Forschung & Innovation

MSR Keim - Augen zu und durch…

06.11.2019 - Was muss einer Person, die sich seit Jahren mit resistenten Keimen beschäftigt durch den Kopf gehen, wenn sie sich in Kürze einem medizinischen Eingriff unterziehen muss.

Seit mehreren Wochen erinnert mich immer wieder, dass was ich den Reinraum-Mitarbeitern versuche beizubringen: „Vermeidung von Keimverschleppungen, Erzeugung von Kontaminationsnestern bzw. -Quellen und vor allem die eigene Hygiene“. Ohne die Berücksichtigung dieser Themenfelder ist ein Arbeiten in einem Reinraum unvorstellbar. Noch vor geraumer Zeit habe ich die Reinraum Mitarbeiter eines weltweit anerkannten Konzerns auf die Arbeit im Reinraum vorbereitet. Dabei wurden die Themen wie z. B.:

  • Das Hygienesystem in der Reinraum Produktion
  • Kontaminationsquellen im Reinraum
  • Kontaminationsfaktoren bzw. Erzeuger
  • Prinzipien der Luftführung
  • Reinräume stellen hohe Anforderungen an
  • ihre Mitarbeiter, sie müssen: (…)
  • Auswahlkriterien für Reinraumpersonal
  • aus medizinischer Sicht
  • Was macht eigentlich einen Reinraum aus
  • Partikelemission bei verschiedenen Tätigkeiten
  • Verhalten am Reinen Arbeitsplatz
  • Mangelnde Hygiene sowie schlechte oder
  • ungenügende Desinfektion der Haut
  • Auswirkungen einer mangelhaften Hygiene
  • Empfohlene Grenzwerte für mikrobiologische Kontamination im Reinraum während der Arbeitszeit
  • Partikelquelle Mensch
  • usw.
    besprochen, erläutert und anhand von Fallbeispielen den Damen und Herren bis ins letzte Detail veranschaulicht.

Berechtigte oder unberechtigte Skepsis
Nochmals zurück zu kommen auf mein eigentliches Anliegen: Bevorstehende Operation; dazu berechtigte oder unberechtigte Skepsis!?
Stünden einem heute nicht die digitalen Möglichkeiten des modernen Internets als auch die schreibende Zunft mit ihren Fachmagazinen zur Verfügung, um selbst zu recherchieren was einen bewegt, so wäre vieles einfacher. Die Möglichkeit, im Anschluss über etwas zu grübeln, wäre dann auch nicht vorhanden. Ob das dann die Entscheidungsfindung beeinflussen würde, sei dahin gestellt.
Aber die Neugierde im Menschen erweckt den Tatendrang, also surft man im Internet und wälzt die Fachliteratur. Das schlimme jedoch daran ist, dass man im „World Wide Web“, teils mehr erfährt als man ursprünglich wollte. So z. B. folgender Bericht: In 17 Krankenhäusern im norddeutschen Raum wurden durch Stern-Tester unangekündigt Markierungen vorgenommen. Dabei wurde der Glow-Check angewandt, nachdem zuvor eine Beratung durch Hygiene-Experten erfolgte.

