Strategie & Management

Disziplinübergreifende Innovationen

Ergebnisse der Branchenstudie „Von den Megatrends zum Geschäftserfolg“, Teil 1

11.08.2015 -

Betrachtet man die aktuellen Förderschwerpunkte im Bereich Forschung und Entwicklung oder die Unternehmensveröffentlichungen zu jüngst realisierten und angedachten Innovationen, gewinnt man den Eindruck, dass disziplinübergreifender Forschung und Innovation eine wachsende Bedeutung zukommt. Dies spiegelt sich auch in der Studie „Von den Megatrends zum Geschäftserfolg“ wider, da disziplinübergreifende Innovationen von den befragten Teilnehmern im Durchschnitt an zweiter Stelle der relevantesten Themenfelder eingestuft werden.

Durch die Befragung kommt weiterhin zum Ausdruck, dass für das Segment Pharmazeutika disziplinübergreifende Innovationen an erster Stelle der Trends stehen. Während interdisziplinäre Innovationen aus Sicht der Spezialchemie ebenfalls einen hohen Stellenwert einnehmen, benennt das Segment Basischemikalien die Themen der Globalisierung vor Innovationen als entscheidende Aspekte für zukünftige Aktivitäten.

Hohes Interesse an Interdisziplinarität

Interdisziplinäre Forschungsfelder wie die Nanotechnologie oder industrielle Biotechnologie werden im Rahmen der Strategie Europa 2020 von der Europäischen Kommission und der Bundesregierung als „Key Enabling Technologies“ bezeichnet und mit Förderprogrammen unterstützt. Als weitere Beispiele sind Mikro- und Nanoelektronik, Fotonik und moderne Materialwissenschaften zu nennen. Innovationen innerhalb dieser Technologiegebiete sind von großer Bedeutung für die Entwicklung von neuen Produkten, Serviceangeboten und Prozessstrukturen, um den wichtigen gesellschaftlichen Herausforderungen der Zukunft zu begegnen und den Weg zu einer wissensbasierten Wirtschaft zu bereiten. Diese sog. generischen Technologien liefern im Erfolgsfall Problemlösungen, die in einer Vielzahl von Industrien Anwendungen finden und dort wiederum als Grundlage für weitere Inventionen dienen. Zum Beispiel haben Erfindungen auf dem Gebiet der Nanotechnologie bereits zu Verbesserungen in der Medizin, der Oberflächentechnik und zur Entwicklung neuer Werkstoffe geführt. Um Innovation zu generieren und Fortschritte zu erzielen, erfordern Schlüsseltechnologien die Integration von Wissen aus verschiedensten Fachrichtungen. Für einzelne Disziplinen ist die Generierung von Lösungsansätzen aufgrund der Komplexität der technologischen und gesellschaftlichen Herausforderungen nicht zu leisten. Intelligente, neuartige Lösungen, z.B. für neue Energiespeichertechnologien, entstehen oft an der Schnittstelle und nur durch die Zusammenarbeit von Wissensdisziplinen.

Neben dem Adressieren der genannten Herausforderungen führen disziplinübergreifende Innovationen häufig zu Service und Produktangeboten, die jenseits der etablierten Wertschöpfungsketten liegen und somit neue Märkte erschließen. Dadurch können sich Unternehmen in vielversprechenden, bzw. im Vergleich zu bestehenden Geschäftsfeldern attraktiveren Wertschöpfungsketten positionieren. Je eher die Unternehmen diese neuen disziplinübergreifenden Forschungs- und Innovationsfelder identifizieren, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, sich mit leistungsstarken Partnern im aufkeimenden Wettbewerb behaupten zu können und das Umfeld mitzugestalten. Diese Chance wird insbesondere auch von Unternehmen der chemischen Industrie gesehen und hoch bewertet.

Partner für interdisziplinäre Innovationen in der chemischen Industrie sind in verwandten naturwissenschaftlichen, aber auch in anderen Sektoren zu finden. Zusammen mit biotechnologischem Know-how etwa können die Entwicklung von enzymbasierten Katalyseverfahren, von Plattformchemikalien aus nachwachsenden Rohstoffen und eine effizientere Nutzung von Biomasse vorangetrieben werden. Zudem können durch Interaktion mit Akteuren der Energie- und Elektronikbranche Energiespeicher und Energietransportsysteme weiterentwickelt werden. Durch ihre Interaktion mit zahlreichen Fachdisziplinen und ihre Schlüsselrolle als Zulieferer in vielen Wertschöpfungsketten ist es kaum verwunderlich, dass die Chemie als Disziplin und die chemische Industrie bei vielen disziplinübergreifenden Forschungs- und Innovationsaktivitäten eine bedeutende Rolle spielt.

