Anlagenbau & Prozesstechnik

CE-Kennzeichnung für komplexe Anlagen

04.06.2018 -

Konstruktionsbegleitende Berücksichtigung der Anforderungen der Maschinenrichtlinie (MRL) spart Kosten und Ressourcen und gibt Rechtssicherheit.


Durch die Umsetzung CE-relevanter Prozesse erreichen Sie eine konsequente Verbesserung der Maschinen- und Anlagensicherheit und erfüllen gleichzeitig alle rechtlichen Anforderungen des Gesetzgebers (Responsibility Management).
Im Sinne der Richtlinie 2006/42/EG wird der Begriff „Maschine“ sehr weit gefasst. Selbst eine Maschinenanlage, eine verkettete Anlage oder eine komplexe Anlage kann eine Maschine nach MRL sein.
Die Richtlinie 2006/42/EG für Maschinen (MRL) regelt:

  • das Inverkehrbringen von Maschinen durch den Hersteller für den freien Warenverkehr im Europäischen Wirtschaftsraum sowie
  • die Inbetriebnahme von Maschinen, die von einem Betreiber für den Eigengebrauch hergestellt werden.

Welche Voraussetzungen bilden nun die Basis für zusammenwirkende Maschinen und/oder unvollständige Maschinen um als „Gesamtheit von Maschinen“ i. S. der MRL zu gelten?
Zu dieser Fragestellung wurde vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) ein Interpretationspapier veröffentlicht. Darin wird definiert, dass Maschinen und/oder unvollständige Maschinen produktions- und sicherheitstechnisch verkettet sein müssen.
Ein produktionstechnischer Zusammenhang ist dadurch gegeben, dass die einzelnen Maschinen bzw. unvollständigen Maschinen:

  • zusammenhängend aufgestellt sind und
  • durch das Zusammenwirken auf ein gemeinsames Ziel hin ausgerichtet sind und
  • über eine gemeinsame oder übergeordnete, funktionale Steuerung oder gemeinsame Befehlseinrichtungen verfügen.

Ein sicherheitstechnischer Zusammenhang ist gegeben, wenn Maschinen und/oder unvollständige Maschinen so miteinander verbunden sind, dass:
ein Ereignis, das bei einem Bestandteil der Anlage auftritt, schnittstellenübergreifend zu einer Gefährdung bei anderen Bestandteilen führt sowie
für diese „Gesamtheit“ sicherheitstechnische Maßnahmen ergriffen werden müssen, um im Gefährdungsfall alle diese Bestandteile in einen gefahrlosen Zustand zu bringen.

Praxisbeispiel Planung Rührwerksanlage
Ein Betreiber plant eine neue Rührwerksanlage für den Eigengebrauch, bestehend aus einem Rührwerksbehälter (1), Pumpe (2), kraftbetätigten Armaturen (3 + 4), Rohrleitungen, Steuerung inkl. MSR-Technik (5) und einem Lagerbehälter (6). Die Baugruppen werden vom Betreiber bei verschiedenen Lieferanten beschafft und in Verantwortung des Betreibers miteinander verkettet.
Im ersten Schritt muss ermittelt werden, ob die Basisdefinition einer „Maschine“ nach MRL erfüllt ist:

  • Gesamtheit miteinander verbundener Teile oder Vorrichtungen -> ja
  • mindestens ein Teil beweglich -> ja
  • Antriebssystem vorhanden oder dafür vorgesehen -> ja
  • bestimmte Anwendung (Stoffaufbereitung und Bereitstellung zur Weiterverarbeitung) -> ja

Im zweiten Schritt wird unter Berücksichtigung des Interpretationspapiers (BMAS) festgelegt, ob eine Gesamtheit von Maschinen vorliegt:

  • Produktionstechnischer Zusammenhang ­vorhanden?
  • zusammenhängende Aufstellung -> ja
  • zusammenwirken auf ein gemeinsames Ziel -> ja
  • eine gemeinsame oder übergeordnete, funktionale Steuerung -> ja

Sicherheitstechnischer Zusammenhang ­vorhanden?

  • Gefährdungsfaktor/Ursache: Kritischer Zustand im Rührwerks- und/oder Lagerbehälter, z. B. durch Druck/Temperatur oder Füllstand, so dass schnittstellenübergreifend sicherheitstechnische Maßnahmen für die Gesamtheit ergriffen werden müssen. -> ja
  • Wirkung: Rührwerk, Pumpe sicherheitsgerichtet stillsetzen und Armaturen energielos in die Sicherheitsstellung bringen.