Der Glow-Check besteht aus einem Stift, einem Spray, das unter einer UV-Licht Taschenlampe sichtbar wird. Nach jeweils 24 Stunden wurde kontrolliert, ob sie noch da waren. Getestet wurde in Notaufnahmen, Röntgenabteilungen und vor Intensivstationen, in Fahrstühlen und Toiletten. Eines der ersten markierten WC’s befindet sich in einem Perinatalzentrum, wo Neugeborene mit unreifem Immunsystem liegen. An der Wand hängt ein Plakat: Man desinfiziere hier mehrmals täglich und sorge so für ein Höchstmaß an Hygiene. Klingt vorbildlich. 24 Stunden später aber sind viele der Markierungen noch da, sie fluoreszieren unter dem Licht der UV-Licht-Taschenlampe. Auch der Knopf des Fahrstuhls zur Kinder-Intensivstation wurde vergessen. Wenn jemand ihn drückt und danach ein Baby berührt, kann er es leicht mit gefährlichen Keimen infizieren.
Nach zwei Monaten haben die Tester des Stern 783 Griffkontaktflächen kontrolliert, darunter waren u. a. 163 Türgriffe, 51 Spülknöpfe, 82 Fahrstuhlknöpfe. Das Ergebnis: Nur jede vierte wurde wenigstens einmal in 24 Stunden komplett gereinigt. Sogar Türgriffe, die Hygienikern als größte Gefahr gelten, waren in 69 % der Fälle gar nicht oder nur teilweise gesäubert. Es gab keine rühmliche Ausnahme – egal, ob eine Klinik konfessionell, städtisch oder privat geführt wird. Das beste Haus lag bei einer Reinigungsquote von 39 %, das schlechteste bei 8 %. Bei einer Endoskopie Abteilung blieben 12 von 17 Markierungen sogar eine Woche lang stehen.
Konfrontiert mit den Ergebnissen, antworteten viele Krankenhäuser gar nicht. Andere verwiesen darauf, „hohe Hygienestandards“ strikt einzuhalten, in Begehungen des TÜV Süd Food Safety Institutes und Patientenbefragungen regelmäßig gut abzuschneiden und demnächst innovative Hygienekonzepte an ihren Häusern einzuführen. Nur eine Klinik zog sofort Konsequenzen aus dem Stern-Test: „Wir haben daher Ihre Untersuchung zum Anlass genommen und uns sowohl mit Ihrem Testverfahren als auch mit den von Ihnen genannten Ergebnissen beschäftigt“. Man könne sich vorstellen, den Testkit künftig für eigene Stichproben zu verwenden.

Keimausbruch
Dass die richtige Reinigung der Hände mehr als nur eine banale Handlung ist, zeigen Ausbrüche von gefährlichen Keimen in Kliniken immer wieder. Vor allem in Krankenhäusern und Altenpflegeheimen können über die Hände der Pfleger und Ärzte Krankheitserreger von einem Patienten auf den nächsten übertragen werden. Die Weltgesundheitsorganisation WHO schätzt, dass etwa 80 % aller Keime über die Hände übertragen werden.
Die Mindestanforderungen für aseptische Herstellung von Arzneimitteln lassen sich wie folgt zusammenfassen:

  • Sicherstellung geeigneter Umgebungsbedingungen für die Herstellung unter Berücksichtigung der Vorgaben von Anhang 1 EG-GMP-Leitfaden.
  • Sicherstellung geeigneter Bekleidung des Personals (u. a. Handschuhwechsel zur Gewährleistungen der erforderlichen Keimfreiheit),
  • Sicherstellung der erforderlichen Keimfreiheit kritischer Oberflächen durch geeignete Desinfektionsverfahrens,
  • Einsatz steriler Ausgangsmaterialien,
  • Hygienisch-mikrobiologisches Monitoring (Sedi­mentationsplatten, Abklatsch behandschuhte Hand), Festlegung von Aktions- und Warngrenzen für GMP-Bereiche.

Personal

  • In Reinen Bereichen sollte nur die unbedingt nötige Zahl von Personen anwesend sein.
  • Das gesamte in reinen Bereichen tätige Personal (einschließlich des Reinigungs- und Wartungspersonal) sollte in den für die sachgemäße Herstellung steriler Erzeugnisse wichtigen Disziplinen regelmäßig geschult werden. Die Schulung sollte auch Hygiene und Grundlagen der Mikrobiologie umfassen.
  • Ein hoher Standard an persönlicher Hygiene und Sauberkeit ist unentbehrlich. Das mit der Herstellung von sterilen Zubereitungen befasste Personal sollte angewiesen werden, alle Umstände zu melden, die zu einer Freisetzung von nach Zahl oder Art ungewöhnlichen Verunreinigungen führen können. Regelmäßige Gesundheitskontrollen hierauf sind wünschenswert.
  • Umkleiden und waschen sollten nach schriftlich festgelegten Verfahren erfolgen, um die Kontamination der für reine Bereiche bestimmten Kleidung oder das Einschleusen von Verunreinigungen in die reinen Bereiche möglichst gering zu halten.
  • usw. (…)

Ausbildung und Schulung
Die allgemeinen Tätigkeiten des Personals im Reinraum haben einen tiefgreifenden Einfluss auf die Integrität des Reinraumbereichs. Bei mangelhafter Schulung einer Person, die die Reinraumanlage betritt, benutzt oder instand hält, wird die Wirksamkeit des Reinraums beeinträchtigt. Die Betriebsführung trägt daher die Verantwortung für die Durchführung eines umfassenden Programms zur Schulung des gesamten Personals in Bezug auf die Verantwortlichkeiten jedes Einzelnen sowie darauf, wie diese Verantwortlichkeiten mit Reinraumbereich in Wechselwirkung treten.

