Märkte & Unternehmen

Vom Vitaminhersteller zum Krebsspezialisten

Der Schweizer Pharmakonzern Roche wird 125, in der Unternehmensgeschichte gab es Licht und Schatten

13.10.2021 - In 125 Jahren hat sich Roche von den Anfängen als Hustensiruphersteller über Vitamingeschäfte zu einem der weltweit größten Pharmaunternehmen entwickelt. Strategisch steht der Schweizer Konzern heute mit Pharma und Diagnostika auf zwei Beinen, inhaltlich legt das Unternehmen einen Fokus auf individuelle Therapien und Krebstherapeutika.

In 125 Jahren hat sich Roche von den Anfängen als Hustensiruphersteller über Vitamingeschäfte zu einem der weltweit größten Pharmaunternehmen entwickelt. Strategisch steht der Schweizer Konzern heute mit Pharma und Diagnostika auf zwei Beinen, inhaltlich legt das Unternehmen einen Fokus auf individuelle Therapien und Krebstherapeutika. Wenngleich Roche mit seinen weltweit über 90.000 Mitarbeitern sowie deutschen Standorten in Grenzach, Mannheim, Ludwigsburg und Penzberg aktuell glänzend dasteht, gab es in der Vergangenheit auch schwierige Phasen und dunkle Kapitel. 

Fast schien es, als wollte der Schweizer Pharmakonzern Roche die Kunstmesse Art Basel im Jahr 2021 um einige Tage verlängern. Während die weltbekannte Kunstausstellung am 26. September wieder ihre Pforten schloss, schaltete der ebenfalls in Basel ansässige Pharma- und Diagnostikkonzern an vier Abenden, vom 28. September bis zum 1. Oktober, das Licht an und verwandelte seine himmelwärts ragende Zentrale, den Roche-Turm 1, in eine Kunstinstallation und in ein „Denkmal für die besonderen Momente des Lebens“. Mit der Illumination wollte der Konzern auch der Allgemeinheit zeigen, dass es ein Ereignis zu feiern gibt – 125 Jahre Roche. 

Gründerjahre
Die Unternehmensgeschichte nimmt am 1. Oktober 1896 ihren Anfang. Im Alter von 26 Jahren gründet Fritz Hoffmann-La Roche die nahezu identisch lautende Firma F. Hoffmann-La Roche & Co. Obwohl nicht vom Fach, ist es sein Ziel, Medikamente industriell herzustellen und damit den Kampf gegen Krankheiten voranzubringen. Airol heißt das erste im großen Stil produzierte Arzneimittel, ein Produkt gegen Wundinfektionen. Später folgt Sirolin, ein Hustensirup mit dem hauseigenen Wirkstoff Thiocol und Orangenaroma, der sich mehr als 60 Jahre auf dem Markt hält (kleines Foto unten). Hinzu kommen Herz- und Schmerzmittel, bevor der Erste Weltkrieg das Unternehmen in schwere Bedrängnis bringt – Roche-Produkte werden in Deutschland boykottiert, die Produktion im deutschen Grenzach, nur einen Steinwurf von Basel entfernt, ist abgeschnitten, Währungsverluste belasten die Bilanz. Auch wichtige Märkte wie Russland fallen weg. Gründungsvater Fritz Hoffmann stirbt 1920 an einem Nierenleiden. Doch mit dem Einstieg in die Vitaminproduktion gewinnt das Unternehmen ab 1928 wieder so viel Kraft, dass Roche sogar in Nutley (New Jersey) nahe New York eine Fabrik eröffnet.

