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Industriestandort Deutschland: Strategien gegen die De-Industrialisierung

24.10.2012 -

Industriestandort Deutschland: Strategien gegen die De-Industrialisierung

Als De-Industrialisierung wird die Bedeutungsabnahme der klassischen Industriezweige in den hoch industrialisierten Regionen bezeichnet. Viele Faktoren sind hierfür verantwortlich, z. B. die sinkende Wettbewerbsfähigkeit von Industrieländern aufgrund deutlich höherer Lohn- und Sozialkosten oder die Verlagerung von Investitionen in Regionen mit höheren Wachstumsaussichten. Oft sind diejenigen Industriezweige besonders hart betroffen, die zu den Hauptträgern der frühen Industrialisierung in den entwickelten Staaten gehören.

Der Prozess der De-Industrialisierung ist in allen Staaten Westeuropas und den USA bereits mehr oder weniger stark ausgeprägt, und er ist kaum reversibel. In den USA wird De-Industrialisierung bereits seit einiger Zeit aktiv thematisiert. Im Auftrag des American Chemistry Council hat Accenture Research die Folgen des so genannten „Lost Manufacturing“ in einer Studie quantifiziert. So entstehen der US-Chemiewirtschaft durch den Wegzug von Produktions- und Forschungsstätten im Zeitraum 2006 bis 2015 kumulierte Opportunitätskosten in Höhe von 188 Mrd. US-$ an Umsatz und 40 Mrd. US-$ an Investitionsausgaben; 157.000 Arbeitsplätze werden über diesen Zeitraum im Chemiebereich verloren gehen.

Auch Deutschland spürt den Strukturwandel und hat mit der De-Industrialisierung zu kämpfen. Von ihren Auswirkungen, wie der Verlagerung von Produktionsstätten nach Osteuropa oder Asien, lesen wir täglich in der Presse. Es sind also Strategien gefragt, um zu gewährleisten, dass die Produkte hiesiger Industriezweige, insbesondere der Automobilindustrie, dem Maschinenbau und natürlich der chemischen Industrie, auch in Zukunft noch eine herausragende Rolle auf den Weltmärkten spielenwerden. Wird keine Zukunftsperspektive für die industriellen Zweige gefunden, die insbesondere die Innovationskraft entwickelt und nutzt, so werden darunter viele nachfolgende Industrien und Generationen leiden. Führende Kompetenzen gerade im Technik- und Technologie-Sektor, sowohl in Forschung und Entwicklung als auch in der Produktion, werden zur Voraussetzung für den Erhalt einer weltweit führenden Stellung und von Deutschland als attraktivem Standort für Menschen und Unternehmen.

Stärkung der Innovationsfähigkeit

Die Erkenntnisse der o.g. Studien zur De-Industrialisierung bzw. zum Lost Manufacturing in den USA lassen sich auf die europäischen Standorte übertragen:

Die wichtigste Strategie, um der De-Industrialisierung zu begegnen, ist der konsequente Ausbau von Forschungs- und Entwicklungskompetenz, um wenigstens im Spiel um die Innovationsfähigkeit die Führungsrolle zu behalten.

Allen Unkenrufen zum Trotz ist Deutschland hier noch recht gut positioniert. Das akademische Umfeld mit seinen wissenschaftlichen Einrichtungen wie den Max-Planck-Gesellschaften und den Fraunhofer- Instituten ist hochgeschätzt. Die Bundesregierung hat mit ihren Förderprogrammen für Nanotechnologie, erneuerbare Energien und vielem mehr richtige Weichen gestellt, um Innovationskraft und damit Weltmarktführerschaft nachhaltig zu sichern. In beiden Bereichen liegt Deutschland international vorn. Auch bei chemischer Forschung und Entwicklung ist Deutschland gut positioniert: 17 % der weltweit getätigten FuE-Aufwendungen der chemischen Industrie werden am Standort Deutschland investiert. Ein Fünftel der weltweiten Patentanmeldungen im Bereich Chemie kommen aus Deutschland. Und im Bereich der industriellen „weißen“ Biotechnologie ist Deutschland nach den USA weltweit der stärkste Standort.

So verdeutlichen auch die diesjährigen Einreichungen im Rahmen des „Innovationspreis der deutschen Wirtschaft“, der am 20. Januar 2007 zum 27. Mal an Unternehmen vergeben wird, die mit ihren Innovationen bahnbrechende Neuerungen und Markterfolge erzielten, wie sehr Innovation Wachstumsmotor und Zukunftssicherheit für den Standort Deutschland bedeutet.

Effektive Kommerzialisierung von Innovationen gefragt

Eine starke Innovationskultur alleine reicht jedoch noch nicht. Nur, wenn Innovationen auch erfolgreich vermarktet werden, kann ein Strukturwandel mit Aufbau neuer Geschäftsfelder erreicht werden. Unternehmen wie Ecolab oder BASF Coatings ist dies bereits gut gelungen.

Hierzulande ist Handeln dringend geboten. Noch bestehen zu viele Hindernisse, die Ergebnisse der Forschung in die praktische Anwendung führen und interdisziplinär verwerten zu können. Vielen Zukunftstechnologien fehlt die breite Akzeptanz in Gesellschaft und Politik. Auch dem Mangel an qualifiziertem akademischem Nachwuchs muss konsequent entgegengewirkt werden, um langfristige Perspektiven zu sichern. Und last but not least – die Akzeptanz gegebener Veränderung und der Wille zu Innovation findet weitgehend in den Köpfen aller statt. Jeder Einzelne muss aktiv die Veränderung vorantreiben – statt sie passiv über sich ergehen zu lassen. All das sind große Herausforderungen für Politik und Verbände – aber notwendig, um den Strukturwandel von der industrialisierten zur wissens- und innovationsbasierten Gesellschaft hin zu vollziehen.

De-Industrialisierung ist auch für chemische Unternehmen in den hoch industrialisierten Regionen die große Herausforderung dieser Tage. Auf Unternehmensebene gibt es eine Vielzahl operativer und strategischer Maßnahmen, mit denen die Konkurrenzfähigkeit gestärkt werden kann. Zur Steigerung der Innovationsfähigkeit der heimischen Märkte ist eine starke Lobbyarbeit notwendig, um steuerliche und energiepolitische Rahmenbedingungen zu verbessern, innovationshemmende Regulierungen abzubauen und Akzeptanz sowie Interesse an der Chemie zu erhöhen. Von höchster Priorität sind auch gezielte Investitionen in Bildung, Wissenschaft und Forschung, um den Nachwuchs an wissenschaftlichen Kräften zu sichern – gleichermaßen eine Aufgabe für Politik und Industrie.