Chemie & Life Sciences

Fluorchemie und Weinbau

Moderne chemische Wirkstoffe unterstützen die wirtschaftliche und umweltverträgliche Weinerzeugung

10.11.2020 - Max J. Braun erläutert, was Fluorchemie mit Frankenwein zu tun hat

In den deutschen Weinanbaugebieten ist die Weinlese inzwischen beendet und die Winzer erwarten einen ausgezeichneten 2020er Jahrgang. Positiv stimmt die Erzeuger u. a. der gute Gesundheitszustand der Trauben, der – gepaart mit der vollen Traubenreife – auf fruchtbetonte Weißweine und farbintensive Rotweine hoffen lässt. 

Zu den größten Problematiken des Weinbaus gehören Pilzkrankheiten wie Echter und Falscher Mehltau (Erysiphe necator bzw. Plasmopara viticola), Botrytis oder die Schwarzfleckenkrankheit (Phomopsis viticola). Der Erkrankung der Weinreben kann zwar durch die Art der Pflanzung und durch Pflege begegnet werden, verhindert werden kann sie aber nicht mit letzter Sicherheit. Daher ist die wirtschaftliche Herstellung eines guten Weins in vielen Fällen nicht ohne den Einsatz von hochwirksamen, aber zugleich umweltverträglichen Fungiziden möglich. Diese chemischen Wirkstoffe verhindern den Befall der Wein­stöcke durch Pilzkrankheiten. Zur Verstärkung der Wirksamkeit und zum besseren und schnelleren Abbau in der Natur enthalten nahezu alle modernen Fungizide Fluor­atome. 
Erste Generationen von Agrochemikalien in den 1980ern enthielten meist nur relativ einfache Fluorbenzolderivate. Inzwischen ist die Komplexität der chemischen Synthesen jedoch nahezu vergleichbar mit der von Pharmawirkstoffen, nur dass die benötigten Mengen für Agrowirkstoffe viel größer sind, sodass die Verwendung von teuren Fluorierungsreagenzien aus wirtschaftlichen Erwägungen ausscheidet. Daher ist viel industrielles Synthese-Know-how notwendig, das zusammen mit dem Engineering für den technischen Erfolg ausschlaggebend ist. 
Biologischer Weinbau wird zwar (in Nischen) praktiziert, würde in der Masse aber letztendlich zur Verbreitung von Pilzen und Schädlingen führen. Laut neueren Einschätzungen bleibt der Menschheit bis 2050 nichts anderes übrig, als die klassische Synthesechemie zu optimieren. Dies erfolgt durch bessere, wirksamere Moleküle und umweltfreundlichere Herstellung bis vielleicht die Biotechnologie so weit ist, die klassische Chemie weitgehend zu ersetzen. 
 

Fluorierungsreagenzien und -reaktionen
Bei pharmazeutischen Wirkstoffen beträgt der Anteil fluorierter Verbindungen ca. 30 %, bei agrochemischen Wirkstoffen weit über 80 %. Chemische Prozesse, besonders in der Fluorchemie, lassen sich meist durch Umstellung von Batch- auf eine kontinuierliche Fahrweise, durch Verwendung von Phasentrennung statt Destillation und durch Einsatz einer Vielzahl kontinuierlich betreibbarer Prozesse wie z. B. fotochemische Reaktionen und Mikroreaktortechnologien optimieren. Diese neueren Technologien erlauben sowohl höheren Durchsatz (Raum/Zeit-Ausbeute) als auch moderatere Reaktionstemperaturen (Vermeidung von Tiefkälte) und ermöglichen oft erst in-situ-Umsetzungen mit kleineren Mengen kritischer Reak­tanten im industriellen Maßstab. Mit diesen Technologien unterscheiden sich westliche Produzenten noch immer von den meisten asiatischen Produzenten, die hauptsächlich noch die etwas veraltete „Kesselchemie“, und dann noch zu 95 % im Batchverfahren, einsetzen – ähnlich der auch bei uns geschätzten, aus der asiatischen Küche übernommen kulinarischen Tradition, Gerichte im Wok zuzubereiten.

