Anlagenbau & Prozesstechnik

Risikobetrachtung

Wie steht es mit der Maschinenrichtlinie in verfahrenstechnischen Anlagen

30.10.2019 -

Hinsichtlich der funktionalen Sicherheit sind Druckgeräte in Prozessanlagen zumeist von der Maschinenrichtlinie ausgenommen. Deren Beziehung zur Verfahrenstechnik zeigt dieser Beitrag.

In der Prozessindustrie werden EG-Richtlinien und Normen angewendet, um die verfahrenstechnische Anlage entsprechend der gewünschten Funktion anwenden oder gemäß CE-Konformitätsverfahren Inverkehrbringen zu können. Das Ziel ist dabei, alle potenziellen Gefahren vollständig zu ermitteln. Unter verfahrenstechnischen Anlagen werden insbesondere chemische Produktions- oder thermische Trennprozesse verstanden. Dabei gehen von der Anlage oder Maschine während des Gesamt-Lebenszyklus von Planung, Konstruktion, Installation, Inbetriebnahme und Betrieb bis hin zu Wartung Gefahren für Mensch, Maschine und Umwelt aus. Um die Risiken auf ein vernünftiges Maß zu begrenzen, werden Geräte wie Stell- und Sperreinrichtungen, Pumpen zur Förderung von Stoffen oder Einrichtungen bspw. zum Temperieren oder Mischen von Stoffen eingesetzt.
Bei der Planung und der Einstufung der Anlage oder Maschine ergeben sich dabei typische Fragestellungen:

  • Welche Normen sind für die Maschinenrichtlinie oder die verfahrenstechnische Anlage relevant?
  • Wie sind die oben genannten Teile der verfahrenstechnischen Anlage im Sinne der Maschinenrichtlinie einzuordnen?
  • Was bedeutet „Gesamtheit von Maschinen“?
  • Was bedeutet „unvollständige Maschine“?
  • Was bedeutet in der DIN EN 61508-4 hinsichtlich der Gesamtsicherheit der Maschine oder Anlage?

Relevante Richtlinien und Normen
Aufgrund der gestiegenen Komplexität von Maschinen und Anlagen war es notwendig, ein Standardisierungsgrad zu erreichen. Hierzu wurde eine „Sicherheits-Grundnorm“ DIN EN 61508 erstellt, in der die „Funktionale Sicherheit“ bezüglich sicherheitsbezogener elektrischer/ elektronischer und programmierbarer elektronischer Systeme grundsätzlich beschrieben wird.

Anwendungsbereiche der Maschinenrichtlinie
Die Richtlinie 2006/42/EG wird allgemein als „Maschinenrichtlinie“ bezeichnet und deckt folgende Anwendungsbereiche ab:

  • Maschinen

Dabei ist eine Maschine eine mit einem anderen Antriebssystem als der unmittelbar eingesetzten menschlichen oder tierischen Kraft ausgestattete oder dafür vorgesehene Gesamtheit miteinander verbundener Teile oder Vorrichtungen, von denen mindestens eines bzw. eine beweglich ist und die für eine bestimmte Anwendung zusammengefügt sind,
  • der lediglich Teile fehlen, die sie mit ihrem Einsatzort oder mit ihren Energie- und Antriebsquellen verbinden
  • und die erst nach Anbringung auf einem Beförderungsmittel oder Installation in einem Gebäude oder Bauwerk funktionsfertig ist.

  • Gesamtheit von Maschinen

Dies bedeutet eine Gesamtheit von Maschinen, die, damit sie zusammenwirken, so angeordnet sind und betätigt werden, dass sie als Gesamtheit funktionieren.
  • auswechselbare Ausrüstungen
  • Sicherheitsbauteile
  • Lastaufnahmemittel
  • Ketten, Seile, Gurte
  • abnehmbare Gelenkwellen
  • unvollständige Maschinen:
   Dieser Terminus bezeichnet eine Gesamtheit, die fast eine Maschine bildet, für sich genommen aber keine bestimmte Funktion erfüllen kann.

Ein Antriebssystem stellt eine unvollständige Maschine dar. Eine unvollständige Maschine ist nur dazu bestimmt, in andere Maschinen oder in andere unvollständige Maschinen oder Ausrüstungen eingebaut oder mit ihnen zusammengefügt zu werden, um zusammen mit ihnen eine Maschine im Sinne der Maschinenrichtlinie zu bilden.
Gemäß Artikel 1 der Maschinenrichtlinie gibt es einige Ausnahmen. Dazu zählen Maschinen, deren einzige Kraftquelle die unmittelbar angewandte menschliche Arbeitskraft ist (wobei hiervon wiederum Maschinen ausgenommen sind, die zum Heben von Lasten verwendet werden) sowie Elektromotoren. Weiterhin ausgenommen sind Maschinen für medizinische Zwecke, die in direktem Kontakt mit den Patienten verwendet werden, feststehende und verfahrbare Jahrmarktgeräte, Dampfkessel und Druckbehälter und Waffen.

