Strategie & Management

Clariant will in China mit gutem Beispiel vorangehen

Was bedeutet Chinas Kurskorrektur hin zu mehr Umweltschutz und Nachhaltigkeit für die Chemieindustrie?

16.01.2017 -

Nachhaltigkeit und Innovation sind zwei Schwerpunkte in Chinas aktuellem 13. Fünf-Jahres-Plan für die Entwicklung der chemischen Industrie. Die chinesische Regierung setzt sich damit selbst ehrgeizige Ziele und der Industrie hohe Maßstäbe, um die Umweltverschmutzung durch industrielle Aktivität zu verringern. Grund genug für Clariant, seinen zweiten Sustainability Dialog Summit in Schanghai abzuhalten und die nachhaltige Entwicklung Chinas und des eigenen Unternehmens in den Fokus zu stellen. Der Schweizer Spezialchemiekonzern, der im Dow Jones Sustainability Index 2016 unter den Top-3-Chemieunternehmen rangiert, errichtet derzeit in Schanghai den One Clariant Campus (OCC), der künftig die regionale Zentrale und ein F&E-Zentrum beherbergen soll. Dr. Christian Kohlpaintner, im Clariant Executive Committee zuständig für die Region Asien & Pazifik, ist im April 2016 nach China übersiedelt. Dr. Michael Reubold sprach mit ihm darüber, welche Konsequenzen die wirtschaftspolitische Weichenstellung der chinesischen Führung haben wird und wie Clariant das Thema Nachhaltigkeit vor Ort vorantreibt.

CHEManager: Herr Dr. Kohlpaintner, China ist der Wachstumsmotor der Weltwirtschaft – trotz des sogenannten „New Normal“. Der chinesischen Industrie haftet aber das Image billiger Massenproduktion ohne Rücksicht auf Umwelt und Beschäftigte an. Wird sich das in Zukunft ändern?

Dr. C. Kohlpaintner: Ich glaube, dass der chinesischen Regierung völlig klar ist, dass die Entwicklung in Richtung einer mehr innovations- und serviceorientierten Volkswirtschaft gehen muss. Gerade das als ‘New Normal‘ bezeichnete reduzierte Wirtschaftswachstum, das immer noch Wachstumsraten zwischen 5,5% und 6,5% haben wird, bietet dazu eine Gelegenheit. Denn China will das Image, die Werkbank der Welt zu sein, loswerden. Die Regierung hat einen Fahrplan für die Modernisierung der chinesischen Industrie verabschiedet. Das reflektiert sich auch in den politischen Vorgaben. Der 13. Fünf-Jahres-Plan enthält erstmals das Thema „Green Development“, also tatsächlich das Ziel einer nachhaltigen Entwicklung. Auch die "Made in China 2025"-Strategie formuliert ehrgeizige Ziele für die Fertigungsindustrie, beispielsweise hinsichtlich Innovation, Qualität und Effizienz.

Wie schätzen Sie angesichts der schieren Größe des Marktes, des immer noch dynamischen Wirtschaftswachstums und der Zersplitterung der Industrie die Chancen ein, dieses Ziel einer nachhaltigeren Entwicklung überhaupt umsetzen zu können?

Dr. C. Kohlpaintner: Ich bin da gar nicht so skeptisch. Natürlich ist es sehr komplex. Der Chemiemarkt in China ist mit Abstand der größte der Welt. Er wird auch der sein, der in den nächsten fünf Jahren trotz reduzierter Wachstumsgeschwindigkeit zwei Drittel des Wachstums des weltweiten Chemiemarktes abbilden wird. Natürlich wird man sich mit einigen Fragen auseinandersetzen müssen, beispielsweise wie nicht wettbewerbsfähige Kapazitäten oder die starke Zersplitterung der Chemieindustrie zu handhaben sind. Ein Punkt, der mich optimistisch stimmt, ist der Wunsch der Bevölkerung nach Veränderung. Die Menschen hier haben es satt, mit Luft- und Wasserverschmutzung und mit Chemieunfällen zu tun zu haben. Und das wird in Peking sehr genau beobachtet. Die Verantwortlichen wissen auch, dass die Bevölkerung auf Dauer mit diesen Zuständen sehr unzufrieden ist.

Es wird auf jeden Fall eine Konsolidierung der Chemieindustrie in China stattfinden, sei es aus ökonomischen Zwängen heraus oder vor allem aufgrund von strengerer Regulierung.

Dazu gehört unter anderem die Konzentration der Chemieindustrie in den Chemieparks?

Dr. C. Kohlpaintner: Richtig. Die Regierung geht im Grunde genommen zwei Themen an. Auf der einen Seite – sozusagen ganz oben – sind die Staatskonzerne, die sie restrukturieren und wo sie nicht wettbewerbsfähige Kapazitäten schließen wollen. Und auf der anderen Seite – sozusagen ganz unten – will man Unternehmen unter 100 Millionen Dollar Umsatz konsolidieren, um stärkere Spieler daraus zu machen, weil man verstanden hat, dass nur ökonomisch starke Unternehmen auch in der Lage sind, die Anforderungen hinsichtlich einer nachhaltigen Entwicklung zu erfüllen. Es sind ja häufig nicht die großen Unternehmen, die die Umweltverschmutzung verursachen, sondern diese unglaubliche Vielzahl an Klein- und Kleinstunternehmen, die vergleichsweise unbeaufsichtigt lokal und regional operieren. Das wird Konsequenzen haben und natürlich dieser Nachhaltigkeits-Entwicklung helfen.

