Chemie & Life Sciences

Mikroverkapselung – Kleine Kapseln mit großer Wirkung

09.10.2017 -

Die Einsparung von Prozesszeiten und Ressourcen sichert heute in vielen Bereichen den entscheidenden Marktvorteil. Convenience, in der Nahrungsmittelindustrie „State of the Art“, hält daher auch in industriellen Anwendungen Einzug. Spezielle Additive, die „auf Knopfdruck“ aktiviert werden, vereinfachen die Anwendung von Klebstoffen oder machen aus Farben und Lacken „Smart Coatings“. Diese funktionalen Produkte basieren auf komplexen Stoffgemischen mit spezifischen Anforderungen an die einzelnen Inhaltstoffe – eine anspruchsvolle Aufgabe für die Mikroverkapselung, das Zusammenspiel aller Komponenten in der Anwendung sicherzustellen.

Permanente Mikrokapseln schützen ihren Inhalt dauerhaft vor negativen Umwelteinflüssen wie Feuchtigkeit und Oxidation aber auch vor der Reaktion mit anderen Stoffen. Als Minicontainer werden Sie für latente Wärmespeicher genutzt, die ihre temperaturausgleichende Wirkung z.B. in Textilien entfalten. Neben der erforderlichen Beladung der Kapsel sind die Dichtigkeit und mechanische Stabilität der Kapselwand die wichtigsten Anforderungen. Der vielfältige Einsatz von Mikrokapseln beginnt aber mit der gezielten Freisetzung des Inhaltes zu einem definierten Zeitpunkt.

Der Schutz des Kernmaterials, kombiniert mit der mechanischen Öffnung der Kapsel, hat mittlerweile in vielen industriellen Anwendungen Einzug gehalten: Duftöle in Lacken werden durch Reibung aktiviert. Zur Sicherung von Schrauben werden Klebstoffe mit verkapselten Härtern aufgebracht. Als weiteres Beispiel ist die gezielte Freisetzung von Schmierstoffen in Gleitlacken zu nennen. Auch findet man heute kaum mehr Weichspüler ohne verkapselte Duftstoffe.

In der Chemie liegt das Geheimnis

Physikalische Verfahren scheiden für die Kern-Schale-Verkapselung von Flüssigkeiten, Gasen oder mikronisierten Feststoffen aus. Diese Stoffe können nur über eine Polymerisation von Monomeren an einer Phasengrenzfläche beschichtet werden. Die grundsätzliche Anforderung an die Eigenschaften des Kernmaterials ist daher seine Hydrophobizität, d.h. der zu verkapselnde Stoff darf sich nicht mit Wasser mischen oder darin lösen. Die Funktionalität der Mikrokapseln wird durch das Wandmaterial, die Wandstärke und den Vernetzungsgrad bestimmt. Industriell werden hierfür vier Kapseltypen genutzt. Dazu zählen – absteigend in ihrer Wichtigkeit – die Aminoplastharz-, Acrylat- und Polyharnstoff- bzw. Polyurethankapseln. Jedem dieser Kapseltypen liegt ein anderer Mechanismus der Wandbildung zugrunde, was Auswirkungen auf die Materialeigenschaften hat und in entsprechenden Anwendungstests bewertet werden muss.

Generell lassen sich aber folgende Anforderungen für die industrielle Nutzung von Mikrokapseln zusammenfassen:

  • Chemische und physikalische Beständigkeit
  • Maximale Beladung (>80%)
  • Farb- und geruchsneutrale Wandmaterialien
  • Toxikologisch unbedenkliche Ausgangsstoffe
  • Scale-up-fähige Rezepturen für eine großtechnisch darstellbare Produktion
  • Günstiges Preis-Leistungs-Verhältnis

Für die Auswahl des geeigneten Kapselsystems ist die exakte Definition der Anwendung und der dafür benötigten Kapseleigenschaften der erste und wichtigste Schritt.

Smart Coatings mit großer Wirkung

Die zunehmende Bedeutung der Mikroverkapselung im industriellen Bereich zeigt sich insbesondere bei der Weiterentwicklung von Farben und Lacken zu Smart Coatings. Mit der Veröffentlichung eines Artikels über autonome Selbstheilung mit Mikroverkapselungstechnologie in der Fachzeitschrift Nature im Jahr 2001, wurde dieser Ansatz in die Lackindustrie getragen und hat eine Fülle an Entwicklungsaktivitäten angestoßen. Während es laut der Datenbank Chemical Abstracts Plus im Jahr 1970 vier Patente in diesem Bereich gab, stieg die Anzahl über 251 im Jahr 2000 auf 2.093 Patente im Jahr 2015 rasant an. Schätzungen gehen davon aus, dass ca. 80% der zurzeit genutzten Selbstheilungssysteme auf Mikroverkapselungsansätzen beruhen.

