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Preispolitik gerechtfertigt: EU trifft Entscheidung zum Arzneimittel-Parallelhandel

18.03.2013 -

Preispolitik gerechtfertigt. EU trifft Entscheidung zum Arzneimittel-Parallelhandel. Pharmakonzerne und -händler streiten seit Jahren über Arzneimittel-Parallelimporte. Bislang unterstützte die EU-Kommission die Position des Pharmagroßhandels, der in der Preispolitik vieler Pharmakonzerne ein Wettbewerbshindernis zur Beschränkung von Parallelimporten sah. Ein Urteil des Europäischen Gerichts Erster Instanz vom 27. September könnte einen Richtungswechsel bedeuten. Dr. Andrea Gruß befragte dazu Michael Walther, Wettbewerbs- und Kartellrechtsexperte im Münchner Büro der international tätigen Kanzlei Gibson, Dunn & Crutcher.

CHEManager: Herr Walther, warum revidierten die EU-Richter im Fall Glaxosmithkline (GSK) die Entscheidung der Europäischen Kommission und wie begründeten sie dies?

Michael Walther: Das Europäische Gericht bemängelt in seinem Urteil vor allem zwei Dinge: Die Kommission habe die Besonderheiten des Pharmamarktes in Europa nicht hinreichend berücksichtigt, als sie das zweistufige Preismodell von GSK in Spanien untersagte. Der Arzneimittelmarkt ist dadurch gekennzeichnet, dass Preise in den meisten Staaten nicht durch Angebot und Nachfrage, sondern durch staatliche Behörden festgesetzt werden. Parallelimporte führen daher nicht ohne Weiteres zu günstigeren Preisen. Nach Auffassung der Luxemburger Richter habe GSK daher auch keine Beschränkung des Wettbewerbs zu Lasten der Verbraucher bezweckt, weil der Arzneimittelpreis gerade nicht durch Wettbewerb bestimmt wird.

Das Gericht stimmt der Kommission zwar darin zu, dass durch die Preispolitik von GSK dem Verbraucher Preisvorteile aus dem Parallelhandel vorenthalten bleiben könnten. Es weist aber auch darauf hin, dass diese Preispolitik durch die enormen Investitionen in Forschung und Entwicklung gerechtfertigt sein kann und damit Anspruch auf Freistellung haben kann. Denn der pharmazeutische Fortschritt komme dem Verbraucher letztlich wieder zugute. Dies habe die Kommission nicht ausreichend geprüft, weshalb ihre Entscheidung aufgehoben werden musste.

Welche Konsequenzen hat die Entscheidung für die Pharmaindustrie in Europa?

Michael Walther: Das Gericht hat sich der von vielen Pharmaunternehmen vertretenen Auffassung angeschlossen, dass der Parallelhandel von Arzneimitteln im Wesentlichen nicht dem Verbraucher zugute kommt. Durch ihn entstehen weder deutlich niedrigere Gesundheitskosten für den einzelnen Bürger noch werden die Gesundheitssysteme signifikant entlastet. Stattdessen bewirkt der Parallelhandel in erster Linie nur eine Verschiebung von Profiten weg von der forschenden Industrie hin zu den auf der mittleren Wertschöpfungskette tätigen Großhändlern. Das letzte Wort in der Sache dürfte jedoch noch nicht gesprochen sein. Die Kommission kann binnen zwei Monaten Rechtsmittel beim Europäischen Gerichtshof einlegen. Zudem muss sie zwar über den Antrag auf Genehmigung des von GSK betriebenen Preismodells neu entscheiden. Sie kann dabei aber im Rahmen der vom Gericht geforderten umfassenden Abwägung von Industrieund Verbraucherinteresse – selbst unter Berücksichtigung der Erwägungen des Gerichts – zu dem Ergebnis kommen, dass ein solches duales Preissystem auch durch die Besonderheiten in der Pharmabranche nicht zu rechtfertigen ist.

Doch auch in diesem Fall würde die Pharmabranche noch von dem Urteil profitieren ...

Michael Walther: Ja, die Pharmaindustrie geht eindeutig als Gewinner aus der Entscheidung hervor. Die Besonderheiten dieses Industriezweigs wurden erstmals ebenso klar anerkannt wie das Recht der Pharmaindustrie, ihre wirtschaftlichen Interessen zu schützen. Die Schützenhilfe, die der Pharmagroßhandel als vermeintlicher Kämpfer für freien Wettbewerb bislang genoss, hat hingegen einen erheblichen Dämpfer erhalten. Dabei gehen die Richter auch deutlich über das hinaus, was der Europäische Gerichtshof schon im Januar 2004 in seiner „Bayer“- Entscheidung festgestellt hat. Damals ließen die Richter einseitiges Handeln des Pharmakonzerns Bayer zur Verhinderung von Parallelimporten durchgehen, weil dieses keine Vereinbarung im Sinne einer Kartellabsprache darstellt. Bei GSK sind hingegen zweiseitige Preisabsprachen betroffen, die grundsätzlich schon bei wesentlich kleineren Marktanteilen kartellrechtswidrig sein können.

Welche Möglichkeiten ergeben sich durch die Entscheidung für Pharmahersteller?

Michael Walther: Pharmaunternehmen können durch überlegte Vertrags- oder Preisgestaltung den Parallelhandel in zulässiger Weise einschränken und so den Verlust ihrer Arbitragegewinne verhindern und die Amortisation ihrer R&D-Investitionen schützen – so lange dies nicht zu Lasten des Endverbrauchers geht.

Dabei haben sie zu berücksichtigen, dass auch nach Auffassung des Gerichts der Parallelhandel per se mäßigenden Einfluss auf die Preisgestaltung bei Arzneimitteln haben kann: Etwa werden in manchen Ländern bei Arzneimittelerstattungen an Apotheker durch die Sozialversicherungen pauschale Abschläge durchgeführt, die die durch den Parallelhandel erzielbaren Margengewinne abdecken sollen. Ein duales Preismodell kann daher durchaus Nachteile für den Verbraucher bewirken.

Bei dieser Gratwanderung müssen die Unternehmen die Entwicklung der jüngsten Rechtsprechung beachten. Denn verlassen sie den zulässigen Bereich wettbewerbsrechtlicher Beschränkungen, drohen ihnen nicht nur empfindliche Bußgelder, sondern in zunehmendem Maße auch Schadensersatzansprüche von finanziell geschädigten Gesundheitssystemen, aber auch von einzelnen Verbrauchern nach dem Vorbild der amerikanischen Sammelklagen.

Kontakt:
Michael Walther
Gibson, Dunn & Crutcher, München
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