Märkte & Unternehmen

CHEMonitor 2/2021 – Verantwortung in der Lieferkette

Das Lieferkettengesetz will Menschenrechtsverletzungen und Umweltzerstörung entgegenwirken

10.11.2021 - Chemiemanager fürchten die Bürokratie des Lieferkettengesetzes, sehen aber auch Chancen.

Der Mangel an Rohstoffen und hohe Energiepreise trüben die Stimmung deutscher Chemiemanager im Oktober. Bei der aktuellen ­CHEMonitor-Befragung bewerteten nur noch 58 % den Standort Deutschland positiv, so wenig wie nie zuvor. Gespalten ist die Meinung in Bezug auf das kürzlich verabschiedete Lieferkettengesetz: Zwar fürchtet ein Großteil der Befragten die damit verbundene Bürokratie, mehr als die Hälfte erwartet jedoch positive Auswirkungen auf die Nachhaltigkeit in der Lieferkette der Chemie.

Hohe Energie- und Rohstoffpreise und Lieferengpässe machen derzeit vielen deutschen Unternehmen zu schaffen. Dieser Trend geht auch an der Chemie nicht vorbei. So kündigte der BASF-Konzern Ende September an, seine Ammoniakproduktion aufgrund des rekordhohen Erdgaspreises zu drosseln. Und über die Hälfte der befragten Mitgliedsunternehmen des Verbands der Chemischen Industrie sahen im August ihre Betriebsabläufe durch Engpässe bei Materialien und Vorprodukten schwer beeinträchtigt. Im Februar war dies nur bei 20 % der Unternehmen der Fall.

Diese Entwicklung spiegelt sich auch im 37. Trendbarometer ­CHEMonitor wider. Hierfür wurden Top-Manager der deutschen Chemie­industrie von Mitte September bis Mitte Oktober 2021 von CHEManager und dem Beratungsspezialisten Camelot Management Consultants befragt. „Die Zufriedenheit mit dem Standort Deutschland hat nachgelassen, speziell im Hinblick auf Logistik und Rohstoffverfügbarkeit“, kommentiert Josef Packowski, Managing Partner bei Camelot Management Consultants, die Ergebnisse der aktuellen Umfrage. Nur 58 % der befragten Chemiemanager bewerten den Standort Deutschland mit „gut“ oder „sehr gut“, zehn Prozentpunkte weniger als noch im April dieses Jahres und zugleich so wenig wie nie zuvor seit dem Jahr 2013 (Grafik 1).

 

„Die Zufriedenheit mit dem Standort Deutschland hat nachgelassen,
speziell im Hinblick auf Rohstoffverfügbarkeit.“

- Josef Packowski, Managing Partner, Camelot Management Consultants

 

Getrieben wurde dieser Trend durch die Entwicklung beim Standortfaktor Rohstoffverfügbarkeit. Hier sanken die positiven Bewertungen im Vergleich zum April 2021 um 20 Prozentpunkte. „Chemieunternehmen, die bereits intensiv an der Verbesserung ihrer Supply-Chain-Resilienz arbeiten, besitzen aktuell einen klaren Wettbewerbsvorteil“, beobachtet Packowski. Dies gilt insbesondere für Unternehmen, die ihre Lieferanten bereits heute gemäß bestimmter Nachhaltigkeitskriterien auswählen. Das Thema „Verantwortung in der Lieferkette“ bildete den Schwerpunkt der aktuellen ­CHEMonitor-Befragung.

Schutz von Menschenrechten und Umwelt
Im Juni dieses Jahres verabschiedete der Deutsche Bundestag das „Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz“, kurz LkSG.

Es tritt 2023 in Kraft und gilt zunächst für Unternehmen ab 3.000 Mitarbeitenden, ab 2024 dann für Unternehmen ab 1.000 Mitarbeitenden. Das Gesetz regelt die unternehmerische Sorgfaltspflicht entlang der gesamten Lieferkette und verpflichtet Unternehmen branchenübergreifend zum Schutz von Menschenrechten sowie Arbeits- und Umweltstandards. Bei Verstößen drohen empfindliche Strafen. Bußgelder können bis zu 2 % des weltweiten Jahresumsatzes betragen.
Die Meinung unter den Chemiemanagern zum neuen Lieferkettengesetz ist gespalten: Knapp die Hälfte der CHEMonitor-Umfrageteilnehmer (46 %) halten es für notwendig, weil bislang zu wenige Unternehmen einer freiwilligen Selbstverpflichtung nachgekommen sind.

