Standorte & Services

Interview mit Chemieparkexperte Dr. Joachim Waldi

03.03.2015 -

Die chemische Industrie steht vor herausfordernden Jahren. Die Energiekosten sind für viele Unternehmen oft bedeutsamer als die Lohnkosten. Höhere Fördersätze aus dem Kraft-Wärme-Kopplungs-Gesetz und mehr Planungssicherheit, fordert Dr. Joachim Waldi, Geschäftsführer des Chemieparkbetreibers Currenta und Vorsitzender der Fachvereinigung Chemieparks im Verband der Chemischen Industrie e. V. in Deutschland. Längst konkurrieren Standorte in Industrieländern mit Wettbewerbern aus Schwellenstaaten. In dieser Situation spielen Verbundstandorte ihre ganz Stärke aus, sagt der Chemieparkmanager im Interview mit Florian Flicke und Oliver Pruys.

Herr Dr. Waldi, wo steht die chemische Industrie Europas in zehn bis 15 Jahren?

J. Waldi: Wenn Sie sich die chemische Industrie in Deutschland und einigen anderen europäischen Ländern anschauen, blicken Sie auf sehr erfolgreiche, zurückliegende Jahre. Jetzt liegt es an der Branche, diese Entwicklung in den kommenden Jahren fortzusetzen. Attraktive Standortfaktoren, die wir als Chemieparkbetreiber mit beeinflussen, sind die Verbundvorteile oder die Genehmigungssicherheit. Immer wichtiger für die Unternehmen wird das Thema Energiekosten. Gerade Unternehmen in Deutschland fragen sich, wie es hier weitergeht.

Konkurrenz erwächst europäischen Chemieunternehmen nicht nur im Mittleren Osten und in Asien, sondern zunehmend auch aus den USA - der boomenden Schiefergasproduktion sei Dank. Bereitet Ihnen die zunehmende Energiekostenspanne Kopfzerbrechen?

J. Waldi: Das Thema Energie ist für die chemische Industrie nichts Neues. Die Energiekosten sind für viele Unternehmen oft bedeutsamer als die Lohnkosten und machen im Schnitt etwa 20 bis 25% der Kosten aus. Bei bestimmten Basisgrundstoffen wie Chlor ist der Anteil sogar noch weit höher. Die Energiepreise haben sich in den vergangenen Jahren immer wieder verschoben - aktuell sehr zuungunsten besonders der deutschen Unternehmen. Die Strompreise in den USA sind für stromintensive Unternehmen nur halb so hoch wie in Deutschland. Zurzeit sind zwar keine Abwanderungstendenzen erkennbar, aber Neuinvestitionen in den USA sind sehr attraktiv. Vor allem die Schiefergasvorkommen in den USA haben die Entwicklung einseitig beeinflusst

Kann man den Anforderungen aus der Energiewende mit dem Ausbau der Kraft-Wärme-Koppelung begegnen?

J. Waldi: Insbesondere Kraft-Wärme-Kopplungs-Anlagen der chemischen Industrie können einen wichtigen Beitrag zur Energiewende leisten. Sie nutzen den chemischen Prozesswärmebedarf und können teilweise über flexible Fahrweisen zur Stabilisierung des Versorgungssystems beitragen - und das sehr effizient, weil Strom und Wärme gekoppelt erzeugt werden. Allerdings stockt der Ausbau der KWK und sogar bestehenden Anlagen fehlt es wegen der unsicheren politischen Rahmenbedingungen an Planungssicherheit. Um Anreize zum Erhalt und Ausbau der Kraft-Wärme-Kopplung zu schaffen, müssen diese ökologisch sinnvollen Anlagen von Belastungen verschont und darüber hinaus ausreichend gefördert werden. Das heißt: Fortführung der Entlastung in Bestandsanlagen von der EEG-Umlage über 2017 hinaus, höhere Fördersätze aus dem Kraft-Wärme-Kopplungs-Gesetz, eine Förderung über das Jahr 2020 hinaus sowie eine rechtzeitige Zusage für diese Förderung schon zum Zeitpunkt der Genehmigung, um Planungssicherheit zu schaffen. Ansonsten würden Bestandsanlagen unwirtschaftlich und neue Projekte gar nicht erst realisiert. Das kann nicht im Sinne der Energiewende sein.

Überzeugen Sie mich: Warum sollte ich in Deutschland investieren, wenn anderswo viel günstiger produziert werden kann?

J. Waldi: Wir bieten Ihnen eine ganze Reihe von Vorteilen und nutzen konsequent die Economies of Scale. Unsere Chemieparks im Herzen Europas sind Teil eines Verbundnetzwerks bei Rohstoffen und Produkten. Wir bieten Planungs- und Rechtssicherheit, übernehmen auf Wunsch Instandhaltungs- und Analytikaufträge, stehen für die Sicherheit an den Standorten und wir versorgen die Kunden mit zuverlässiger Energie aus eigenen KWK-Anlagen. Weiterhin kümmern wir uns um die Entsorgung, bieten kurze Wege zu zahlreichen Industriekunden und verantworten die Ausbildung von regelmäßig 2.000 bis 2.500 jungen Menschen für unsere Kunden. Kurzum: Wir machen den Unternehmen das Leben leichter.

Vieles davon bieten klassische Industrieparks auch ...

