Anlagenbau & Prozesstechnik

Rütgers Chemicals: Teerchemie mit Zukunft

09.09.2011 -

Rütgers Chemicals: Teerchemie mit Zukunft

Langezeit gehörte Rütgers Chemicals zum Nicht-Kerngeschäft des internationalen Industriekonzerns Evonik Industries, hervorgegangen aus der früheren RAG. Nach dem Verkauf von Geschäftsteilen in den Bereichen Feinchemie und Aktivkohle sowie einer umfassenden Restrukturierung konzentriert sich das Unternehmen mit Sitz in Castrop-Rauxel nun wieder auf die Teerverarbeitung – ein traditionsreiches Geschäft, das zugleich hohe Wachstumschancen bietet. Dr. Andrea Gruß sprach mit Dr. Heinz Rzehak, Geschäftsführer der Rütgers Chemicals, über die Expansionsstrategie von Europas führendem Teerverarbeiter und die Renaissance der Teerchemie in China.

 

CHEManager: Ihr Mutterkonzern Evonik Industries plant den Verkauf von Rütgers Chemicals und hat bereits Mitte dieses Jahres entsprechende Informationen an potentielle Interessenten versandt. Was macht Ihr Unternehmen für einen Käufer attraktiv?

 

Dr. Heinz Rzehak: Was uns sowohl für Finanz- als auch für strategische Investoren gleichermaßen interessant macht, ist zunächst unsere Position im Markt für Teerchemie: Wir sind weltweit die Nummer zwei bei der Teerverarbeitung und -verwertung und in Europa klarer Marktführer. Weltweit werden pro Jahr etwa 12 bis 13 Mio. t Teer verarbeitet, davon etwa 6 bis 7 Mio. t in China, 4 Mio. t in West- und Osteuropa inklusive Russland und 1 Mio. t in Nordamerika. Mit einem Jahresumsatz von ca. 700 Mio. Euro stellen wir ein attraktives Akquisitionsobjekt dar.

 

CHEManager: Was tun Sie, um Ihre marktführende Position zu behaupten?

 

Dr. Heinz Rzehak: Unser Unternehmen hat in den vergangenen Jahren eine Metamorphose durchlaufen, die sich in der abschließenden Phase befindet. Dabei haben wir Geschäftsfelder, die nicht zu unseren Kernkompetenzen gehörten oder die keine wirtschaftliche Größe hatten, abgegeben und uns klar auf das Kerngeschäft der Teerverarbeitung konzentriert, d.h. auf die Primärprodukte aus der Teerdestillation, wie Peche, Öle, Naphthalin, und die Downstream-Weiterverarbeitung zu ausgesuchten, lukrativen Spezialprodukten. In diesem Gebiet verfügen wir über ein besonderes Know-how, vor allem auch bei der Logistik und bei Umweltfragen, die gerade in der Aromatenchemie heutzutage eine bedeutende Rolle spielen. Nachdem wir unser künftiges Geschäft definiert und uns neu aufgestellt haben, haben wir im Oktober 2006 auch die interne Organisation der in Westeuropa und Nordamerika tätigen Rütgers Chemicals-Gruppe, die zuvor nach Gesellschaften – sog. „legal entities“ – strukturiert war, klar auf den Markt ausgerichtet. Heute haben unsere Kunden und Lieferanten nur noch zwei globale Geschäftsbereiche als Ansprechpartner: die Basisaromaten und die Downstream-Aktivitäten.

 

CHEManager: Welche Industrien zählen zu Ihren Kunden?

