Chemie & Life Sciences

Unverzichtbar für Sicherheit, Nachhaltigkeit und Ästhetik

Interview mit Norbert Schröter vom Verband Deutsche Bauchemie, Bauchemie

15.03.2021 - Der Industrieverband Deutsche Bauchemie vertritt die Interessen der in Deutschland ansässigen Hersteller bauchemischer Produkte auf nationaler, europäischer und internationaler Ebene.

Die rund 130 Mitgliedsunternehmen erwirtschaften pro Jahr mit ca. 32.000 Beschäftigten mehr als 8,8 Mrd. EUR Umsatz. Eingebunden ist die Deutsche Bauchemie in den Verband der chemischen Industrie (VCI). Birgit Megges befragte Norbert Schröter, Hauptgeschäftsführer der Deutschen Bauchemie, zur aktuellen Situation der Branche, ihren zu bewältigenden Herausforderungen und innovativen Ansätzen.

CHEManager: Herr Schröter, können Sie einen kurzen Einblick in die konjunkturelle Entwicklung der Bauchemie geben?

Norbert Schröter: Grundsätzlich können wir als bauchemische Branche vor dem Hintergrund der Pandemie noch zufrieden sein mit dem vergangenen Jahr. Einerseits lief das Endkundengeschäft gut zu der Zeit, als Baustoffhandel und Baumärkte geöffnet waren, weil viele Haus- und Wohnungsbesitzer modernisiert oder verschönert haben. Andererseits wurde im professionellen Bereich intensiv an den Baustellen weitergearbeitet. Länder, Landkreise und Kommunen haben viel dafür getan, ihre laufenden Infrastrukturprojekte aufrechtzuerhalten – auch zu Lockdown-Zeiten.

Die Mitgliedsunternehmen der Deutschen Bauchemie waren bestens präpariert, um Produktions- und Lieferketten nicht abreißen zu lassen. Man hat die Corona-Regeln in den Werken streng umgesetzt, so dass die personellen Beeinträchtigungen prozentual deutlich unter denen im Bundesdurchschnitt der Industriebetriebe lagen.

Auch aktuell sind die Bauinvestitionen noch auf einem hohen Niveau, weshalb der Ausblick für 2021 in der Bauchemie ebenfalls optimistisch ausfällt. Öffentliches Geld ist da, viele Infrastrukturprojekte sind zwar finanziert, aber noch nicht umgesetzt. Und auch im privaten Sektor sind die Menschen weiterhin bereit in ihr Wohnumfeld zu investieren.
Konjunkturell schauen wir vor allem auch nach Europa, dem Heimatmarkt der Bauchemie. Mit Blick auf das größte EU-Konjunkturpaket im Umfang von 1,8 Bio. EUR und zusätzlichen Aktivitäten und Plänen der EU-Kommission unter anderem im Bereich Nachhaltigkeit, wie zum Beispiel Green Deal, sind auch auf dieser Ebene die Perspektiven für unsere international tätige Branche positiv.

Welchen Einfluss hat die Pandemie auf Bauinvestitionen, Angebot und Nachfrage und auf Lieferketten?

N. Schröter: Die Investitionen in den Neubau und in die Instandhaltung von Bauwerken sind weltweit weiterhin hoch. Aber es gibt natürlich Auswirkungen. Die Zusammenhänge werden sehr gut am Beispiel der Epoxidharzprodukte deutlich: Eine kontinuierlich wachsende Nachfrage auf den internationalen Märkten beeinträchtigt die Verfügbarkeit und befeuert die Preisdynamik. Um in Europa überhaupt Lieferungen von Basisepoxidharzen zu erhalten, müssen Preise akzeptiert werden, die mehr als 100 % über dem normalen mittleren Preis liegen. Weltweit ist die Zahl der Produktionsstätten für Epoxidharz-Rohstoffe begrenzt, deshalb haben zuletzt aufgetretene Störungen und sogar Ausfälle ganzer Anlagen sehr schnell gravierende Auswirkungen auf die am Markt verfügbaren Rohstoffmengen. Lieferengpässe tragen zusätzlich zum Preisauftrieb bei. Einige internationale Anbieter haben ihre Lieferverträge mit den europäischen Epoxid­harz-Herstellern gekündigt, weil ihnen so gut wie keine Ware mehr zur Verfügung steht. Mitgliedsunternehmen der Deutschen Bauchemie beziffern die Kostensteigerung von Epoxidharzen allein im Dezember 2020 auf eine Größenordnung zwischen 40 und 60%. Für Liefer­ungen im ersten Quartal 2021 müssen weitere extreme Preisforderungen akzeptiert werden, um Lieferungen zu erhalten.

