Strategie & Management

Mehr richtige als falsche Entscheidungen

Pharma Waldhof-Geschäftsführer Dr. Lukas von Hippel über Erfolgsstrategien im Mittelstand

19.09.2017 -

Pharma Waldhof ist Teil der amerikanischen Aceto Gruppe. Das Düsseldorfer Biotechnologieunternehmen, das in diesem Jahr sein 70jähriges Jubiläum feiert, ist ein führender Anbieter für Nukleotide, Nukleoside und deren Derivate. Zusätzlich bietet das Unternehmen Co-enzyme und Co-faktoren an. Diese körpereigenen Bausteine finden vielseitige industrielle Anwendungen, bspw. als pharmazeutische Wirkstoffe, in der Diagnostik, in Zellkulturmedien, Nahrungsergänzungsmitteln oder Kosmetika. Seit Juli 2011 ist Dr. Lukas von Hippel Geschäftsführer bei Pharma Waldhof. Der Chemiker arbeitete vorher in Konzern und Mittelstand und verfügt über eine große Branchenkenntnis. Dr. Michael Reubold sprach mit ihm über Erfolgsfaktoren und Herausforderungen für mittelständische Chemieunternehmen.

CHEManager: Viele mittelständische Unternehmen wie Pharma Waldhof sind „Hidden Champions“ in ihren Märkten. Welche Faktoren sind Ihrer Meinung nach erfolgsentscheidend, um einen solchen Status zu erreichen?

L. von Hippel: Nach meinem Verständnis gibt es einen wesentlichen Unterschied wie bei uns geführt wird: In großen Unternehmen erfolgt die Steuerung des Unternehmens über Kennzahlen. Die Prozesse im Unternehmen unterstützen die Erhebung der Kennzahlen. Wir fokussieren auf die für das Unternehmen arbeitenden Menschen und die Abläufe, die notwendig sind, um die Belegschaft zu unterstützen. Die Motivation dazu ist einfach: Kein Mensch steht morgens auf, um keinen Erfolg zu haben. Wenn trotzdem nicht jeder Arbeitstag gelingt, dann ist das ein Hinweis auf Verbesserungsmöglichkeiten, die wir angehen.

Die Aufgabe einer guten Führung besteht für mich platt formuliert darin, sicherzustellen, dass die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen auch in fünf Jahren Sonntags noch Brötchen kaufen können. Wenn das sichergestellt ist, ist das Unternehmen nachhaltig aufgestellt. Ein nachhaltig aufgestelltes Unternehmen wird innovieren, weiterbilden, sich wandeln. Dazu muss man beständig daran arbeiten, seine Existenzberechtigung unter Beweis zu stellen. Über unsere Existenzberechtigung entscheiden letztlich unsere Kunden.

Welche großen Herausforderungen sehen Sie für Mittelständler – insbesondere in der Chemie- und Pharmabranche?

L. von Hippel: Seit ich in der Industrie arbeite, sind es die gleichen Themenfelder: Wie gehen wir mit den Menschen um, die für uns arbeiten? Wie gehen wir mit Fehlern um, die gemacht werden? Wie sorgen wir dafür, wettbewerbsfähig zu bleiben und welche Kompetenzen werden wir in Zukunft benötigen, um am Markt bestehen zu können? Welche Kultur leben wir vor? Sind wir bereit, uns radikal zu verändern? Sind wir demütig und dankbar? Demütig, weil wir mit Methoden von gestern heute Aufgaben von morgen gestalten wollen. Dankbar, weil es dem Unternehmen gelingt, diese Herausforderungen zu meistern. Die Herausforderungen sind für kleine und große Unternehmen die gleichen. In kleinen Unternehmen hat aber der einzelne Mensch größeren Einfluss auf die Zukunft. Also müssen wir an vielen Stellen nachdenklicher sein, einfach weil wir uns nicht viele Fehler erlauben dürfen.

Ihre Personalarbeit wurde 2015 wurde im Rahmen des von der TÜV Süd Akademie vergebenen Deutsche Bildungspreises mit dem Qualitätssiegel für exzellentes Bildungsmanagement gewürdigt. Welchen Stellenwert und welche Bedeutung hat diese Auszeichnung für Sie?

