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Chemie in Ostdeutschland erfolgreich

14.03.2011 -

Chemie in Ostdeutschland erfolgreich - Erfolgsstory Ostdeutschland. Positiver Wandel in der ostdeutschen Chemie

Die chemische Industrie in den neuen Bundesländern vollzog seit 1989 einen Strukturwandel von einer staatlich kontrollierten Chemieindustrie zu einer modernen leistungsfähigen Branche mit marktwirtschaftlicher Ausrichtung. Dieser Wandlungsprozess wurde zunächst von einem dramatischen Umsatz- und Beschäftigungsrückgang begleitet. Inzwischen ist jedoch ein deutlicher Aufwärtstrend zu erkennen. CHEManager befragte Rainer G. Jahn, Vorstandsvorsitzender des VCI Landesverbandes Nordost, zu den Entwicklungen und der zukünftigen Ausrichtung der Chemiebranche im Osten Deutschlands. Die Fragen stellte Dr. Birgit Megges.

CHEManager: Herr Jahn, die ostdeutsche Chemieindustrie musste sich nach der Wiedervereinigung einem gravierenden Strukturwandel unterziehen. Bitte beschreiben Sie kurz den Wandlungsprozess.
Rainer G. Jahn:
Im Jahr 1993 hatte die chemische und pharmazeutische Industrie in den neuen Bundesländern mit 3,4 Mrd. € nur noch etwa 30 % der Umsätze von 1989. Seit 1994 nahm der Umsatz allerdings wieder kontinuierlich zu. Diese positive Entwicklung wurde vor allem durch die politische Entscheidung möglich, industrielle Kerne in Mitteldeutschland zu erhalten. Infolge dessen wurden in der ostdeutschen chemischen Industrie Investitionsprogramme im Umfang von rund 15 Mrd. € aufgelegt, die überwiegend in neue Anlagen geflossen sind. Dies führte in 15 Jahren bspw. zu einer beeindruckenden Emissionssenkung (s. Tab. 1). Mit dem Start der Produktion in modernsten Chemieanlagen stieg der Umsatz in der ostdeutschen Chemieindustrie wieder an. Der Chemieumsatz zur Wendezeit von etwa 10,3 Mrd. € wird noch in diesem Jahr 2005 über-schritten werden. Im Jahr 1989 hatte die chemische Industrie in den neuen Bundesländern 180.000 Mitarbeiter. Der Tiefpunkt bei der Zahl der Chemiebeschäftigten in den neuen Bundesländern war im Jahr 1999 mit rund 31.000 Chemiebeschäftigten erreicht. Seit dem Jahr 2000 steigen die Beschäftigtenzahlen allerdings wieder. Sie sind bis heute um 4.500 auf mehr als 35.500 gewachsen. Auf die West-Berliner Chemieund Pharmaunternehmen wirkte sich die durch die Wiedervereinigung bedingte Sonderkonjunktur bis 1992 zunächst sehr positiv aus. Danach setzte auch in der Westberliner Chemie ein tief greifender Strukturwandel ein. Der viel zu rasche Abbau der Berlinförderung und der härter werdende internationale Wettbewerb führten bis Mitte der 90er Jahre zu einer negativen Wirtschaftsentwicklung in allen Chemiesparten. Erst ab 1997 erhöhte sich der inzwischen zu 90 % von der Pharmaindustrie erwirtschaftete Umsatz wieder. Seit 2000 wachsen auch wieder die Beschäftigtenzahlen.

Wie sehen die Strukturen derzeit aus? Können Sie die heutige Situation mit aktuellen Zahlen belegen?
Rainer G. Jahn:
In der ostdeutschen chemischen Industrie sind nach dem Strukturwandel rund 300 überwiegend kleine und mittelständische Unternehmen entstanden. Nur drei Chemieunternehmen haben mehr als 1.000 Beschäftigte (Berlin Chemie, BASF Schwarzheide, Dow Olefinverbund). Die stärksten Sparten nach dem Anteil am Chemieumsatz waren im Jahr 2004 chemische Grundstoffe mit 52 %, pharmazeutische Erzeugnisse mit 20 % und Spezialchemikalien mit 15 %. Nach der Ernährungswirtschaft und dem Fahrzeugbau ist die chemische Industrie damit dem Umsatz nach der drittgrößte Industriezweig in den neuen Bundesländern.