Schulungsinhalte

  • Funktionsweise des Reinraums
  • Reinraumnormen
  • Kontaminationsquellen
  • persönliche Hygiene
  • Reinigung
  • Umkleideprozeduren
  • Prüfung und Überwachung des Reinraumes
  • Verhalten im Reinraum
  • usw.

Ziele/Anforderungen
Bei der Festlegung der Anforderungen an den Personaleinsatz sind u. a. die folgenden Aspekte zu berücksichtigen:

  • Partikel
  • Vermehrungsfähige Keime
  • Sterile/aseptische Bedingungen (Infektionsrisiko)
  • Berücksichtigung einschlägiger behördlicher ­Anforderungen (GMP; GVO, Seuchengesetz u. a.)
  • Allgemeine Hygiene Regeln (Verhalten, Körperpflege, Kleidung, personenbezogenes Material)
  • usw.

Die Aufzählung einiger Vorschriften der Reinraumtechnologie beschreiben immer wieder, dass das Personal in regelmäßigen Abständen zu schulen ist. Ein sehr wichtiger und wesentlicher Bestandteil in diesem Schulungssystem stellt die Hygiene und die Vermeidung von mikrobiologischer Verunreinigung dar. Was den Reinraum vom Krankenhaus zusätzlich unterscheidet sind die extremen klimatischen Faktoren.
Hier z. B. die turbulenzarme ­Verdrängungsströmung:
Der Reinraum bildet rundum ein geschlossenes System, nur über Schleusen begehbar. Die Zuluft wird großflächig über Filterdeckensysteme dem Reinraum zugeführt. Verunreinigungen auf direktem Weg aus dem Reinraum verdrängt. Die Zuluftgeschwindigkeit liegt zwischen 0,30 – 0,45 m/s. Keine Turbulenzen. Mit 360 bis 600-fachen Luftwechsel. Entspricht der Reinheitsklasse 1.000 und besser, (DIN EN ISO 14644-1, Klasse 6, und besser).  

Nehmen wir einmal an, die Zukunft des Reinraumes für das medizinisch chirurgische Segment würde aus den zuvor genannten Gründen eine Plattform erhalten. Nehmen wir ein zweites mal an, uns wird die Bauleitung übertragen. Wie würden wir in diesem Falle vorgehen. Mit einem gut funktionalen Netzwerk, das bisher Reinräume von der Planung über den Bau bis hin zu der Ausstattung mit Equipment, Verbrauchsmaterialien, Monitoringsystemen, Bekleidung, Dekontamination, Sterilisation, Reinigung als auch die Schulung von Reinraum-Mitarbeitern in der Lage ist, dies zu verwirklichen, würde ich mich zusammensetzen und diskutieren. Denn in diesen Netzwerken ist Fachwissen für solche Reinraum-Projekte vorhanden.

Wie könnte ein solcher Reinraum-OP aussehen?
Zunächst bildet der Reinraum ein Raum im Raum mit eigenem Belüftungssystem je nach Anforderung. Da in der Vergangenheit Reinräume für die GMP-Klasse A bereits erstellt wurden, ist das Prinzip der turbulenzarmen Verdrängungsströmung in Verbindung eines Doppelbodens für die Abluft als Lüftungssystems bekannt.
Auch kann man den Aufbau von Werkbänken bzw. Sicherheitswerkbänken als das Pendant dazu zu Rate ziehen. Bei dieser Luftführung werden die sogenannten Querkontaminationen vermieden. Bei den Wandsystemen der „Innenwände“ von Reinräumen, bedienen wir uns den GMP-Vorgaben. Der EG-Leitfaden einer Guten Herstellungspraxis für Arzneimittel, schreibt dazu unter der Rubrik Räumlichkeiten: In Reinen Bereichen sollten alle exponierten Oberflächen glatt, undurchlässig und ohne Risse sein, um die Abgabe oder Ansammlung von Partikeln oder Mikro­organismen möglichst gering zu halten. Um die wiederholte Anwendung von Reinigungs- und gegebenenfalls Desinfektionsmitteln zu ermöglichen.

