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Warum die Industrie Deutschland so beflügelt

Die Industrie treibt die deutsche Wirtschaft zum Erfolg und hat für andere Nationen Modellcharakter

26.02.2013 -

Die Zeiten, als die deutsche Wirtschaft ob ihrer starken Industrieorientierung als langweilig und „old fashioned" belächelt wurde, sind längst vorbei. Die globalen Finanz- und Schulden-krisen der letzten Jahre haben den Blick für die Realwirtschaft wieder geschärft. Dies gilt insbesondere für etablierte Wirtschaftsnationen wie die USA, Frankreich und Großbritannien, die Deutschland jetzt auf vielen Feldern sogar nacheifern. Aber auch die aufstrebenden Schwellenländer in Asien und anderswo müssen ihr Augenmerk auf eine nachhaltig erfolgreiche Industrialisierung legen - als stabiler Ankerpunkt für Wachstum, Fortschritt und weiteren Wohlstand. Nirgendwo ist der Anteil des Verarbeitenden Gewerbes an der gesamten Bruttowertschöpfung so hoch wie in Deutschland (Abb. 1). Die deutsche Wirtschaft kann sicherlich nicht als Blaupause für eine erfolgreiche (Re-)Industrialisierung dienen, aber Maßstäbe auf vielen Feldern setzt sie allemal.

Ausgewogenheit und Augenmaß sind deutsche Tugenden

Unsere Industrie besticht durch ihren gesunden Mix und das produktive Miteinander von großen, global agierenden Unternehmen und einer Vielzahl von Mittelständlern. Letztere sind - gerade auch in der chemischen und pharmazeutischen Industrie - als Technologie- und Marktführer auf Nischenprodukte und Speziallösungen ausgerichtet. Begünstigt wird diese Arbeitsteilung durch die dezentrale, föderale Struktur Deutschlands. Sie erleichtert auch die Vernetzung von Wirtschaft und Wissenschaft - gerade abseits der großen Metropolen. Wie erfolgreich ein solches Miteinander sein kann, zeigt sich am Chemie-Cluster Bayern, das mit seinen mehr als 250 Unternehmen und Forschungseinrichtungen immer wieder Produkt- und Prozessinnovationen für die weltweiten Absatzmärkte hervorbringt.

Aber auch auf der betrieblichen Ebene stimmt es in der deutschen Industrie. Überharte Konfrontationen zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern, wie sie in anderen Ländern häufiger vorkommen, sind hier zu Lande eine Seltenheit. Vielmehr sind beide Lager oftmals bereit, Kompromisse mit Augenmaß für den langfristigen Unternehmenserfolg einzugehen. Fast nirgendwo sonst wird so wenig gestreikt wie in Deutschland. Unsere chemische Industrie ist dafür ein Paradebeispiel. Ihre Tarifrunden verlaufen meist kurz, leise und unspektakulär. Der letzte Arbeitskampf liegt sogar schon 41Jahre zurück. Dies sicherlich auch, weil industrielle Fachkräfte hier weit überdurchschnittlich verdienen. Dass sich die preisliche Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Chemie trotzdem verbessert hat, liegt an den erheblichen Produktivitätsfortschritten, die unsere Unternehmen regelmäßig realisieren.

Innovationskraft - branchenübergreifend zum Erfolg

Wichtigster Garant für den globalen Markterfolg ist aber die Innovationsstärke deutscher Unternehmen - das gilt für die Chemie- und Pharmaindustrie ebenso wie für den Maschinenbau oder die Automobil- und die Elektroindustrie. Deutschland belegt bei der Herstellung forschungsintensiver Produkte weltweit die Spitzenposition. Und nicht von ungefähr sind bei uns viele Entwicklungszentren internationaler Unternehmen angesiedelt. Dieser Erfindergeist sucht seinesgleichen. Kein anderes Land lässt sich so viele Ideen pro Einwohner patentieren wie Deutschland (Abb. 2).

Die marktnahe Umsetzung erfolgt dabei immer häufiger im branchenübergreifenden Miteinander. Dies trägt dem Umstand Rechnung, dass neue Technologie- und Marktchancen zumeist an den technologischen Schnittstellen entstehen - z.B. zwischen Elektronik, Energiewirtschaft und gerade auch der Chemieindustrie. Ihr kommt dabei häufig sogar die technologische Schlüsselposition zu. Ein Beispiel hierfür ist die Entwicklung neuartiger ionischer Flüssigkeiten. Diese ermöglichen nicht nur eine effiziente großtechnische Herstellung chemischer Grundstoffe, sondern treiben als innovative Reaktionsmedien auch den Fortschritt in der Technischen Chemie, der Galvanotechnik und der Solartechnik voran. Zugleich können diese Flüssigkeiten die Basis für eine neue Generation von Flachbildschirmen sein.

Produktkompetenz erleichtert die globale Markterschließung

Es ist aber nicht allein der Qualitäts- und Innovationsvorsprung deutscher Produkte, der den globalen Markterfolg sichert. Das richtige Timing von Innovation und Markterschließung ist der eigentliche Schlüssel zum Erfolg. Deutschlands Unternehmen haben hierbei augenscheinlich ein gutes Händchen, wie sich beispielhaft an ihren Exporten nach China ablesen lässt. Denn während sich diese innerhalb der letzten zehn Jahre fast verzehnfacht haben, konnten die USA und Großbritannien ihre China-Exporte nur verfünffachen. Deutschland profitiert also in besonderer Weise vom Aufholprozess im Reich der Mitte, weil es ein passgenaues Angebot aus industriellen Vorleistungs-, Investitions- und Premium-Konsumgütern bereithält. Ähnliches gilt für unsere Ausfuhren in viele weitere Schwellenländer.

