Chemie & Life Sciences

Funktionelle Zucker mit großer Wirkung

Stefan Jennewein im Interview über spezielle Mono- und Oligosaccharide mit diversen Einsatzmöglichkeiten

17.02.2020 -

Jennewein Biotechnologie ist ein wissenschaftlich-basiertes Unternehmen im Bereich der industriellen Biotechnologie, das auf die Entwicklung neuartiger Produktionsprozesse für seltene und funktionelle Zucker spezialisiert ist. Der Fokus liegt dabei auf seltenen Monosacchariden sowie komplexen Oligosacchariden. Ein wesentliches Betätigungsfeld sind die sog. humanen Milch-Oligosaccharide (HMOs), die in der Natur insbesondere in der menschlichen Muttermilch zu finden sind. Bisher wurden erfolgreich Produktionsverfahren und -kapazitäten etabliert, um den Einsatz dieser Milch-Oligosaccharide zu ermöglichen. Stefan Jennewein, Geschäftsführer von Jennewein Biotechnologie, erläutert die aktuellen Forschungsschwerpunkte und die Zukunftsaussichten für mögliche Produkte. Die Fragen stellte Birgit Megges.

CHEManager: Herr Jennewein, Mitte 2018 hatten Sie den Bau eines neuen Forschungszentrums in Bad Godesberg verkündet. Wie ist dort der Stand der Dinge?

Stefan Jennewein: Unser R&D Center in Bonn ist fast fertig, seit Sommer 2018 ist schon unsere IP-Abteilung eingezogen, die Labore stehen kurz vor der Fertigstellung. Im Besonderen die Umwidmung eines Bürogebäudes in S1-Labore stellte sich als umfangreicher heraus, als ich ursprünglich gedacht hatte. Aber im ersten Quartal 2020 wird der Umzug unserer Molekularbiologen und Biotechnologen erfolgen.

Wo liegen derzeit die thematischen Schwerpunkte Ihrer Forschung?

S. Jennewein: Aktuell arbeiten wir an der Entwicklung weiterer Produkte, um unser Portfolio an HMOs weiter auszubauen. Wir sehen einen Bedarf an weiteren HMO-Blends und im Besonderen bei langkettigen Verbindungen.

Für die Wirkweise Ihrer Produkte ist das Zusammenspiel zwischen HMOs mit dem Mikrobiom entscheidend. Dies ist ein Bereich, der bei Weitem noch nicht komplett erforscht ist. Was macht die Forschung hier so schwierig?

S. Jennewein: Das Zusammenspiel von HMOs und dem Säuglingsmikrobiom ist auf den ersten Blick relativ einfach und auf Basis der Verstoffwechselung der HMOs durch einzelne Darmbakterien gut nachvollziehbar.

Das Zusammenspiel von HMOs
und dem Säuglingsmikrobiom ist
auf den ersten Blick relativ einfach.“

Auch kann man die dafür benötigten Gene in den einzelnen Organismen identifizieren. Die Schwierigkeit besteht aber dann darin, die Funktion der einzelnen Mikroorganismen und der von ihnen erzeugten Metabolite in ein größeres Bild zu bekommen. Ich weigere mich auch zu akzeptieren, dass komplexe und strukturell höchst unterschiedliche HMOs hauptsächlich zur Synthese von kurzkettigen Carbonsäuren dienen sollen. Der Aspekt, dass HMOs vor Infektionskrankheiten schützen können, ist eine physiologische Aktivität, die wir ebenfalls schon länger erforschen und hier sind die Zusammenhänge klarer, aber vielleicht gelingt es uns auch, beide Themen zusammenzuführen.

Sie haben Studien und Forschungsarbeiten in Auftrag gegeben. Würden Sie diese – auch wenn sie noch nicht abgeschlossen sind – kurz erläutern?

S. Jennewein: Der Clinical Trial, den wir zurzeit durchführen, ist die Voraussetzung für die Anmeldung und Anwendung unseres Fünf-HMO-Mix in natürlicher Konzentration in Säuglingsnahrung. Die Studie wird in Spanien, Italien und Deutschland durchgeführt und es wurden insgesamt 324 Babys miteinbezogen. Er gibt uns die Möglichkeit, in einem großen Probenumfang das Mikrobiom von Babys, die gestillt wurden und die eine Babynahrung mit HMOs beziehungsweise ohne HMOs erhalten haben, zu vergleichen.

Wir haben aktuell auch Forschungsarbeiten extern in Bereichen vergeben, in denen wir selbst nicht die Expertise haben, wie zum Beispiel Darmmodelle. Jedoch selbst in diesen Projekten machen wir die Metaboliten-Analyse mittels Massenspektrometrie selbst.

Es wird angenommen, dass das Risiko, bestimmte Krankheiten zu bekommen, mit HMOs gesenkt werden könnte. Wie weit reichen diesbezüglich Ihre momentanen Erkenntnisse?

