Strategie & Management

Dow treibt Transformation zur Kreislaufwirtschaft und Klimaneutralität voran

Interview mit Ralf Brinkmann, Präsident und Vorsitzender der Geschäftsführung von Dow Deutschland

13.09.2021 - Immer mehr Chemiekonzerne lassen ihre ESG Performance evaluieren. Der Begriff ESG (kurz für: Environmental, Social and Governance) wird als Synonym für die unternehmerische Verantwortung verwendet und beschreibt den freiwilligen, über die gesetzlichen Anforderungen hinausgehenden Beitrag eines Unternehmens zu einer nachhaltigen Entwicklung von Umwelt, Gesellschaft und Wirtschaft.

Seit 60 Jahren ist Dow in Deutschland aktiv und betreibt hier wichtige Produktionsstandorte. Der Konzern, der u. a. einer der größten Kunststoffproduzenten der Welt ist, hat sich ambitionierte Nachhaltigkeitsziele gesetzt und seinen ersten ESG Report veröffentlicht. Michael Reubold sprach mit Ralf Brinkmann, Präsident und Vorsitzender der Geschäftsführung von Dow Deutschland, über die Nachhaltigkeitsstrategie des Unternehmens und die Transformation der Branche hin zur Kreislaufwirtschaft und Klimaneutralität.

CHEManager: Herr Brinkmann, pauschal gefragt: welche Rolle spielt ESG für Dow?

Ralf Brinkmann: Nachhaltigkeit und unternehmerische Verantwortung für Gesellschaft, Umwelt und Wirtschaft gehören zu den wichtigsten Säulen bei Dow. Unser erklärtes Ziel ist es, ökonomische, ökologische und gesellschaftliche Ziele miteinander zu verbinden, weil wir überzeugt sind, dass langfristiger wirtschaftlicher Erfolg nur unter Berücksichtigung der ökologischen und sozialen Auswirkungen all unseres Handelns möglich ist.

Wir haben uns 1995 als einer der ersten globalen Chemiekonzerne Nachhaltigkeitsziele für 10 Jahre gesetzt, diese seitdem immer wieder auf den Prüfstand gestellt und erweitert. Seit vielen Jahr berichten wir transparent über unsere Zielerreichung. Seit 2003 veröffentlicht Dow jährlich seinen Nachhaltigkeitsbericht, 2018 haben wir erstmals all unsere Bemühungen für Vielfalt und Inklusion in einem separaten Bericht dargestellt. Unser jetzt veröffentlichter erster ESG Report fasst alle Prioritäten – ökonomische, ökologische und gesellschaftliche – zusammen und stellt detailliert unsere Maßnahmen und die Fortschritte bei deren Umsetzung dar. Damit kommen wir auch den neuen Anforderungen unserer verschiedenen Stakeholder und Investoren nach.

Der ESG-Report trägt sinngemäß ins Deutsche übersetzt den Titel „Schnittpunkt von Wissenschaft und Nachhaltigkeit, Kultur und Verantwortlichkeit“. Was soll der Titel ausdrücken?

R. Brinkmann: Die Herausforderungen, mit denen wir als Gesellschaft und Industrie konfrontiert sind, sind groß und diese kann niemand alleine lösen. Wir wollen mit unserer Expertise und in Zusammenarbeit mit unseren Partnern eine nachhaltige Zukunft für die Welt schaffen und die ESG-Themen vorantreiben, die für unsere Kunden, unsere Beschäftigten, die Gesellschaft und unseren Geschäftserfolg wichtig sind. Das ist eine Verantwortung, die wir sehr ernst nehmen.

