Chemie & Life Sciences

Zwei Milliarden Menschen ohne Zugang zu Therapien

Access-to-Medicine-Index zeigt: Zugang zu wichtigen Arzneimitteln in ärmeren Ländern verbessert, doch es bleibt noch viel zu t

08.07.2019 -

Alle Menschen haben ein Grundrecht auf die bestmögliche Gesundheitsversorgung, heißt es in der Satzung der Weltgesundheitsorganisation (WHO). Tatsächlich hat sich bei der medizinischen Versorgung vor allem in ärmeren Ländern viel getan. Andererseits haben noch immer Milliarden Menschen keinen Zugang zu dringend benötigten Medikamenten, wie der aktuelle Access-to-Medicine-Index zeigt. Die Studie untersucht die Bemühungen führender Pharmaunternehmen, den Zugang zu Arzneimitteln in Staaten mit niedrigem und mittlerem Einkommen zu verbessern.

Eine gute medizinische Primärversorgung ist der Schlüssel zur Verbesserung der Gesundheit aller Menschen. Darauf haben sich die Staats- und Regierungschefs der Welt bereits vor Jahrzehnten geeinigt. Dieses Bekenntnis haben sie im Oktober 2018 auf der globalen Konferenz zur primären Gesundheitsversorgung in der kasachischen Hauptstadt Astana erneuert. Tatsächlich hat sich die Gesundheit der Menschheit deutlich verbessert. Wie aus dem aktuellen Bericht der Access to Medicine-Stiftung hervorgeht, ist die globale Kindersterblichkeit von 1990 bis 2013 um rund 50 % zurückgegangen. Die Zahl der AIDS-Toten ist seit 2005, dem Höhepunkt der Epidemie, um 48 % gesunken. Mehr als die Hälfte der Menschen mit HIV bzw. AIDS erhält heute eine antivirale Therapie. 2015 hatten 71 % aller Länder einen nationalen Plan zur Bekämpfung von Krebs – fünf Jahre zuvor betrug die Quote noch 50 %. Dank Impfkampagnen dürften Polio in Haiti, Meningitis in 26 Ländern der Sub-Sahara sowie Hepatitis B in China in absehbarer Zeit eliminiert werden.

„Die meisten Pharmafirmen beschäftigten sich nicht oder nur in geringem Umfang mit den als vorrangig eingestuften Indikationen.“

Dazu kommen neue, innovative Arzneimittel, die in den vergangenen fünf bis zehn Jahren neue Therapieerfolge möglich gemacht haben. Mit ihrer Hilfe kann Hepatitis C nach und nach eliminiert werden. Die Immuntherapie hat sich zu einer klinisch bewährten Behandlung vieler Krebsarten entwickelt und die krebsbedingten Sterblichkeit deutlich reduziert. Auch die Bemühungen im Kampf gegen antimikrobielle Resistenzen, bei denen Krankheitserreger wie Bakterien oder Viren gegen gängige Medikamente immun werden, haben stark zugenommen.

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Effekt von Gesundheitsprojekten
Wie wirken sich Initiativen auf die Gesundheitssysteme aus? Welchen Einfluss haben die eigenen Produkte auf die Gesellschaft? Um derartige Fragen zu beantworten, begann Novartis ein Verfahren zu entwickeln, das die Auswirkungen der eigenen Aktivitäten auf die Gesellschaft aus finanzieller, ökologischer und sozialer Sicht messen und bewerten soll. „Dies wird auch den Zugang zu Medikamenten an den Orten, in denen Novartis tätig ist, erleichtern“, heißt es.

