Logistik & Supply Chain

Transparenz in Echtzeit

Interview mit Christina Thurner, Mitglied der Geschäftsleitung von Loxxess

24.02.2021 - Die Lieferkette in der Pharmalogistik so sicher wie möglich zu gestalten – speziell in Hinblick auf die aktuelle Impfstoff-Logistik, aber auch Logistik-Managementsysteme „intelligenter“ zu machen, das sind Themen, die Logistikverantwortliche umtreiben.

CHEManager: Frau Thurner, seit 2020 sind Sie nun im Vorstand der BVL. Worin sehen Sie in dieser Position Ihre wichtigste Aufgabe?

Christina Thurner: Ich bin im Frühjahr 2020 zur Wahl in den BVL-Vorstand angetreten, um insbesondere dem Wirtschaftsbereich Logistik in der Öffentlichkeit mehr Aufmerksamkeit zu verleihen. Das beinhaltet eine Vielzahl an Themen, mein Fokus liegt dabei vor allem auf der Stärkung des Mittelstandes und der Zielgruppe der jüngeren Generationen. Hier liegt unsere Zukunft in doppeltem Sinne, daher setze ich viel daran, die Attraktivität der Logistik zu kommunizieren. Ich bin davon überzeugt, dass wir so diverser und erfolgreicher werden können. Und das Thema Frauen und Familie treibt mich als Unternehmerin und zweifache Mutter natürlich auch um.

In der chemischen Industrie wie in der Logistik sind Frauen noch immer weit in der Unterzahl. Woran liegt das Ihrer Meinung nach begründet und wo sehen Sie Ansatzpunkte, das Verhältnis zu Gunsten der Frauen zu verbessern?

C. Thurner: Das ist leider nicht so einfach zu erklären, weil das komplexe Gründe hat. Es fängt sicher schon früh an, dass Frauen weniger dazu ermutigt werden, sich mit den MINT-Fächern auseinanderzusetzen, damit sind die Quoten von Frauen in den einschlägigen Studiengängen noch sehr gering. Erschwerend kommt hinzu, dass die in unserer Gesellschaft vorherrschenden Rollenbilder es Frauen nicht einfach machen, zielstrebig auf Führungspositionen hinzuarbeiten.

Hier braucht es nach wie vor viel Arbeit an unseren Rollenbildern, die wir über die Erziehung an unsere Kinder weitergeben. In den Bildungseinrichtungen muss frühzeitig ein Bewusstsein dafür entstehen, sowohl Mädchen als auch Jungs die gleichen Möglichkeiten aufzuzeigen. Das wäre schon eine hervorragende Grundlage, um Frauen später im Beruf den Zugang zu Führungspositionen zu erleichtern.

Ganz anderes Thema: Sie betrachten nach eigenen Angaben die Logistik als verlängerte Werkbank der Unternehmen. Was bedeutet dies übertragen zum Beispiel auf die Chemie- oder Pharmalogistik?

C. Thurner: Erfolgreiche Logistik beinhaltet immer mehr Big Data Management. Das Stichwort lautet hier: lückenlose Nachverfolgbarkeit und Transparenz in Echtzeit. Die Logistik knüpft da an, wo das Unternehmen Produkte in unsere Verantwortung übergibt. Wir sorgen dafür, dass beim Transport und bei der logistischen Abwicklung die Originalität und Unversehrtheit der sensiblen Produkte gewährleistet ist. Die Logistik ist keine „Black Box“ mehr, sondern eher eine „Glass Box“.

Hinzu kommen Dienstleistungen, die zunehmend von der Produktion in die Logistik verlagert werden können, wie beispielsweise die Seria­lisierung. Dadurch kann nicht nur jede Lieferung genau nachverfolgt werden, der Hersteller gewinnt dadurch auch Flexibilität. Über allem steht natürlich die Einhaltung der GMP- und GDP-Richtlinien und anderer Standards.

Um bei der Pharmalogistik zu bleiben: Das Jahr 2020 war geprägt vom Thema „Covid-19“, gefolgt von einer Diskussion über die Sicherheit der Kühlkette. Wo sehen Sie die größten Schwachstellen in der Kühlkette für temperatursensible Pharmazeutika?

C. Thurner: Grundsätzlich sind temperaturgeführte Lagerung und Transport das tägliche Brot der Pharma­logistikspezialisten. 2 bis 8 °C für beispielsweise die Grippe- oder Masernimpfung sind absoluter Branchenstandard, somit wird der dritte verfügbare Impfstoff von AstraZeneca logistisch keine Herausforderung darstellen. Auch die geforderten - 25 °C bei dem bereits zugelassenen Impfstoff Moderna sind in der Pharmawelt bekannt und kommen etwa bei Blutplasmaprodukten bereits zum Einsatz. Die Herausforderung liegt daher auf dem ersten zugelassenen Impfstoff von Biontech mit der benötigen Kühlung auf - 70 °C. Das ist zwar kein Standard, dennoch haben sich alle Spezialisten gut vorbereitet und machen nun einen großartigen Job bei Lagerung und Transport.