J. Waldi: Einspruch. Zwischen einem Industriepark, der in der Regel aus einer Fläche mit einer einfachen Infrastruktur besteht, und einem Chemiepark liegen Welten. Ein Industriepark braucht meist nur Strom. Wir dagegen als Chemiepark haben einen immensen Bedarf an Wasser, Dampf, Gas - Sie sehen bei uns kilometerlange Rohre, die ein Industriepark nicht hat, wir haben auch hoch spezialisierte Entsorgungsanlagen. Umgekehrt wird sogar ein Schuh draus: Immer mehr Produktionsbetriebe siedeln sich in Chemieparks an. Bereits heute sind dort etwa Unternehmen aus der Petrochemie oder der Biotech-Industrie ansässig. Auch aus dem Megatrend Elektromobilität erwachsen für uns neue Chancen.

Wäre es nicht klüger, exogene Faktoren wie die Energiepreise zu akzeptieren - und sich stattdessen mehr Gedanken zu machen, welche Kostenfaktoren die Unternehmen selbst steuern können?

J. Waldi: Das tut die Branche doch bereits. Gerade die chemische Industrie arbeitet seit Jahrzehnten an Effizienzverbesserungen. Der Energieeinsatz je produzierter Tonne ist in den vergangenen zwei Dekaden dank effizienter Verfahren um gut die Hälfte zurückgegangen. Aber Sie haben recht: Zurücklehnen darf sich niemand.

Die große Stärke eines Verbundstandorts ist das gemeinsame Schultern von Kosten. Doch aus der Synergie erwachsen auch Risiken und Abhängigkeiten, die selten thematisiert werden ...

J. Waldi: Ein großes Problem sehe ich hier nicht. Wichtig ist, dass die Wertschöpfungsketten dauerhaft funktionieren und nicht gleich zusammenfallen, wenn ein Kettenteil weg bricht. Sollte ein Unternehmen in unserem Park schließen oder abwandern, suchen wir schnell passenden Ersatz, der sich möglichst gut in den Verbundstandort und die lokalen Wertschöpfungsketten einfügt. Standortmarketing und die Standortpflege sind unsere Hauptaufgaben.

Sind Chemieparks fit für eine eventuelle Wirtschaftsflaute?

J. Waldi: Auf jeden Fall - denn vom Verbund und der gemeinsamen Nutzung von Infrastruktur und Dienstleistungen profitiert jedes Unternehmen in einem Chemiepark. Dies erlaubt es ihnen effizienter, sicherer und meist auch kostengünstiger als alleine auf der „grünen Wiese" zu produzieren. Zudem arbeiten wir und unsere Kunden jeden Tag daran, weitere Effizienzpotenziale zu erschließen. So stärken wir nachhaltig das Erfolgsmodell Chemiepark und seine Wettbewerbsfähigkeit. Zurzeit spüren wir im Chempark zumindest keine Wirtschaftsflaute.

Inwiefern kann die von der chemischen Industrie propagierte Nachhaltigkeit den Anforderungen der Energiewende und dem globalen Wettbewerb gerecht werden?

J. Waldi: Ihre Frage impliziert, dass man sich Nachhaltigkeit leisten können muss. Diese Annahme greift aber zu kurz. Nachhaltigkeit ist vor allem eine Frage der Unternehmenskultur, die von Kunden, bestehenden und künftigen Mitarbeitern sowie dem Standortumfeld zu Recht erwartet wird. Dazu gehört, was zum Umwelt- und Klimaschutz beiträgt, wirtschaftlichen Erfolg ermöglicht sowie Arbeitsplätze und gesellschaftliche Entwicklung sichert. Alle drei Ziele sind gleichrangig und zahlen darauf ein, mit dem Geschäftsmodell der Chemieparks die nachhaltige Entwicklung der chemischen Industrie in Deutschland zu treiben. Kurzfristig ist das Bekenntnis zur Nachhaltigkeit kaum zum Nulltarif zu haben, aber mittel- bis langfristig zahlt es sich immer aus.

Welche Rolle spielt ein strategisches Asset Management beziehungsweise die richtige Instandhaltungsstrategie bei der Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit?

J. Waldi: Insgesamt hat das Thema Werterhalt der Anlagen für die Branche bereits einen enormen Stellenwert. Das ist Tagesgeschäft, ständig an der Instandhaltung zu arbeiten und die Ausfallzeiten möglichst gering zu halten. Obwohl es, wie immer im Ingenieurwesen, Luft nach oben gibt.

Sie vermarkten das Chemieparkmodell global nach dem freihändigen Motto: „Was in Deutschland klappt, geht auch in China oder dem Mittleren Osten gut." Doch ist das wirklich so?

J. Waldi: Lokale Eigenheiten müssen bedacht werden. Wir sind aus gutem Grund nicht global unterwegs - und es ist nicht unser Ziel, als Berater anderen den Weg zu ebnen. Wir sehen aber, dass sich Chemieparks weltweit etablieren und Modelle bedingt kopierbar sind. Gleichwohl glaube ich, dass wir in Deutschland einen gewissen Wettbewerbsvorsprung haben etwa vor Chemieparks in Asien. Nun kommt es darauf an, diesen Vorsprung durch noch bessere Vernetzung und dichtere Wertschöpfungsketten zu halten.

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