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Compliance Management: Höhere Sicherheit - geringere Risiken

30.05.2011 -

Compliance Management: Höhere Sicherheit - geringere Risiken. Korruptionsaffären, Kartellverfahren, Rückrufaktionen für Produkte machen es deutlich: Non-Compliance – die Nicht-Einhaltung rechtlicher Vorschriften – kann zum existenziellen Risiko für ein Unternehmen werden. Zwar ist nach der aktuellen CHEMonitor-Umfrage die europäische Chemikaliengesetzgebung derzeit das Compliance-Thema Nr. 1 in vielen Chemieunternehmen, doch die größten Haftungsrisiken schlummern in anderen Bereichen und werden vielfach unterschätzt. Dr. Andrea Gruß befragte dazu Prof. Dr. Thomas Klindt, Rechtsanwalt der internationalen Kanzlei Nörr Stiefenhofer Lutz.

CHEManager: Die Berichterstattung von Fach- und Tagespresse erweckt den Anschein, die Zahl und Komplexität der Rechtsvorschriften für Unternehmen steigt dramatisch an. Stimmt das?

Prof. Dr. Thomas. Klindt: Im rein deutschen Rechtsraum mag es die eine oder andere Vorschrift mehr geben, doch insgesamt ist ihre Anzahl keinesfalls explodiert. Was in der Tat angestiegen ist, sind die Vertriebsregionen der Unternehmen. Wenn ein Unternehmen seine Produkte nicht mehr nur in Deutschland und bei seinen europäischen Nachbarn vertreibt, sondern von Südafrika bis Kanada und von Neuseeland bis Ägypten, dann betritt es mit jeder neuen Vertriebsregion auch eine neue Rechtsregion. Ein Unternehmen, das vor 10 Jahren nur wenige und heute 30, 40 oder 50 Staaten beliefert, hat dementsprechend heute 30, 40, 50 mal so viel Jurisdiktion zu beachten. Es hat auf einmal mit Rechtsvorschriften zu tun, die es vorher gar nicht kannte und vielleicht auch ein wenig belächelt.

CHEManager: Unsere aktuelle CHEMonitor- Befragung ergab: Für rund zwei Drittel aller Chemiemanager ist Reach derzeit das dominierende Compliance-Thema. Welche rechtlichen Konsequenzen hat die Chemikaliengesetzgebung für Unternehmen wirklich?

Prof. Dr. Thomas. Klindt: Compliance- Management befasst sich mit haftungsrechtlichen Vorschriften beziehungsweise mit der Prävention von haftungsrechtlichen Risiken. Eine Vielzahl von Vorschriften, die auch für die chemische Industrie und die chemische Handelsbranche wichtig ist, hat damit nichts zu tun. Reach ist schwierig, ist komplex, ist teuer, ist unangenehm, aber es ist zumindest nicht im Fokus dessen, wo sich Haftungsrisiken verändern.

CHEManager: Wo verändern sich die Haftungsrisiken für Unternehmen?

Prof. Dr. Thomas. Klindt: Haftungsrisiken verändern sich bei Publikationspflichten, sie verändern sich im Gesellschaftsrecht – zum Beispiel was Unternehmen im Risk Management heute alles müssen und früher nie mussten –, sie verändern sich im Bankenund Finanzierungsrecht, von Geldwäschevorschriften bis zu irgendwelchen Meldepflichten, die schärfer geworden sind. Dabei gibt es ganz bestimmte neue Einzelvorschriften, die wie Messerstiche sitzen.

CHEManager: Können Sie uns ein Beispiel für solch einen Messerstich nennen?

Prof. Dr. Thomas. Klindt: Das Tragischste und Schwierigste ist sicherlich die Verschärfung des Korruptionsstrafrechts. Es umfasst nur ein kleines Kapitel innerhalb des Strafrechts von vielleicht fünf Paragrafen, aber insbesondere die Verschärfung des Paragrafen 299 zur Bestechung im b2b-Geschäft im In- und Ausland vor einigen Jahren kommt einem Paradigmenwechsel gleich. Viele haben diese Änderung nicht mitbekommen oder sie haben nicht geglaubt, dass der deutsche Gesetzgeber es damit wirklich ernst meinen könnte. Immerhin sind viele der heutigen Unternehmenslenker mit diesen früher alltäglichen Praktiken groß geworden und es gab sogar eine steuerliche Absetzbarkeit von nützlichen Aufwendungen für Geschäftspartner.