Aber die Geschwindigkeit, mit der diese Entwicklung vorangehen wird, dürfte aufgrund der riesigen Dimensionen des Landes eher langsam sein.

Dr. C. Kohlpaintner: Hier laufen natürlich auf der einen Seite politische und auf der anderen Seite ökonomische Mechanismen ab. Die politischen Mechanismen sind eigentlich gut zu erkennen: Die Zentralregierung möchte die Restrukturierung ganzer Industrien realisieren. Und das betrifft ja nicht nur die Chemie, sondern auch vor allem Stahl und Kohle, wo es enorme Überkapazitäten gibt, die nicht wettbewerbsfähig sind. Es sind, glaube ich, in den letzten 12 Monaten in China 1,3 Millionen Stahlarbeiter entlassen worden, weil eben nicht wettbewerbsfähige Stahlwerke geschlossen wurden.

Das Problem, vor dem die Zentralregierung steht ist, dass natürlich in den Regionen die Provinz-Gouverneure andere Sorgen haben und sich beispielsweise um die zahlreichen neuen Arbeitslosen kümmern müssen, die infolge dieser Restrukturierungswelle ihre Arbeitsplätze verlieren werden. Insofern ist es sicher richtig, dass die Geschwindigkeit, mit der diese Entwicklung vonstattengeht, sehr viel langsamer ist, als man sich das in Peking wünscht. Das ist auch meine Interpretation der Sachlage. Man verkündet zwar klare Ziele, aber erreicht diese deutlich langsamer als gewünscht, weil einfach der Wunsch und das Machbare aufeinandertreffen und es politischen Widerstand vor Ort gibt, der die Dinge verzögert.

Von der ökonomischen Seite her gibt es erheblichen Nachholbedarf was Emissionsüberwachungen angeht. Aber auch die notwendigen Technologien und Infrastruktur sowie die Selbstverständlichkeit, mit der Behörden Emissionen überwachen, sind im Aufbau befindlich. Das ist nicht anders, als es in Deutschland vor 20 oder 30 Jahren war. Das ist auch für uns eine lange Reise gewesen und die Chinesen werden diese Reise ganz genauso vollziehen, vielleicht noch konsequenter, als wir das gemacht haben.

Westliche Unternehmen, die in China aktiv sind, spielen eine Vorreiterrolle in punkto nachhaltiger Entwicklung. Bringt Ihnen dieses Engagement derzeit außer dem Imagegewinn bereits Wettbewerbsvorteile oder ist es eher eine Investition in die Zukunft?

Dr. C. Kohlpaintner: Ich denke, es ist heute schon noch als eine Investition in die Zukunft zu sehen. Aber es ist natürlich auch ein gewisses Selbstverständnis. Wir als Clariant können und wollen unterschiedliche Standards nicht akzeptieren, sondern mit gutem Beispiel vorangehen. Wird das heute von den Kunden schon verstanden und mit einem Mehrwert bedacht? Sicherlich nicht. Die Frage, ob nachhaltige Produkte schneller wachsen und profitabler sind, ist für uns im chinesischen Markt noch unbeantwortet. Global würde ich sagen: ja, das ist in vielen Fällen so. Aber ich glaube, dass sich das Schritt für Schritt ausbezahlen wird. Aber nochmals: das ist unser Selbstverständnis und basierend auf diesem Selbstverständnis betreiben wir alle diese Initiativen und Aktivitäten.

Auf welchen Ebenen arbeitet Clariant mit chinesischen Behörden, Institutionen, Zulieferern, Kunden und anderen Stakeholdern zusammen, um das Bewusstsein für Nachhaltigkeit zu erhöhen?

Dr. C. Kohlpaintner: Gerade bei unserem letzten Sustainability Dialog in Schanghai hat man gesehen, dass wir hier sehr aktiv und sehr intensiv ein Netzwerk aufbauen, in dem eine ganze Reihe von Stakeholdern vertreten sind, von unseren Lieferanten und Kunden über Experten aus Universitäten und Industrievereinigungen bis zu Behörden- und Regierungsvertretern. Es ist ein umfassendes Gebäude, was wir versuchen hier aufzubauen. Und unsere Konferenz ist ein Startpunkt für so etwas.

Sie investieren im Xinzhuang Industrial Park in Schanghai in den One Clariant Campus, der ab Anfang 2019 neben der Zentrale für die Region auch ein Innovationszentrum beherbergen soll. Welche Rolle wird das in der weltweiten Innovationsstrategie spielen?

