Strategie & Management

Blockchains für die Prozessindustrie - Hype oder Heilmittel?

Statuspapier der Dechema geht der Frage der Anwendbarkeit nach

26.10.2020 - Blockchains in der Prozessindustrie? Dieser Frage geht ein Statuspapier der Dechema nach, das erklärt, was eine Blockchain ist und welche Anwendungsfälle denkbar sind.

Was können Blockchains in der Prozessindustrie nutzbringend leisten? Dieser Frage geht ein Statuspapier der Dechema nach, das kompakt erklärt, was eine Blockchain ist und welche Anwendungsfälle in der Prozessindustrie diskutiert werden. Das Papier ist kostenlos verfügbar. Mehr zum Thema kann man auch auf dem Autumn Special der Dechema zum Thema Blockchain am 4. November 2020 erfahren.

Eine Blockchain ist eine kontinuierlich erweiterbare Liste von Datensätzen, die mittels kryptographischer Verfahren miteinander verkettet sind. Jeder Block enthält dabei typischerweise einen kryptographisch sicheren Hash (Streuwert) des vorhergehenden Blocks, einen Zeitstempel und Transaktionsdaten.

Die grundlegende Idee ist Jahrhunderte alt und liegt im Prinzip des Kerbstocks. Der neuzeitliche Entwicklungsursprung von Blockchains liegt bei Kryptowährungen und im digitalen Zahlungsverkehr. Die Konzepte lassen sich jedoch auch auf andere Anwendungen wie z.B. Logistikkonzepte übertragen. Die Manipulationssicherheit von Blockchains ermöglicht einen Einsatz für kritische Dokumentationsprozesse, beispielsweise im GxP-Umfeld. Auch neue Geschäftsmodelle wie Machine-as-a-Service können vom Einsatz einer Blockchain profitieren.

„Wir stellen systematisch und verständlich dar, wie eine Blockchain funktioniert, was ihre Vor- und Nachteile sind und welche Beispiele es für ihre Anwendung in der chemischen und pharmazeutischen Industrie gibt.“

 

Vorteile und Grenzen der Blockchain

Eine Blockchain ist eine Art der Distributed-Ledger-Technologie, also eine verteilte Datenbank mit hauptbuchanaloger Struktur, in welcher Datensätze vollständig, chronologisch und unveränderbar abgelegt und gespeichert werden. Die Verteilung einer vollständigen und aktuellen Kopie der Blockchain über alle Nutzer des Netzwerks (sog. Knoten) bewirkt ein hohes Maß an Manipulationssicherheit der abgelegten Datensätze. Damit alle Knoten eine immer identische und aktuelle Version der Blockchain vorhalten, besitzt jede Blockchain als Konsens-Mechanismus einen Algorithmus, welcher über die „richtige“ Version der Blockchain entscheidet und diese an alle Knoten verteilt. Weil der Konsens-Mechanismus nicht von einer Partei alleine übernommen werden kann, entsteht so eine gesicherte, fälschungssichere und unstrittige „Single Source of Truth“. Diese eignet sich gut, Transaktionen und andere kurze, strukturierte Datensätze zwischen Parteien festzuhalten, ohne auf eine zentrale Stelle vertrauen zu müssen. Wichtig dabei ist zu wissen, dass der Begriff “Transaktion” in der IT die Änderung oder Erstellung eines Datensatzes in einer Datenbank bezeichnet und nicht im üblichen Sinne als Übertragung von Gütern verstanden werden darf.

Im bekannten Fall der öffentlichen Blockchains wie Bitcoin oder Ethereum kann sich jeder Knoten an der Blockerstellung beteiligen. Der Konsens-Mechanismus kann aber auch so ausgestaltet werden, dass nur vorher ausgewählte Knoten die Validierung (Erstellung eines neuen Blocks) durchführen dürfen. In diesem Fall spricht man von genehmigungsbasierten Blockchain-Systemen.

Eine Besonderheit der Blockchain ist, dass die Daten in Blöcken zusammengefasst, neue Blöcke in der Art einer Kette an das Ende des Hauptbuchs angehängt und mit den vorherigen Blöcken über Kryptografie verbunden werden. Dazu wird in jedem neuen Block eine verschlüsselte Referenzierung auf die vorherigen Blöcke gespeichert, der so genannte Hashwert. Durch dieses Hashing-Verfahren und die Verteilung über das gesamte Blockchain-Netzwerk ist ein nachträgliches Ändern von Transaktionen nahezu unmöglich.