Wir betrachten nicht nur die unternehmerischen Kennzahlen, sondern sind bemüht, unsere Strukturen, Prozesse und Produkte zu hinterfragen und zu analysieren, wie wir Dinge besser und nachhaltiger machen können, und wie wir auch die Kunden und die Lieferketten mit einbinden können. Dow hat sich ambitionierte Nachhaltigkeitsziele gesetzt, wie die weitere Reduktion unseres ökologischen Fußabdrucks, CO2-Neutralität bis 2050 und die Förderung einer Kreislaufwirtschaft. Gleichzeitig stellen wir uns unserer sozialen Verantwortung als Arbeitgeber. Vielfalt und Inklusion sind tief in unserer Kultur verwurzelt und wir verfolgen ambitionierte Ziele, wenn es etwa um die Chancengleichheit von Frauen und Männern auf allen Ebenen des Unternehmens geht. Und wir wollen einen positiven Beitrag zur Entwicklung der Gesellschaft leisten und Verantwortung übernehmen. All das greift wie Zahnräder ineinander. Das soll der Titel des Reports ausdrücken.

Beim Thema Umwelt tragen Chemieunternehmen sowohl die Verantwortung für ihre energieintensiven Herstellungsprozesse als auch für ihre Produkte über den gesamten Lebenszyklus hinweg. Dieser Verantwortung gerecht zu werden, ist für einen großen Kunststoffproduzenten wie Dow eine besondere Herausforderung.

R. Brinkmann: Ja, das ist richtig. Und wir nehmen die Herausforderung an. Wir haben in der Vergangenheit – wie im Übrigen die gesamte Branche – schon gute Fortschritte gemacht. Aber das reicht nicht. Deshalb haben wir unsere Nachhaltigkeitsziele erweitert mit klarem Fokus auf der Reduzierung unseres CO2-Fußabdrucks und der Kreislaufwirtschaft.

Dow bekennt sich ganz klar zum Pariser Klimaabkommen, bis 2030 wollen wir unsere jährlichen Netto-Kohlenstoffemissionen um 5 Mio. t oder 15 % gegenüber dem Basisjahr 2020 reduzieren. Bis 2025 wollen wir über 750 MW an Energie aus nachhaltigen Ressourcen einkaufen. Allein in diesem Jahr wurde die Energieversorgung an acht Standorten in Europa auf ausschließlich erneuerbaren Strom umgestellt. Das entspricht 12 % des globalen Ziels bis 2025. Und das klare Ziel von Dow ist, 2050 weltweit klimaneutral zu sein.

Darüber hinaus sind die Themen Produktentwicklung und Kreislaufwirtschaft für uns als Kunststoffproduzent ganz wichtig. Kunststoffe im Kreislauf zu führen ist nicht nur für den Erhalt und den Schutz der natürlichen Ressourcen unseres Planeten von entscheidender Bedeutung, sondern auch für den Erfolg von Dow. Wir berücksichtigen den gesamten Lebenszyklus eines Produkts – vom Design und der Herstellung über die Nutzung bis zur Entsorgung – bei allem, was wir tun und produzieren.

Schon heute sind 81 % unserer Produkte für Verpackungen rezyklierbar. Unser Ziel ist es, dass diese über 2035 hinaus bis zu 100 % recycelbar sind. Langfristig geht es darum, eine komplette Kreislaufführung unserer Materialien zu realisieren und den Stoffkreislauf zu schließen.

Deshalb investieren wir in neue Produkttechnologien, Partnerschaften in der Wertschöpfungskette, Geschäftsmodelle und Infrastruktur für das Abfallmanagement, um nachhaltige Lösungen zu entwickeln und zu skalieren, die die Nutzungsdauer von Materialien und den zu ihrer Herstellung verwendeten Ressourcen verlängern.

Um bei der Wiederverwertbarkeit von Kunststoffen überhaupt in die Nähe von 100 % zu kommen, brauchen Sie aber chemisches Recycling, was von Kritikern als Etikettenschwindel betrachtet wird, weil die Pyrolyse letztendlich eine Verbrennung ist.

