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Wirtschaftsstandort Deutschland: Weiter Weltspitze?

08.10.2012 -

Wirtschaftsstandort Deutschland: Weiter Weltspitze?

Mit etwa 3.000 Mitgliedern ist die American Chamber of Commerce in Germany (Amcham Germany) die größte bilaterale Wirtschaftsvereinigung in Europa. Als Kommunikationsbrücke zu Investoren in den Vereinigten Staaten betrachtet Amcham die Förderung des Standorts Deutschlands und der deutsch-amerikanischen Wirtschaftsbeziehungen als ihre Hauptaufgaben. So organisierte Amcham Germany u.a. kürzlich eine Diskussionsrunde zur Förderung der Bio- und Medizintechnologie in Deutschland. Dr. Michael Reubold befragte Fred Irwin, Präsident der Amcham Germany, zur Attraktivität des Standorts Deutschland für amerikanische Unternehmen und zu Möglichkeiten deutsch-amerikanischer Kooperationen.

CHEManager: Herr Irwin, kürzlich haben Sie – gemeinsam mit der Initiative Invest in Germany – US-Investoren zu einer Diskussionsrunde eingeladen. Wie beurteilen amerikanische Manager den Standort Deutschland?

Fred Irwin: Es zeigt sich, dass Deutschland trotz all der Schwarzmalerei ein äußerst attraktiver Investitionsstandort für US-Unternehmen ist. Wal-Mart ist die einzige bedeutende De-Investition in den letzten Jahren, die wir beobachten mussten. Amerikanische Manager beurteilen den Standort gut. Wachsende Umsätze und steigende Investitionen sprechen ebenfalls für sich. Das spiegelt die Bedeutung des Absatzmarktes Deutschland wider und die Attraktivität, die durch die Nähe zu Konsumenten und Kooperationspartnern entsteht. Deutschlands zentrale Lage und seine große Bevölkerung führen dazu, dass keiner, der über Investitionen in Europa nachdenkt, es übergehen kann.

CHEManager: Wie hat sich die Investitionstätigkeit amerikanischer Unternehmen in Deutschland in den letzten Jahren entwickelt?

Fred Irwin: Im vergangenen Jahr hat sich die Stimmung unter Investoren deutlich verbessert. Der Anteil der Unternehmen, die Deutschland positiv bewerten, ist gestiegen. Viele konnten ihren Umsatz steigern und mehr als drei Viertel erwarten für das laufende Jahr weiteres Wachstum.

Amerikanische Firmen haben in Deutschland mehr investiert als in irgendeinem anderen Land der Welt. Deutschland ist mit einem Volumen von ca. 120 Mrd. € und damit verbundenen 850.000 direkten Arbeitsplätzen der Standort mit der höchsten Konzentration amerikanischer Investitionen. Damit sind die insgesamt mehr als 2.000 amerikanischen Firmen führend in der Liste der Auslandsinvestoren in Deutschland.

Damit dies so bleibt, muss Deutschland den Reformkurs in den Bereichen Steuern, Arbeitsrecht, Sozialsysteme, Abbau der Bürokratie und Überregulierung konsequent weiterverfolgen. Die Tradition und Wertschätzung einer in Jahrzehnten gewachsenen deutschen Innovationskultur geben genügend Anlass zu Zuversicht. Dennoch dürfen wir uns nicht auf unseren Erfolgen ausruhen; wir müssen daran arbeiten, dass wir den relativen Kompetenzvorsprung nicht verlieren.

„Der Anteil der Unternehmen, die Deutschland positiv bewerten, ist gestiegen.“

CHEManager: Was sind denn in den Augen der Investoren die Stärken des Standorts Deutschland?

Fred Irwin: Der Investitionsstandort Deutschland zeichnet sich durch hoch qualifizierte Mitarbeiter, eine hervorragende Infrastruktur sowie innovative Spitzenleistungen in Forschung und Entwicklung aus. Als anerkannter Forschungsstandort bekommt Deutschland Bestnoten.

Bei Kompetenzzentren, die auf Marketing, Vertrieb und Entwicklung gerichtet sind, liegt Deutschland mit 54% deutlich vor Großbritannien (26 %), als bester Standort für US-Zentralen unangefochten auf Platz eins. Auch bei Verwaltungs- und Finanzzentralen fällt im europäischen Vergleich die Wahl häufiger als früher auf Deutschland. Wenn es gelingt, zukunftsweisende Rahmenbedingungen zu schaffen, wird Deutschland zur Weltspitze gehören.

Dies gibt uns Grund zur Zuversicht, ebenso wie die gesamtwirtschaftliche Situation in Deutschland. Wenn es der Politik gelingt, die allgemeine Konjunkturerholung nicht wieder im Keim zu ersticken, kann es zu einem tatsächlichen Aufschwung in Deutschland kommen. Die Prognosen für Umsatz und Investitionen zumindest sind optimistisch.