Der große Vorteil einer Blockchain ist also ihre Manipulationssicherheit. Dem stehen jedoch Nachteile bei Speicherbedarf, Geschwindigkeit und Datensicherheit gegenüber. Gerade im industriellen Umfeld sollten für jeden einzelnen Anwendungsfall Vor- und Nachteile abgewogen werden, um zu entscheiden, ob eine Blockchain-Lösung einer klassischen Datenbank überlegen ist.

Ressourcenbedarf: Speicherplatz und Rechenleistung

Da bei Blockchains neue Daten immer an die bestehende Kette angehängt werden und nichts gelöscht wird, erreichen sie schnell eine signifikante Dateigröße. Die Verteilung von vollständigen Kopien auf alle Knoten führt in Summe zu einem erheblichen Speicherbedarf. Das limitiert die Datenmengen, die sinnvoll in Blockchains abgelegt werden können. In Anwendungsfällen, bei denen allein die Manipulationssicherheit relevant ist (wie z.B. in GxP-Anwendungen), kann die Datenmenge in der Blockchain jedoch deutlich reduziert werden, indem lediglich ein kryptographisch verkürzter Hashwert abgelegt wird. Mit diesem Hashwert kann dann eine an anderer Stelle abgelegte Datei auf ihre Authentizität geprüft werden.

Die von der Bitcoin-Blockchain genutzte Validierung erfordert erhebliche Rechenleistung, welche eine künstliche Verzögerung zwischen dem Übermitteln und dem Schreiben der Daten erzeugen soll. Das ist in anonymisierten, öffentlichen Systemen nötig, um die Daten gegen Manipulation zu schützen. Im industriellen Umfeld mit bekannten Teilnehmern (genehmigungsbasierte Blockchains) können weniger ressourcenintensive Konsensverfahren eingesetzt werden. Trotzdem führt der Validierungsprozess zu einer Verzögerung zwischen dem Absenden der Daten und der Eintragung in die von allen akzeptierte Version der Blockchain.

„Wer sich mit dem Gedanken trägt, Blockchain-Technologie für eine bestimmte Fragestellung einzuführen, sollte vorher ein paar grundlegende Fragen klären nach  Mehrwert, Aufwand und  Datenhandling. So kann man schnell feststellen, ob eine Blockchain für eigene Anwendungen richtig ist oder ob eine andere Lösung mehr Sinn macht.“

 

Blockchain in der Prozessindustrie

Für den Einsatz in den operativen Abläufen der Prozessindustrie eignen sich hauptsächlich private oder von Drittanbietern administrierte Blockchains, da nur diese das geforderte Maß an Datensicherheit abbilden können. Gerade in Anwendungsfällen mit eingebundenem Zahlungsverkehr werden Drittanbieter schon aus regulatorischen Gründen (insbesondere der Steuergesetzgebung) notwendig sein.

  • GxP in der pharmazeutischen Industrie:

Im Bereich der pharmazeutischen Industrie bestehen strenge Regularien und Vorschriften innerhalb aller Entwicklungs- und Herstellungsbereiche. Ein wesentlicher Teil bei allen GxP-Varianten ist die Dokumentation der korrekten Durchführung aller Vorschriften. Diese erstrecken sich von der Konzipierung und Durchführung klinischer Studien (GCP – good clinical practice) über die Dokumentation von Laborergebnissen (GLP – good laboratory practice und GCLP – good clinical laboratory practice) bis hin zum Nachweis der Nutzung zugelassener, valider Rohstoffe und Rezepturen im Herstellungsprozess (GMP – good manufacturing practice). In allen Fällen muss eine Audit-sichere Dokumentation erstellt werden. Das erfordert derzeit aufwändige Prozesse und große Mengen ausgedruckter Dokumente. Hier kann Blockchain erhebliche Vereinfachungen bringen: Die Eigenschaft der Unveränderbarkeit durch die kryptografische Verknüpfung der Blöcke erlaubt mit wesentlich geringerem Aufwand nahezu nicht veränderbare Daten abzulegen. Dabei muss die Unveränderbarkeit nicht zwingend dadurch erreicht werden, dass die Blockchain auf verschiedene Knotencomputer verteilt ist. Auch ein einzelner Knoten, auf den mehrere Nutzer schreiben, verhindert die Manipulation.

