Strategie & Management

Messer steigt wieder zu einem globalen Akteur im Industriegasemarkt auf

Die Fusion der Wettbewerber Linde und Praxair verhilft der Messer Gruppe zur Rückkehr in den amerikanischen Gasemarkt

12.11.2018 -

Die Ende Oktober genehmigte Fusion zwischen Linde und Praxair bringt den einstigen zweitgrößten deutschen Industriegaseanbieter Messer unerwartet früh wieder auf die globale Bühne zurück. Das Familienunternehmen aus Bad Soden erwirbt Geschäftsaktivitäten in Nord- und Südamerika – mehr noch als zunächst geplant -, die von Linde aufgrund kartellrechtlicher Auflagen abgegeben werden müssen. Michael Reubold sprach mit Stefan Messer, CEO und Eigentümer der Messer Gruppe, über die einzigartige Chance, wieder auf globaler Ebene im Industriegasemarkt mitzuspielen.

CHEManager: Herr Messer, im Juli hatten Sie eine Vereinbarung zur Übernahme des überwiegenden Teils des Gasegeschäfts von Linde in Nordamerika sowie einzelner Geschäftsaktivitäten in Südamerika getroffen. Im August kam plötzlich die Nachricht, dass die Fusion zwischen Linde und Praxair aufgrund erhöhter Auflagen der US-Kartellaufsicht platzen könnte. Damit begann für Sie eine mehr als zweimonatige Hängepartie. Wie erleichtert waren Sie, als die Fusion Ende Oktober durch die US-Behörden genehmigt wurde?

Stefan Messer: Ich habe mich sehr gefreut, dass der Merger von Linde/Praxair nun auch von der Federal Trade Commission final genehmigt wurde, nachdem wir schon so lange an der Übernahme der zu verkaufenden Assets in Amerika arbeiten. Wir rechnen jetzt mit einem Closing unserer Transaktion zu Beginn des neuen Jahres 2019.

Bringen Sie uns doch einmal auf den neuesten Stand. Welche Geschäftsaktivitäten erwerben Sie von Linde/Praxair nach der nun endgültigen Freigabe der Federal Trade Commission?

S. Messer: Wir übernehmen interessante Assets in einem beträchtlichen Volumen in USA, Kanada, Kolumbien, Brasilien und Chile: 45 Luftzerlegungsanlagen, 18 CO2-Werke, 12 Helium-Füllstationen und eine Wasserstoff-Flüssiganlage sowie 12 Füll- und Distributionswerke für technische Gase und Spezialgase. Die erworbenen nord- und südamerikanischen Gesellschaften haben mit circa 5.100 Beschäftigten im Jahr 2017 einen Umsatz von 1,7 Mrd. USD bei einem EBITDA von etwa 360 Mio. USD erwirtschaftet. Auf dieser Basis kann man sehr gut aufbauen, um weiter zu wachsen.

Zum Zweck dieser Übernahmen haben Sie mit CVC Capital Partners das Joint Venture Messer Industries gegründet. Welche Strategie steckt dahinter?

S. Messer: Messer Industries ist eine neue Tochtergesellschaft. Wir bringen Assets in Form unserer westeuropäischen Aktivitäten ein, die 2017 einen Jahresumsatz von 334 Mio. EUR erzielt haben. CVC bringt Cash ein, weil wir ja Geld brauchen, um den Kaufpreis zu bezahlen. Den Rest finanzieren wir über Bankdarlehen der Messer Industries, so dass sich die verbleibende Messer Group mit ihren Aktivitäten in Osteuropa und Asien nicht höher verschuldet. Unsere derzeitige Verschuldung liegt etwa bei einem Jahres-EBITDA, was sehr komfortabel ist. Da unser Westeuropageschäft etwas mehr wert ist als der Cash-Beitrag von CVC, halten wir eine Mehrheit an Messer Industries von 58%, haben aber mit CVC paritätisches Stimmrecht vereinbart.

Wir haben dieses Konstrukt gewählt, weil wir auf der einen Seite mit der Messer Group weiter organisch wachsen wollen, besonders in Asien, wo wir viele Projekte angestoßen haben, und weil auf der anderen Seite die neu erworbenen Geschäfte in Nord- und Südamerika konsolidiert und kosteneffizient geführt werden müssen. Beides kann man nicht mit einer einheitlichen Strategie machen, also haben wir die beiden Bereiche voneinander getrennt.