R. Brinkmann: Chemisches Recycling ist eine wichtige Technologie, die wir brauchen, um den Kunststoffkreislauf tatsächlich vollständig schließen zu können. Es ist eine ergänzende Technologie, um die Anwendungen zu adressieren, die wir mit dem mechanischen Recycling nicht erreichen. Chemisches Recycling wird es uns ermöglichen, bisher schwer zu recycelnde Kunststoffe zu recyceln und damit Kunststoffabfälle, die auf Deponien, in Verbrennungsanlagen oder, noch schlimmer, in der Umwelt landen, in einer Kreislaufwirtschaft zur Wiederverwendung zu halten. Ausserdem hilft es uns, die CO2-Emissionen zu senken – jede Tonne Kunststoff, die über chemisches Recycling verarbeitet wird, könnte im Vergleich zur Verbrennung etwa 1,5 t CO2 einsparen.

 

„Chemisches Recycling ist eine wichtige Technologie,
die wir brauchen, um den Kunststoffkreislauf
vollständig schließen zu können.“

 


Der Prozess ist zwar gut verstanden, wurde aber noch nicht in industriellem Maßstab durchgeführt. Mit Partnern wie Mura Technology oder Fuenix arbeiten wir daran, verschiedene Technologien zu skalieren, die recycelten Rohmaterialien zu veredeln und schließlich wieder in unseren Crackern zur Herstellung neuer Kunststoffe einzusetzen. Hier ist der Weg das Ziel, und es wäre vermessen zu sagen, dass wir morgen loslegen können. Dazu sind eine Menge Investition und Engagement nötig, und es braucht einige Jahre, bis wir die Technologie wettbewerbsfähig und effizient werden einsetzen können. Wenn uns das gelingt, haben wir eine komplette Kreislaufführung von Kunststoffen – ergänzend zum mechanischen Recycling.

Welche Konzepte haben Sie beim Thema energieeffiziente Produktion?

R. Brinkmann: Unsere Produktionsprozesse sind bereits stark integriert und wir arbeiten immmer weiter daran, die Prozesse zu verbessern, um die Produkte innerhalb unseres Stoffverbunds zu nutzen. Unsere Aufgabe ist es, Emissionen zu reduzieren, wo wir können, effizienter zu werden mit Strom, mit Dampf, und mit Gasströmen, die nicht emittiert werden oder zusätzliches CO2 freisetzen. Doch es braucht zukünftig komplett neue Technologien, um eine CO2-neutrale Produktion zu erreichen.

Ein Leuchtturmprojekt in Deutschland ist das Green-Methanol-Projekt in Stade. Bei der Chlorproduktion entsteht Wasserstoff als Nebenprodukt, das sind substanzielle Mengen von über 50.000 t/a, die wir verfügbar haben. Mit einem Teil dieses Wasserstoffs wollen wir e-Methanol herstellen. Aus Wasserstoff und CO2 entsteht nachhaltiges Methanol, das Grundlage für wichtige Wertschöpfungsketten der Grundchemie ist. Mittels Sektorenkopplung könnten so auch andere Bereiche wie Stahl oder Mobilität schnell und großskalig dekarbonisiert werden. Ein solches Projekt, bei dem man e-Methanol mit einer bestehenden Elektrolyse als Wasserstoffquelle und mit erneuerbarem Strom, der hoffentlich bald direkt von den Windkrafträdern kommt, herstellt, wäre ein enormer Beitrag zur Transformation, bei der die Chemie zeigen kann, welch erheblichen Beitrag sie zur Dekarbonisierung diverser Sektoren beitragen kann.

Natürlich stehen als Kunststoffhersteller beim Thema CO2 unsere Cracker besonders im Fokus. Diese benötigen große Mengen Energie und sind die größten Emittenten von CO2. Langfristig brauchen wir hier Technologien, um die Cracker elektrifizieren zu können. Dazu arbeiten wir in einer Kooperation mit Shell in den Niederlanden und den USA zusammen, um diese Entwícklung voranzutreiben. E-Cracking ist ein riesiger Beitrag zu den CO2-Reduktionszielen.

All diese in der Chemieindustrie wichtigen, aber energieintensiven Verfahren wie Cracking, Elektrolyse und Pyrolyse können durch die Elektrifizierung entscheidend dazu beitragen, Klimaneutralität zu erreichen. Dazu braucht die Branche aber Unmengen erneuerbarer Energien. Ist das tatsächlich zu schaffen?