 

Dr. Heinz Rzehak: Wir sind angesiedelt zwischen zwei Hauptindustrien: Der Stahlindustrie mit ihren verbundenen Kokereien als Lieferant unseres einzigen Rohstoffs Teer und der Aluminiumindustrie, die Hauptabnehmer für das Pech ist, dass 50 % unseres Produktspektrums ausmacht. Weitere Schlüsselbranchen sind für uns Reifenrußproduzenten und die Baustoffindustrie als Abnehmer unserer Rußöle und des Naphthalins für Betonverflüssiger, so genannte Superplasticiser. Aber lassen Sie uns zunächst einen kurzen Blick auf unseren Rohstoff und das daraus resultierende Produktspektrum werfen, denn damit erklärt sich sehr schnell unser Geschäftsmodell. Wir betreiben keine klassische Synthese, sondern einen rein chemisch-physikalischen Trennprozess, der eine entsprechend festgesetzte Produktverteilung ergibt. Teer ist ein Naturprodukt, sozusagen der flüchtige Bestandteil der Kohle. Dieser muss vor dem Einsatz des Koks im Hochofen abgetrennt werden, denn hier benötigt man reinen Kohlenstoff zur Reduktion von Eisenoxid zu Eisen. Teer besteht aus einigen Hunderten von aromatischen Verbindungen. Das uns interessierende Produktspektrum besteht aus ca. 50 % Pechen, 30 % Ölen, 13 % Naphthalin sowie 7 % sonstige Verbindungen. Wir verarbeiten Teer in unterschiedlichsten Qualitäten aus verschiedenen Kokereien. Unsere Kunst ist es dabei, das Naturprodukt Teer so zu homogenisieren und vorzubehandeln, dass wir eine gleichmäßige Qualität der Endprodukte erzielen.

 

CHEManager: Was macht die Qualität Ihrer Produkte aus?

 

Dr. Heinz Rzehak: Ihre Reinheit und konstante Zusammensetzung. Wir betreiben beispielsweise das Naphthalin- Verfahren mit der höchsten Reinheitsstufe. Wir haben Spezialpeche entwickelt, die umweltverträglicher sind. Unsere Flüssigpechlogistik, d.h. ein geschlossenes Liefersystem bis zum Tank des Kunden, vermeidet jegliche Staubbelastung des sonst üblichen Handlings von Festpechen. Darüber hinaus sind wir einer der wenigen Hersteller von Carbazol, das u.a. als Ausgangstoff für den Farbstoff Violett 23 dient, vielen bekannt von der Milka Lila Kuh. Dieser Farbstoff wird auch in Spuren vielen schwarzen Autolacken beigemischt, damit der Mercedes oder der BMW in tiefem Schwarz erscheint. Auch hier sind wir bei unseren Kunden zertifiziert, weil wir den Stoff mit der höchsten Reinheit liefern können.

 

CHEManager: Wer ist Abnehmer Ihrer Pechproduktion?

 

Dr. Heinz Rzehak: Peche dienen als Bindemittel für Kohlenstoffelektroden, die in der Aluminiumschmelze eingesetzt werden. Die Qualität der Peche beeinflusst wesentlich die Standzeiten und Stromausbeuten der Elektroden. Wenn es allein durch die Qualität des Bindemittels gelingt, pro Elektrode 5 % bis 10 % mehr Aluminium zu erzeugen, schafft dies bei einem Aluminiumpreis von mehreren Tausend Euro pro Tonne einen hohen Wert für den Kunden.

 

CHEManager: Obwohl Sie Basischemikalien produzieren, scheint Ihr Geschäftsmodell eher dem eines Spezialchemieunternehmens zu gleichen...

 

Dr. Heinz Rzehak: Ja, und dies führt auch dazu, dass wir im Gegensatz zu Unternehmen, die klassische Basischemikalien, wie z. B. Säuren oder Laugen vertreiben, unsere Kunden auch anwendungstechnisch beraten. Wir sind für sie innovativ tätig und entwickeln zusammen mit ihnen Spezialprodukte, beispielsweise Peche als Grundlage für neue Werkstoffe oder Harze als Klebstoffbasis. Trotzdem haben wir es insgesamt nur mit wenigen Lieferanten, wenigen Kunden und wenigen Produkten und großen Transporteinheiten, also den typischen Merkmalen eines Basisgeschäfts zu tun. Um so mehr freut es uns, dass wir als ‚Brand Name’ wahrgenommen werden, wie Kundenumfragen gezeigt haben. Rütgers Chemicals steht für Zuverlässigkeit bei der Teerentsorgung in der Kokerei- und Stahlindustrie und für Qualität bei der Pechbelieferung der Aluminiumindustrie. Eine Kokerei sollte niemals stillstehen, denn dies ist durch den energetischen Aufwand beim An- und Abfahren der Anlage mit hohen wirtschaftlichen Verlusten verbunden. Das Gleiche gilt für die Aluminiumschmelzen bei Elektrodenbruch. Das heißt, unsere Lieferanten sind darauf angewiesen, dass wir pünktlich ihren Teer abholen und die Aluminiumindustrie fordert zuverlässige Lieferungen und qualitativ hochwertige Peche. Hierfür steht der Name Rütgers Chemicals seit mehr als 150 Jahren.