„Wir übernehmen interessante Assets in einem beträchtlichen Volumen.“

Welche Ziele verfolgt denn der Finanzinvestor CVC mit der Partnerschaft?

S. Messer: CVC ist natürlich an einem lukrativen Exit nach vier oder fünf Jahren interessiert und weiß, dass wir das Geschäft dann gerne in die Messer Group integrieren möchten. Doch zuvor müssen wir das Geschäft aber konsolidieren, vielleicht hier und da ein bisschen beschneiden um möglichst schnell die hohe Verschuldung von Messer Industries abzubauen.

Gibt es eine Exit-Strategie?

S. Messer: Grundsätzlich gibt es drei Möglichkeiten. Entweder wir schaffen es, die Schulden in vier bis fünf Jahren deutlich zu reduzieren und kaufen dann die Anteile von CVC, um die Assets der Messer Industríes in die Messer Group zu integrieren. Oder wir beteiligen ein Familien-Office, falls die Schulden noch zu hoch sein sollten. Und wenn auch das nicht funktioniert, kann man immer noch einen Börsengang machen, wobei das nicht der Favorit unserer Familie wäre. Ich würde das Geschäft lieber als Familienunternehmen weiterführen, darauf arbeiten wir gemeinsam mit CVC hin.

Sie werden mit den Zukäufen Ihren bisherigen Jahresumsatz von gut 1,2 Mrd. EUR in 2017 und Ihre Mitarbeiterzahl mehr als verdoppeln und wieder zu einem Global Player aufsteigen. Wie stellen sich die Kräfte- oder Größenverhältnisse im Industriegasemarkt künftig dar? Kann es noch zu einer weiteren Konzentration kommen?

S. Messer: Viel mehr kann da nicht gehen, weil es jetzt nur noch die drei großen globalen Konzerne Linde/Praxair, Air Liquide und Air Products gibt. Danach kommt die um das Europageschäft von Praxair gewachsene Taiyo Nippon Sanso und dann kommen wir mit den von Linde erworbenen Aktivitäten als weiterer internationaler Anbieter. Den Rest des Marktes teilen sich kleinere, regionale Firmen.

Wie verteilt sich denn Ihr Geschäft heute und künftig mit den erworbenen amerikanischen Aktivitäten auf die Regionen?

S. Messer: Heute macht Europa in der Messer Group etwa 61% aus, der China-Anteil liegt bei 36% und der Rest von Asien – das ist derzeit hauptsächlich Vietnam – beträgt ungefähr 3%. Aber auch in den anderen asiatischen Ländern um Vietnam herum – Thailand, Malaysia, Indonesien, wo wir überall schon unter Messer Griesheim waren – wollen wir wieder Fuß fassen. Wenn wir die Aktivitäten zusammenlegen, würde nach derzeitigem Stand Amerika fast die Hälfte und Europa/Asien die andere Hälfte ausmachen. Aber wer weiß, was bis dahin noch passiert. Vielleicht werden wir Teile verkaufen, damit es nachher leichter ist, das Geschäft zusammenzuführen.

Sie hatten mit Messer Griesheim Anfang des Jahrtausends einen Marktanteil von knapp 5%. Ist es Ihr Ziel, da wieder hinkommen?

S. Messer: Uns ist es eigentlich egal, welchen Marktanteil wir global haben. Wichtig ist, dass wir ein nachhaltiges und in einigen Regionen starkes Geschäft haben und dabei genug verdienen, damit wir weiter wachsen können. Aber wieviel Marktanteil wir heute haben, das weiß ich gar nicht so genau, es dürften schätzungsweise etwa 3%-4% sein.

„Ich möchte das Geschäft als Familienunternehmen weiterführen, ein Börsengang wäre nicht der Favorit unserer Familie.“

2004 mussten Sie Ihre Geschäftsaktivitäten in Deutschland an Air Liquide abgeben. Welche Rolle spielt der Heimatmarkt im Moment und soll er in der Zukunft spielen?