Der Chemieverband bezeichnet die wirtschaftliche Entwicklung der Branche in den neuen Ländern als Erfolgsstory. Können Sie das näher erläutern?
Rainer G. Jahn:
Die wirtschaftliche Entwicklung der chemischen Industrie in den neuen Ländern seit der politischen Wende 1989 ist tatsächlich eine Erfolgsstory. Sowohl Umsätze als auch die Anzahl der Mitarbeiter konnten nach den erwähnten anfänglich dramatischen Rückgängen bis heute kontinuierlich gesteigert werden. Gemessen am Umsatz und an den Beschäftigten hatte die Chemieindustrie der neuen Bundesländer im Jahr 2004 einen Anteil von 7 bzw. 8% an der gesamtdeutschen Chemieindustrie. In den konjunkturschwachen Jahren ab 2001 konnte der Chemieumsatz in den neuen Bundesländern sogar noch stärker zulegen als in der deutschen Chemie insgesamt. Auch sind die Beschäftigtenzahlen seit 2000 stetig gewachsen. 2005 wird aller Voraussicht nach der Umsatz der ostdeutschen Chemie von 1989 übertroffen werden.

Worauf führen Sie die Erfolge zurück?
Rainer G. Jahn:
Die positive Entwicklung in der chemischen Industrie der neuen Bundesländer ist darauf zurückzuführen, dass gerade in wirtschaftlich schwierigen Zeiten Aufträge verstärkt an Betriebe gehen, die am kostengünstigsten produzieren können. Das ist in der ostdeutschen Chemie mit modernsten Anlagen und deutlich günstigeren Tarifentgelten der Fall. Die 40-Stunden-Woche ist bis zum Jahr 2010 festgeschrieben. Hinzu kommt, dass für die chemische Industrie in den neuen Bundesländern die zentrale Lage im Schnittpunkt der westund osteuropäischen Märkte mit gewachsenen Kontakten in die osteuropäischen Länder ein wichtiger Standortvorteil ist. Durch Öffnung der Europäischen Union nach Osten rückt Mitteldeutschland von einer Randlage der EU in das neue Zentrum des europäischen Kontinents – in unmittelbare Nachbarschaft zu den Reformstaaten Mittel- und Osteuropas. Der Osthandel spielt für die chemische Industrie in den neuen Ländern schon traditionell eine große Rolle. Insgesamt rund 18 % der Chemieausfuhren gingen im Jahr 2003 in die MOE-Staaten. Demgegenüber hatte die deutsche chemische Industrie insgesamt eine Ausfuhr nach Mittel- und Osteuropa von rund 10 %.

Wo liegen die regionalen Schwerpunkte für die Ansiedlung von Chemie- und Pharmaunternehmen im Osten Deutschlands?
Rainer G. Jahn:
Den größten Anteil am Chemieumsatz der neuen Bundesländer hat Sachsen- Anhalt, gefolgt von Sachsen und Brandenburg. Seit mehr als hundert Jahren bestimmt gerade die Chemiebranche in Mitteldeutschland die wirtschaftliche Entwicklung. Die in den letzten fünfzehn Jahren mit der Restrukturierung entstandene moderne Infrastruktur hat auch, dank der bemerkenswerten Unterstützung der Landespolitik, Ansiedlungen begünstigt.

Modernste Chemieanlagen und eine optimale Infrastruktur charakterisieren heute die Standorte Mitteldeutschlands. Was wünschen Sie sich für die Zukunft der Chemieparks?
Rainer G. Jahn:
Das mitteldeutsche Chemiedreieck umfasst sieben Chemiestandorte mit spezifischer Profilausrichtung und der Erzielung von Synergien im Rohstoffverbund. Leider sind diese gegenwärtig noch nicht voll ausgelastet. Für die ostdeutschen Chemiestandorte müssen weitere Chemieunternehmen für eine Ansiedlung gewonnen und die bereits vorhandenen Chemieunternehmen weiterentwickelt werden.

