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Green Deal braucht Chemieindustrie

Österreich: Forciertes Kunststoffrecycling ist ein Schlüssel für eine klimaneutrale Chemieproduktion

26.01.2021 - Studie: Die chemische Industrie auf dem Weg zur Klimaneutralität 2040

Das Ziel, das sich die EU-Kommission in ihrem Green Deal gesetzt hat, ist hochgesteckt: Bis 2050 soll Europa CO2-neutral und damit der erste klimaneutrale Kontinent werden. Österreich ist sogar noch ambitionierter und möchte die Klimaneutralität bereits 2040 erreichen. Um diese Ziele zu stemmen, muss an vielen Stellschrauben in unserer modernen Gesellschaft gedreht werden: Im Verkehr, bei der Energieproduktion und der Herstellung von Waren, in der Landwirtschaft oder im Bereich Bauen und Wohnen müssen Maßnahmen zur CO2-Reduktion umgesetzt werden. Die Chemieindustrie spielt dabei eine zentrale Rolle.

96 % der Produktion in der EU hängen von ihren Vorprodukten ab. Fast alle Wertschöpfungsketten und vor allem Green-Deal-Lösungen wie Sonnenkollektoren, Batterien für E-Mobilität, Windturbinen und Wasserstoff bis hin zu Gebäudeisolierungen brauchen Stoffe aus der chemischen Industrie. Ohne die Anstrengungen der Chemieunternehmen bei der Erforschung, Entwicklung und Bereitstellung nachhaltiger Produkte und Technologien wird das Ziel der Klimaneutralität nicht erfolgreich umzusetzen sein. Einfach gesagt: Ohne massive Beiträge der Chemie­industrie scheitert der Green Deal.

Gleichzeitig ist die Chemiebranche eine energieintensive Industrie und muss selbst daran arbeiten, in Zukunft klimaneutral zu produzieren, was mit einem deutlich höheren Energiebedarf verbunden ist. In einer 2018 vom Fachverband der Chemischen Industrie Österreichs (FCIO) veröffentlichten Untersuchung belief sich die errechnete zusätzliche benötigte Menge erneuerbaren Stroms auf mehr als 60 TWh für die Chemieproduktion in der Alpenrepublik. Das entspräche einer Menge von etwa 60 zusätzlichen Donaukraftwerken, deren Neuerrichtung aber unrealistisch ist. Neben dem Ausbau nachhaltiger Energieproduktion braucht es daher weitere Ansätze.

Starke Senkung der Treibhausgasemissionen durch Kunststoffkreislaufwirtschaft

Aufbauend auf den Berechnungen der 2018er Studie und deren Schlussfolgerungen hat der FCIO eine Folgestudie zur Kreislaufwirtschaft in der chemischen Industrie in Auftrag gegeben und prüfen lassen, wie eine klimaneutrale Produktion mit einem deutlich niedrigeren Bedarf an zusätzlichem erneuerbarem Strom umgesetzt werden könnte. Die Ergebnisse zeigen, dass neben der Verwendung von erneuerbarem Wasserstoff und dem Einsatz von biobasierten Produkten der Schlüssel zur Dekarbonisierung in einer massiven Forcierung von Kunststoffrecycling liegt. Treibhausgase werden erst bei der Verbrennung von Kunststoff emittiert, nicht jedoch, wenn dieser im Kreislauf geführt wird. In Österreich ist ein Einsparungspotenzial von jährlich bis zu 2,4 Mio. t CO2 möglich. Durch die Wiederverwertung von Kunststoffen in Kombination mit alternativen Bereitstellungstechnologien wie erneuerbarem Wasserstoff, Carbon Capture and Usage (CCU) oder Biomasse kann bis 2040 gleichzeitig die Energie, die für die Dekarbonisierung der Branche zusätzlich notwendig ist, von 60 auf 30 TWh halbiert werden.

