Forschung & Innovation

Zellstoff aus Ananaspflanzen

Eco:fibr entwickelt nachhaltiges, skalierbares Verfahren zur Zellstoffgewinnung für die Kartonage- und Papierindustrie aus Pflanzenresten

09.06.2021 - Ein Start-up bestehend aus einem interdisziplinären Team von Studierenden der Leibniz Universität Hannover hat einen umweltfreundlichen Prozess zur Zellstoffgewinnung entwickelt.

Ausgangsbasis sind Pflanzenreste, doch das junge Team von Eco:fibr befasst sich nicht mit heimischen Pflanzen. Vielmehr will es das Problem der schwer kompostierbaren Reststoffe von Ananasplantagen in Costa Rica lösen und mit der Mission “turning waste into purpose” eine nachhaltige Zukunft mitgestalten. Die Faserextraktion aus den Ananaspflanzenresten konnte im Labor bereits erfolgreich durchgeführt werden. Nun steht der finale Proof of Concept mit einer Produktion im industriellen Maßstab an. Michael Reubold sprach mit Niklas Tegtmeier, Mitbegründer und CEO Internes von Eco:fibr.

CHEManager: Wie entstand die Idee, Eco:fibr zu gründen, was war bzw. ist Ihre Motivation?

Niklas Tegtmeier: Im Rahmen der Studenteninitiative Enactus Hannover starteten wir 2017 mit der Idee, Zellulosefasern aus nicht exportfähigen Bananen zu extrahieren. Alle Enactus-Projekte haben das Ziel einen sozialen oder/und ökologischen Mehrwert mit ihren Konzepten zu schaffen. Die Reisen nach Costa Rica und die Eindrücke der Mengen an ungenutzten Pflanzenabfällen prägten unsere Mission „Turning Waste into Purpose“. Die gemeinsame Mission ist unser Antrieb, eine Lösung für die Abfallproblematik zu finden und bestehende Ressourcen effizienter zu nutzen.

Sie verfolgen heute mit Eco:fibr aber nicht die ursprüngliche Idee weiter. Wie kam es zu der Umorientierung?

N. Tegtmeier: Im Jahr 2018 flogen wir mit dem Ansatz der Faserextraktion aus Bananen zum ersten Mal nach Costa Rica. Dort besuchten wir neben dem biotechnologischen Forschungsinstitut CENIBiot auch Bananenplantagen. Schnell wurde klar, dass die nicht exportfähigen Bananen auf lokalen Märkten verkauft werden und kein Abfallproblem darstellen. Allerdings berichteten uns die „Ticos“ von den riesigen Mengen Ananaspflanzen, die jährlich bei der Ernte als Reststoff anfallen, und deren problematischer Beseitigung. Zurück in Deutschland stellten wir unser Laborverfahren auf die Ana­naspflanzen um. Mit Erfolg!

Was ist Ihr Produkt und wo sind die Abnehmer- bzw. Zielmärkte?

N. Tegtmeier: Das Produkt ist der Zellstoff, welcher in einem eigens entwickelten Verfahren aus den Ananaspflanzen extrahiert wird. Für die Marktvalidierung und den -einstieg befassen wir uns aktuell mit dem deutschen Zellstoff- und Papiermarkt. In den Gesprächen mit Unternehmen aus der Branche wurde uns die hohe Nachfrage nach alternativen Faserstoffen, welche nicht hölzernen Ursprungs sind, sowohl für den deutschen als auch den internationalen Markt gespiegelt. Aufgrund der geplanten Produktion in Costa Rica, dem weltweit größten Exporteur von Ananasfrüchten, und kürzeren Transportwegen planen wir mittelfristig den Absatz unseres Zellstoffs auch im süd- und mittelamerikanischen Raum.

Was ist das Besondere an Ihrer Technologie bzw. an Ihrem Prozess?