L. von Hippel: Im Jahr 2014 waren wir aus einem tiefgreifenden Veränderungsprozess wieder aufgetaucht und hatten kaum einen Stein auf dem anderen gelassen. Ich wollte wissen, wo wir noch besser werden können und habe an dem Wettbewerb teilgenommen, um zu lernen, wo wir uns verbessern können.

Ich war  verwundert, von externen Auditoren, die täglich Unternehmen unterschiedlicher Branchen sehen, zu lernen, dass wir es in kurzer Zeit geschafft haben, höchsten Standards zu genügen. Und ich habe mich für unser Unternehmen gefreut, dass wir sogar best practice Beispiele entwickelt haben. So sind wir zwar noch nicht die lernende Organisation, die ich gerne hätte, aber wir sind vom den Ziel auch nicht mehr sehr weit entfernt.

Wie setzen Sie Bildungs- und Talentmanagement in Ihrem Unternehmen in der Praxis um, was ist das Besondere an Ihrem Konzept?

L. von Hippel: Ein Chef kann nicht klüger sein, als die Belegschaft. Wenn wir also das Thema Schwarmintelligenz ernstnehmen, müssen wir auch als Vorgesetzte akzeptieren, dass wir unsere Grenzen haben. Das ist der Beginn eines Prozesses, in dem auch Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter Gehör finden. Meist wissen die Menschen ganz gut, was sie können und wohin sie wollen. Das wirklich zu verstehen und den Weg im Rahmen der Möglichkeiten zu begleiten, ist eine Aufgabe, der wir uns vielleicht leichter stellen können, als große Unternehmen. Wir kennen unsere Belegschaft noch. Jeden und jede.

Lassen Sie uns das Thema wechseln: Innovation hat viele Facetten. Der Weg von einer kreativen Idee bis zur Entwicklung marktfähiger Produkte oder Technologien ist lang, kostspielig und zuweilen steinig. Welches Innovationskonzept verfolgen Sie bei Pharma Waldhof?

L. von Hippel: Sie werden verstehen, dass ich hier nicht die Strategie des Unternehmens öffentlich machen möchte. Nur so viel: Wir sind marktorientiert aufgestellt und haben ein klares Produktportfolio. Das wollen wir Schritt für Schritt erweitern, damit wir als kompetenter Systemlieferant erkannt werden. Und wir setzen kompromisslos auf Qualität.

Der Schritt zu einer Erweiterung unseres Portfolios kann durch ein Einzelprojekt ebenso entstehen, wie durch das Ergebnis einer Marktanalyse. Wenn wir sehen, dass wir unseren Kunden einen Mehrwert anbieten können, dann machen wir das auch in aller Konsequenz. Wenn wir sehen, dass wir keinen Mehrwert bieten, verzichten wir lieber.

Wenn wir Kompetenzen benötigen, die wir selbst nicht haben, dann suchen wir sie lieber in externen Partnerschaften, als sie selbst mühsam aufzubauen. Dieses Vorgehen setzt voraus, dass wir wirklich interdisziplinär arbeiten und die Kompetenzen von Chemikern, Biochemikern und Biologen so kombinieren, dass daraus etwas Besonders entsteht. Und es setzt voraus, dass wir die Branche so gut wie möglich kennen. Das bedeutet, sich intensiv mit der Branche zu beschäftigen und mit den Menschen, die für uns arbeiten.

Beim Thema Nachhaltigkeit denken viele – insbesondere in der Chemieindustrie –  zuerst an Umwelt- und Klimaschutz oder den effizienten Umgang mit Ressourcen. Die Vereinten Nationen haben aber 17 Nachhaltigkeitsziele definiert. Welche Nachhaltigkeitsaspekte spielen für Sie die wesentliche Rolle?