S. Jennewein: Die Erwartungen, mittels dem „richtigen“ Mikrobiom, was dann auch die HMOs als natürliches Substrat bedingt, Einfluss auf komplexe Krankheitsbilder nehmen zu können, sind aktuell sehr hochgesteckt. Es gibt jedoch erste wissenschaftliche Arbeiten, die eine Verbindung zwischen einem verringerten Allergierisiko und einzelnen HMOs vermuten lassen.

Könnten auch Erwachsene von Ihren Produkten profitieren?

S. Jennewein: Wir denken, dass dies im Bereich der Verhinderung von Infektionskrankheiten definitiv der Fall ist. So binden 70–80 % aller Pathogene an Glykosidstrukturen und HMOs können hier als Decoys, also Attrappen, helfen. Auch stellen HMOs eine gute Quelle für seltene Monosaccharide wie Fucose und Sialin­säure dar, die definitiv eine bedeutende Rolle im Bereich geistiger Fitness spielen. Beim Mikrobiom für gesunde Erwachsene sind wir uns da weniger sicher, wie sinnvoll hier HMOs sein könnten. Letzteres liegt aktuell auch nicht im Zentrum unserer Aktivitäten.

Im letzten Jahr haben Sie eine Kooperation in der Erforschung des Mikrobioms von Neugeborenen sowie im Bereich der humanen Milch-Oligosaccharide mit der chinesischen Yili Group begonnen. Haben Sie schon erste gemeinsame Ergebnisse? Warum ist der chinesische Markt für Sie so wichtig?

S. Jennewein: Die Kooperation mit Yili ist nur ein Aspekt unserer Arbeiten am Säuglingsmikrobiom. Aktuell sind wir in der Endphase unserer klinischen Studie mit über 300 Säuglingen, in welcher wir das HMO-Profil, das von Frau zu Frau variiert, zum Mikrobiom des jeweiligen Säuglings untersuchen.

„Aktuell ist der chinesische Markt
der bedeutendste Markt für Säuglingsnahrung.“

Um Ihre Frage bezüglich des chinesischen Markts zu beantworten: Aktuell ist der chinesische Markt der bedeutendste Markt für Säuglingsnahrung; etwa 50 % der Säuglingsnahrung wird in Greater China verkauft. Innovation ist hier der „Key“ und Chinesen sind heute diejenigen, die für Innovationen im Babysektor am meisten bezahlen. Für lange Zeit war der chinesische Markt leider verschlossen, aber aufgrund des vor wenigen Wochen unterschriebenen US/China Trade Agreement geht dieser Markt nun auf. Dies passt für uns auch zeitlich gut mit der Einführung des Fünf-HMO-Blends zusammen, dem innovativsten Produkt im Bereich Säuglingsernährung.

Sie haben bereits die Erfahrung gemacht, dass die Zulassung Ihrer Produkte regional unterschiedlich gehandhabt wird. Wie unterscheiden sich die Herausforderungen in Europa gegenüber denen in den USA und Asien?

S. Jennewein: Die US-FDA ist hier wohl der wissenschaftliche Gold-Standard und sie hat sich immer als verlässliche und faire Behörde mit einheitlichen Spielregeln erwiesen, was man vom alten System in Europa nicht behaupten konnte. Ich hoffe, dass die neue Novel-Food-Verordnung der europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit – kurz EFSA – nicht wieder kleine innovative Unternehmen benachteiligt und gleiche faire Maßstäbe anlegt. Asien ist äußerst heterogen und unterscheidet sich extrem. In China scheint mittlerweile der Gordische Knoten durchschlagen, in Südkorea versuchen wir die Registrierung von unseren HMOs schon seit 2015 erfolglos. In einigen südostasiatischen Ländern, wie zum Beispiel Thailand und Malaysia, waren wir im vergangenen Jahr in Bezug auf die Marktzulassung äußerst erfolgreich.

Wo sehen Sie die größten Zukunfts­chancen?

S. Jennewein: Oligosaccharide, oder besser Glykosylierungen, sind in nahezu allen Kommunikationsprozessen involviert. Wie schon erwähnt sind Glykosylierungen in 70 % aller menschlichen Infektionskrankheiten als Rezeptor oder Co-Rezeptor beteiligt. Auch beim „Homing“ von Metastasen spielen Glykosylierungen eine bedeutende Rolle. Somit denke ich, dass komplexe Oligosaccharide auch eine große Zukunft im Bereich der Pharmazeutika haben werden, zumal wir definitiv zeigen konnten, dass wir Oligosaccharide in sehr großen Mengen zu äußerst günstigen Preisen herstellen können.

Zur Person
Stefan Jennewein ist Geschäftsführer von Jennewein Biotechnologie und verantwortet die Bereiche F&E, regulatorische Fragestellungen sowie das Qualitätsmanagement des Unternehmens. Der promovierte Biochemiker sammelte praktische Erfahrungen durch seine Tätigkeiten an der Washington State University, bei DSM, der TU Darmstadt und am Fraunhofer Institut für Molekularbiologie und Angewandte Ökologie (IME), an dem er immer noch Abteilungsleiter im Bereich der industriellen Biotechnologie ist.

 

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