, Circle und Vita geschaffen. Sie werden dem jeweiligen Produktnamen angehängt und erleichtern das Erkennen der Kernvorteile.

Was leisten Produkte, die mit diesen Suffixen gekennzeichnet sind?

M. Vollmer: Aqua steht zum Beispiel als Designator für ein Produkt, bei dessen Einsatz mind. 20 % Wasser eingespart werden kann. Das Suffix Terra tragen Produkte mit einem Renewable Carbon Index (RCI) von mind. 50 %. Das sind Produkte mit einem entsprechenden Anteil an nachwachsenden Rohstoffen oder einer zertifizierten Massebilanz. Der dritte Designator Circle steht für Produkte, die spezielle Vorteile im Recyclingprozess bieten, wie unsere neuen Additive für den Flammschutz. Und die vierte Klasse mit dem Suffix Vita umfasst Produkte aus nachwachsenden Rohstoffen mit einem RCI von mind. 98 %. Hierzu zählen beispielsweise unsere Wachse auf Basis von Reiskleien, die als multifunktionale Additive in klassischen Kunststoffen oder auch Biokunststoffen eingesetzt werden.

„Zirkuläres Denken eröffnet in Bezug auf Nachhaltigkeit eine neue Dimension – mit einem sehr großen Innovationspotenzial.“


Der Designator Circle für Ihre Produkte deutet es an, Kreislaufwirtschaft gewinnt an Bedeutung. Wie berücksichtigen Sie dies bei der Produktentwicklung?

M. Vollmer: Wir sehen Kreislaufwirtschaft als zentrales Element unserer Nachhaltigkeitsstrategie. Sie erfordert ein fundamental neues Produktverständnis. Es gilt hierbei, nicht nur die Kosten-Nutzen-Aspekte von Produkten in der Anwendungsphase zu verstehen, sondern sie auch über den gesamten Lebenszyklus entlang der Wertschöpfungskette zu betrachten. Gleichzeitig muss sichergestellt werden, dass das Produkt mit der End-of-Life-Strategie der jeweiligen Anwendung kompatibel ist. Sicherlich, Ressourcenmanagement, Energiemanagement und Abfallmanagement stehen schon lange auf der Agenda der chemischen Industrie, aber zirkuläres Denken eröffnet in Bezug auf Nachhaltigkeit eine neue Dimension – mit einem sehr großen Innovationspotenzial.

Wie entwickelt Clariant gezielt nachhaltige und kreislauffähige Produkte?

M. Vollmer: Wir berücksichtigen die Themen bereits beim Innovationsprozess: Beim Stage-Gate-Prozess, der bei Clariant Idea-to-Market-Prozess heißt, haben wir die Kriterien für die Bewertung von Innovationsprojekten eng an die Kriterien aus dem Portfolio-Value-Programm, das ich eingangs erwähnte, angeknüpft; so lässt sich das zu erwartende Nachhaltigkeitsprofil gezielt steuern. Auch zirkuläre Aspekte, wie die Auswahl der Rohstoffe, das chemische Produktdesign und das künftige Anwendungsprofil, werden in dieser frühen Phase genau analysiert. Kunststoffadditive zum Beispiel sollten so beschaffen sein, dass sie – und damit auch der Kunststoff – am Ende eines Lebenszyklus wieder nutzbar gemacht werden können. Design for Recyclability heißt der Ansatz, den wir letzten Endes auf unser komplettes Produktspektrum übertragen müssen, um das Thema Kreislaufwirtschaft voranzubringen.

Wo liegen die Herausforderungen beim Kunststoffrecycling? Warum sind die Recyclingraten noch nicht höher?