Selbstheilung von Mikrorissen

Hochreaktive Substanzen werden zusammen mit dem geeigneten Katalysator in einer Lackschicht homogen verteilt. Durch die Verkapselung der vernetzenden Komponente wird eine Reaktion erst durch die Zerstörung der Kapselwand möglich. Es konnte nachgewiesen werden, dass beim Auftreten von Mikrorissen bevorzugt die Mikrokapseln geöffnet werden und diese ihren Inhalt aufgrund der Kapillarkräfte in den Mikroriss abgeben. In Verbindung mit dem Katalysator startet die Vernetzungsreaktion und „heilt“ den Mikroriss bereits in einem sehr frühen Stadium (s. Grafik 1).

Doch muss bis heute festgestellt werden, dass nur wenige Nischenprodukte auf diesem Gebiet kommerziell erhältlich sind. Die Herausforderung liegt zum einen in der reproduzierbaren Herstellung hinreichend dichter Mikrokapseln, die hochreaktive Inhaltsstoffe über Monate vor einer frühzeitigen Vernetzung schützen müssen, was insbesondere für oxidativ härtende Substanzen wichtig ist. Die Kapseln an sich müssen homogen in die Lackbasis einarbeitbar sein und keine Wechselwirkung mit anderen Komponenten der Lackformulierung eingehen. Last, but not least müssen sie sich unter den vorgegebenen Anforderungen öffnen und genügend Heilungsreagenz abgegeben. Hinzu kommt, dass der empfindliche Katalysator seine Wirkung im Coating beibehalten muss.

Erste erfolgreiche industrielle Einführungen solcher Lacksysteme findet man im Holzschutzsektor für Außenanwendungen. Rissbildung aufgrund von Hagelschlag, normaler Alterung und durch Spannungsrisse aufgrund von Temperaturunterschieden kann so begegnet werden. Wasser bekommt keine Chance, in die Mikrorisse einzudringen und das Holz zu schädigen.

Korrosionsschutz durch Inhibitoren

Korrosion ist ein Problem der Zusammenwirkung von Metalloberflächen, Salzen, Wasser und Sauerstoff und verursacht immense wirtschaftliche Schäden. Seitdem die effektiven Cr(VI)-Verbindungen in Korrosionsschutzlacken nur noch bedingt (für die Luft- und Raumfahrt) zugelassen sind, wird angestrengt nach neuen Möglichkeiten der Verhinderung von Korrosionserscheinungen gesucht.

Ein Ansatz ist die Verwendung von mikroverkapselten Korrosionsinhibitoren, die die Korrosion chemisch unterbinden. Die Kombination der richtigen Kernmaterialien und der eingesetzten Konzentration an Mikrokapseln, ihre Größe, ihre Bruchkraft und Verarbeitbarkeit bieten neue Möglichkeiten der Verbesserung.

Selbstheilung und Korrosionsschutz werden insbesondere für die Erhaltung unserer Infrastruktur zukünftig eine Rolle spielen. Dabei sind die Technologien unter Nutzung der stabilen Kern-Schale-Mikrokapseln vielversprechend.

Mikrokapseln für den Asphalt

Ein wesentlicher Bedarf besteht beim Heilungsprozess von Asphalt im Straßenbau. Die neueren, für Wasser durchlässigen Asphaltbeläge beinhalten kleine Gesteinspartikel die durch Bitumen verklebt sind. Die durchschnittliche Lebensdauer ist mit acht Jahren sehr begrenzt und maßgeblich beeinflusst durch die Temperaturschwankungen und Belastungen im Straßenverkehr. Um hier die entstehenden Mikrorisse möglichst eigenständig wieder zu schließen, ist es erforderlich, das Bitumen soweit zu verflüssigen, dass sich die Risse wieder verschließen. Dazu werden inzwischen in den oberen Straßenbelagsschichten homogen Metallfäden (Stahlwolle) eingearbeitet, die ein induktives Erhitzen des Straßenbelags ermöglichen. Mit Induktionsschleifen ausgerüstete Fahrzeuge fahren über die Fahrbahn und erzeugen die nötigen Induktionsströme, um die Stahlwolle aufzuheizen und so das Bitumen zum Schmelzen zu bringen. Der neueste Trend unterstützt diesen Ansatz über den Einsatz von Mikrokapseln, die mit einem Weichmacher gefüllt sind, der die zum Schmelzen des Bitumens erforderliche Temperatur absenkt und so die Verweilzeit der Fahrzeuge über den Flächen vermindern kann.

Die nächste Generation Mikrokapseln

Diese Beispiele geben einen Einblick in das große Spektrum der Anwendungsmöglichkeiten allein in industriellen Bereichen. Andere Industriezweige, wie die Agrar- oder die kosmetische und pharmazeutische Industrie, setzen Mikrokapseln insbesondere zur verzögerten Freisetzung von Inhaltstoffen ein. Die regulatorischen Anforderungen an Kern- und Wandmaterialien sind hier besonders hoch und stoßen weitere Entwicklungen an, die neue Impulse auch für technische Anwendungen geben. Kapseln aus biologisch abbaubarem Material und neue Freisetzungsmechanismen eröffnen so neue Anwendungen und Märkte.