N. Tegtmeier: Ananaspflanzen sind aufgrund ihres hohen Zellulosegehalts extrem faserig. Zudem besitzen sie einen relativ niedrigen Ligningehalt, wodurch sie eine kaum verholzte Struktur aufweisen. Diese Eigenschaften machen einen Aufschluss ohne den Einsatz von hochkonzen­trierten Chemikalien und ohne Druck möglich. Die Fasern sind kein reiner „Füllstoff“, sondern als direkte Alternative zu Holzfasern einsetzbar. Unser Ansatz ist skalierbar, denn die Pflanzenreste fallen in allen Ana­nas-produzierenden Ländern an. So stehen wir bereits im Kontakt mit Plantagen aus weiteren amerikanischen und afrikanischen Ländern.

Wie groß ist der Sprung von der Universität in die Selbstständigkeit?

N. Tegtmeier: Aktuell befinden wir uns noch im Studium und entwickeln Eco:fibr ehrenamtlich weiter. Zum Ende dieses Jahres wird ein Teil des Teams das Studium abschließen und Vollzeit für unser Vorhaben arbeiten. Beim Sprung vom reinen Enactus-Projekt von Studierenden mit starkem Fokus auf den technischen Prozess zur Faserextraktion zum Start-up wurden wir vom Accelerator-Programm des Hafvens in Hannover unterstützt. In zahlreichen Workshops zu Themen wie Finanzplanung, Projektmanagement und rechtlichen Fragestellungen wurden wir auf das unternehmerische Denken vorbereitet.

Was werden die nächsten Schritte sein, um das Start-up weiterzuentwickeln?

N. Tegtmeier: Im Labor konnten wir die Faserextraktion bereits mehrfach erfolgreich durchführen und auf einen Rührreaktor skalieren. Dadurch konnten wir Zellstoffproben an ausgewählte Unternehmen aus der Papier- und Verpackungsindustrie verschicken und wertvolles Feedback erhalten. Für den finalen Proof of Concept und die Gewissheit, dass unser Verfahren auch im industriellen Maßstab einsetzbar ist, bedarf es eines Pilotierungsschrittes. Wir planen eine Produktion von fünf Tonnen Zellstoff mit einem Dienstleister in Deutschland, um dann in einer Testreihe mit einem Kooperationspartner Endprodukte aus dem Ananaszellstoff zu fertigen. Dieser Schritt bietet die Grundlage für die Finanzierung und Umsetzung unseres Vorhabens im Zielland.

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ZUR PERSON
Niklas Tegtmeier (24) ist Mitbegründer und CEO Internes von Eco:fibr. Er studiert Pflanzenbiotechnologie an der Leibniz Universität in Hannover und beginnt gerade seine Masterarbeit an der Technischen Universität Dresden. Er hat sich von Anfang an in dem Projekt, das zur Gründung von Eco:fibr führte, engagiert und gehört seit 2020 zur Projektleitung.

Innovation PitchBUSINESS IDEA

Turning Waste into Purpose

Jährlich fallen allein in Costa Rica 4,5 Mio. t Ananaspflanzen als schwer kompostierbarer Reststoff auf den Plantagen an. Die Beseitigung der Pflanzenabfälle ist kosten- und arbeitsintensiv. So wird der agroindustrielle Reststoff entweder verbrannt, mit Chemikalien behandelt oder aufwändig untergepflügt. Je nach Methode fallen für die Plantagen Kosten von 2.500 USD pro Hektar an. Darüber hinaus sind hohe CO2-Emissionen, die Verschmutzung des Grundwassers und die Versauerung der Böden Folgen der Entsorgung. Insbesondere die Blätter der Ananaspflanzen besitzen einen hohen Zellulosegehalt und eignen sich daher für die Fasergewinnung. Eco:fibr hat in den Laboren der Leibniz Universität Hannover ein Verfahren entwickelt, um die Zellulosefasern zu extrahieren und als Substitut zu Holzfasern einzusetzen.