M. Vollmer: Hauptproblem ist, dass Kunststoffe am Ende ihrer Lebenszyklen immer noch als Abfall betrachtet werden. Von weltweit 300 Mio. t Kunststoffabfall werden je nach Quelle nur 9-18 % recycelt. In asiatischen Ländern ist diese Rate sogar noch deutlich niedriger, weil hier nur wenige Konzepte für die Sammlung von Kunststoffmüll bestehen. Ich sehe daher als größte Herausforderung beim Kunststoffrecycling die Schaffung von neuen, geschlossenen Wertschöpfungsketten, oder modern ausgedrückt neuen Ökosystemen. Dies erfordert auf der einen Seite immense Investitionen in Recyclingprozesse und Anlagen – sowohl für mechanisches als auch chemisches Recycling. Auf der anderen Seite besteht hier ein hohes Potenzial für neue Partnerschaften und innovative Geschäftsmodelle.

Im vergangenen Jahr ist Clariant der Alliance to End Plastics Waste beigetreten. Über 30 Firmen haben sich verpflichtet, in den nächsten fünf Jahren über 1,5 Mrd. USD zu investieren, um Kunststoffmüll in der Umwelt und speziell in Flüssen und Ozeanen zu reduzieren, Infrastrukturen für die Wiederverwertung aufzubauen, Innovationen zu fördern und die nötige Mobilisierung von Politik und Gesellschaft sicherzustellen.

Welche technischen Herausforderungen sehen Sie darüber hinaus beim Kunststoffrecycling?

M. Vollmer: Auf der technischen Seite besteht die Herausforderung, bessere und beständigere Qualitäten von recyklierten Kunststoffen zu gewährleisten. Hier müssen neue Produktspezifikationen und neue Standards geschaffen werden. Darüber hinaus bedarf es neuer automatisierter Einfärbeverfahren, um die Farbinkonsistenz bei recyklierten Kunststoffen auszugleichen, und Lösungen für die Eliminierung von Geruchsproblemen oder die Steigerung der Kompatibilität von rezyklierten Kunststoffen mit Neuware, um die gewünschten Produktqualitäten zu erzielen. Gemeinsam mit Partnern arbeiten wir an diesen Problemen, um maßgeschneiderte Additive für neue Produktgenerationen zu entwickeln.

Gibt es erste Erfolge?

M. Vollmer: Ja, so haben wir zum Beispiel in Kooperation mit Neste, einem Produzenten von erneuerbarer Kohlenwasserstoffen, die neue halogenfreie Flammschutzmittel-Serie Exolit OP Terra auf Basis erneuerbarer Kohlenstoffquellen entwickelt, die nicht nur die bewährten Eigenschaften der vergleichbaren fossilbasierten Produkte von Clariant bieten, sondern auch deutliche Nachhaltigkeitsvorteile aufweisen und nachweislich keine negativen Auswirkungen auf den Recyclingprozess haben. Gemeinsam mit dem Fraunhofer-Institut LBF in Darmstadt konnten wir zeigen, dass der Wirkungsgrad unserer Flammschutzmittel in glasfaserverstärkten Polyamiden auch nach mehrmaligen Recyclingzyklen vollständig erhalten bleibt. Das heißt: Wenn der Kunststoff aufgeschmolzen und neu geformt wird, ist es nicht notwendig, neue Flammschutzadditive zuzugeben, da die ursprünglichen Flammschutzeigenschaften erhalten bleiben.

Künftig wollen wir Entwicklungen rund um die Kreislaufwirtschaft speziell mit Blick auf Kunststoffe konzernweit steuern, um dem Markt ganzheitliche Lösungen zur Verfügung zu stellen, egal ob es sich um Spezialadditive oder auch Katalysatoren handelt. Hierfür haben wir im vergangenen Jahr die Clariant-weite Initiative EcoCircle gestartet.

„Die Initiative EcoCircle soll Impulse für das Reduzieren, Wiederverwenden und Recyceln von Kunststoffen liefern.“


Welche Maßnahmen planen Sie im Rahmen der Initiative EcoCircle?