 

CHEManager: Warum verarbeiten Kokereien ihren Teer nicht selbst?

 

Dr. Heinz Rzehak: Bei der Koksproduktion fallen nur etwa 4 % der Tonnagen als Teer an. Eine wirtschaftliche Teerdestillation sollte eine Mindestkapazität von 250.000 t Teer pro Jahr haben. Eine Kokerei muss daher schon sehr groß sein, damit sich die Aufarbeitung wirtschaftlich lohnt. Deshalb sind die großen Unternehmen im Teergeschäft in der Regel allein stehende Teerverarbeiter, die strategische Kunden- Lieferanten-Beziehungen mit mehreren Kokereien, den Aluminiumkonzernen oder den Reifenrußherstellern auf der Kundenseite eingehen. Mit strategisch meine ich, dass Rohstoff- oder Produktanteile im deutlich zweistelligen Prozentbereich von einem Partner bezogen oder an ihn geliefert werden.

 

CHEManager: Die Stahlindustrie in China boomt. Demzufolge müsste dies eine wichtige Wachstumsregion für Sie sein. Wie sind Sie im chinesischen Markt positioniert?

 

Dr. Heinz Rzehak: Neben unserer soliden Markposition macht die rasante und in den nächsten Jahren anhaltende Entwicklung der Teerverarbeitung in den BRIC-Staaten uns für potentielle Investoren besonders interessant. In Bezug auf unser Wachstum haben wir im Wesentlichen drei Zielrichtungen: China, Russland und Brasilien. Diese gehen wir kurz- bzw. mittelfristig und systematisch nacheinander an. Ich nannte Ihnen eingangs die Verteilung des anfallenden Teers weltweit. Da schreit es geradezu danach, in Asien zu investieren. Dort haben wir bislang leider noch keine Position und unser Wettbewerber ist uns bereits eine Nasenlänge voraus. Aber der Markt ist getrieben durch den Bedarf an Stahl und den damit einhergehenden neuen Kokskapazitäten noch groß genug. Hinzu kommt, dass in China und im Nahen Osten derzeit sehr große Aluminiumhütten gebaut werden und der Bedarf an Pech in den nächsten Jahren in der Größenordnung wachsen wird, die im Bereich unserer gesamten Jahresproduktion liegt. Allein die Aluminiumindustrie in China weist derzeit zweistellige Wachstumsraten auf. Zum Vergleich: weltweit sind es 4 %. Ähnlich ist es mit dem Bedarf an Reifenrußen und damit an der entsprechenden Ölfraktion bestellt. Dieser „Pull“-Effekt korrespondiert mit einem „Push“ durch die Renaissance der Teerchemie in China. Die klare politische Willensäußerung aus Peking, Teer nicht mehr nur als Brennstoff oder in verminderter Weiterverarbeitung verwerten zu wollen, hat zu Anfragen chinesischer Kokereien nach Technologie für die Primärdestillation und die Downstream-Weiterverarbeitung geführt. Wir streben eine Geschäftsbeteiligung an und haben im Mai 2007 ein erstes Memorandum of Understanding für ein Joint Venture zum Bau einer Steinkohleteerraffinerie und zur internationalen Vermarktung der Produkte unterzeichnet. Des Weiteren haben wir bereits Lieferbeziehungen mit russischen Kokereien, mit denen wir auch strategische Gespräche über eine engere Zusammenarbeit auf der Teerverarbeitungsseite führen. Und wir sind gerade dabei, ähnliche Geschäftsbeziehungen in Brasilien aufzubauen.