Auswirkungen hat die Pandemie auf die bauchemische Forschung und Entwicklung an den Hochschulen. Viele Projekte können dort aktuell nicht weitergeführt werden, deshalb laufen sie in Teilbereichen direkt bei unseren Mitgliedsunternehmen. Forschung und Entwicklung sind für unsere Branche existenziell wichtig, zumal in Nordamerika und Asien der wissenschaftliche Betrieb an den Universitäten weiterläuft. Wir müssen in Europa aufpassen, dass wir durch die Pandemie nicht abgehängt werden in diesem Bereich.

Was sind derzeit die größten Herausforderungen für Ihre Mitgliedsfirmen?
 

Gemeinsam müssen wir dafür sorgen,
dass der europäische Markt funktioniert
und die Lieferketten intakt bleiben.“
 


N. Schröter: Gemeinsam müssen wir dafür sorgen, dass der europäische Markt funktioniert und die Lieferketten intakt bleiben. Hier kämpfen wir gerade mit den Brexit-Folgen. Die Anzahl an Speditionen wächst aktuell, die keine Aufträge nach England mehr annehmen, weil die Abwicklung zu teuer und zu zeitaufwändig ist. Der Markt dort aber ist für unsere Branche wichtig. Unsere Mitgliedsunternehmen verfolgen zudem sehr intensiv, wohin in Europa die Investitionen fließen, wo große Bauvorhaben in den Bereichen Infra­struktur, Wohnungs- und Industriebau avisiert werden.
Europa heißt auch immer: zwei Seiten einer Medaille. Die EU-Chemikalienpolitik mit den ständigen Umstrukturierungsprozessen wie zum Beispiel REACh, CLP oder die Bauproduktenverordnung verunsichert die Unternehmen, weil Planungssicherheit und damit verbundene Investitionen vorhanden sind. Was Konzerne hier vielleicht noch mitgehen können, ist für kleinere mittelständische Unternehmen oft ein Problem. Die Überregulierung auf nationaler und europäischer Ebene wird schnell zum Markthindernis. Wir engagieren uns als Deutsche Bauchemie hier auf allen Ebenen in Brüssel und Berlin sehr intensiv, um die Auswirkungen für unsere Branche abzumildern beziehungsweise positiv zu gestalten.

Welche Megatrends wie nachhaltiges Bauen, modulares Bauen, Klima- und Umweltschutz oder Urbanisierung treiben das Wachstum Ihrer Mitgliedsfirmen an?

N. Schröter: Natürlich beschäftigen wir uns in der Bauchemie intensiv mit den großen europäischen Wirtschafts- und Nachhaltigkeitsthemen Green Deal, Renovation Wave, EU-Recovery Plan Covid-19 oder Construction 2050 Alliance. Diese Projekte stehen aber nicht aus sich selbst heraus für Wachstum, sondern verlangen von unseren Mitgliedsunternehmen einen langen Atem zur Generierung von Markterfolgen. Klima- und Umweltschutz sind seit Jahrzehnten ein Thema in der Bauchemie, hier resultiert Wachstum vor allem aus der Innovationsfähigkeit unserer Unternehmen und das wiederum verlangt Rahmenbedingungen, die keine zusätzlichen Hindernisse aufbauen. Wenn wir die haben, funktioniert es. Moderne Betonzusatzmittel reduzieren den Bedarf an Zement, Sand und Wasser für die Betonherstellung, das ist ein ganz konkreter Beitrag zur Nachhaltigkeit.

Ob modulares Bauen unserer Branche nützt, lässt sich schwer einschätzen. Meiner persönlichen Einschätzung nach bleibt Bauen bis zu einem gewissen Grad örtlich individualisiert, auch wenn industriell vorgefertigte Bauteile oder sogar „gedruckte“ Bauwerksabschnitte eine wachsende Rolle spielen werden. Hier gehen wir im Verband mit der Implementierung von „BIM @ Bauchemie“ gerade einen großen und notwendigen Schritt nach vorn und zeigen damit, dass die Digitalisierung sicher auch einer der Megatrends ist, der – nicht nur – die ganze Bauwirtschaft antreibt.

Welchen Einfluss haben diese Megatrends auf Innovationen im Bereich Bauchemie?

N. Schröter: In der bauchemischen Industrie entwickeln wir Innovationen weniger nach den gerade aktuellen Megatrends, sondern vielmehr im Hinblick auf die Anforderungen der Märkte national, in Europa und weltweit.