Was ich als viel größere Schwierigkeit wahrnehme, ist die fehlende, zentral organisierte Planung oder zumindest eine Guideline als Hilfestellung. Für die Verteilung vom Zentrallager an die Verteillager der Bundesländer ist der Bund zuständig. Danach waren alle 16 Bundesländer dazu angehalten ihre eigene Logistik zu stemmen. Zudem hat man sich sehr stark auf die Anforderungen des Biontech-Impfstoffs konzentriert und hat die gesamte Logistikkette danach aufgebaut, was jedoch bei den nachfolgenden Impfstoffen nicht mehr relevant ist.

„Erfolgreiche Logistik beinhaltet immer mehr Big Data Management. Das Stichwort lautet hier: lückenlose Nachverfolgbarkeit und Transparenz in Echtzeit.“

 

Könnte hierbei der Einsatz spezifischer Qualitätsmanagementsysteme im Vorfeld Abhilfe schaffen?

C. Thurner: Solche Systeme haben spezialisierte Dienstleister der Pharmaindustrie wie etwa Loxxess Pharma oder Trans-o-flex ja ohnehin im Einsatz. Viel wichtiger erscheint mir, dass die Bundesländer ein einheitliches Vorgehen, Risikobewertungen und Standards definieren. Die Bundesvereinigung Logistik hat zu diesem Zweck ein Expertengremium aus verschiedensten namhaften Unternehmen zusammengestellt, das dem Bundesministerium für Gesundheit, den Gesundheitsbehörden der Länder und dem Robert-Koch-Institut als unabhängiges Gremium die Erarbeitung dieser Standards pro bono angeboten hat.

Sehen Sie in Bezug auf die Erhöhung der Lieferkettensicherheit KIs als mögliche hilfreiche Kandidaten oder sind diese in anderen Bereichen der logistischen Abwicklung vielversprechender eingesetzt?

C. Thurner: Bei Loxxess haben wir bislang sehr gute Erfahrungen mit dem Einsatz von künstlicher Intelligenz zur Prozessoptimierung, Transparenzgewinnung in Echtzeit und zur stetigen Realisierung von Effizienzgewinnen gemacht. Beispielhaft zu nennen wäre da unser Projekt „SMILE“ (Anm. d. Red.: Smart und Innovativ: Logistik für den E-Commerce), eine Lösung speziell für die Bedürfnisse des Online-Angebots einer namhaften Drogeriemarktkette. Hier können wir dank eines selbstlernenden Algorithmus wichtige Optimierungen umsetzen, sind in Echtzeit aussagefähig und wissen frühzeitig, wenn sich bottle necks bilden oder andere He­rausforderungen aufkommen.

Das ist in meinen Augen gegenwärtig einer der größten Treiber, auch und insbesondere beim Thema Supply Chain Management. Es entstehen immer neue Lösungen, die Datenmengen in Echtzeit erheben und dadurch Lieferketten effizienter machen können. In Deutschland stößt man hierbei allerdings an Grenzen, wir sind von einem flächendeckenden 4G-Ausbau – geschweige denn 5G – weit entfernt. Dabei bietet künstliche Intelligenz in so vielen Bereichen Potenzial: So könnte man zum Beispiel auf der Grundlage aktueller Wetter-, Stau- und Temperaturdaten sehr genaue Vorhersagen über Lieferengpässe treffen. Die End-to-End-Visbility ist sicherlich das spannendste Thema derzeit. In Zukunft kann ich mir gut vorstellen, dass besonders hochpreisigen und sensiblen Medikamenten ein Tracker beiliegt, der sich aktiv meldet, wenn es zu Lieferverzögerungen kommt.

 

Zur Person

Christina Thurner ist Mitglied der Geschäftsleitung des Logistikunternehmens Loxxess, das sie mit ihrem Bruder, Claus-Peter Amberger, gemeinsam führt. Beide halten seit 2010 74,8 % der Loxxess-Aktien, die ihnen ihr Vater Peter Amberger überschrieben hatte. Thurner hat in der Schweiz Wirtschaftswissenschaften mit Schwerpunkt Logistik studiert. Ins Familienunternehmen stieg sie 2010 ein. Sie verantwortet bei Loxxess die Bereiche Lean Management/Qualität, Strategie, Innovation sowie PR und Marketing. Seit 2016 ist sie zudem als Mitgesellschafterin in die Neuausrichtung des Schnelllieferdienstes Trans-o-flex involviert. Christina Thurner ist Vorstandsmitglied der Bundesvereinigung Logistik (BVL), sowie Beirätin der Initiative „Die Wirtschaftsmacher“.

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