Durch einen Luftkeimsammler in Verbindung mit einem spezifischen  Monitoringsystem mit integriertem Alarmierungskonzept ist die Reinraum-Überwachung bestens vorbereitet. Eine Visualisierung der Messwerte kann über Display, Monitoring-Softwaresysteme (…) sichergestellt und nachhaltig verwaltet werden. Das gleiche gilt für die relative Luftfeuchte- sowie die Temperatur im Raum.
So nach der Devise: „Monitoring-Systeme für den Reinraum – visualisieren, kontrollieren und dokumentieren“.

Der Faktor Mensch
Jetzt wäre nur noch der Mensch. Die Fachliteratur schreibt dazu: Für das Personal im Reinraum gelten dieselben spezifischen Maßnahmen und Anforderungen wie für die Reinheit z. B. der Luft oder der Medien. Per Definition bedeutet Reinraumtechnik auch Schutz des Personals im Reinraum. Abhängig von der Reinraumklasse hat die Anwesenheit von Personal im Reinraum bauliche Konsequenzen (z. B. von Personalschleusen), die bereits in der Planungsphase ihren Niederschlag finden müssen. Die Mitarbeiter im Reinraum sind während ihrer Tätigkeit besonderen Belastungen ausgesetzt. Vor allem sind die klimatischen Bedingungen, kein Kontakt zur Außenwelt, die Reinraumbekleidung sowie ein angepasstes Verhalten im Reinraum zu nennen.

Neben anderen Kontaminationsquellen zählt der Mensch zur größten Belastung im Reinraum. 30–40 % der gesamten Kontamination lassen sich auf den Faktor Mensch zurückführen.
Der Mensch emittiert überwiegend Partikel kleiner 0,5 µm, wobei die Anzahl von der Art der Tätigkeit abhängt. Die aufgeführte Tabelle verdeutlicht den Zusammenhang, warum sich die Mitarbeiter nur sehr langsam und ruhig in den Reinräumen bewegen dürfen.

Das Krankenhaus kann diese technischen Anforderungen nicht aufweisen. Daher ist der Vergleich sehr schwierig. Jedoch die Anforderungen an das Personal (nach gezielter Schulung) ist zweifelsfrei übertragbar. Da wir uns in einer von Innovation geprägten und schnelllebigen technologischen Welt (Mond- und Marslandung) bewegen, dürfte das Problem Mensch auch noch zu klären sein. Denn alle bisher beschriebenen Faktoren des Keimbefalls kann nicht nur alleine den Gesundheitsreformen geschuldet sein, das wäre zu einfach. Hier spielen mehrere Einflussgrößen eine wichtige Rolle in der Verkettung vielerlei Faktoren.

Bei meiner diagnostischen Voruntersuchung wurde ich gefragt, was ich beruflich mache. Darauf erwiderte ich, dass ich im Unruhestand wäre (stimmt nur zum Teil). Auf die darauf folgende Frage, mit was ich mich davor beschäftigte, gab ich zu verstehen, das ich Personal auf ihre zukünftige Reinraumtätigkeit hin schule.
In einem Dialog endend gab ich zu verstehen, dass die Reinraumtechnik in 10 oder 15 Jahren dem Krankenhaus (zumindest die OP-Räume) den Rang ablaufen wird. Alleine, um den zuvor erwähnten Keimbelastungen den Garaus zu machen. Ich hoffe, dass meine OP so gut verläuft wie unser Gespräch über die Reinraumtechnologie.

Wenn es auch ein in die Jahre gekommenes Kreiskrankenhaus ist (meine Frau hatte dort unseren 47-jährigen Sohn geboren), so habe ich doch vollstes Vertrauen in das Personal als auch in die Institution. So nach dem saarländischen Slogan unserer Industrie und Handelskammer „Großes entsteht immer im Kleinen“.

[1]    Quellen:* Stern * LAGuS Landesamt für Gesundheit und Soziales „Mindestanforderungen für die aseptische Herstellung von Arzneimitteln“ * EG-Leitfaden einer Guten Herstellungspraxis für Arzneimittel * DIN EN ISO 14644-5 (Betrieb) * VDI 2083 Blatt 5.1 * Hauptmann Hohmann Handbuch der Reinraum-Praxis Reinraumtechnologie und Human-Ressourcen *

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