Wie wird sich die EU-Osterweiterung auf den Chemiestandort Ostdeutschland auswirken?
Rainer G. Jahn:
Insgesamt positiv, denn der Osthandel spielt für die chemische Industrie in den neuen Ländern traditionell eine große Rolle. Rund 18% der Chemieausfuhren gingen 2003 in die MOE-Staaten. Mit der EU-Osterweiterung werden die guten Wirtschaftsbeziehungen zu den Beitrittsstaaten weiter vertieft. In den nächsten Jahren wird es aufgrund der demografischen Entwicklung in Deutschland, aber geradezu dramatisch in Ostdeutschland, immer schwieriger werden, qualifizierte Mitarbeiter für unsere Chemieunternehmen zu finden. Hier könnten in den nächsten Jahren gut ausgebildete Fachkräfte aus den osteuropäischen Beitrittsländern die Fachkräftelücke schließen.

Sind in der näheren Zukunft größere Investitionen geplant?
Rainer G. Jahn:
Die ganz großen Investitionen sind mit insgesamt 15 Mrd. € derzeit abgeschlossen. Trotzdem haben wir eine Investitionstätigkeit, die noch höher ist als in den westlichen Bundesländern. Im Jahr 2003 betrug die Investitionsquote, d. h. die Investitionen bezogen auf den Gesamtumsatz nach Betrieben, in der ostdeutschen chemischen Industrie 7,9% und in der westdeutschen chemischen Industrie 4,0 %. Es bedarf darüber hinaus allerdings dringend weiterer Investitionen in Höhe von rund 5 Mrd. €, um die Industriestandorte und Chemieparks auszulasten und die geschaffene wirtschaftliche Basis optimal zu nutzen.

Inwieweit beeinflussen Ihrer Ansicht nach Gesetzesentwürfe wie REACH oder die Gesundheitspolitik die Chemie- und Pharmabranche?
Rainer G. Jahn: Im Oktober 2003 hat die EU-Kommission ihren Verordnungsentwurf zur Registrierung, Evaluierung und Autorisierung von Chemikalien (REACH) vorgelegt. Ziel ist, mehr Sicherheit für Mensch und Umwelt zu erreichen. Diesem Ziel stimmen wir zu. Es ist ein gemeinsames Ziel! Nur leider gehen die Vorschläge für die Umsetzung in die falsche Richtung. Allein das Testen und Registrieren der rund 30.000 Stoffe wird die europäischen Stoffhersteller 4 bis 8 Mrd. € kosten. Die Industrie hat einen Vorschlag für ein besseres REACH-System erarbeitet, in dem die Reihenfolge für die Bearbeitung der Registrierung sich nicht nach der Tonnage (EU-Kommission), sondern sinnvollerweise nach dem potentiellen Risiko und der Exposition richtet. Das Konzept hat wesentliche Vorteile wie: frühzeitige Bestandsaufnahme, Stoffe mit hohem Risiko und Exposition werden zuerst bearbeitet, das System ist innovationsfreundlicher, die Kontrolle wird besser und einfacher. Die Registrierung wird dadurch erleichtert und kostengünstiger. Die gesundheitspolitische Gesetzgebung hat starke und meist negative Auswirkungen auf die pharmazeutische Industrie. Nehmen wir nur das Anfang 2004 in Kraft getretene GKV-Modernisierungsgesetz. Es hat alle Segmente der Branche durch Festbetragsregelung auf patentgeschützte Arzneimittel, den Ausschluss rezeptfreier Medikamente aus der Erstattungsfähigkeit und den Zwangsrabatt in Mitleidenschaft gezogen. Im Interesse der pharmazeutischen Industrie ist also zu allererst die Berechenbarkeit der politischen Rahmenbedingungen zu fordern. Zweitens kommt es darauf an, Arzneimittel nicht allein als Kostenfaktor zu sehen, sondern ihren Beitrag zu einer wirtschaftlichen und kosteneffizienten Behandlung zu erkennen. Arzneimittel helfen, die Verschlimmerung von Krankheiten zu verhindern, Klinikaufenthalte zu vermeiden oder zu verkürzen. Schließlich ist die Herstellung von Arzneimitteln ein wichtiger innovativer Wirtschaftsfaktor. Hinzuweisen ist aus aktueller wirtschaftspolitischer Diskussion auf den Umstand, dass in Deutschland, im Gegensatz zu den meisten anderen EU-Ländern, für Arzneimittel der volle Mehrwertsteuersatz gilt. Bei der jetzt diskutierten Mehrwertsteuer- Erhöhung um 2% werden Arzneimittel voll umfänglich betroffen. Der Staat würde dann die oft beschworenen Kostensenkungen durch das GKV-Modernisierungsgesetz wieder zunichte machen und zunächst Teile der Einsparungen einkassieren.