R. Brinkmann: Diese Mengen an erneuerbaren Energien zur Verfügung zu stellen, ist eine Herkulesaufgabe. Eine komplett elektrifizierte chemische Industrie bräuchte – das haben wir im VCI berechnen lassen – gut 630 TWh an Strom. Das ist ungefähr so viel wie Deutschland heute insgesamt verbraucht, und dabei sind die Mengen für die Stahl-, Zement- und andere energieintensive Industrien noch gar nicht berücksichtigt. Nur, wenn große Mengen an erneuerbarem Strom zu wettbewerbsfähigen Preisen bereitgestellt werden, kann die Transformation der Industrie gelingen.

 

„Nur, wenn große Mengen an erneuerbarem Strom
zu wettbewerbsfähigen Preisen bereitgestellt werden,
kann die Transformation der Industrie gelingen.“

 


Insbesondere bei der Energieversorgung brauchen wir gegenüber Asien – vor allem China – und Nordamerika wettbewerbsfähige Rahmenbedingungen, sonst deindustrialisieren wir Deutschland und Europa. Damit wäre der Umwelt nicht geholfen. Wir können diese Transformation schaffen. Das wird nicht über Nacht gehen, wir sind aber bereits auf einem guten Weg. Wenn man sieht, wie viel erneuerbare Energie schon heute aus Wasser-, Wind- und Sonnenkraft gewonnen wird, ist das möglich – wenn die politischen Rahmenbedingungen den zügigen Ausbau der erneuerbaren Energien und den Netzausbau sicherstellen.

Neben der Verfügbarkeit von wettbewerbsfähigem, grünen Strom spielen der Emissionshandel und der derzeit diskutierte CO2-Grenzausgleich für Importwaren eine große Rolle. Hier braucht es eine globale Betrachtung, diese Mechanismen müssen gesamtheitlich funktionieren, damit die Unternehmen am Ende investieren können.

Wie beurteilen Sie die Konzepte, die die Politik zur Schaffung dieser wettbewerbsfähigen Rahmenbedingungen vorlegt?

R. Brinkmann: Das „Fit for 55“-Paket der EU gibt das Ziel vor: die Reduktion des CO2-Austoßes auf 55 % bis 2030. Das ist eine enorme Anstrengung, denn wir haben in der Chemie in dieser Hinsicht ja bereits Vorleistungen erbracht und die CO2-Emissionen über die letzten Jahrzehnte bei gleichzeitigem Produktionswachstum immer weiter reduziert – insbesondere in Deutschland. Die neuen ambitionierten Ziele von der EU stellen uns vor eine große Herausforderung, sind gleichzeitig aber auch eine Chance.

 

„Unsere Erwartung an die Politik ist,
dass sie heute die Rahmenbedingungen schafft,
die notwendig sind, um die Industrie von morgen
klimaneutral umzubauen.“

 

Wir haben in Deutschland mit den großen Playern der Branche das notwendige Know-how und Erfahrungen mit Technologien wie zum Beispiel bei Wasserstoff. Aber wir können das nicht alleine schultern und wir brauchen realistische Unterstützung, damit wir die notwendigen Investitionen zur Transformation umsetzen können. Unsere Erwartung an die Politik ist, dass sie heute die Rahmenbedingungen schafft, die notwendig sind, um die Industrie von morgen klimaneutral umzubauen.

 

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ZUR PERSON

Ralf Brinkmann ist seit 2018 Präsident und Vorsitzender der Geschäftsführung von Dow Deutschland und Präsident Dow D/A/CH, Italien, Israel, Osteuropa und Russland. Der gebürtige Kölner trat 1992 bei Dow ein und war in leitenden Positionen im Chemie- und Kunststoffgeschäft in Europa und in den USA tätig. Von 2010 bis 2014 war der Betriebswirt schon einmal Präsident von Dow in Deutschland und wechselte anschließend an die Spitze von Dow Customer Care. Von 2016 bis Februar 2018 übernahm er die weltweite Leitung von Dow Building & Construction. Brinkmann gehört dem Präsidium des Verbands der Chemischen Industrie an.

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