CHEManager: Die 50 umsatzstärksten US-Firmen in Deutschland erwirtschaften zwischen einer halben und 16 Mrd. € Umsatz hierzulande. Für welche Branchen ist Deutschland derzeit als Investitionsstandort am attraktivsten?

Fred Irwin: Jene Industrien, in denen deutsche Unternehmen traditionell eine starke Position im weltweiten Wettbewerb einnehmen, wie z. B. bei Industriegütern und in der Automobilbranche, fühlen sich wohl in Deutschland. Viele Innovationen und technische Neuerungen in diesen Wirtschaftszweigen kommen nach wie vor von hier. Neben der hohen technologischen Kompetenz der Ausbildungsstätten und damit auch der Mitarbeiter, zählt hier auch die Nähe zu Kunden und Kooperationspartnern.

CHEManager: Ein gutes Viertel der 50 umsatzstärksten US-Firmen sind Chemie- oder Pharmaunternehmen. Sind die Aussichten hier genauso optimistisch?

Fred Irwin: Für den Pharmastandort Deutschland sieht es kritischer aus. In der Vergangenheit wurden in diesem Bereich viele Chancen vertan durch häufige Interventionen durch den Staat, die die Planungssicherheit von innovativen Unternehmen torpedierte. Auch die Preisregulierung verstärkt die unternehmerischen Risiken, da es schwieriger wird, Produkte zu einem Preis zu verkaufen, der dem Aufwand ihrer Erforschung angemessen wäre. Derartige Markteingriffe lassen die Rahmenbedingungen schlecht aussehen. Was Investitionen in die Forschung angeht, und nur diese verspricht langfristiges und nachhaltiges Wachstum, muss Deutschland sich noch ordentlich steigern.

Der globale Gesundheitsmarkt ist schon heute mit 5 Billionen US-$ äußerst umfangreich und wird in den kommenden Jahren weiter wachsen. Die Pharmaindustrie in Deutschland mit ihrer traditionellen Exportstärke könnte an ihm teilnehmen, wenn entsprechend dereguliert. Dies würde das Wachstums- und dadurch auch das Arbeitsplatzpotential der Industrie erheblich ausbauen.

CHEManager: Wie schneiden wir im Vergleich mit unseren Nachbarstaaten ab, mit denen sich Deutschland als Unternehmens-, Produktionsund Forschungsstandort im Wettbewerb um ausländische Investitionen messen muss?

Fred Irwin: Der Forschungsstandort Deutschland verfügt über starke Voraussetzungen und ist auch für ausländische Unternehmen nach wie vor attraktiv. Der Bereich F&E wird von vielen Unternehmen ausgebaut, Deutschland ist als Standort für Kompetenzzentren hochgeschätzt und wichtige technologische Neuerungen kommen aus Deutschland.

Osteuropa holt jedoch auch bei der Qualifikation seiner Mitarbeiter auf und so schwindet der relative Vorteil, den Deutschland trotz hoher Lohnkosten für sich beanspruchen konnte. Betrachtet man die Investitionsbedingungen und die Überregulierung in vielen Bereichen, so laufen wir Gefahr, dass der deutsche Standort von den steigenden Forschungsausgaben künftig nur noch unterproportional profitieren wird. Das darf uns nicht kalt lassen – der Bereich Forschung und Entwicklung kann nicht nur besonders viele und qualifizierte Arbeitsplätze schaffen, er wirkt sich auch positiv auf die weitere Ansiedlung nachgelagerter Wertschöpfungsstufen aus.

Man darf den Faktor „Forschung“ nicht vernachlässigen. Dies ist vor allen Dingen vor dem Hintergrund notwendig, dass Verwaltung und Produktion in Deutschland weiter abgebaut werden. Deutschland muss sich wieder verstärkt als europäische „Denkfabrik“ positionieren, um langfristig auch wieder nachgelagerte Produktionskapazitäten zu binden.

CHEManager: Sie bewerten die kürzlich beschlossene Absenkung des Unternehmenssteuersatzes als einen Schritt in die richtige Richtung, bemerken aber, dass auch nach der angekündigten Steuerreform der Steuersatz in Deutschland noch zu hoch ist. Was ist aus Ihrer Sicht grundsätzlich notwendig, um Deutschland im internationalen Wettbewerb um Investitionen ausländischer Unternehmen attraktiver zu machen?

Fred Irwin: Wir beobachten eine ‚Europäisierung‘ der Unternehmensentscheidungen. Viele Unternehmen ordnen ihre Aktivitäten in Europa neu. Der Standort Deutschland steht immer stärker im europäischen Wettbewerb.

Daher begrüßen wir die Steuersatzsenkung als einen Schritt in die richtige Richtung. Sie verbessert die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands im europäischen Vergleich. Allerdings wird auch nach der Reform der Steuersatz in Frankfurt mit über 31 % z. B. immer noch über dem in London liegen. Ein Steuersatz von 25 % wäre für ausländische Unternehmen ein Anreiz in Deutschland mehr zu investieren und Arbeitsplätze zu schaffen. Nicht zielführend ist die Absicht Zinsaufwand zu besteuern und die Abschreibungsbedingungen für Investitionen zu verschlechtern.