Konzentration der Tätigkeitsfelder
Weitere Meilensteine folgen nach dem Zweiten Weltkrieg: 1945 gründet Roche die Kosmetikfirma Pantene, baut das Vitamingeschäft weiter aus, erwirbt 1963 den ebenfalls Schweizerischen Riechstoff- und Aromenhersteller Givaudan und steigt 1968 in das Diagnostikgeschäft ein. 1986 erfolgt die Gründung der Roche Holding, begleitet von einer Konzentration der Tätigkeitsfelder in den 1980er und 1990er Jahren. So besteht das Unternehmen 1990 aus den vier Divisionen Pharma, Vitamine und Feinchemikalien, Diagnostics und Aromen sowie Riechstoffe. Zudem startet die US-Gesellschaft von Roche die in der Folge äußerst fruchtbare Kooperation mit dem Biotechunternehmen Genentech in San Francisco. Der Konzern setzt Maßstäbe in der Entwicklung von Krebsarzneien wie dem Monoklonalen-Antikörper-Produkt Herceptin, erzielt mit dem HIV-Mittel Invirase einen großen Erfolg und bringt 1999 das Grippemittel Tamiflu auf den Markt.

Auch strategisch werden die Weichen neu gestellt: 1998 übernimmt Roche den deutschen Mitbewerber Boehringer Mannheim und baut damit seine Position im Diagnostikabereich stark aus. Im Jahr 2000 folgt die Fokussierung auf Pharma und Diagnostika. Givaudan wird 2001 ausgegliedert und die Sparte Vitamine und Feinchemikalien kurze Zeit später an DSM verkauft. Die folgenden Jahre sind geprägt von der Entwicklung neuer, noch wirksamerer Krebsmedikamente wie Avastin, die Fokussierung auf die personalisierte Medizin und im März 2009 schließlich die vollständige Integration von Genentech. Im Zuge des Wachstums gewinnen auch die deutschen Standorte Grenzach, Mannheim, Ludwigsburg und Penzberg – heute sind hier rund 17.200 Mitarbeiter beschäftigt. 

Rückschläge: Seveso, Kartelle, fragliche Wirkungen
Doch die Unternehmensgeschichte ist keineswegs nur von Erfolgen gekrönt. 1976 setzt ein Unfall bei der Tochtergesellschaft Givaudan im norditalienischen Seveso eine Aerosolwolke frei und vergiftet die Umgebung. 200 Menschen erkranken an schwerer Chlorakne, hunderte müssen ihre Häuser verlassen, 78.000 Tiere werden notgeschlachtet. Außerdem wird die Bevölkerung erst mit mehreren Tagen Verzögerung über die Dioxinfreisetzung und deren Ausmaße informiert. 

Vor der Jahrtausendwende wird zudem publik, dass Roche zusammen mit anderen Unternehmen tief in ein Vitaminkartell verstrickt ist und über viele Jahre Preisabsprachen getroffen hat. Die Strafzahlungen dafür belaufen sich auf über 3 Mrd. CHF. In den 2000er-Jahren verdient Roche dann mit Tamiflu (Wirkstoff: Oseltamivir) Milliarden, doch der Nutzen des Grippepräparates erweist sich später als fraglich. Zudem muss sich der Konzern mit Vorwürfen auseinandersetzen, Ergebnisse geschönt und Studien zurückgehalten zu haben. 

Glänzende Geschäftszahlen
Inzwischen läuft es jedoch wieder glänzend für den Konzern. Mit einem Jahresumsatz von zuletzt ca. 58,3 Mrd. CHF und einem Konzerngewinn von gut 15 Mrd. CHF rangieren die Schweizer weit oben in der globalen Pharmaliga. Unbestritten ist Roche eines der führenden Unternehmen bei der Entwicklung innovativer Krebsarzneien. Der Konzern ist zudem einer der ersten, der zielgerichtete Therapien für bestimmte Patientengruppen auf den Markt bringt, wobei ein Schwerpunkt auf biopharmazeutischen Produkten liegt. Das Unternehmen sieht sich darüber hinaus mit seinen Stärken in den Bereichen Pharma und Diagnostika gut aufgestellt, um die personalisierte Medizin weiter voranzubringen. 