Deutschen Unternehmen gereicht es dabei zum Vorteil, dass ihre Führungskräfte häufig „vom Fach" sind. Dies zeigt sich zum Beispiel bei den Automobilherstellern. Viele Vorstandsmitglieder, die früher selbst in der Fahrzeugentwicklung aktiv waren, besitzen ein profundes Wissen über die Möglichkeiten und Grenzen der Produktentwicklung für die globalen Märkte. Und davon wiederum profitieren die mittelständischen Zulieferer - auch die aus der Chemiebranche.

Herausfordernd bleiben die industriellen Absatzmärkte aber allemal: Die Produktions- und Produktlebenszyklen werden immer kürzer und die Wünsche der Kunden immer individueller. Bedarfsorientierung ist das Nonplusultra - gerade, wenn es um den Markterfolg in den Schwellenländern geht. Dort sind längst nicht immer deutsche Standards und ein Agieren am technologischen Limit gefragt. Bezahlbarkeit, eine kurze Amortisationsdauer und einfaches Handling zählen zumeist mehr. Die deutsche Industrie ist derzeit auf einem guten Weg, auch dies zu verinnerlichen. Die steigende Zahl von Technologie-Kooperationen vor Ort ist nur ein Zeichen dafür.

Hohe Exportorientierung stärkt die Innovationskraft

Deutsche Unternehmen werden künftig also noch stärker direkt in den Auslandsmärkten aktiv sein. Trotzdem ist und bleibt der Export eine entscheidende Triebfeder unserer Wirtschaft. In keiner anderen großen Wirtschaftsnation spielt er eine so große Rolle wie in Deutschland (Abb. 3). Gemessen am Bruttoinlandsprodukt machen unsere Ausfuhren deutlich über 40 % aus. Zum Vergleich: In Großbritannien liegt die Exportquote bei 20 %, in den USA, mit ihrem großen Binnenmarkt, sogar nur bei 10 %.

Deutschlands Exporterfolge sind ein Ausdruck industrieller Stärke und zugleich Treiber für Wachstum und Beschäftigung. Damit nicht genug: Sie verleihen unserer Innovationskraft die entscheidenden Impulse. Denn wer als Unternehmer global agiert, sieht sich früher und stärker dem internationalen Wettbewerbsdruck ausgesetzt als andere. In Summe resultiert daraus für die deutsche, exportorientierte Industrie ein stetiger Anpassungs- und Modernisierungsdruck, der Investitions- und Innovationsanstrengungen forciert und die schon angesprochenen Produktivitätsfortschritte begünstigt. Solchermaßen gestählt können deutsche Unternehmen dann noch besser auf den Weltmärkten punkten.

Dieser Zusammenhang zwischen Forschungsanstrengungen und Exporterfolgen ist durchaus messbar: Im Maschinenbau dominiert Deutschland den weltweiten Export mit einem Anteil von rund 20 % und liegt auch bei den Forschungsausgaben an der Spitze aller wichtigen Industrienationen. Ähnlich ist die Konstellation in der Chemieindustrie. Hier führen deutsche und US-amerikanische Unternehmen in beiden Kategorien.

Langfristig erfolgreich bleiben

Natürlich schützen die geschilderten Mechanismen nicht vor konjunkturellen Schwächephasen, wie wir sie derzeit erleben. Aber abgefedert werden die Störfeuer der Eurokrise für Deutschland dadurch allemal. Wir profitieren von der Stärke und Vernetzung unserer Indus-trie, die aber keinesfalls ein Selbstläufer ist.

Noch vor zehn Jahren wurde Deutschland von der britischen Zeitung „Economist" als der „Sick Man of Europe" tituliert. Heute gelten wir als der „Strong Man" - und wie lautet der Titel in zehn Jahren? Vielleicht „Marathon Man" - gut möglich, aber nur wenn es gelingt, unsere Wirtschaft auch langfristig vital zu halten.

Größte Herausforderung ist hier sicherlich der massive Fachkräftemangel, auf den Deutschland bislang fast ungebremst zusteuert. Chemie- und Pharmaunternehmen können schon heute wichtige Positionen - z.B. im Bereich F&E - nicht immer adäquat besetzen. Gleichzeitig wird ihre Belegschaft immer älter. Wirksame Gegenmittel sind zwar auf dem Papier bekannt, aber noch viel zu selten Realität. Hier sind konzertierte Aktionen von Wirtschaft und Politik gefragt, denn der Wettbewerb um kluge Köpfe und patente Hände wird künftig verstärkt auch über Landesgrenzen hinausgetragen.

Wenn Deutschland auch hier endlich vorne mitspielen kann, steht dem Titel „Marathon Man" nicht mehr viel im Weg. Denn kaum ein anderes Land ist in seinen gesamtwirtschaftlichen, unternehmerischen und regionalen Strukturen so ausgewogen und gleichzeitig im industriellen Kern so stark. Auf diesem Tragwerk können sich die besonderen Stärken unserer Industrie - Produktkompetenz, Innovationskraft, Vernetzung und Exportorientierung - in idealer Weise entwickeln. Unter dem Strich profitiert davon die gesamte deutsche Wirtschaft. Es gilt jetzt die Weichen zu stellen, damit dies so bleibt.


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Unter dem Titel „Der Mix stimmt" haben die Unternehmensberatung Management Engineers und das Wirtschaftsforschungsinstitut Prognos die Ergebnisse einer Gemeinschaftsstudie zu den Antriebskräften der deutschen Industrie im internationalen Wettbewerb veröffentlicht. Weitere Informationen und Grafiken:
www.managementengineers.com

 

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