Liegt als Ergebnis eine produktions- und sicherheitstechnische Verkettung vor, muss der Betreiber als Hersteller der Gesamtheit für den Eigengebrauch im Wesentlichen folgende technische Unterlagen im Sinne der MRL erstellen:

  • Risikobeurteilung (Betrachtung der Schnittstellen und Wechselwirkungen)
  • Betriebsanleitung (beschreibt die Anlage „übergeordnet“, als Bindeglied zwischen den Lieferantendokumentationen)
  • EG-/EU-Konformitätserklärung
  • Kennzeichnung für die Gesamtheit (Typenschild + CE-Zeichen) anbringen.


Praxishinweise
Die Betrachtung der Schnittstellen und Wechselwirkungen sollte in der Planungsphase der Anlage begonnen werden, z. B. hinsichtlich der Festlegung von Sicherheitsfunktionen mit Einstufung des erforderlichen PL bzw. SIL zur Ausführung der sicherheitsgerichteten Teile der Steuerung für die Wirkungskette Sensorik-Logik-Aktorik.
Im Beschaffungsprozess der Maschinen- und Anlagentechnik sollten CE-relevante Aspekte, insbesondere Anforderungen an die zu liefernde Dokumentation im Lastenheft berücksichtigt werden.
Um sicherzustellen, dass in der Risikobeurteilung eine Vielzahl von Gefährdungen erkannt werden, sollte bei prozess- und verfahrenstechnischen Anlagen die Risikobeurteilung unter Berücksichtigung der Schutzziele aus dem Anhang I der MRL mit einer systematischen Betrachtung zu Aspekten der Verfahrenssicherheit durch eine Hazop-Studie/PAAG-Methode kombiniert werden.
Die nach MRL erstellte Risikobeurteilung kann vom Arbeitgeber (Betreiber) u. a. zur Erfüllung der gesetzlichen Anforderungen zur Arbeitssicherheit als Bestandteil der arbeitsmittelbezogenen Gefährdungsbeurteilung nach § 3 Betriebssicherheitsverordnung (BetrSichV) verwendet werden.

Fazit
Durch die vielschichtigen Definitionen können auch komplexe verfahrenstechnische Anlagen der Richtlinie 2006/42/EG unterliegen obwohl sie dem ersten Anschein nach nicht die Voraussetzungen erfüllen. Nur eine Prüfung im Einzelfall kann hier Sicherheit geben.

Hinweis
Die Verbindung von Einzelmaschinen durch ein gemeinsames NOT-HALT-Befehlsgerät stellt alleine noch keine Gesamtheit von Maschinen dar.
In der praktischen Anwendung des Begriffs der „Gesamtheit von Maschinen“ stellt sich insbesondere bei industriellen Großanlagen (z. B. Hüttenwerken, Kraftwerken oder Anlagen der chemischen Industrie) die Frage, inwieweit solche Anlagen als Gesamtheit von Maschinen den Anforderungen der MRL unterliegen.
Häufig ist zwar der produktionstechnische Zusammenhang vorhanden, i. d. R. aber nicht der sicherheitstechnische Zusammenhang. In diesem Fall unterliegen solche Anlagen als Gesamtheit nicht den Anforderungen der MRL möglicherweise jedoch einzelne Anlagenteile.
Auf den Sachverhalt hinsichtlich kompletter industrieller Großanlagen bezieht sich auch der „Leitfaden zur Anwendung der EG-Maschinenrichtlinie 2006/42/EG“ der Europäischen Kommission, der im § 38 hierzu feststellt, dass die Begriffsbestimmung „Gesamtheit von Maschinen“ nicht notwendigerweise auf eine komplette industrielle Anlage in ihrer Gesamtheit angewendet werden muss.
Es wird aber darauf verwiesen, dass diese Anlagen gewöhnlich in einzelne Gesamtheiten von Maschinen im Sinne von homogenen Funktionseinheiten wie z.B. Produktentladung und -zuführung sowie Verarbeitungs-, Verpackungs- und Beladeeinheiten unterteilbar sind, für die jeweils die Anforderungen der MRL anzuwenden sind.

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