Das Team konnte die Faserextraktion aus den Ananaspflanzen erfolgreich im Labor durchführen und Proben an Papier- und Verpackungsunternehmen verschicken. Für das finale Proof of Concept ist eine Produktion im industriellen Maßstab notwendig, um u.a. das Verhalten der Fasern auf einer tatsächlichen Papiermaschine zu überprüfen. Dafür plant Eco:fibr eine Pilotierung mit einem industriellen Dienstleister in Deutschland. Sobald die Eignung der Ananasfasern im Industriemaßstab validiert wurde, kann die Umsetzung im Zielland Costa Rica erfolgen.
 

Vorteile auf einem Blick

  • Wertschöpfung aus agroindus­triellem Reststoff
  • Ganzjährig anfallendes und skalierbares Ausgangsmaterial
  • Dezentral einsetzbares Verfahren mit dem Ziel, Ressourcen zu sparen und mehrfach wiederzuverwenden
  • Verfahren für weitere landwirtschaftliche Abfallprodukte (Bananenstauden, etc.) einsetzbar

Geschäftsmodell

Die Extraktion der Ananasfasern erfolgt direkt im entsprechenden Anbauland. Im Anschluss können die Fasern an lokale Zellstoff-verarbeitende Unternehmen vertrieben werden. In Gesprächen mit deutschen Papierherstellern wurde zudem die hohe Nachfrage nach alternativen Faserstoffen auch in Deutschland bestätigt und es bestehen bereits Kontakte zu potenziellen Kunden. Für den Markteinstieg ist daher der deutsche Markt gut geeignet.

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Eco:fibr GbR, Langenhagen

Elevator pitchELEVATOR PITCH

Milestones & Roadmap

Das 11-köpfige studentische Team von Eco:fibr vereint interdisziplinär Kompetenzen aus Chemie, Wirtschaftswissenschaft, Ingenieurswesen und Marketing. Das Start-up wird von einem Netzwerk aus Organisationen, Experten und Advisoren unterstützt. So bestehen bspw. Kontakte zu diversen Ananasplantagen, der deutschen Außenhandelskammer und Botschaft in Costa Rica, dem costaricanischen Landwirtschaftsministerium sowie diversen Papier- und Verpackungsherstellern.

Für den Einsatz der Zellulosefasern aus Ananasresten sind verschiedenste Anwendungsgebiete wie Papierprodukte, Verpackungsmaterialien, aber auch Textilien oder Verbundstoffe in der Automobilindustrie denkbar.

Preise/Auszeichnungen/Acceleratoren

  • Hafven-Accelerator
  • 100. Gründungsstipendium der NBank
  • 1. Platz beim Gründungswettbewerb Startup-Impuls in der Kategorie „Hochschule und Wissenschaft“

Meilensteine:

2018:

  • Entwicklung Zellulose-Extraktionsverfahren für Bananenschalen
  • Erste Reise nach Costa Rica
  • Prozessumstellung von Bananen- auf Ananaspflanzenreste

2019:

  • Erster Papier-Prototyp aus Ananasfasern
  • Zweite Reise nach Costa Rica
  • Kooperation mit Ananas-Partnerplantagen

2020:

  • Aufnahme in das Hafven-Accelerator-Programm
  • Gründungsstipendium der NBank
  • Prozessoptimierung
  • Analyse erster Zellstoffproben bei Kooperationspartner

Roadmap:

2021:

  • Technisches Upscaling auf 150 L-Reaktor
  • Erste Lieferung von Ananas­pflanzen aus Costa Rica

2022:

  • EXIST-Förderung zur Finanzierung der Pilotierung in Deutschland
  • Gründung einer GmbH
  • Abschluss der Planung der Umsetzung in Costa Rica

2023:

  • Abschluss der Finanzierungs­runde für den Aufbau in Costa Rica
  • Aufbau einer Pilotanlage in Costa Rica

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Heidestr. 50a
30855 Langenhagen
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