Branchenübergreifende Innovationen

Neben disziplinübergreifenden Innovationen werden in der Studie auch branchenübergreifende Aktivitäten als ein wichtiger Wegweiser für zukünftige Aktivitäten der chemischen und pharmazeutischen Industrie benannt. Branchenübergreifende Innovationen sind häufig zugleich auch disziplinübergreifende Innovationen, da bei einer Kooperation zwischen Unternehmen verschiedener Industriebereiche, den beteiligten Branchen bestimmte (Kern-) Disziplinen zugeordnet werden können. Beim Betrachten der Akteure, die in der Forschung für Batterietechnologien für den Einsatz in der Elektromobilität involviert sind, können die Automobil-, Elektronik-, Chemie- und Batterieindustrie genannt werden, welche wiederum gleichzeitig mit den wissenschaftlichen Disziplinen Ingenieurwesen/Maschinenbau, Elektronik/Elektrotechnik und Chemie/Materialwissenschaften assoziiert werden. Die Multidisziplinarität und folglich die Komplexität wird zusätzlich gesteigert, wenn eine Branche bereits durch diverse Fachgebiete charakterisiert wird.

Welche Herausforderungen ergeben sich?

Durch disziplinübergreifende Kooperationen und das Öffnen für externes technologisches Know-how lernen die jeweiligen Parteien von den Erfahrungen anderer Disziplinen und können diese auf die Problemstellungen und Anforderungen innerhalb ihres jeweiligen Umfelds übertragen. Oft kann erst durch häufige Interaktionen und die Berücksichtigung verschiedener technologischer Sprachwelten zusätzliches (implizites) Wissen nutzbar gemacht werden. Das eigentliche Streben nach neuartigen und nachhaltigen Problemlösungen wird nicht durch den ausschließlichen Wissenstransfer über Disziplingrenzen hinweg, sondern nur durch interaktive Forschungsaktivitäten, inter-organisationale Lernprozesse und somit einer vollständigen Integration des verschiedenen Fachwissens erreicht. Dies gilt sowohl für wissenschaftliche Projekte als auch für Kooperationen auf Industrieebene. Für Unternehmen gilt also, dass Kapazitäten freigegeben und Strukturen sowie eine offene Unternehmenskultur geschaffen werden müssen, um die entstehenden Möglichkeiten neuer Innovationsfelder zu ergreifen und die Transformation erfolgreich zu bewältigen. Die dabei notwendigen Partnerschaften bringen auch Hürden und Risiken für die Aktivitäten in den noch relativ unbekannten Forschungsfeldern mit sich.

Denn Innovationen können nur dann erfolgreich sein, wenn die richtigen Forschungs- und Wissenspartner (aus der Wertschöpfungskette) gewonnen und zugleich eine Verbesserung der Wettbewerbsposition erreicht werden kann. Häufig zeigt eine nähere Analyse aktueller disziplinübergreifender Innovation für die chemische Industrie hier keine deutliche Veränderung. Insbesondere die anfänglich meist angestrebte größere Nähe zum Endkunden wird bis zum Erreichen der Marktreife wieder aufgegeben. Hier stellt sich die Frage, ob dies bewusst geschieht oder aber auf etabliertes bzw. tradiertes strategisches Verhalten zurückzuführen ist. Begriffe wie Kernkompetenzen und Erfahrungen erscheinen in diesem Zusammenhang in einem anderen Licht.

Von der Wissenschaft zur Praxis

Aufgrund der zukunftsweisenden Eigenschaft disziplinübergreifender Innovationen, müssen neue inter- und transdisziplinäre Forschungsfelder antizipiert und in ihrer Bedeutung für die zukünftige Wettbewerbsfähigkeit des eigenen Unternehmens bewertet werden. Hier können Ergebnisse aus der wissenschaftlichen Forschung die Praxis für die Aufnahme und Umsetzung derartiger Innovationsaktivitäten sensibilisieren und bei der Entwicklung und Anwendung von Prognosemethoden unterstützen.

Bildungs- und Forschungsebene

Aufbauend auf den bestehenden Aktivitäten und Förderprogrammen der Regierungen, müssen weitere Forschungsverbünde und Plattformen für den besseren Austausch und die Zusammenarbeit verschiedener Disziplinen zur erfolgreichen Generierung von übergreifenden und weitreichenden Innovationen bereitgestellt werden. Die Sichtbarkeit dieser Initiativen sollte weiterhin erhöht werden, um die Aufmerksamkeit sowohl der Industrie als auch der Gesellschaft zu garantieren. Auf Bildungsebene könnten zudem unterstützend auf transdisziplinäre Anforderungen eingehende Studien- und Ausbildungsgänge geschaffen bzw. das Angebot solcher Studiengänge erweitert werden. Beispiele sind das Studium des Wirtschaftsingenieurwesens, der Wirtschaftschemie, aber auch Studiengänge mit den Schwerpunkten Bioökonomie oder Fotonik, die das disziplinübergreifende Denken fördern und Schlüsseltechnologien adressieren.
 

Von den Megatrends zum Geschäftserfolg

Die Studie "Von den Megatrends zum Geschäftserfolg: Managementimplikationen der Megatrends für die chemische und pharmazeutische Industrie in Deutschland“ widmet sich konkreten Folgen der Megatrends für das Management von Chemie- und Pharmaunternehmen. Die Studie wurde im Frühjahr 2014 durch ein Projektteam bestehend aus der Universität Münster, der Provadis Hochschule, dem Verband der Chemischen Industrie (VCI), der Strategieberatung PwC strategy& sowie CHEManager durchgeführt. In fünf Beiträgen stellen wir einige Ergebnisse der Studie bei ausgewählten Themen vor. Die inzwischen erschienene Publikation der Studienergebnisse finden Sie zum Download hier.


 

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