CHEManager: Was gab den Ausschlag für diesen Paradigmenwechsel? Eine europäische Richtlinie?

Prof. Dr. Thomas. Klindt: Nein, im Strafrecht sind die Staaten noch relativ frei. Hier mischt sich „Europa“ wenig ein. Es gibt einen politischen Hintergrund: Die OECD hat sich weltweit die Korruptionsbekämpfung auf die Fahne geschrieben. Zwar trifft die Organisation keine juristisch verbindlichen Beschlüsse, aber sie macht politische Kennvorgaben, denen ein Staat wie Deutschland, der schließlich mitverhandelt hat, nachkommen muss.

CHEManager: Welche weiteren Compliance-Risiken werden von deutschen Unternehmen unterbewertet?

Prof. Dr. T.homas Klindt: Kartelle! Das Kartellrecht wird durch die Bank von deutschen Unternehmen unterschätzt, denn es ist sehr viel strenger ist als manchen „Altherrenindustrieclubs“ bewusst ist. Alle Formen von markt- und preisrelevanten Absprachen sind unzulässig. Ich kann nicht bei einem Verbandstreffen oder bei einem Bier auf der Messe sagen: ‚Wir sind uns doch einig, unter 5 € verkaufen wir das Kilo nicht?’ Alle sagen ja und schon hat man sich einen Mindestumsatz gesichert. Oder: Sie beschließen bei einem Treffen mit Wettbewerbern: ‚Die neue Steuer für Ökoenergien geben wir natürlich an unsere Kunden weiter.’ Schon ist ein Kartell gegründet.

CHEManager: Welche Konsequenzen hat dies?

Prof. Dr. Thomas. Klindt: Fliegt ein Kartell auf – und hier liegt ein weiterer Punkt, in dem das Kartellrecht unterschätzt wird –, dann hält das deutsche Recht sensationelle Geldbußen vor. Man sagt immer, es tut richtig weh nur in Amerika, aber im Kartellrecht ist das ein Klischee. Im Kartellrecht tut es weh, wenn das europäische oder das deutsche Kartellamt ermitteln. Die Geldbußen fangen nicht etwa bei 30.000 € oder 300.000 € an. Sie orientieren sich vielmehr am Umsatz, und zwar nicht nur am Umsatz mit einem Kartellprodukt, sondern am Gesamtumsatz eines Unternehmens, auch wenn dieses nur bei einem seiner Produkte gegen das Kartellrecht verstoßen hat. Auf diese Weise kommen schnell Geldbußen in der Größenordnung von 100 Mio. € zustande; und die betreffen auch nur Deutschland als kartellierte Vertriebsregion.

CHEManager: Was kommt international auf die Kartellsünder zu?

Prof. Dr. Thomas. Klindt: Nehmen Sie zum Beispiel einen Granulathersteller, der im Wettbewerb mit anderen Granulatherstellern in diversen europäischen Staaten steht. Wenn diese ein „erfolgreiches“ Vertriebskartell bilden, ermittelt vielleicht zunächst die deutsche Bundeskartellbehörde und das Unternehmen erhält hierzulande eine Buße. Dann ermittelt die österreichische Behörde noch mal, dann die finnische, die irische und dann die spanische Kartellbehörde. Einige Unternehmen werden sogar in einen Wettlauf um die Kronzeugenregelung eintreten, um ihre Bußen in einem erträglichen Maß zu halten. Und so wird das längst aufgeflogene Kartell in anderen Vertriebsregionen gleichermaßen auffliegen… Das ist eine kaufmännisch völlig unterschätzte Problematik des Kartellrechts. Und es gibt noch ein weiteres Problem: Nach dem Gesetz für Wettbewerbsbeschränkung können neuerdings auch Endkunden klagen, die unter dem Kartell gelitten und zu hohe Preise gezahlt haben. Die Schadensersatzzahlungen für Kartellopfer addieren sich dann nochmals auf die ordnungsrechtlichen Geldbußen.

CHEManager: Welche Strategien empfehlen Sie, um diese Risiken zu minimieren?