Anerkennung von Recyclingmaßnahmen Voraussetzung

Um die Potenziale der Kreislaufwirtschaft für die Klimawende nutzen zu können, gibt es aber nicht nur technologische und logistische Hürden, sondern auch politische. Die Anerkennung von Recycling als Klimaschutzmaßnahme ist für eine funktionierende und ökonomisch sinnvolle Kunststoffkreislaufwirtschaft Voraussetzung. Dazu fehlen jedoch noch die gesetzlichen Regelungen, denn derzeit wird die Wiederverwertung von Kunststoffen nicht als Beitrag zum Klimaschutz anerkannt.

Die ambitionierten Klimaziele der Europäischen Union sind aus Sicht der chemischen Industrie nur erreichbar, wenn es eine EU-weite Anerkennung von Kunststoffrecycling als Dekarbonisierungsmaßnahme gibt. Ebenso wichtig ist die rechtliche Gleichstellung von chemischem Recycling, das als Ergänzung zum mechanischem Recycling von Kunststoffen wichtig ist, die nicht mit herkömmlichen Technologien wiederverwertbar sind.

 

„In Österreich ist ein Einsparungspotenzial von jährlich bis zu 2,4 Mio. t CO2 möglich.“

 

CO2-neutrale Chemie nur durch Technologiemix erreichbar

Für eine vollständige Dekarbonisierung der Chemieindustrie sind neben ausreichend verfügbarer erneuerbarer Energie und einer funktionierenden Kunststoffkreislaufwirtschaft aber noch weitere Technologien und Transformationsschritte nötig. Insbesondere der Einsatz von erneuer­barem Wasserstoff hat eine entscheidende Bedeutung auf dem Weg zu einer klimaneutralen Produktion in der Chemieindustrie. Eine Schlüssel­technologie dabei ist der Einsatz von CCU-Konzepten, bei denen bspw. Ethylen oder Propylen zur Herstellung von Kunststoffen aus einer Mischung von erneuerbarem Wasserstoff und CO2 erzeugt werden. Das dafür notwendige Kohlenstoffdioxid kann aus industriellen Prozessen oder Kraftwerksabgasen abgetrennt werden, wodurch massive Treibhausgaseinsparungen erzielt werden. Ein sehr vielversprechendes Projekt im Bereich der CO2-Abscheidung wurde 2020 in Österreich von mehreren großen, sektorübergreifenden heimischen Unternehmen gestartet. Bis 2030 soll in einem großindustriellen Maßstab CO2 als Ressource für die Fertigung von Olefinen, Kraftstoffen und hochwertigen Kunststoffen verwendet werden. Ebenfalls von Bedeutung ist der verstärkte Einsatz von biobasierten Rohstoffen bei der Herstellung chemischer Stoffe. Dabei ist eine kaskadische Nutzung anzustreben und auch das Thema der Flächenkonkurrenz, bspw. zu Nahrungsmitteln, zu beachten.

Klimaneutralität braucht wettbewerbsfähige Strompreise

Entscheidend für eine erfolgreiche Transformation der chemischen Industrie sind letztendlich aber vor allem ökonomische Faktoren. Das betrifft insbesondere die Kosten für die Entwicklung der neuen Technologien und den Aufbau der nötigen In­frastruktur sowie die laufenden Kosten für erneuerbaren Strom. Denn die Erzeugungskosten von grünem Wasserstoff hängen maßgeblich von den Energiekosten ab. Um Klimaneutralität erreichen zu können, ist es daher zwingend notwendig, dass ausreichend nachhaltige elek­trische Energie zu wettbewerbsfähigen Preisen zur Verfügung steht. Nur so kann die klimaneu­trale Herstellung von chemischen Produkten in Europa gehalten und einer weiteren Verlagerung nach Asien und Amerika entgegengetreten werden. Die EU ist also gefragt, die politischen Rahmenbedingungen für die Klimaneutralität im Bereich der industriellen Produktion so zu setzen, dass die europäischen Industrien im Rahmen der Umsetzung des Green Deal auch ökonomisch re­üssieren können.

„Die Anerkennung von Recycling als Klimaschutzmaßnahme ist für eine funktionierende und ökonomisch sinnvolle Kunststoff-Kreislaufwirtschaft Voraussetzung.“

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