Dr. C. Kohlpaintner: Wir hatten ja 2009/2010 die chemische Forschung in der Group Technology & Innovation gebündelt und in Frankfurt das weltweite Clariant Innovation Center eröffnet. Uns ist allerdings klar, dass wir uns als Unternehmen ein Stück weit wegentwickeln müssen von einer zu eurozentrischen Forschungs- und Entwicklungsaktivität hin zu einer lokal oder regional ausgeprägten F&E. Den ersten Schritt dahin haben wir mit unserem F&E-Zentrum in Mumbai, Indien, gemacht. Wir werden das mit unseren F&E-Aktivitäten hier in China entsprechend weiter ausbauen.

Die Strategie hinter OCC ist deshalb ganz klar, nämlich: Produkte in China für China zu entwickeln. Es stellt sich häufig heraus, dass Produkte, die wir für die globalen Märkte entwickelt haben, hier bei den Kunden häufig nicht deren wirkliche Bedürfnisse treffen. Deshalb müssen wir uns Gedanken machen, wie wir künftig Produkte entwickeln, die deutlich mehr einen lokalen Charakter haben als in der Vergangenheit. Und das gelingt nur, indem sie Forschung und Entwicklung nahe am Markt betreiben können. Wir fangen in China nicht bei null an, aber wir fangen an, diese Kapazitäten jetzt deutlich aufzubauen. Und wir sind sehr zuversichtlich, dass wir irgendwann den Punkt erreichen, dass wir in China auch Produkte für die Welt erforschen und entwickeln können, denn das Potential an hervorragenden und kreativen Mitarbeitern ist hier in China sehr hoch.

Wie wirkt sich Nachhaltigkeit auf Ihr Portfoliomanagement aus?

Dr. C. Kohlpaintner: Wir haben vor einigen Jahren mit einem sehr stringenten Programm begonnen, unser Portfolio zu durchleuchten und gemeinsam mit Experten einen Satz von 36 Kriterien entwickelt, mit denen wir die Nachhaltigkeit von unseren Produkten analysieren können. Anhand dieser Kriterien können wir das Portfolio screenen. So identifizieren wir einerseits Produkte, bei denen wir Zweifel haben, ob sie mittel- und langfristig unter diesen Kriterien als nachhaltig zu bezeichnen sind. Andererseits können wir diejenigen Produkte in unserem Portfolio, wo wir überzeugt sind, dass sie überdurchschnittlich nachhaltig sind und sich relativ zum Wettbewerb durch eine bessere Performance auszeichnen, mit einem speziellen Label - dem EcoTain®-Label - klassifizieren. Das hilft uns, unser Portfolio ständig zu hinterfragen und Innovationen auszulösen. Auch diese ständige Verbesserung des Portfolios verstehen wir als Selbstverpflichtung, die uns fordert, die entsprechenden Maßnahmen einzuleiten, um zu einem wirklich dauerhaft nachhaltigen Portfolio zu gelangen. Diese Logik ‘Nachhaltigkeit treibt Innovation und Innovation treibt Wachstum‘ ist in unserer Strategie hinterlegt.

So sieht es offenbar auch die chinesische Regierung, die mit dem aktuellen Fünf-Jahres-Plan technologische Innovationen fördern und den Weg für chinesische Chemieunternehmen in die Spezialchemie und Biotechnologie ebnen will. Wie bereiten Sie sich auf den erwachsenden lokalen Wettbewerb in China vor?

Dr. C. Kohlpaintner: Natürlich haben wir auf dem Radarschirm, dass das Thema Innovation und Service für die chinesische Industrie deutlich wichtiger werden wird. Auch chinesische Firmen verstehen, dass sie dauerhaft nur wettbewerbsfähig sein können, wenn sie in ihrem Geschäftsmodell ein innovatives und nachhaltiges Element abbilden. Das wird natürlich für multinationale Firmen wie Clariant Wettbewerb erzeugen, auf den wir uns frühzeitig einstellen. Genau das tun wir, indem wir unsere F&E nach China bringen. Wir wollen in der Entwicklung deutlich schneller sein, wollen besser verstehen, was die Kunden antreibt, und die Produkte mit den Kunden noch enger gemeinsam entwickeln. Und ich glaube, durch diese Schritte wirken wir der zunehmenden Wettbewerbsintensität im Spezialchemiemarkt entgegen.

Im Dow Jones Sustainability Index 2016 rangiert Clariant unter den Top-3-Chemieunternehmen. Welche Bedeutung haben für Sie solche Benchmarks?

Dr. C. Kohlpaintner: Zum einen ist es eine Auszeichnung für das, was durch das Team um unseren CEO Dr. Hariolf Kottmann und unsere Mitarbeiter geleistet wurde. Dann ist es natürlich wichtig zu sehen, wie man sich beim Thema Nachhaltigkeit relativ zu Wettbewerbern entwickelt. Und als Drittes - und das ist für mich fast das Wichtigste - ist es eine ständige Herausforderung und Verpflichtung, besser zu werden. Und wenn ich diese drei Aspekte zusammennehme, dann sind wir auf dem richtigen Weg.