Anlagenbau & Prozesstechnik

Die Prozessindustrie wird flexibler – Teil 4: Chemieproduktion für flexible Kundenanforderungen

27.04.2018 -

Haben Sie heute Morgen Ihre individuelle Müslimischung genossen, bevor Sie in Ihr nach Ihren Wünschen konfiguriertes Auto gestiegen sind? Auch die Chemieindustrie sieht sich immer öfter individuellen Kundenwünschen gegenüber; die Integration weg vom Produktverkäufer hin zum Lösungsanbieter tut ein Übriges: Flexible Lösungen für kleine Losgrößen müssen her.

Im Zuge der Entwicklung von modularen Konzepten haben Chemiekonzerne und Lieferanten bereits damit begonnen, neue Lösungen für mobile und kleinskalige Produktionsanlagen in verschiedenen Anwendungsgebieten umzusetzen. Und die Bemühungen lohnen sich: Im Februar 2018 ging der Deutsche Innovationspreis für Klima und Umwelt an die Firma Lanxess. Gegenstand der Auszeichnung: Eine modulare Anlage, die aus Reststoffen oder Biomasse Nachgerbstoffe für die Lederindustrie produziert. Die Produktionseinheiten, die sich derzeit in einer Testphase befinden, können von dem Chemieunternehmen geleast werden und setzen vor Ort bspw. die Falzspäne aus der Produktion rückstandsfrei in Biopolymere zur Nachgerbung um. Die Anlagen sind modular und hochgradig automatisiert und können vor Ort schnell in Betrieb genommen werden.

Produktionsanlage im Frachtcontainer
Evonik ist mit seinem EcoTrainer schon seit mehreren Jahren im Geschäft: Die Produktionsanlage im Frachtcontainer eignet sich für die Herstellung von Halbleiterchemikalien ebenso wie für die von Krebsmedikamenten. Auf drei mal drei mal zwölf Metern ist alles untergebracht, was benötigt wird: Reaktoren, Downstream-Processing, IT etc. Per Lkw und Schiff lässt sich der Container in die ganze Welt transportieren und kann am Einsatzort sehr viel schneller produktiv werden, als dies mit klassischen Anlagen möglich ist. Aktuell ist der EcoTrainer Teil eines EU-Projekts, bei dem mit Hilfe von regenerativem Strom Stickstoffdioxid aus der Luft in Dünger umgesetzt werden soll.
In der (bio)pharmazeutischen Industrie gehören flexible Systeme (fast) schon zum Alltag. Bei Impfstoffen bspw. ist die kampagnenweise Produktion in kleinen Volumina mit kurzen Markteinführungszeiten essentiell für den Erfolg. Gleichzeitig müssen die strengen regulatorischen Anforderungen für Pharmazeutika eingehalten werden. Während bei Humanimpfstoffen in der Regel kundenspezifische Verfahren entwickelt werden, kommen deshalb bei Veterinärimpfstoffen oft standardisierte Technologien zum Einsatz. Besonders Single-­Use-Systeme können in diesem Bereich erhebliche Vorteile bringen. Hersteller wie Pall bieten dafür standardisierte Produktionsplattformen auf Single-Use-Basis an.

Losgröße 1 als Realität
Noch einen Schritt weiter geht die personalisierte Medizin, die tatsächlich die plakative Forderung nach „Losgröße 1“ erfüllt: Bei Zelltherapien werden dem Patienten Zellen entnommen, außerhalb des Körpers modifiziert und anschließend in den Körper zurückgebracht. Die Anlagen, die dafür eingesetzt werden, müssen höchste Ansprüche an Flexibilität und Einhaltung der Produktionsbedingungen erfüllen, sehr schnell umrüstbar sein und kleine Produktionsvolumina verarbeiten. Erste Anlagen dafür stehen dem Markt inzwischen zur Verfügung.
Doch die großen Chemiefirmen gehen auch noch andere Wege, um die individualisierten Kundenwünsche besser erfüllen zu können. So hat die BASF im September 2017 die ‚BASF 3D Printing Solutions GmbH‘ gegründet, die das Geschäft mit Materialien, Systemlösungen, Bauteilen und Serviceleistungen ausbauen soll. Damit entwickelt sich die BASF von einem reinen Materialanbieter, der Werkstoffe für den 3D-Druck bereitstellt, zu einem Systemanbieter in diesem Bereich.
Die Vorwärtsintegration öffnet mögliche neue Vertriebskanäle und kann bei der Erschließung von Märkten helfen. Vor allem aber bringt sie die Hersteller näher an die Kunden heran. Die Integration der Supply Chain hat auf die Produktion von Basischemikalien in hohen Tonnagen relativ wenige Auswirkungen – der Produzent ist weit weg vom Kunden, das Produkt selbst kaum spezifisch. Das ändert sich gravierend, wenn integrierte – und damit häufig kundenspezifische – Lösungen angeboten werden soll. Die Unternehmensstrukturen müssen dementsprechend angepasst werden, von der Marketing- und Salesorganisation bis zur Produktion. Sicher kein geringer Aufwand – andererseits aber die Voraussetzung für die Firmen, selbst mit neuen Geschäftsmodellen an den neuen Entwicklungen teilzuhaben und sie nicht anderen zu überlassen.

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