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Zwei Milliarden ohne Zugang
Trotz dieser Erfolge gibt es auch die anderen Zahlen: So haben immer noch weltweit zwei Mrd. Menschen keinen Zugang zu den Medikamenten, die sie benötigen. Nach wie vor sterben in Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommen jedes Jahr Millionen von Menschen an Krankheiten, weil Impfstoffe, Medikamente und Diagnosetests nicht verfügbar oder unbezahlbar sind, wie ebenfalls aus dem Bericht der Access to Medicine-Stiftung hervorgeht. Die Studie untersucht alle zwei Jahre, was die 20 führenden forschenden Pharmaunternehmen tun, um den Menschen in Entwicklungsländern einen besseren Zugang zu Medikamenten zu ermöglichen. Im Blick haben die Autoren dabei 106 Länder, in denen 77 % der Weltbevölkerung lebt.
Auch die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) sieht in einer eigenen Untersuchung trotz unzweifelhafter Fortschritte in der medizinischen Versorgung noch erhebliche Herausforderungen. So seien die Kosten für viele neue Arzneimittel mittlerweile so hoch, dass deren Verfügbarkeit nur eingeschränkt gewährleistet sei. Die Forschung- und Entwicklung sei teuer und komplex. Die erwarteten Umsätze bei der Vermarktung seien teilweise nicht hoch genug, um ausreichend Anreize zur Entwicklung dringend benötigter Produkte zu schaffen. Und nicht zuletzt sei die Kosten- und Preisstruktur im Pharmamarkt oft undurchsichtig, so die OECD.

„Weltweit haben immer noch zwei Milliarden Menschen keinen Zugang zu den benötigten Medikamenten.“

Nach Angaben der Access-to-Medicine-Studie gibt es teilweise sogar Rückschläge in der medizinischen Versorgung: So ging die globale Sterblichkeitsrate 2017 weniger stark zurück als in den Jahren davor. Die sogenannten nicht übertragbaren Krankheiten (NCDs) wie Diabetes, Krebs oder Herz-Kreislauf-Erkrankungen waren dem Bericht zufolge 2017 für 73,4 % aller Todesfälle verantwortlich, ein Zuwachs von 22,7 % seit 2007. Die Gründe lägen teilweise in der beschleunigten Urbanisierung, einer schlechteren Ernährung und einem ungesunden Lebensstil. Auch die Ausmaße antimikrobieller Resistenzen nähmen trotz aller Anstrengungen auf diesem Gebiet ständig zu. Dieses Phänomen verursache mittlerweile jedes Jahr mehr als 700.000 Todesfälle – Tendenz zunehmend.
Angesichts dieser Situation wird Jayasree K. Iyer, Geschäftsführerin der Access-to-Medicine-Stiftung, häufig die Frage gestellt, wie pharmazeutische Innovationen möglichst viele Menschen erreichen können? Die Antwort kann sie nicht in einem Satz geben. Nach Einschätzung der Managerin halten Pharmaunternehmen aber einen wichtigen Schlüssel in der Hand, um an dieser Lage etwas zu ändern. Immerhin seien sie es, die die Arzneimittel entwickeln und produzieren. Sie verfügten über das Fachwissen, um neue und noch wirksamere Medikamente auf den Markt zu bringen. Sie könnten Einfluss darauf nehmen, dass die Produkte bezahlbarer werden. Und sie seien aufgrund ihrer Größe in der Lage, die Gesundheitsinfrastrukturen und Lieferketten in weniger entwickelten Ländern zu stärken.

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Allianz gegen Krebs
Das japanische Pharmaunternehmen Takeda hat die „Cancer Alliance“ für Subsahara-Afrika ins Leben gerufen. Dabei handelt es sich um eine Kooperation mit anderen Pharmafirmen, staatlichen Stellen sowie gemeinnützigen Organisationen. Das Ziel ist es, den Zugang zu Dienstleistungen rund um die Krebsbehandlung in der Region zu verbessern.