Produktentwicklungen berücksichtigen heute viel stärker als noch vor zehn Jahren Aspekte wie Kreislaufwirtschaft, den Cradle-­to-Cradle-Gedanken und den Ressourceneinsatz. Die Anwendbarkeit von bauchemischen Produkten und die Recyclingfähigkeit sind heute gleichwertig im Fokus der Hersteller.
Die Mitgliedsunternehmen setzen auch selbst Trends, wenn sie mit Innovationen neue Märkte erschließen. Das gilt beispielsweise für Afrika – hier investieren derzeit viele Firmen, zum Teil auch in eigene Produktionen mit Systemen speziell für die Märkte auf diesem Kontinent.

Können Sie Beispiele besonders innovativer Konzepte oder Systemlösungen geben?

N. Schröter: Ein herausragendes Beispiel ist etwa das Bahnprojekt Stuttgart-Ulm mit den besonderen Kelchstützen für den Bahnhof Stuttgart 21. Von der Planung der besonderen Stützen aber auch bei den zahlreichen Tunnelbauten war stets bauchemisches Know-how gefragt. Innovationen gibt es auch bei „unsichtbaren“ Infrastrukturbauten, wie im Bereich der Kanalisa­tion. Heute werden Stahlbetonröhren verbaut, die über eine Wärmerückgewinnung dem Abwasser Wärme entziehen und diese nutzbar machen können. Zudem sind die Röhren mit verklebtem Glas ausgekleidet, um die Dauerhaftigkeit zu verbessern. In der Stadtentwicklung ist die Bauchemie beteiligt an der Etablierung von Multifunktionsfassaden, um die Solarenergie in der vertikalen Anwendung nutzen zu können und gleichzeitig die Bauwerksästhetik zu verbessern. Schließlich ist auch der Bau und Betrieb von Windkraftanlagen ein Bereich für anspruchsvolle bauchemische Produkte.

Sicher entwickeln sich die zahlreichen Segmente der Bauchemie sehr unterschiedlich. Welches sind die umsatzstärksten Segmente? In welchen Segmenten sind die Zahlen eher rückläufig?

N. Schröter: Durch die sehr heterogene Struktur unserer Mitgliedsunternehmen – vom kleineren Mittelständler mit Spezialprodukten bis hin zum weltweit aktiven Großkonzern – ist es für uns aus Verbandssicht nicht möglich, präzise Kennziffern für die einzelnen Sparten zu erheben. Daher kann ich hier nur tendenzielle Aussagen treffen. Entsprechend der eingangs genannten guten Konjunkturentwicklung der Bauchemie insgesamt verzeichnen wir in der Branche erfreulicherweise aktuell keine rückläufigen Segmente.
Die umsatzstärksten Bereiche sind Mörtelprodukte, Systeme zur Bauwerksabdichtung innen und außen sowie die gesamte Betontechnologie. Im Tief- und im Hochbau etwa sind hochwertige und langlebige Ausführungen ohne moderne Betonzusatzmittel gar nicht möglich.

Welche Visionen für das Bauen der Zukunft im Wohn-, Arbeits- und Verkehrsbereich werden im Verband derzeit diskutiert und was trägt die Bauchemiebranche dazu bei?

N. Schröter: Aktuell diskutieren wir zum Beispiel die übergreifenden Auswirkungen der Pandemie, nachdem wir in Deutschland und Europa die akute Gefährdung überwunden haben. Wohnen, Arbeiten und Mobilität werden sich mittelfristig verändern. Ein anderes Phänomen, das sich auswirkt auf unsere Branche, ist Urban Mining – eine Betrachtungsweise von Städten als „Rohstoffdepots“. Angesichts von Entwicklungen wie zuvor beim Epoxidharz geschildert und angesichts der teilweise kritischen Situation in manchen Rohstoffe liefernden Länder müssen wir uns viel stärker mit der vorhandenen Bausubstanz beschäftigen und Pläne entwickeln, wie damit sinnvoll und ressourcensparend umzugehen ist. Ich denke, es werden sich ergänzende Indus­triezweige entwickeln, die sich mit einer innovativen Bauchemie konstruktiv verknüpfen.
 

Das Interview mit Norbert Schröter, Hauptgeschäftsführer der Deutschen Bauchemie, führte Birgit Megges.

ZUR PERSON
Norbert Schröter ist seit 1990 Hauptgeschäftsführer und Vorstandsmitglied des Industrieverbands Deutsche Bauchemie. Er studierte Bauingenieurwesen am Karls­ruher Institut für Technologie (KIT) mit Abschluss als Diplomingenieur und war anschließend einige Jahre als Bauleiter tätig. Schröter nimmt derzeit Funktionen in nationalen und internationalen Organisationen wahr, u. a. im Vorstand von Construction Products Europe (CPE), als Vizepräsident der European Federation Concrete Admixtures (EFCA) und als Präsident der European Concrete Platform (ECP).

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Verband Deutsche Bauchemie e.V.

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