Strategie & Management

Boehringer Ingelheim: CIO Markus Schümmelfeder entwickelt die IT in großen Schritten weiter

„Digitalisierung ist kein Selbstzweck“

24.04.2023 - Boehringer Ingelheim betrachtet Digitalisierung und Datentransformation als strategischen Wettbewerbsfaktor – und Data Science und Artificial Intelligence als echte Gamechanger.

Die IT ist bei Boehringer Ingelheim so aufgestellt, dass sie als Innovationstreiber und Partner auf Augenhöhe mit den Geschäftsfunktionen zusammenarbeitet. Dank der Digitalisierung kann die IT so zunehmend direkt an der Gesundheit von Mensch und Tier mitwirken. In diesem ersten Interview im Rahmen der CHEManager-Serie über die Digitalisierungsstrategien von Chemie- und Pharmaunternehmen sprach Stefan Guertzgen mit Markus Schümmelfeder, dem CIO von Boehringer Ingelheim.

CHEManager: Herr Schümmelfeder, welche Bedeutung hat die Digitalisierung für die zukünftige Ausrichtung und die Wettbewerbsfähigkeit Ihres Unternehmens?

Markus Schümmelfeder: Boehringer Ingelheim ist als forschendes Pharmaunternehmen mit seinen innovativen Produkten sehr erfolgreich, der internationale Wettbewerb ist aber enorm. Die ganze Wertschöpfungskette, jedoch ganz besonders die Forschung und Entwicklung von neuen Therapien für Patienten mit bisher unzureichenden Behandlungsmöglichkeiten, wird immer komplexer und teurer. Für viele dient die Digitalisierung nur der erweiterten Automatisierung, die Mitarbeitende effizienter macht. Auch wir nutzen dies, um mehr Zeit und Ressourcen für Aktivitäten mit hoher Wertschöpfung zu haben und so Patienten, die auf Therapien warten, früher mit innovativen Produkten versorgen zu können.

Was kann Digitalisierung also, was über Kostensenkung und Beschleunigung hinausgeht?

M. Schümmelfeder: Für uns liegt ein maßgeblicher Nutzen bei den Daten, Digitalisierung sozusagen als Datentransformation. Einerseits stehen immer größere Mengen an qualitativ hochwertigen Daten zur Verfügung, die durch verbesserte technische Möglichkeiten der Auswertung und Verarbeitung, nicht zuletzt mit Mitteln der Artificial Intelligence, genutzt werden können. Andererseits fördern wir die Entwicklung eines Daten-Mindsets und spezifische Kenntnisse bei unseren Mitarbeitenden. Wenn beides zusammenkommt, dann entstehen daraus neue Erkenntnisse, die gezielt bei uns im Unternehmen und dann bei unseren Kunden Anwendung finden können. Dann kann die IT unserem Purpose „Transforming lives for generations“ unmittelbar dienen.

 

„Wir haben unsere Daten im Griff, das heißt: katalogisiert, aufbereitet und verfügbar.”

 

In welchen Geschäftsbereichen oder Prozessen sehen Sie die größten Potenziale?

M. Schümmelfeder: Alle Mitarbeitenden in allen Funktionen profitieren von besseren und benutzerfreundlicheren IT-Angeboten. Unsere innovativen Lösungen können naturgemäß in der Forschung & Entwicklung und unseren Medizinfunktionen einen schnellen und hohen Nutzen bringen. Dort hat man schon viele Jahrzehnte auf höchstem Niveau Daten genutzt und jede technische Innovation wird dort gerne angenommen. Data Science und Artificial Intelligence sind dort echte Gamechanger! Aber auch alle anderen Geschäftsbereiche legen nach, etwa in unseren Smart Factories, bei denen zum Beispiel Predictive Maintenance mithilfe von AI möglich wurde. Damit werden unsere Prozesse optimiert und sorgen bei höherer Qualität für eine sicherere Marktversorgung. Inzwischen kommen unsere Digitalprodukte auch bereits direkt beim Arzt oder Patienten zum Einsatz, zum Beispiel bei der Schlaganfall-Rehabilitation oder der Diabetesbehandlung.

Gibt es Technologien auf die Sie besondere Schwerpunkte legen?

