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Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz

Beim Medichem-Kongress in Heidelberg treffen sich Toxikologen, Mediziner und Gesundheitsexperten aus aller Welt

23.09.2010 - Welche Gesundheitsrisiken gehen von Chemikalien oder Nanomaterialien aus?

Kann Schichtarbeit Krebs erzeugen? Und welche Informationen können Unternehmen aus dem REACh-Prozess für den Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz gewinnen? Zu diesen Themen tauschen sich im Juni 2011 Mediziner, Toxikologen und Experten aus der Chemieindustrie auf dem 39. Medichem-Kongress in Heidelberg aus. Der internationale Kongress wird von der Berufsgenossenschaft Rohstoffe und chemische Industrie (BG RCI) organisiert. Dr. Andrea Gruß sprach mit Dr. Maren Beth-Hübner, der Vorsitzenden des Organisationskomitees.

CHEManager: An wen richtet sich der Medichem-Kongress?

Dr. M. Beth-Hübner: Der Medichem-Kongress befasst sich mit Themen der Arbeitsmedizin und des Umweltschutzes im Bereich der chemischen Produktion und dem Einsatz von Chemikalien. Unser Programm richtet sich an Arbeitsmediziner in der chemischen und pharmazeutischen Industrie, Epidemiologen, Toxikologen, Arbeits-, Umwelt- und Gesundheitsschutzexperten sowie regulatorisch tätige Wissenschaftler und auch junge Forscher, die sich mit Chemikaliensicherheit in den genannten Gebieten beschäftigen. Unser gemeinsames Ziel ist es, die Arbeitsplätze in der Produktion und die Verwendung von Chemikalien sicherer, gesünder und damit produktiver zu machen, d.h., die Gesundheit der Arbeiter und die Umwelt zu schützen.

Der Medichem-Kongress wird vom 2. bis 5. Juni 2011 nach 25 Jahren erstmals wieder in Deutschland stattfinden. Der Kongress wurde im Jahr 1972 von Prof. Alfred M. Thiess, dem damals leitenden Werksarzt der BASF in Ludwigshafen, ins Leben gerufen und seitdem jährlich an internationalen Orten veranstaltet, zuletzt im April 2010 in Taipei, Taiwan. Dort diskutierten Experten aus 50 Ländern in 400 Vorträgen und Posterpräsentationen neueste Forschungsergebnisse und Entwicklungen. Im kommenden Jahr erwarten wir rund 200 Teilnehmer aus aller Welt in Heidelberg.

Welche Themen stehen 2011 auf der Agenda?

Dr. M. Beth-Hübner: Als übergreifendes Motto des Kongresses haben wir „Occupational Health in a Changing World" gewählt. Hiermit zollen wir zum einen der Situation in den Betrieben nach der weltweiten Wirtschaftskrise und zum anderen den Herausforderungen durch neue Technologien für die Gesundheit am Arbeitsplatz Tribut. Einen Schwerpunkt des kommenden Medichem-Kongresses wird deswegen auch die Nanotechnologie bilden. Hier konnten wir namhafte Referenten zur Nanotoxikologie gewinnen, wie z.B. Prof. Günter Oberdörster aus Rochester, Prof. Ken Donaldson aus Edinburgh und Prof. Uwe Heinrich aus Hannover.

Auch die Schichtarbeit und ihre mögliche gesundheitsschädigende Wirkung wird auf dem kommenden Medichem-Kongress diskutiert. Hierzu wird Prof. Kurt Straif von der International Agency for Research on Cancer der WHO über die neuesten Bewertungen sprechen, denn die IARC hat Schichtarbeit als „wahrscheinlich krebserregend beim Menschen" eingestuft.
Darüber hinaus wird es Beiträge zum Thema REACh und Strategic Approach to International Chemicals Management und deren Relevanz für den Arbeitsschutz geben. Prof. Maged Younes von der WHO aus Genf, der sich als früherer Direktor des UNEP für eine weltweite Einführung eines sinnvollen Chemikalienmanagements eingesetzt hat, stellt den globalen Kontext her.

Welche Herausforderungen ergeben sich durch die zunehmende Bedeutung von Nanomaterialien für den Arbeitsschutz?

Dr. M. Beth-Hübner: Die Nanopartikel bewegen sich in der Größenordnung von DNA, Viren und Atomen. Durch die Kleinheit des Materials können sich neue Eigenschaften für einen ursprünglich untoxischen Stoff ergeben. Diese Eigenschaften zu erforschen, ist die große Herausforderung. Es wurde beobachtet, dass einige Nanomaterialien beim Einatmen nicht in den Alveolen der Lunge hängen bleiben, sondern durch Zellwände hindurch ins Blut gelangen. Nanofasern mit einem bestimmten Größen-Längen-Verhältnis verhalten sich dagegen ähnlich wie Asbest. Sie bleiben in der Lunge hängen und erzeugen dort mechanische Reize. Eine Aufnahme von Nanomaterialien durch die intakte Haut wurde hingegen nicht beobachten. Ebenso wurden bislang noch keine negativen Effekte für den Menschen durch Nanomaterialien nachgewiesen.

Wie kann man sich vor einem noch nicht erforschten Risiko schützen?

