Chemie & Life Sciences

Digitalisierung als ganzheitlicher Optimierungsansatz

Interview mit Arne Bader, Chief Digital Officer bei Häffner

17.03.2021 - Chemiedistributor koppelt die Digitalisierung sämtlicher Prozesse eng an die Unternehmensstrategie

Häffner ist ein Familienunternehmen, das bereits 1903 gegründet wurde und sich auf das Marketing und die Distribution von Säuren, Laugen, Lösemitteln sowie Spezialitätenchemie fokussiert. Mit einem eigenen Netzwerk ist das Unternehmen in ganz Europa tätig. Im Zuge der strategischen Weiterentwicklung gehören verschiedenste Aspekte der Digitalisierung zum täglichen Geschäft. Arne Bader, Chief Digital Officer bei Häffner, gibt einen Einblick in die Digitalisierungsprozesse eines Chemiedistributors und die Möglichkeiten, die sich dadurch bieten. Die Fragen stellte Birgit Megges.

CHEManager: Herr Bader, welche sind die größten Treiber für Digitalisierung in der Chemiedistribution und welche Bedeutung messen Sie dem Thema innerhalb der Branche bei?

Arne Bader: Natürlich ist der Handel generell immer getrieben von den Anforderungen der Kunden beziehungsweise von der Maxime, dem Kunden ein möglichst optimales Einkaufserlebnis in Bezug auf Kosten, Service & Information sowie einem breiten Produktportfolio zu bieten und sich so von Marktbegleitern abzuheben. Diese Punkte sind weiterhin relevant, jedoch werden zusätzlich jene Annehmlichkeiten, die unsere Kunden aus dem privaten Bereich von großen Online-Händlern kennen, wie Sendungsverfolgung, Online-Informationen zu Produkten, automatische Versandbenachrichtigungen oder Preisvergleiche, mehr und mehr auch im B2B-Bereich nachgefragt. Es gibt aber auch interne Treiber der Digitalisierung: Die neue Generation der Mitarbeiter rückt langsam nach und erwartet von ihrem Arbeitgeber andere Rahmenbedingungen als das noch vor ein paar Jahren der Fall war. So gehört heute zum Beispiel eine solide technische Ausstattung, flexible Arbeitszeiten und die Möglichkeit, mobil zu arbeiten, meist zu den Grundanforderungen und ist kein besonderes Extra mehr. Wer sich hier als Arbeitgeber vor der ,neuen Welt‘ verschließt, läuft schnell Gefahr, den Anschluss zu verlieren.

Was verstehen Sie bei Häffner unter dem Buzzword Digitalisierung? In welchen Bereichen und Prozessen spielt die Digitalisierung eine Rolle?

A. Bader: Zunächst sehen wir das Thema Digitalisierung nicht als reines IT-Thema. Es geht für uns um einen ganzheitlichen Ansatz zur Optimierung sämtlicher Unternehmensprozesse mit Bezug auf unsere Kunden, Lieferanten und Mitarbeiter. Wir versuchen, die technischen Möglichkeiten unserer Zeit möglichst zielgerichtet so einzusetzen, dass Verschwendung von Zeit, Geld und Kapital vermieden wird und gleichzeitig neue Mehrwerte entstehen. Dies beinhaltet neben klassischen Automatisierungsansätzen auch die Nutzung und Aggregation aller verfügbaren Daten und Informationen zur Unterstützung und Ausweitung unseres Geschäftsmodells.

 

„Wir sehen das Thema Digitalisierung
nicht als reines IT-Thema.“



Insbesondere in der Distribution ermöglicht die Digitalisierung auch für branchenfremde „Digitalunternehmen“ den Markteintritt. Ist dadurch das klassische Geschäftsmodell gefährdet?

A. Bader: Die Eintrittsbarrieren in den Chemiehandel, insbesondere im B2B-Bereich, sind weiterhin hoch, da nicht nur besonderes Wissen über Produkte und Anwendungsbereiche gefragt ist, sondern auch gute Kontakte und Netzwerke von Nöten sind, um dauerhaft erfolgreich arbeiten zu können. Zudem geht es insbesondere bei unseren mittelständischen Kunden auch um das Vertrauen in die logistische und kaufmännische Flexibilität und Leistungsfähigkeit. Daher fürchten wir hier keine Marktübernahme branchenfremder Digitalunternehmen wie Alibaba, Amazon & Co. Wir können aber von diesen Unternehmen lernen. Besonders in puncto Serviceprozesse und Customer Experience setzen diese den Maßstab, da jeder die Vorteile aus dem Privatleben kennt. In Bezug auf die neuen Online-Plattformen sind wir bei Häffner aber schon lange sehr aufgeschlossen. Diese sind aus unserer Sicht ein wunderbares Werkzeug, um Angebot und Nachfrage auch über die Grenzen des klassischen Außendiensts hinweg zu verbinden.

Jeder „macht“ Digitalisierung, aber viele scheitern an der Umsetzung. Welche Erfahrungen und Erkenntnisse haben Sie bei Häffner gesammelt?