Biologischer Weinbau wird zwar (in Nischen) praktiziert, würde in der Masse aber letztendlich zur Verbreitung von Pilzen und Schädlingen führen.“


In der typischen Kesselchemie „in Batch“ treffen die Reaktionspartner immer andere Reaktionsbedingungen an, da anfangs viel Edukt, am Ende (hoffentlich) viel Produkt vorhanden ist. Im kontinuierlichen-Prozess hingegen sind die Bedingungen für die Reaktionspartner immer gleich, was vorteilhaft für Selektivität und Ausbeute sein kann. 
Ein großer Beitrag zur Abfallvermeidung bei der Herstellung fluorierter Verbindungen ist der direkte Einsatz von wasserfreiem Fluorwasserstoff (HF) als Fluorid­quelle, speziell bei großen kommerziell herzustellenden Mengen. Der Vorteil liegt auf der Hand, denn im Vergleich zum Einsatz von Fluorierungsreagenzien wie z. B. Selectfluor, XtalFluor-M, Umemoto- oder Togni-Reagenzien (s. Grafik), die einen sehr geringen F-Anteil enthalten und somit einen erhöhten Abfallanfall durch den F-Träger verursachen, verbleibt beim Einsatz von HF das Molekulargewicht weitgehendst im Molekül.
Technisch – und besonders ­sicherheitstechnisch – lässt sich diese Reaktion natürlich nicht einfach durch einen 1:1-Ersatz des Fluorierungsreagenzes durch wasser­freien HF realisieren, sondern erfordert eine Umstellung des kompletten Synthesewegs, entweder auf den Einsatz eines schon fluorierten Synthesebausteins oder auf eine Syntheseroute, die eine „Late-­Stage“-Fluorierung erlaubt. Die Entwicklung einer solchen Route bedarf jedoch einschlägiger Expertise und Erfahrung in der Fluorchemie.
Bedingt gelingt die Vermeidung von Abfällen auch durch den Einsatz eines Amin-x-n-HF-Gemisches, wie z. B. Olah’s Reagenz (Pyridin x 9 HF) oder Triethylamin x 3 HF, dies ist jedoch ebenfalls sehr stark vom gewählten Syntheseweg abhängig. Fluorierungsreagenzien sind dennoch unverzichtbar für die schnelle und effektive Entwicklung neuer Wirkstoffe (im „Lead Screening“ und vielleicht noch für Pilotmengen), da diese vom organischen Chemiker in ihm bekannten Standardapparaturen wie Glaskolben etc. eingesetzt werden können, auch wenn diese dann meist durch Glaskorrosion „blind“ werden. 
Die Wirtschaftlichkeit der Umsetzung mit wasserfreiem Fluorwasserstoff ist dem Einsatz von Fluorierungsreagenzien letztendlich immer weit überlegen, auch wenn bei der Entwicklung die Wirtschaftlichkeit zunächst untergeordnet ist und Geschwindigkeit mehr zählt. Auch hinsichtlich der Verfügbarkeit von Großmengen ist HF den Fluorierungsreagenzien überlegen. Elementares Fluor (hergestellt durch Fluorelektrolyse und großindustriell verfügbar) ist ebenfalls ein geeigneter F-Donor für Wirkstoffe, aber teurer und logistisch noch anspruchsvoller als HF, da die F2-Standardkonzentration in einem kommerziellen Gaszylinder (nur) 5 % (in 95 % N2) beträgt.

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ZUR PERSON
Max J. Braun ist Experte mit inzwischen fast 30-jähriger Erfahrung in industrieller organischer Fluorchemie. Der promovierte Chemiker begann seine Berufslaufbahn nach dem Studium an der Julius-Maximilians-Universität Würzburg 1991 in der Forschung bei Solvay Fluor. In der Fluorchemiesparte des belgischen Chemiekonzerns am Standort Hannover hatte er in 26 Jahren Unternehmenszugehörigkeit unterschiedliche Funktionen mit wachsender Verantwortung inne, u.a. als Senior R&D Manager und Head of Business ­Development. Seine industrielle Erfahrung in der Fluorchemie nutzt Braun seit 3 Jahren, um seine eigene Firma ­FluorInnovation aufzubauen.

 

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