 

CHEManager: Welche Bedeutung hat vor dem Hintergrund dieser internationalen Aktivitäten der deutsche Standort Castrop-Rauxel für Rütgers?

 

Dr. Heinz Rzehak: Um mit einem Slogan zu antworten: Zukunft braucht Herkunft. Am Standort Castrop-Rauxel verfügen wir über erfahrenes, sehr gut ausgebildetes Betriebspersonal. Dort ist die Anwendungstechnik angesiedelt, die für die Rütgers-Gruppe weltweit arbeitet. Dort praktizieren wir unser Downstream-Knowhow. Von dort aus betreuen unsere Techniker unsere weltweiten Standorte. Dort werden wir am stärksten gefordert, insbesondere, wenn es um Umweltfragen geht, die heute auch in China ein Thema sind. Kurz gesagt: In Castrop- Rauxel wollen wir auch in Zukunft unser Know-how pflegen und weiterentwickeln. Aber der Standort hat noch eine weitere strategische Bedeutung. Er ist das Herzstück unserer europäischen Teerverarbeitung und mit unserem Werk Zelzate und dem Antwerpener Hafengebiet über den Rhein, auf dem wir mit zwei eigenen Schiffen unterwegs sind, verbunden. Sozusagen zwei Werke mit einer logistisch kommunizierenden Röhre, über die Castrop-Rauxel exportiert – weltweit.

 

CHEManager: Gründe genug für die Investitionen von 70 Mio. € in den Standort Castrop-Rauxel, die Sie Mitte September angekündigt haben. Wohin fließen die Gelder konkret?

 

Dr. Heinz Rzehak: Der Standort ist seit über 100 Jahren aus zwei früher separaten Gesellschaften zusammen- gewachsen. Alte Gebäude und stillgelegte Anlagen blockieren die Weiterentwicklung. Hier räumen wir nun auf und schaffen Platz für Expansion, aber auch für neue Industrieansiedlungen. Das Industriegelände bietet eine logistisch sehr günstige Lage kombiniert mit exzellenten Genehmigungsbedingungen für verwandte Gewerbe. Wir führen bereits Gespräche mit Interessenten. In das Rückbau-Projekt, das wir mit Umweltbehörden, Kreis und Regierungspräsidenten abgestimmt haben, fließen 18 der 70 Mio. €. Die anderen Investitionen fließen vor allem in Instandhaltungsmaßnahmen unserer bestehenden Anlagen, die wir in ihren Kapazitäten vielleicht sogar noch etwas ausbauen wollen. Damit machen wir Castrop- Rauxel zukunftsfähig. D

 

CHEManager: Die Zukunft von Rütgers Chemicals ist noch ungewiss, schon in wenigen Wochen könnte Ihr Unternehmen einen neuen Besitzer haben und einen neuen Namen tragen. Welche Eigenschaften wünschen Sie sich für Ihren künftigen Eigentümer?

 

Dr. Heinz Rzehak: Entscheidend ist, dass er unsere Wachstumsstrategie, mit den geplanten Projekten in China, Russland und längerfristig in Brasilien begleitet und unterstützt. Das kann sowohl ein Industrieinvestor sein, der etwas von unserem Geschäft versteht, als auch ein Finanzinvestor, der über die notwendigen Mittel und das Gespür für gute Geschäfte verfügt. Wir bieten ihm im Gegenzug hohe Wachstumschancen in den BRIC-Ländern kombiniert mit dem stabilen Cash-flow eines langfristigen und nicht-zyklischen Geschäfts. Denn solange Koks zur Reduktion von Eisenerz benötigt wird, Pech für Elektroden und Öle zur Reifenrußherstellung, hat unser Geschäft Bestand – oder können Sie das Ende der Lebenszyklen von Stahl und Aluminium als Werkstoffe oder von Autoreifen absehen?