DIN EN 61508-4 bzgl. der Gesamtsicherheit der Maschine oder Anlage
Gemäß DIN EN 61508-4 stellt die funktionale Sicherheit einen Teil der Gesamtsicherheit einer Maschine oder Anlage dar. Sie umfasst die Sicherheit, welche von der korrekten Funktion risikomindernder Systeme abhängt. Zu diesen Systemen zählen elektrische, elektronische sowie programmierbare elektronische Systeme (E/E/PE-Systeme). Sie führen Sicherheitsfunktionen aus und müssen in definierten Fehlerfällen mit einer bestimmten Zuverlässigkeit agieren. Das Ziel der funktionalen Sicherheit ist einerseits die Minimierung der Gefährdungen, die von einer Anlage ausgehen, andererseits jedoch die Funktion der Anlage durchgehend zu gewährleisten. Dies gilt auch außerhalb der normalen Betriebszustände, bspw. in Störfällen, in denen die Maschine ihre Funktion bis zu einem gewissen Maß ausüben kann.
Zur Frage, ob eine verfahrenstechnische Anlage eine Maschine ist, gibt das CE-Konformitätsverfahren Auskunft. Der Maschinenbauer muss die oben genannten Punkte bewerten, um eine CE-Kennzeichnung für seine Maschine machen zu können. Dabei ist es sehr wichtig, die einzelnen Maschinen (M1, M2, M3…), die bereits miteinander verkettet sind, als Gesamtheit gemäß folgendem Schema zu betrachten.
Spätestens wo eine chemische Umformung stattfindet, wird der Maschinenbauer erkennen, dass die verfahrenstechnische Anlage nicht als „Gesamtheit von Maschinen“ eingestuft werden kann. Bei näherer Betrachtung wird der Maschinenbauer feststellen, dass einzelne Maschinen vor-/ während und nach der chemischen Umformung benötigt werden. Die einzelnen Maschinen wie z. B. Pumpen, Rührbehälter (Mischen) werden dagegen von der Maschinenrichtlinie erfasst, daher müssen dieser mit einer CE-Kennzeichnung gemäß Maschinenrichtlinie 2006/42/EG versehen werden. Zusammengefasst ist es nicht möglich, für eine verfahrenstechnische Anlage in ihrer Gesamtheit eine CE-Kennzeichnung im Sinne der Maschinenrichtlinie anzubringen. Die verfahrenstechnische Anlage in ihrer Gesamtheit stellt keine Maschine dar. Teile einer Verfahrenstechnischen Anlage können jedoch unter den Anwendungsbereich der Maschinenrichtlinie oder andere Richtlinien fallen, sodass für diese eine Konformitätsbewertung bzw. eine CE-Kennzeichnung gemäß der jeweiligen Richtlinie notwendig ist.

Fazit
Die Ziele aus Sicht eines Anlagenbetreibers, die Produktivität und Sicherheit seiner Anlage zu erhöhen und zu gewährleisten, wird durch funktionale Sicherheit erzielt und minimiert das Risiko bzgl. der Folgekosten, die durch Unfälle entstehen können. In der Praxis kommt es dabei zu Schwierigkeiten, da sich chemisch-pharmazeutische Industrie von der Maschinenhersteller unterscheidet. Das Gesamtrisiko der verfahrenstechnischen Anlage muss immer vom Betreiber im Rahmen der Gesamt-Sicherheitsbetrachtung bewertet werden. Dabei müssen die Bestandteile wie die einzelnen Maschinen oder Teile, die Anforderungen der relevanten Normen und / oder Richtlinien erfüllen. Beispiel: Maschinen in verfahrenstechnische Anlagen:

  • Schritt 1: Die Grenzen der einzelnen Maschinen, die in eine verfahrenstechnische Anlage eingesetzt werden, müssen definiert sein und die bestimmungsgemäße Verwendung muss bekannt sein.
  • Schritt 2: Die einzelnen Maschinen werden gemäß ISO 12100 bewertet (Risikobewertung).
    • Abhängigkeiten zwischen Maschinen müssen betrachtet werden.
    • Auch Abhängigkeiten des Anlagenumfelds müssen betrachtet werden.
  • Schritt 3: Je nach relevanter Norm müssen die richtigen Risikobewertungsverfahren angewendet werden um die Anforderungen bzgl. ISO 13849- 1 „PL“ und/oder IEC 62061 „SIL“ zu erfüllen.
  • Schritt 4: Die einzelnen Maschinen werden gemäß relevante Normen EN ISO 13849-1 / EN 62061 / … gestaltet.
  • Schritt 5: Verfahrenstechnische Risiken, die nicht durch angewendete Normen und Richtlinien abgedeckt werden, müssen durch weitere sicherheitstechnische Einrichtungen gemindert werden. Diese können dann z. B. gemäß IEC 61511 oder VDI/VDE 2180 realisiert werden.

Der Hersteller (in diesem Fall: Maschinenbauer)/Betreiber (Verfahrenstechnik) muss daher die geltenden Richtlinien sorgfältig aussuchen und auf die Anwendbarkeit prüfen. Treffen mehrere EG-Richtlinien zu, so ist es zu beachten, was in dem jeweiligen Anwendungsbereich der Richtlinie steht. Sobald sicher feststeht, unter welche Richtlinie(n) die Anlage oder Teile davon fällt, kann das Inverkehrbringen unter Einhaltung der Sicherheitsziele erfolgreich durchgeführt werden.