  • Logistik und Supply Chain Management:

Ein weiterer Anwendungsfall für die Blockchain ist die Nachverfolgbarkeit von Produkten. Wenn einzelne kritische Produkte von deren Herstellern am Produktionsort in die Blockchain geschrieben werden und die Produktidentifikation anschließend entlang der Lieferkette in der Blockchain weitergegeben wird, werden Fälschungen deutlich erschwert. Einträge, die nicht mit tatsächlichen Produktionsmengen übereinstimmen, sind einfach ersichtlich.

Dieses Prinzip wurde schon für Diamanten umgesetzt, um deren Herkunft nachvollziehen zu können. Auch in der Lebensmittel-Lieferkette gibt es schon entsprechende Ansätze. In der Prozessindustrie ist eine Umsetzung für kritische Produkte wie Pharmazeutika denkbar.

  • Nachhaltigkeit und Rohstoffherkunft:

Auch Nachhaltigkeitskriterien entlang der Lieferkette kann man nachverfolgen, indem aus der Blockchain ersichtlich ist, welche Rohstoffe oder Prozesse für ein Produkt verwendet wurden. Dies ist insbesondere für Dropin-Stoffe interessant, die vergleichbare Eigenschaften wie Produkte aus fossilen Rohstoffen haben, jedoch CO2-neutral hergestellt wurden. Die höheren Produktionskosten solcher klimaneutraler Substitutionsstoffe sollen durch einen höheren Verkaufspreis („green premium“) gedeckt werden. Durch die Validierung über eine Blockchain können dieser Mehrwert und dessen korrekte Umsetzung transparent dargestellt werden.

  • Machine-as-a-Service:

Vielfach wird als zukünftiges Geschäftsmodell die Bereitstellung von Apparaten als Dienstleistung diskutiert. Anstatt beispielsweise einen Kompressor zu kaufen, wird die Bereitstellung von Druckluft bestellt und nach tatsächlichem Verbrauch abgerechnet. Oder eine Anlage wird über pay-per-use abgerechnet. In beiden Fällen ist die Dokumentation der Nutzungsgeschichte sowohl für den Anbieter als auch für den Servicenutzer entscheidend, insbesondere wenn das Geschäftsmodell auf medienberührende Anlagenteile ausgeweitet wird (z.B. Pumpen). Um Vertrauen in die Korrektheit dieser Nutzungsgeschichte zu erreichen, ist die Erfassung in einer Blockchain geeignet. Auch für die nutzungsbasierte Abrechnung ist eine automatisierte, unveränderbare Dokumentation erforderlich. Erste Anwendungsfälle sind z.B. für Verpackungsmaschinen bekannt.

„Es gibt Bereiche, in denen Blockchains auch in der Prozessindustrie großen Mehrwert bieten können, z.B. dann, wenn Daten unveränderlich über mehrere Stufen bzw. von unterschiedlichen Akteuren gespeichert werden sollen. Also zum Beispiel für alle Anwendungen, wo man etwas über eine Lieferkette nachverfolgen will – sei das ein pharmazeutischer Wirkstoff oder ein nachhaltiger Rohstoff.“

 

Fazit

Die Blockchain ist eine komplexe Lösung für spezifische Probleme, für die sie einen großen Mehrwert liefern kann. Wie in allen Innovationsprojekten sollten zunächst ein klares Problem definiert und Lösungen ergebnissoffen bewertet werden. Wenn die Vorteile der Blockchain, Manipulationssicherheit und Verteilung im Netzwerk, im Anwendungsfall die Nachteile des erhöhten Ressourcenbedarfs und der schlechteren Performance überwiegen, kann eine Einrichtung sinnvoll sein. Aufgrund der inhärenten Nachteile ist Blockchain aber nicht die Lösung aller Probleme, als die sie bisweilen beschrieben wird. Insbesondere ist die Technologie aufgrund der fragmentierten Datenablage nicht geeignet für Anwendungen im Bereich Big Data und Data Analytics.

 

Autor: Dr. Volker Oestreich, CHEManager

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