L. von Hippel: Es gibt Moden, auch in der Politik, die einem Zeitgeist unterworfen sind. Nachhaltigkeit ist aber das Gegenteil von Mode und geht über die Definitionen der UN weit hinaus. Nachhaltigkeit bedeutet, verantwortungsvoll im Jetzt an der Zukunft zu arbeiten. Nachhaltigkeit bedeutet aber auch, zu wissen, dass wir nicht alles verstehen und auch manche Einschätzung falsch ist, die wir dann revidieren müssen.

Es gab mal eine Zeit, in der ein großes Beratungsunternehmen allen Ernstes die Notwendigkeit einer Strategie bestritt, die Zeiten seien zu schnelllebig. Nach meinem Verständnis war das völlig falsch, denn Strategie gibt Richtung. Die Brownsche Molekularbewegung zeigt, dass sich in einem gegebenen Raum Teilchen eines Gases bewegen, aber von außen betrachtet bewegt sich nichts. Erst eine Richtung erzeugt Dynamik, deshalb bin ich ein Freund von Strategien, wissend, dass es meist anders kommt, als gedacht.

Innerhalb der Richtung gibt es aber Dinge, die machbar sind und solche, die nicht gemacht werden sollten. Das gilt für alle Entscheidungen und hat für mich am meisten mit Nachhaltigkeit zu tun. Dann ist es egal, ob wir über den Einkauf, die Entwicklung, die Produktion oder den Verkauf sprechen. Das gilt für Führung genauso, wie für technische Prozesse. Nicht alles sollte gemacht werden, was machbar ist. Nachhaltigkeit hat auch mit Wert zu tun, dem Wert, den wir einer Ware oder einer Dienstleistung zubilligen. Der Slogan „Geiz ist geil“ hat für mich nichts nachhaltiges, sondern beschreibt einen Ausverkauf. Vielleicht ist deshalb Geiz auch eine Todsünde.

Das Personal – oder etwas wertschätzender gesagt: der Mensch – spielt bei Pharma Waldhof also eine besondere Rolle und steht im Zentrum Ihrer unternehmerischen Tätigkeit. Warum folgen noch so wenige (bzw. nicht alle) Unternehmen Ihrem Beispiel? Was sind die Hürden, um einen solchen Veränderungsprozess in einem Unternehmen einzuleiten und umzusetzen?

L. von Hippel: Wenn ich das wüsste, würde ich Unternehmen beraten. Es hat sicher mit dem Selbstverständnis von handelnden Personen zu tun und der Wirkung von Erwartungshaltung. Wir gehen bei uns davon aus, dass am Ende die Belegschaft erfolgreich ist, also die Menschen, die für uns arbeiten. Wenn die erfolgreich arbeiten können, ist unser wirtschaftlicher Erfolg das Abfallprodukt guter Arbeit.

Ein bisschen Demut, eine gute Prise Selbstironie und das Wissen, dass wir nur für eine relativ kurze Zeit Macht von anderen Menschen geliehen bekommen, kann im Management helfen, sich als Führungskraft zu relativieren. Gepaart mit einer guten Strategie und mehr richtigen als falschen Entscheidungen ist der Erfolg kaum zu verhindern.

Auch bei Pharma Waldhof hat mir der Eigentümer die Chance gegeben, zu zeigen, dass diese Art zu führen nicht in die Insolvenz führt, sondern zu solidem Wachstum.

70 Jahre Pharma Waldhof

Als Tochterunternehmen der amerikanischen Aceto Gruppe ist Pharma Waldhof Teil eines international aufgestellten Chemiekonzerns, der sich in Richtung Life Sciences verändert. Seit den Anfängen im Jahr 1947 widmet sich das Düsseldorfer Unternehmen der Biotechnologie mit Schwerpunkt auf  Nukleinsäure, deren Derivate, Co-Enzyme und Co-Faktoren. Nach den Anfängen wurde das Unternehmen 1970 in zwei Stufen von Boehringer Mannheim erworben, gehörte ab 1997 zu Roche und wurde 2004 von der amerikanischen Aceto Corp. übernommen.

Qualität ist für das Unternehmen nicht verhandelbar, wobei damit nicht nur die chemische und mikrobiologische Reinheit der abgegebenen Produkte gemeint ist. Qualität ist für das Unternehmen die Summe alles Handelns.