Befragt zur Relevanz der anstehenden Gesetzesänderung, antwortete ein Großteil der Manager (70 %), das eigene Unternehmen sei „kaum“ betroffen, lediglich 23 % gehen von einer starken Betroffenheit aus, während 7 % diese komplett ausschließen. In der Tat scheint es für die deutsche Chemie­industrie aufgrund der Brancheninitiativen Chemie³ und Together for ­Sustainability (TfS) – im Rahmen derer sich Unternehmen zu Nachhaltigkeit in der Lieferkette verpflichten und um eine standardisierte Bewertung von Lieferanten bemühen – nur noch ein relativ kleiner Schritt bis zur Compliance mit der neuen Vorschrift. „Doch trotz freiwilliger Selbstverpflichtung setzt erst etwas mehr als die Hälfte der vom Lieferkettengesetz betroffenen Unternehmen die geforderten Maßnahmen größtenteils um“, erläutert Jörg Schmid, Studien­leiter bei Camelot, die Ergebnisse. So arbeiten derzeit nur 52 % der befragten Unternehmen mit einem Verhaltenskodex für Lieferanten in ihren Verträgen und nur 44 % nutzen ein Managementsystem für menschenrechtliche und umweltbezogene Risiken (Grafik 2).

Beim Duft- und Geschmackstoffhersteller Symrise ist man bzgl. der Maßnahmen zur Sorgfaltsplicht in der Lieferkette gut aufgestellt. Das Unternehmen engagiert sich für nachhaltige Agrarlieferketten und unterzeichnete bereits im Juli 2020 gemeinsam mit 33 anderen Unternehmen eine Erklärung, in der der Bundesregierung Unterstützung für ein nationales Lieferkettengesetz und eine anspruchsvolle europäische Regelung zusagt wurde. „Verantwortung für die Lieferkette ist ein Trend, der sich nicht mehr aufhalten lässt. Dank Blockchain und anderer Technologien wird künftig transparent sein, wer was und von wem bezieht. Unternehmen, die das ignorieren, verlieren wertvolle Zeit“, sagte Heinz-Jürgen Bertram, CEO bei Symrise, gegenüber CHEManager. Das Holzmindener Unternehmen bezieht über 10.000 Rohstoffe aus mehr als 100 Ländern. „Für unsere wichtigsten Rohstoffe arbeiten wir direkt mit den Farmern zusammen, dazu zählen insbesondere Vanille und Zwiebel. Bei anderen Rohstoffen auditieren wir unsere Lieferanten. Zudem müssen sich unsere Lieferanten an unseren Verhaltenskodex halten, der neben vollständigen Angaben zur Rohstoffquelle auch Faktoren wie Menschenrechte, Gesundheit und Umwelt beinhaltet“, erklärt Bertram, der sich auch mal persönlich vor Ort von den nachhaltigen Produktionsbedingungen der Symrise-Lieferanten überzeugt.

Branchenübergreifende Initiative zur Nachhaltigkeit in der Lieferkette
Neben Bürokratiekosten (88 %) und Rechtsunsicherheit bzgl. der Haftung (58 %) sehen mehr als die Hälfte der befragten Chemiemanager (55 %) eine große Herausforderung bei der Umsetzung des Lieferkettengesetzes in fehlenden Alternativen für kritische Lieferanten (Grafik 3). Das betrifft z. B. den Rohstoff ­Lithium. Unter dem Salzsee Salar de Atacama in Chile befinden sich die weltweit größten Lithium-Vorkommen. Von diesem See ist deshalb ein großer Teil der derzeitigen Produktion für den stark wachsenden Lithium-Batterien-Markt abhängig. Um den Lithium-Abbau in Chile verantwortungsvoller zu gestalten, haben BASF, Daimler, Fairphone und Volkswagen im Juni 2021 die Responsible Lithium Partnership initiiert. Die Unternehmen haben die Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) beauftragt, zwischen den lokalen Interessengruppen zu vermitteln – von zivilgesellschaftlichen Gruppen, einschließlich indigener Gemeinschaften, über staatliche Institutionen bis hin zu Bergbauunternehmen. Ziel der Plattform ist es, eine nachhaltige Entwicklung des Lithium-Abbaus zu fördern, mögliche negative Auswirkungen zu reduzieren und den Schutz der Menschenrechte zu stärken.