A. Bader: Digitalisierung ist kein Projekt, welches heute beginnt und an einem bestimmten Datum abgeschlossen ist. Es ist ein fortlaufender Prozess, der viele kleinere und größere Projekte einschließt und so über die Zeit die Art, wie wir arbeiten und leben, fundamental verändert. Daher muss eine Digitalisierungsstrategie aus unserer Sicht eng an die Unternehmensstrategie gekoppelt sein beziehungsweise davon abgeleitet werden, um effektiv zu sein. Wir sind noch einen Schritt weitergegangen und haben ein eigens für uns entwickeltes Projektmanagementsystem mit einem externen Partner eingeführt, um hier mehr Agilität in unserer Vorgehensweise zu implementieren. Dieses gibt uns Tools und Methoden, um nicht nur konstanten Fortschritt zu erreichen, sondern auch den Fokus auf die Menschen zu richten. Unsere Mitarbeitenden sollen nicht durch digitale Lösungen ersetzt, sondern im Gegenteil, dadurch gestärkt, entlastet und unterstützt werden. Dazu muss man sie in Entscheidungsprozesse und das Lösungsdesign einbinden und Schritt für Schritt gemeinsam digitaler werden. Ich denke, gerade dieser Punkt entscheidet in vielen Digitalisierungsprojekten über Erfolg oder Misserfolg.

Sehen Sie den Mittelstand beim Thema Digitalisierung im Vergleich zu großen Konzernen im Nachteil oder können KMUs dabei sogar ihre Stärken ausspielen?

A. Bader: Einerseits haben große Konzerne natürlich meist auch größere Budgets für die Digitalisierung. Das ist grundsätzlich hilfreich. Andererseits existieren dort aber auch häufig weitaus größere Hürden, die es zu überwinden gilt. Man denke nur an die klassischen Gräben die teils zwischen den – meist outgesourcten – IT-Abteilungen und dem Business liegen. Das ist im Mittelstand anders, hier ist man besser vernetzt und deutlich flexibler. Bei Häffner sitzt beispielsweise bei jeder wichtigen Besprechung auch mindestens ein Vertreter der IT mit am Tisch und unterstützt das Business beratend. So entstehen schnell taugliche Ideen und Konzepte, die deutlich praxisnaher sind als die „Reisbrettmodelle“ aus den Strategieabteilungen eines großen Konzerns. Daher denke ich, dass es genau diese Kombination aus interdisziplinärer Zusammenarbeit, kurzen Entscheidungswegen und der Leidenschaft für das eigene Unternehmen ist, was den KMUs hier ihre Stärke verleiht.

Wo stehen Sie unternehmensweit beim Thema Digitalisierung und welche Projekte sind derzeit in der Planung oder Implementierung?

A. Bader: Wir haben in den letzten Jahren durch unsere Projekte bereits den Grundstein für erfolgreiche Digitalisierung gelegt und nicht zuletzt durch die Anforderungen aus der Covid-19-Pandemie viele Punkte im innerbetrieblichen Bereich erfolgreich umgesetzt. Hier sei beispielsweise die Einführung digitaler Kooperationstools, eines Social-Intranets sowie die Modernisierung der Arbeitsplätze durch den Umstieg auf mobile, leistungsfähige Notebooks zu nennen. Aber auch in Richtung unserer Kunden und Lieferanten haben wir bereits einiges erreicht: Unser digitaler Rechnungseingangsprozess ist durch Optical Character Recognition gestützt und halbiert beispielsweise den Prozess­aufwand und die Durchlaufzeiten, wodurch Lieferanten schneller bezahlt werden können und unnötige Skontoüberschreitungen der Vergangenheit angehören. Auf Kundenseite ist der „Häffner Warehousing Service“ sicher eines der Highlights. Dieser bietet Kunden die Möglichkeit, unsere freien Lagerflächen für ihre Gefahrgutlogistik zu nutzen. Vollautomatisiert inklusive digitalem Warenabruf sowie mit automatischer Bestandsauskunft per Mail. Durch das selbstoptimierende Hochregallager mit Sauerstoff-Reduktionsanlage können wir Kunden auch für oft kritische Produkte Lagerplätze anbieten. Das ist ein echtes Alleinstellungsmerkmal. Natürlich gibt es darüber hinaus noch viele weitere Themen, die jetzt aber den Rahmen sprengen würden. Für das Jahr 2021 stehen unter anderem Projekte wie elek­tronischer Datenaustausch entlang der Supply-Chain, Optimierung der Lagerprozesse durch mobile Handhelds oder die weitere Pilotierung eines „Digital Twin“-Ansatzes für unserer IBCs auf dem Plan, womit es weiterhin spannend bleibt.

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ZUR PERSON
Arne Bader ist bei Häffner als SAP ­Senior Consultant und Chief Digital Officer (CDO) tätig. Bader hat sein BWL-Studium mit Schwerpunkt Einkauf & Logistik an der Hochschule Pforzheim mit dem Titel Bachelor of Science abgeschlossen. Im Jahr 2011 hat er eine Tätigkeit als SAP-Berater in Einführungs- und Optimierungsprojekten für Kunden in ganz Europa aufgenommen. Der Wechsel zu Häffner fand im Jahr 2017 statt.

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