Prof. Dr. Thomas. Klindt: Ein Unternehmen braucht letztlich eine Compliance- Architektur, eine pyramidische Struktur mit klaren Vorgaben der Unternehmensführung und mit Kontrollsystemen, die die Umsetzung dieser Vorgaben im Einzelfall in den unterschiedlichen Regionen und Vertriebssparten kontrollieren. Die Vorgaben müssen über interne Schulungen, e-Learning, interne Papiere oder einen Code of Conduct kommuniziert werden. Große Konzerne sind hier meistens schon sehr gut aufgestellt, weil sie international in vielen Rechtsräumen agieren und eigene Rechtsabteilungen haben, denen die Risiken vor Augen stehen.

CHEManager: Funktionieren diese Strukturen?

Prof. Dr. Thomas. Klindt: Ein bekanntes Unternehmen mit traurig-berühmtem Korruptionsverdacht hatte einen eigenen Chief Compliance Officer... Dennoch weiß ich, dass die Compliance-Systeme in vielen Unternehmen viel besser funktionieren als geglaubt, und sonst würden wir von deutlich mehr Fällen hören. Durch die Siemens-Affäre ist vielen klar geworden, zu welchen immensen Konsequenzen Korruption führen kann. Die Unternehmen haben verstanden, dass sie das Steuer hier erheblich herumreißen müssen. Viele haben mittlerweile das so genannte Whistleblowing eingeführt, eine Art Kummerkasten. Über eine Hotline kann beispielsweise ein Einkaufsmitarbeiter anonym melden, wenn er den Verdacht hat, dass sein Vorgesetzter Bestechungsgelder entgegen nimmt. Der Fall wird dann über die Compliance-, die Revisionsabteilung oder zum Beispiel eine externe Kanzlei geprüft. Beim Whistleblower-System muss man natürlich immer aufpassen, dass das nicht dazu benutzt wird, Kollegen anzuschwärzen. Sie sprachen eingangs von den international unterschiedlichen Rechtssystemen.

CHEManager: In wie weit lassen sich diese für ein weltweit agierendes Unternehmen mit einem unternehmensweiten Compliance-Standard vereinbaren?

Prof. Dr. Thomas Klindt: Das ist eine der spannendsten Fragen, die uns derzeit bewegt, wenn wir mit den Industrieunternehmen zusammensitzen. Die Unternehmen müssen sich für die eine oder die andere Variante entscheiden: Sie können sich zum einen an den Grundsatz halten ‚We observe local law.’ Also in Peru halte ich mich an das peruanische Recht, in China an das chinesische. Das ist ein ganz großartiges Compliance-System, daran haben wir als Juristen nichts zu monieren. Die andere Variante ist, sich einen eigenen Standard, einen Code of Conduct zu definieren, der wahrscheinlich hoch über dem liegt, was in vielen Staaten zulässig wäre. Diese Entscheidung muss in einem Unternehmen sehr sauber abgewogen werden, denn wenn Sie diesen Standard nach außen kommunizieren, müssen Sie sich auch daran halten. Das heißt, wenn ein Unternehmen sich gegen Kinderarbeit ausspricht, darf es diese auch nicht in Staaten nutzen, wo sie evtl. juristisch zulässig wäre, auch wenn der Wettbewerber lacht und seine Kunden sich über zu hohe Preise beschweren. Bei einem unternehmensweiten Code of Conduct dürfen Sie zum Beispiel auch nicht in China kartellieren, obwohl China erst ab Mitte 2008 ein Kartellrecht einführen wird. Einige Unternehmen gehen mit ihrem Code of Conduct also sehr anspruchsvolle Selbstverpflichtungen ein.

CHEManager: Wo zahlt sich ein modernes Compliance- Managment über die Risikominimierung hinaus für ein Unternehmen aus? Welche Rolle spielt Compliance bei der Unternehmensbewertung?

Prof. Dr. Thomas. Klindt: Compliance-Systeme und Risikomanagement sind nicht nur als vermeintlich negativdrohende Motivationsfaktoren zur Vermeidung von Haftung und Haft zu verstehen. Sie wirken sich auch positiv auf den Unternehmenswert aus. So werden immer häufiger die betriebswirtschaftlichen Risiken von Non-Compliance-Aspekten in eine Due Diligence einbezogen, wenn ein anderes, fremdes Unternehmen aufgekauft werden soll: Das ist ja sonst die sprichwörtliche Katze im Sack. Hohe Compliance-Risiken können dabei sogar dazu führen, dass ein Interessent völlig vom Kauf absieht. Im Übrigen wirken sich implementierte Risk-Management-Systeme auch positiv auf die Basel II-Bewertung von Unternehmen aus und sind damit für die Vergabe günstiger Kredite von Relevanz.