Anlagenbau & Prozesstechnik

Pflichtenmanagement für Chemieanlagen

Womit technische Führungskräfte ihrer Betreiberverantwortung nachkommen können

09.06.2020 - Führungskräfte haften für Versäumnisse bei den Betreiberpflichten. Das sogenannte "Pflichtenmanagement" scheint ein Instrument zu sein, das hier helfen kann.

Was verbirgt sich hinter dem Begriff „Pflichtenmanagement“, welche Anforderungen muss man an ein solches System stellen und was müssen Führungskräfte in der Praxis dabei beachten?

Grundpflichten ermitteln: Rechtskataster mit Pflichtenkatalog
Die Grundvoraussetzung für die Erfüllung der Pflichten ist, dass man sie kennt. In großen Unternehmen ist es oft so, dass man dafür auf Fachkräfte (oft aus anderen Fachabteilungen) zugreifen kann. Doch diese haben oft nur beratende Funktionen zu übernehmen, keine Betreiberverantwortung und sind nicht in der Bringschuld. Der verantwortliche Betriebsingenieur muss also vorab mindestens so viel Kenntnis der Vorschriften haben, dass er in der Lage ist, selbst zu bewerten, wann welche Pflichten­informationen einzuholen sind.
Dazu sollte man auf ein Register zuzugreifen können, das ermöglicht die Vorschriften und die daraus abgeleiteten Pflichten zu erkennen, die für die zu betreuende Chemieanlage relevant sind.

Ein solches Rechtskataster muss dabei ­mindestens folgende Anforderungen erfüllen:

  • Zugriff auf alle Vorschriften, die für die betreffende Anlage relevant sind. Typischerweise sind dies Regelwerke zur Arbeits- und Anlagensicherheit, Umweltschutz, Energie, GMP (Good Manufacturing Practice), Herstelleranforderungen (Chemikalien, Arbeitsmittel).
  • Darstellung von Pflichtentexten als Ergänzung zu den Volltexten. Diese Pflichtentexte enthalten in Kurzform, welche konkreten, betrieblichen Pflichten sich aus der jeweiligen Vorschrift ergeben. Anstelle des Volltextes bleiben hier betrieblich nicht relevante Aussagen, Rechte und Pflichten Dritter (z. B. der Behörden) oder rein juristische Klauseln ausgeblendet. Dadurch sorgen die Pflichtentexte für Praktikabilität und Zeitersparnis bei der Ermittlung der Pflichten.
  • Bündelung von Pflichten, um gleichartige Pflichten zusammenzufassen und mit gemeinsamen Mitteln effizient erfüllen zu können.
  • Zuordnung von Pflichten zu Arbeitsmitteln, Tätigkeiten und Verantwortungsbereichen, um so sichtbar zu machen, wer welche Pflichten für eine bestimmte Maschine oder betriebliche Aufgabe zu erfüllen hat.
  • Verknüpfung mit einem Aktualisierungsdienst, der Änderungen transparent macht und obige Pflichten automatisch aktualisiert.

Pflichten bewerten und festlegen: Die Gefährdungsbeurteilung
Viele glauben, dass die Pflichten allein durch Vorschriften bestimmt sind. Das ist falsch. Welche Pflichten in welcher Ausprägung genau umzusetzen sind, ergibt sich immer erst aus der Gefährdungsbeurteilung. Daher ist die Gefährdungsbeurteilung die erste zentrale Pflicht, aus der sich letztlich alle anderen ableiten. So geben es das Arbeitsschutzgesetz und die Betriebssicherheitsverordnung vor.
Für die rechtssichere Umsetzung der Gefährdungsbeurteilungen ist nicht nur die Unternehmensführung verantwortlich, sondern auch die operative Führungskraft vor Ort an der Anlage. Um dieser Verantwortung gerecht zu werden, muss man sicherstellen, dass die Gefährdungsbeurteilung nicht nur Gefährdungen erfasst, sondern sie auch an Hand der Vorschriften und der tatsächlichen betrieblichen Situation bewertet und daraus die Pflichten in Form von Schutzmaßnahmen ableitet. Um großen Aufwand bei der Recherche der Vorgaben zu vermeiden, sollte ein System zur Erstellung und Dokumentation von Gefährdungsbeurteilungen daher eine Verbindung mit dem Rechtskataster haben und folgende Funktionen umfassen:

  • Aufzeigen der Pflichten aus dem Rechtskataster, die im Rahmen der Gefährdungsbe­urteilung zu betrachten sind
  • Erfassung der Gefährdungen an Hand eines hinterlegten Gefährdungskatalogs
  • Erfassung der betrieblichen Situation (insbesondere Abweichungen von Ausgangslagen in den Regelwerken)
  • Bewertung der Gefährdungen, z. B. durch eine Risikobewertung (ggf. mit Importmöglichkeiten von vorhandenen SIL-Bewertungen – um Doppelarbeiten zu vermeiden)
  • Festlegung von Schutzmaßnahmen und Verfolgung ihrer Umsetzung
  • Festlegung der wiederkehrenden Prüfungen (Art und Umfang) als Ergebnis der Gefährdungsbeurteilung
  • Automatisches Generieren von Betriebsanweisungen aus den ermittelten Gefahren und Schutzanweisungen in der Gefährdungsbeurteilung
  • Überprüfung der Wirksamkeit der Schutzmaßnahmen

Diese Funktionalitäten sind außerdem erforderlich, um die Dokumentationsanforderungen aus § 3 (8) BetrSichV zu erfüllen.
In der Praxis gibt es ein Bestreben, möglichst alle Gefährdungsbeurteilungen in gleicher Struktur und mit gleichem Umfang durchzuführen. Ein solches Vorgehen ist aus operativer Sicht zum Scheitern verurteilt. Wer eine Leiter genauso behandelt wie eine komplexe verfahrenstechnische Anlage, muss sich nicht wundern, wenn für das Wesentliche keine Zeit mehr bleibt. Je nach Komplexität und Zielsetzung müssen von einem effizienten System daher unterschiedliche Formate bereitgestellt werden. z. B. für:

  • Einfache Arbeitsmittel für die vereinfachte Vorgehensweise nach §7 BetrSichV
  • Arbeitsmittelübergreifende Einzeltätigkeiten
  • Zusammengefasste Tätigkeiten, die einen zusammenhängenden Ablauf darstellen
  • Einzelarbeitsmittel (einzelne Maschine oder Druckbehälter,…)
  • Gesamtheit von Arbeitsmitteln (Gesamtheit von Maschinen, Baugruppen, verfahrenstechnische Anlagen,…)
  • Arbeitsmittel ohne Herstellererklärung

IT-Systeme zur Umsetzung
Neben dem Wunsch nach Rechtssicherheit entsteht der Druck zur Entwicklung von IT-Systemen zur Unterstützung eines Pflichtenmanagements oft auch durch die Zertifizierung diverser Managementsysteme. Immer häufiger stellen Auditoren die Frage, wie man denn sicherstellt, dass alle Vorschriften eingehalten werden und Änderungen schnell erkannt und umgesetzt werden.
Softwareangebote zum Pflichtenmanagement gibt es auf dem Markt bereits viele. Darunter auch immer mehr mit den hier beschriebenen Eigenschaften, so dass man per Mausklick in der Lage ist, dem Auditor die entsprechenden Lösungen aufzuzeigen. (Eine Liste von möglichen IT-Tools zum Pflichtenmanagement kann beim Autor angefordert werden.)
Für mittelständische Unternehmen ohne große HSE-Abteilung ist es dabei wichtig, dass die Software mit einer entsprechenden Dienstleistung (Aktualisierungsdienst der Regelwerke und technische Interpretation der Pflichten) verbunden ist.

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