M. Vollmer: EcoCircle soll Impulse für das Reduzieren, Wiederverwenden und Recyceln von Kunststoffen liefern. Wir vereinen durch die Initiative die Kompetenzen und Technologien für mechanisches und chemisches Recycling aus verschiedenen Geschäftsbereichen und suchen zudem aktiv die Zusammenarbeit mit Partnern, sowohl Kunden als auch Lieferanten. Darüber hinaus arbeiten wir mit Recyclingunternehmen zusammen, zum Beispiel APK, das eine lösungsmittelbasierte Recyclingtechnologie entwickelt hat.

Clariant wird weltweit EcoCircle Centers of Excellence für die gemeinsame Forschung und Entwicklung von Produkten und Lösungen für eine zirkuläre Kunststoffwirtschaft einrichten. Das erste Zentrum ist am Standort der Geschäftseinheit Masterbatches in Pogliano in Italien angesiedelt.
Ein Schwerpunkt wird auf der Entwicklung eines fortschrittlichen Verpackungsdesigns gemeinsam mit Partner liegen; dafür sind unter anderem eine Mini-Recyclinganlage für Polyolefine und unterstützende Laborkapazitäten vorgesehen.

Gemeinsam mit dem britischen Unternehmen Polymateria entwickelt Clariant bioabbaubare Kunststoffe für den asiatischen Markt. Welche Rolle spielen diese Kunststoffe in der Kreislaufwirtschaft?

M. Vollmer: Bioabbaubare Kunststoffe haben im Kontext der Kreislaufwirtschaft nur eine geringe Relevanz. In Ländern ohne Infrastruktur zur Abfallverwertung können sie jedoch temporär zur Lösung von Abfallproblemen beitragen. Aus diesem Grund kooperieren wir mit Polymateria und anderen Technologiepartnern, um neue Abbaumechanismen zu identifizieren. Dabei stehen nicht nur ‚klassische‘ Kunststoffe im Fokus, sondern auch biokompostierbare Kunststoffe oder Spezial- oder Funktionspolymere, die Anwendungen in Wasch- und Reinigungsmitteln, Kosmetika oder in der Landwirtschaft finden und in die Umwelt gelangen können. Gerade hier spielt die Bioabbaubarkeit eine entscheidende Rolle. Ziel ist es, einen möglichst schnellen und vollständigen Abbau durch Mikroorganismen sicherzustellen, ohne Einbußen in der Qualität der Kunststoffe während der Anwendungsphase hinnehmen zu müssen.

„Nachhaltigkeit steht bei unseren Kunden äußerst prominent auf der Agenda.“


Sie erwähnten, dass Clariant bereits seit 2013 nachhaltige Produkte der Marke EcoTain vertreibt. Wie hat sich die Nachfrage hierfür seitdem entwickelt?

M. Vollmer: Nachhaltigkeit steht bei unseren Kunden äußerst prominent auf der Agenda. Aber auch bei Endverbrauchern nimmt die Nachfrage nach nachhaltigen Produkten stetig zu. Initiativen, wie Fridays for Future, haben die Öffentlichkeit mobilisiert. Diese Mobilisierung ist zu begrüßen – auch wenn man darüber streiten kann, ob die Diskussion sachlich geführt wird oder nicht.

Immer mehr Konsumenten erkennen heute, dass der Klimaschutz unabdingbar ist für eine nachhaltige Zukunft. Der Wertbeitrag Clariants für die Gesellschaft bemisst sich danach, dass wir unseren Kunden nachhaltige Produkte anbieten, die CO2-neutral hergestellt werden können. Im Idealfall kann dies sogar bei der Verwendung von nachwachsenden Rohstoffen zu einer negativen CO2-Bilanz führen, das wäre ein hervorragendes Resultat.

 

ZUR PERSON

Martin Vollmer hat seit dem Jahr 2010 die Position des Chief Technology Officer (CTO) beim Schweizer Clariant-Konzern in Pratteln inne. Er begann seine berufliche Laufbahn in der Forschung von Bayer und war danach elf Jahre in verschiedenen Positionen für das Unternehmen tätig. Vollmer studierte Chemie und promovierte am Institut für Organische Chemie an der Universität Stuttgart.

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Clariant

Hardstr. 61
4133 Pratteln
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