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GSK erneut auf Platz 1
Bereits seit Jahren belegt der britische Pharmakonzern GlaxoSmithKline (GSK) in dem Ranking den ersten Platz – so auch in der jüngsten Untersuchung. Die Autoren des Index´ heben lobend hervor, dass GSK es zu einem Pfeiler seiner Geschäftspolitik gemacht habe, seine Medikamente möglichst vielen Menschen zu bezahlbaren Preisen zur Verfügung zu stellen. Während der Schweizer Pharmariese Novartis Platz zwei und Johnson & Johnson Rang drei belegen, bringt es der Darmstädter Pharma- und Chemiekonzern Merck in dem Ranking wie schon zuvor auf einen beachtlichen vierten Platz. Boehringer Ingelheim liegt als weiteres deutsches Unternehmen auf Rang 14 (vormals: 16), Bayer hat sich hingegen um zwei Plätze auf Rang 16 verschlechtert. Den größten Sprung nach vorne hat der japanische Takeda-Konzern gemacht, der sich gegenüber 2016 um zehn Plätze auf Rang fünf verbessert hat.
Den Spitzenplatz belegt GSK demnach auch im Bestreben, die eigenen Forschungs- und Entwicklungstätigkeiten auf Indikationen und Präparate zu fokussieren, die von der Weltgesundheitsorganisation WHO als vorrangig eingestuft werden. Dabei handelt es sich um Arzneimittelkandidaten gegen Krankheiten wie Malaria, HIV/AIDS oder Tuberkulose. GSK und die in diesem Segment zweitplatzierte Sanofi widmen sich in ihren Forschungsprojekten zu mehr als 60 % diesen als dringlich angesehenen Krankheiten. Andererseits sind es neben diesen beiden Unternehmen mit Johnson & Johnson, Merck und Novartis nur fünf Pharmakonzerne, die das Gros derartiger Forschungs- und Entwicklungsprojekte auf sich vereinigen. Anders gesagt: Die meisten Pharmaunternehmen beschäftigten sich nicht oder nur in geringem Umfang mit diesen als vorrangig eingestuften Indikationen bzw. Therapien.

Die Grenzen von Initiativen
Der Blick auf‘s Detail zeigt außerdem, dass so manche Initiative der Pharmaindustrie für einen verbesserten Medikamentenzugang seine Grenzen hat. So konzentrieren sich die Zugangsinitiativen für Krebserkrankungen meist auf die Preisgestaltung. Zudem fokussieren sich die Initiativen durchschnittlich auf weniger als fünf Schlüsselländer und erreichen oft nur kleinere Bevölkerungsgruppen.
Einen großen Unsicherheitsfaktor sehen die Studienautoren zudem in der geringen Anzahl an Pharma­unternehmen, die sich überhaupt dem Zugangsthema widmen. Sollte sich nur einer dieser Konzerne aus der Initiative zurückziehen, hätte dies gravierende Auswirkungen auf den Zugang zu Arzneimitteln in ärmeren Staaten insgesamt. „Mehr Zugangs- und Versorgungssicherheit kann nur erreicht werden, wenn sich auch mehr Pharmafirmen langfristig engagieren“, so Geschäftsführerin Iyer.
Zudem drohen neue Herausforderungen. So zeigt sich zunehmend, dass der Klimawandel Auswirkungen auf die Arzneimittelversorgung insbesondere von Inselnationen und isolierten Gemeinschaften hat. Auch Krankheiten, die auf Tiere zurückgehen, breiten sich aus.
Um den Zugang zu wichtigen Therapien zu verbessern, sollte nach Auffassung der OECD der Wert medizinischer Ausgaben steigen, sprich: Für jeden investierten Euro oder Dollar sollte ein maximaler Gegenwert erzielt werden. Das könne bspw. bedeuten, die Höhe der Investitionen an die Höhe der erwarteten Umsätze anzupassen. Das könne auch bedeuten, variable Preise und Bezahlmethoden einzuführen. Zudem sollten die Verkaufspreise an den wirtschaftlichen Stand in den jeweiligen Absatzmärkten angepasst werden. Die OECD-Experten plädieren außerdem für mehr Wettbewerb und eine bessere Kommunikation zwischen den verschiedenen Interessengruppen im Gesundheitsmarkt.
Access-to-Medicine-Managerin Iyer jedenfalls hofft, dass das Ranking ihrer Organisation einen positiven Wettstreit auslöst, bei dem die Pharmaunternehmen ihre eigenen Aktivitäten zur Verbesserung des Arzneimittelzugangs mit denen anderer Unternehmen vergleichen. Iyer: „Wir wünschen uns, dass es ein Rennen darum gibt, wer mehr Gutes tut.“

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Herausforderung HIV
Jeden Tag müssen über 20 Mio. Menschen mit HIV-Präparaten versorgt werden. Um das erreichen zu können, haben einige Pharmaunternehmen freiwillige Lizenzvereinbarungen mit Generikaherstellern in Indien und Afrika getroffen. So können eigentlich patentgeschützte Medikamente kostengünstig hergestellt und vertrieben werden.

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