Große Herausforderung für den Mittelstand
Während große Chemieunternehmen für wichtige und großvolumige Rohstoffe Allianzen bilden oder sich, wie bei der TfS-Initiative, für eine weltweite Vereinheitlichung von Bewertungen und Audits von Lieferanten zusammenschließen, stellt die Umsetzung der Sorgfaltspflicht in der Lieferkette für mittelständische Unternehmen eine unweit größere Herausforderung dar. Dazu zählen auch Firmen mit weniger als 1.000 Beschäftigten, die formal nicht vom Lieferkettengesetz betroffen sind, aber über die Code-of-Conduct-Regelungen großer Kunden rechtlich mithaften.

„Weltweit stellt nur ein einziger Zulieferer einen bestimmten Spezialrohstoff her, von dem wir gerade mal 23 kg im Jahr benötigen. Gleichzeitig ist dieser Rohstoff ein unverzichtbarer Bestandteil in Produkten, mit denen wir insgesamt 18 Mio. EUR Umsatz erzielen. Ohne diesen Lieferanten würden wir zahlreiche Arbeitsplätze gefährden“, beschreibt Sabine Herold, geschäftsführende Gesellschafterin von Delo Industrie Klebstoffe, eindrücklich die Herausforderung, vor die das neue Gesetz mittelständische Unternehmen stellt. Für 20 % seiner Lieferanten findet der Hersteller von Hightech-Klebstoffen keine alternativen Zulieferer. Gleichzeitig ist Delo für viele Lieferanten zu klein, sodass sie keine tiefergehenden Einblicke in ihre Produktionsabläufe gewähren und auch Audits verweigern.
Insgesamt erwarten 83 % der Befragten einen erhebliche Bürokratieaufwand durch das Lieferkettengesetz, der speziell mittelständische Unternehmen personell und finanziell überfordern wird. „Insbesondere für mittelbar betroffene mittelständische Unternehmen bedeutet das Gesetz eine Herausforderung, die sich nur mit übergeordneten IT-Lösungen bewältigen lässt“, sagt CHEMonitor-Studienleiter Schmid. Herold schätzt die Kosten für die Risikoanalyse der 3.000 Lieferanten von Delo auf 100.000 EUR pro Jahr. „Wäre das Lieferkettengesetz ein Vakzin, man müsste die Wirksamkeit deutlich hinterfragen. Denn die Nebenwirkungen dieses Gesetzes übersteigen den ungewissen Nutzen bei Weitem“, kritisiert Herold.

 

„Insbesondere für mittelbar betroffenene
mittelständischen Unternehmen
bedeutet das Lieferkettengesetz eine Herausforderung.“

- Jörg Schmid, Studienleiter CHEMonitor, Camelot Management Consultants


Diese Meinung teilt die Unternehmerin vor allem mit Vertretern aus kleineren Chemieunternehmen. In der Tat bewerten die befragten Chemiemanager aus Unternehmen ab 1.000 Mitarbeitenden die Wirkung des Lieferkettengesetzes deutlich positiver (Grafik 4). Über drei Viertel der Befragten gehen davon aus, dass sich aufgrund des Lieferkettengesetzes sowohl die Arbeitsbedingungen der Menschen in der Lieferkette der Chemie verbessern als auch mehr nachhaltige Produkte in der Chemieindustrie entstehen werden. Und knapp zwei Drittel der Chemiemanager aus großen Unternehmen rechnet gar mit einer Zunahme der Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Chemieindustrie aufgrund des Lieferkettengesetzes. Dieser Anteil könnte weiter steigen, wenn in wenigen Wochen die Europäische Union ihren Entwurf eines europaweiten Lieferkettengesetzes vorstellt. Denn 80 % der CHEMonitor-Umfrageteilnehmer begrüßen eine internationale Lösung bzw. sind der Meinung: Das Lieferkettengesetz ist als nationaler Alleingang nicht schlagkräftig.

 

Andrea Gruß, CHEManager

 

 

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