Dr. M. Beth-Hübner: Das Risiko einer Gesundheitsschädigung ergibt sich immer aus dem Produkt der Toxizität eines Stoffes und der Exposition. Ist die Toxizität eines Stoffes null und die Exposition sehr hoch, passiert nichts. Oder umgekehrt, wenn die Toxizität sehr hoch ist und die Exposition null, dann passiert auch nichts. Ziel sollte es daher sein, die Exposition möglichst gering zu halten. Bei Nanomaterialien kann dies am Arbeitsplatz durch technische und organisatorische Maßnahmen, wie z.B. die Produktion in geschlossenen Anlagen und das Tragen von Atemschutzmasken, geschehen. In den fertigen Produkten selbst liegen die Nanopartikel in gebundener Form vor, wie z.B. in einem Nanolack.

Gibt es bereits Grenzwerte für die Exposition von Nanopartikeln am Arbeitsplatz?

Dr. M. Beth-Hübner: Die Senatskommission zur Prüfung gesundheitsschädlicher Arbeitsstoffe der Deutschen Forschungsgemeinschaft, also die MAK-Kommission, hat im Januar 2009 eine Nanotoxikologiegruppe eingerichtet, in der ich selbst mitwirke. Wir arbeiten derzeit an der Festlegung dieser Werte. Dabei zeigt sich, dass nicht jeder einzelne Stoff bewertet werden kann, denn die Stoffe sind einfach zu verschieden. Zudem können Sie im Grunde jede Chemikalie, jedes Produkt in nanopartikulärer Form herstellen und die Eigenschaften resultieren ja aus der Größe der Teilchen. Es kristallisiert sich daher heraus, dass es Gruppenbetrachtungen geben wird, bei der z.B. die Faserdimension eine Rolle spielt, also das Größen/Längen-Verhältnis wie bei den Asbestfasern. Ich denke, dass wir im kommenden Jahr erste Ergebnisse vorlegen werden. Die Vorsitzende der MAK-Kommission, Prof. Andrea Hartwig, wird diese auf dem Medichem-Kongress präsentieren.

Welche Kongressinhalte planen Sie zum Thema REACh?

Dr. M. Beth-Hübner: Im Rahmen von REACH müssen die Unternehmen so genannte DNELs (Derived No-Effect Levels) vorlegen, aus denen sich auch geeignete Werte für den Arbeitsplatz ableiten lassen. Hierzu wird Dr. Gisela Stropp von Bayer Schering Pharma referieren. Sie leitet den Unterausschuss III Gefahrstoffbewertung des Ausschusses für Gefahrstoffe beim Bundesministerium für Arbeit und Soziales, der die offiziellen Einstufungen krebserzeugender Stoffe vornimmt und Arbeitsplatzgrenzwerte (AGW) ableitet.

Das heißt, Unternehmen können aus den Ergebnissen ihrer REACH-Registrierung eigene Standards für die maximale Exposition am Arbeitsplatz generieren?

Dr. M. Beth-Hübner: Ganz genau. Ein großer Vorteil von REACh ist, dass hier Grenzwerte für den Arbeitsplatz abgeleitet werden können für Stoffe, für die es z.B. keine MAK-Werte oder offizielle AGW gibt. Darüber hinaus beobachten wir durch REACh eine Standardisierung und Qualitätssteigerung der Sicherheitsdatenblätter, die über die Gefahren eines Stoffes informieren. Hinzu kommt, dass nun auch kleinere Firmen eine genaue Bestandsaufnahme machen, welche Chemikalien in ihren Betrieben vorkommen. All dies trägt zur besseren Information über Gefahren und zur Sicherheit am Arbeitsplatz bei.

Welchen Service bietet die BG RCI ihren Mitgliedsunternehmen im Zusammenhang mit REACh?

Dr. M. Beth-Hübner: Bereits im Jahr 1978 hat die BG Chemie das Programm zur Verhütung von Gesundheitsschädigungen durch Arbeitsstoffe ins Leben gerufen, in dessen Rahmen bis zum Jahr 2002 - dann wurde das Programm im Zuge der neuen europäischen Chemikalienverordnung eingestellt - rund 400 experimentelle Studien zu 127 Altstoffen durchgeführt wurden, allesamt arbeitsplatzrelevante Stoffe. Die Studienergebnisse wurden in unseren Toxikologischen Bewertungen in Deutsch und Englisch publiziert und stellen somit wertvolle Quellen für die REACh-Registrierungen dar, für die Unternehmen zahlreich experimentelle Untersuchungen bei der ECHA vorlegen müssen. Um Doppelarbeit zu vermeiden, können Unternehmen die Nutzungsrechte an diesen Studien für ihre REACh-Registrierungen bei der BG RCI beantragen. Unseren Mitgliedsfirmen bieten wir diesen Service kostenfrei an. Die Nachfrage ist groß. Die meisten Anfragen kommen aus Deutschland, etliche auch aus dem Ausland. Wir freuen uns, dass die Daten im Rahmen von REACh für internationale Bewertungen genutzt werden und somit auch wieder dem Arbeitsschutz zu Gute kommen

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Berufsgenossenschaft Rohstoffe und chemische Industrie (BG RCI)

Kurfürsten-Anlage 62
69115 Heidelberg
Deutschland

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