S. Messer: Deutschland spielt für uns mittlerweile wieder eine große Rolle. Wir haben hier ein ganz neues Geschäft aufgebaut, das natürlich bei weitem nicht so groß ist wie es früher einmal war. Aber immerhin wir haben zwei große Luftzerlegungsanlagen in Salzgitter und in Siegen, eine dritte Anlage ist in Speyer im Bau, und so können wir deutschlandweit auch wieder Produkte anbieten.

Was mich am deutschen Markt besonders interessiert, sind neue Technologien, weil es viele Unternehmen gibt, die daran interessiert sind. Und deshalb haben wir auch im Sommer das neue Entwicklungszentrum in Krefeld eingerichtet, wo wir mit anderen deutschen Unternehmen an neuen Verfahren für industrielle Anwendungen in der Lebensmittel- und Chemieindustrie arbeiten. Ich finde Deutschland sehr wichtig, weil hier viele neuen Entwicklungen entstehen, die man später auch auf andere Länder übertragen kann.

Welche neuen Technologien oder Anwendungsgebiete wachsen in Zukunft überproportional?

S. Messer: Die Lebensmitteltechnik, in der sehr viele Gase gebraucht werden, wächst relativ stark. Da gibt es dauernd neue Anwendungen. Bei Verfahren zum Kühlen, Frosten, Verpacken und Transportieren von Lebensmitteln ist auch Linde in den USA sehr stark, was uns nun zugutekommt.

Aber es gibt auch viele industrielle Anwendungen, wo man Stickstoff als Kältemittel oder als Inertgas einsetzt. Kaltmahlen ist ein großer Bereich, der auch sehr stark wächst und wo wir mittlerweile in Asien schon viele Kunden haben zum Beispiel zum Mahlen von Gewürzen. Ein starkes Wachstum gibt es auch im Elektronikbereich, natürlich gerade in Asien. Dort werden hochreine Gase gebraucht, aber auch Lachgas, für das wir in China die Kapazitäten noch erweitern werden. Und im CO2-Bereich gibt es starkes Wachstum in der Getränkeindustrie, in der Umwelt- und der Medizintechnik.

Messer Gruppe

Das 1898 in Frankfurt von Adolf Messer gegründete Familienunternehmen wurde 1964 mit Teilen der Hoechst AG zu Messer Griesheim zusammengeführt. Infolge der Aufspaltung des Hoechst-Konzerns im Jahr 2000 wurden Firmenanteile von Finanzinvestoren übernommen. 2004 kaufte die Familie die Anteile zurück und reprivatisierte das Unternehmen nach dem Verkauf der Geschäfte in Deutschland, Großbritannien und den Vereinigten Staaten an Air Liquide. Heute ist die Messer-Gruppe, die aus Bad Soden und Krefeld gelenkt wird und 2017 mit 5.675 Beschäftigten einen Umsatz von 1,232 Mrd. EUR erwirtschaftete, der größte privat geführte Produzent von Industrie-, Medizin- und Spezialgasen und bietet von Acetylen bis Xenon ein Produktportfolio, das als eines der größten im Markt gilt.
 

Zur Person

Stefan Messer (63) ist seit 2004 CEO der Messer Group. Zuvor hatte der gelernte Industriekaufmann seit 1979 verschiedene Positionen bei Messer Griesheim inne, zuletzt war er von 1998 bis 2004 Mitglied der Geschäftsführung. Messer engagiert sich ehrenamtlich in zahlreichen Organisationen, Gremien und Stiftungen, u.a. als Vizepräsident und Mitglied der Vollversammlung sowie Vorsitzender des Außenwirtschaftsausschusses der IHK Frankfurt am Main, als Mitglied des Außenwirtschaftsausschusses der DIHK in Berlin, als Präsidiumsmitglied der International Chamber of Commerce, als Vorsitzender der International Oxygen Manufacturers Association und als Vorstandsmitglied der European Industrial Gases Association sowie der Handelskammer Deutschland-Schweiz. Zudem ist er Ehrensenator der Technischen Universität Darmstadt und der Goethe-Universität Frankfurt am Main sowie Kuratoriumsmitglied des Fachbereichs Wirtschaftswissenschaften und des China Instituts an der Goethe-Universität Frankfurt.

 

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Messer Group GmbH

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