„Man darf den Faktor ,Forschung’ nicht vernachlässigen.“

Wir brauchen günstig gestaltete Rahmenbedingungen für Investitionen und damit für Arbeitsplätze. Der hohe Regulierungsgrad in Deutschland läuft dem zuwider. Auch die hohen Personalkosten in Deutschland werden äußerst negativ gesehen. Personalkosten werden mittlerweile von vielen Unternehmen als einer der Faktoren für einen attraktiven Standort genannt. Daher müssen wir auf eine stärkere Flexibilisierung des Arbeitsmarkts und eine Senkung der Lohnnebenkosten hinarbeiten.

Alles in allem, ist es eine überschaubare Anzahl von Maßnahmen, die durchgeführt werden müssten, um Deutschland wieder in die Spitzengruppe der Länder zu bringen, in denen innovativ geforscht und produziert wird.

CHEManager: Gibt es mehr Lichtblicke oder mehr Reformbedarf?

Fred Irwin: Deutschland ist als Standort für Kompetenzzentren hoch geschätzt und wichtige technologische Neuerungen kommen aus Deutschland – ein Zeichen, dass Deutschland von seiner wissenschaftlichen Tradition und Reputation profitiert. Die universitäre Ausbildung ist auf sehr hohem Niveau und auch außeruniversitäre Forschungseinrichtungen genießen einen exzellenten Ruf. Von wichtigen Standortfaktoren wie der hervorragenden Infrastruktur und der zentralen Lage ganz zu schweigen. Deutschland ist der größte Endverbrauchermarkt Europas und Standort für viele große und mittelständische Unternehmen, die als Zulieferer für viele Industriezweige von Bedeutung sind.

Daran kann man sehen – Deutschland könnte wirtschaftlich viel besser dastehen, und daran können wir arbeiten: Wir brauchen mehr Anreize zu Freiheit, Leistung, Eigenverantwortung, anstatt die Mitnahme- und Vollkaskomentalität zu fördern. Bürokratie und detaillierte Regulierungen haben schon längst die Überhand in allen Bereichen des öffentlichen Lebens genommen. Damit ersticken wir jedes innovative Unternehmertum im Keim. Diesbezüglich brauchen wir dringend Reformen.

CHEManager: Im Oktober waren Sie Mitorganisator einer Diskussionsrunde über Allianzen und Partnerschaften in der Bio- und Medizintechnologie. In diesen Zukunftsbranchen sind deutsche und US-Unternehmen führend. Sind auch die Rahmenbedingungen in Deutschland zukunftsfähig?

Fred Irwin: Bio- und Medizintechnologie gehört auch in Deutschland zu den Branchen mit dem größten Potential für Wachstum und Schaffung neuer Arbeitsplätze. Deutschland war und ist ein bedeutender Forschungsstandort und darf es nun nicht versäumen, im Bereich Life Sciences weiter mit an der Spitze zu sein. Neue Erkenntnisse der Grundlagenforschung müssen mit Kreativität und wissenschaftlicher Originalität in möglichst kurzer Zeit in marktreife Produkte verwandelt werden. In der Medizintechnik kann Deutschland von seiner Stärke zur Integration von Hochtechnologien und klassischer Ingenieurskunst profitieren. Auch in der Biotechnologie- Branche können wir erfreuliche Entwicklungen verzeichnen.

Wir müssen hier innovativ denken und nicht Schranken aufbauen. Speziell im Bereich der medizinischen Forschung wurden durch die Politik zu viele Tabus eingerichtet; wenn Deutschland nicht weiter abgehängt werden will auf diesem Gebiet, muss sich dringend etwas ändern. Aufgrund der gesundheitspolitischen Rahmenbedingungen wird immer weniger medizinische Grundlagenforschung betrieben. Unsere innovativsten Forscher gehen in die USA oder in andere Länder, in denen sie ihre Forschungen durchführen können. Deutschland kann es sich nicht erlauben, seine klügsten Köpfe in diesem Maße ans Ausland zu verlieren.

„Wir müssen innovativ denken und nicht Schranken aufbauen.“

CHEManager: Anders als in den USA gibt es in diesen Sektoren für viele deutsche Unternehmen Finanzierungsengpässe bei der Entwicklung und Zulassung neuer Produkte. Können Partnerschaften mit US-Unternehmen hier Lösungsmöglichkeiten bieten?

Fred Irwin: Besonders interessant für deutsche Unternehmen können strategische Kapitalbeteiligungen durch Kooperationspartner sein, die nicht nur an der Rendite, sondern vor allem am langfristigen Ausbau des Geschäfts interessiert sind.

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