Den aktuellen Slogan „Doing now what patients need next“, also heute das zu tun, was die Patienten als nächstes brauchen, setzt das Unternehmen seit jeher betriebswirtschaftlich opportun und offensiv um. Ob die Versorgung der Menschen mit künstlichem Vitamin C tatsächlich eine gesundheitsfördernde Wirkung hat, wird stark bezweifelt. Dennoch gelingt es dem Konzern, in den 1930er Jahren synthetisches Vitamin C unter dem Namen Redoxon erfolgreich auf den Markt zu bringen. Jahrzehntelang ist Roche damit einer der größten Vitaminproduzenten der Welt, bis die Firma die Sparte an DSM verkauft. Beim Grippemittel Tamiflu erkennt Roche schnell die Chance auf Milliardengewinne und nutzt sie. Und auch in der aktuellen Covid-19-Pandemie sieht das Roche-Management ein Fenster für lukrative Umsätze. Schnell und in großem Umfang bringt der Konzern Covid-Testkits auf den Markt. 

Investitionen in das gute Gewissen
Immerhin, auch das gute Gewissen wird, wie heutzutage in Großkonzernen üblich, bedient. Auf dem Gebiet der Corporate Social Responsibility, also der unternehmerischen sozialen Verantwortung, verweist Roche bspw. gerne auf den Transnet-Phelophepa Healthcare Train. Dabei handelt es sich um kostenlose, mobile Kliniken, die in Gebiete des ländlichen Südafrikas fahren, in denen Ärzte selten sind. Phelophepa bedeutet „gute, saubere Gesundheit“ und wird von der Transnet Foundation betrieben, wobei Roche nach eigenen Angaben seit der ersten Zugfahrt im Jahr 1994 der wichtigste externe Sponsor ist.

Darüber hinaus hat die Philanthropie bei Roche lange Tradition. Der Konzern unterstützt soziale Anliegen, Bildungsinitiativen, fördert das Engagement junger Menschen für MINT-Fächer und das Interesse der Allgemeinheit an der Wissenschaft. Außerdem unterstützt das Unternehmen zeitgenössische kulturelle Aktivitäten. Aus Anlass des 125-jährigen Jubiläums haben die Eigentümerfamilien Hoffmann, Oeri und Duschmalé sowie Roche dem Basler Zoo 20 Mio. CHF geschenkt.

Eigentümerfamilien behalten das Sagen
Ungeachtet aller Aufs und Abs haben die Eigentümer bzw. deren Nachfolgerfamilien über all die Jahre die Kontrolle über das Unternehmen nie aus der Hand gegeben. Ende 2020 verteilen sich 81,5 % des Gesamtkapitals auf sog. Genussscheine, die kein Mitspracherecht am Unternehmen ermöglichen. 18,5 % des Kapitals entfallen auf stimmberechtigte Inhaberaktien, von denen wiederum 50,1 %, also die Mehrheit, die Familien Hoffmann, Oeri und Duschmalé in den Händen halten. Die Nachfahren von Unternehmensgründer Fritz Hoffmann haben damit das letzte Sagen im Konzern. 33,3 % der Inhaberaktien hält zudem der ebenfalls in Basel beheimatete Pharmakonzern Novartis, die restlichen 16,6 % sind frei handelbare Aktien. 

Trotz der Feiern zum 125-jährigen Bestehen ist dieses Datum für Roche nur eine Station auf seinem Weg. Dass es auch weiterhin Entwicklung und Veränderung geben wird, demonstriert das Unternehmen schon rein äußerlich aktuell in der Erweiterung und Umgestaltung seiner Baseler Zentrale. Neben dem bestehenden Hochhaus wächst dort gerade ein weiterer Tower in die Höhe, die Fertigstellung ist für Mitte 2022 geplant. Damit schafft der Konzern nicht für seine Mitarbeiter, sondern womöglich auch für künftige Lichtinstallationen anlässlich seines 150. Geburtstags im Jahr 2046 zusätzliche Flächen.


Thorsten Schüller, CHEManager

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