M. Schümmelfeder: Ich bin mir sicher, dass es keine neue Technologie gibt, die wir bei Boehringer Ingelheim nicht im Einsatz haben. Innovation ist im ganzen Unternehmen eine wesentliche Triebfeder und das sieht man auch deutlich in der IT. Wir möchten immer früh mit dabei sein und sind zum Beispiel als erstes Pharmaunternehmen überhaupt mit Google eine Kooperation beim Thema Quantencomputing eingegangen. Ein anderes Beispiel ist der Einsatz von Augmented Reality und Virtual Reality, die schon standardmäßig in der Aus- und Weiterbildung in Labor oder Produktion zum Einsatz kommen. Digital Twins gehören auch schon zu unserem Handwerkszeug, etwa bei der Konstruktion unserer Produktionsanlagen. Mit BI X haben wir sogar unser eigenes digitales Labor, in dem wir hochmoderne, explorative digitale Innovationen vorantreiben und so auch unsere gesamte IT voranbringen.

 

„Data Science und Artificial Intelligence sind echte Gamechanger!“

 

Wo stehen Sie bezüglich der Umsetzung Ihrer Digitalstrategie und Datentransformation?

M. Schümmelfeder: Ich erwähnte bereits Data Science und AI. Diese haben es sogar geschafft, als eine unserer unternehmensweiten strategischen Säulen aufgenommen zu werden. Unser Boehringer Ingelheim „Dataland“ Programm, wie wir es nennen, schafft hochkomplexe datengetriebene Lösungen im ganzen Unternehmen. Bei 80 % der Digitalisierung dreht es sich um Daten. Wir haben unsere Daten im Griff, das heißt: katalogisiert, aufbereitet und verfügbar. Eine technologische Lösung ist aber nichts wert, wenn die Mitarbeitenden diese nicht nutzen können. Daher haben wir eine eigene Data Science Academy geschaffen, die Curricula für alle Mitarbeitende innerhalb und außerhalb der IT anbietet. Denn wir haben verstanden, dass wir als IT über den eigenen Tellerrand hinausschauen und arbeiten müssen, um die digitale Transformation des ganzen Unternehmens zu treiben. Damit gestalten wir als IT auch die Unternehmenskultur mit.

Welches sind besonders kritische Erfolgsfaktoren? 

M. Schümmelfeder: Man hat früher gerade in der IT zu sehr allein auf die technologische Entwicklung vertraut. Wir haben dazugelernt und unseren Fokus um die beteiligten Personen erweitert. Dazu gehört das konsequente Empowerment und die Abschaffung von Hierarchien, die Arbeit in agilen Teams sowie ein starkes Change Management. Ein anderer Punkt beschäftigt mich aber ganz besonders, das Thema Fachkräftemangel. Obwohl Boehringer Ingelheim als vielfach ausgezeichneter Top Employer gilt – auch bei IT-Fachkräften – und auch mit überdurchschnittlichen Benefits und einer tollen Kultur punkten kann, spüren wir den Mangel an qualifizierten Talenten. Das gilt inzwischen weltweit und auch nicht mehr nur bei Spezialqualifikationen. Entsprechend aktiv sind wir hier, etwa bei der Aus- und Fortbildung. Mit unseren selbstgesteuerten Communities of Practice haben wir zusätzlich auch hier Mitarbeitende befähigt und ermuntert, die Entwicklung ihrer Fähigkeiten auch in die eigene Hand zu nehmen.

Wie ändert sich die Rolle der IT durch die Digitalisierung?

M. Schümmelfeder: Wozu andere durch die Digitalisierung spätestens jetzt gezwungen werden, leben wir bereits seit vielen Jahren: IT als durchgehend globale Organisation in allen Belangen und mit freiem Informationsfluss. Außerdem hat die IT nun ein neues Mandat. Waren wir früher vorwiegend Enabler für das Geschäft, sind wir inzwischen bei Boehringer Ingelheim ein wesentlicher Bestandteil und ein Partner auf Augenhöhe mit den Geschäftsfunktionen. Wir wollen uns das immer wieder verdienen und versuchen daher als Innovationstreiber immer ein paar Schritte voraus zu sein. Es braucht also nicht nur eine immer bessere IT, sondern eine neue IT. Folgerichtig entwickeln wir fortwährend unsere Organisation und unsere Prozesse weiter. Zum Jahresbeginn erst haben wir uns neu aufgestellt und unter dem Dach der IT zwei komplementäre Betriebsmodelle geschaffen: Ein User Centric Model, das auf Effizienz und Nutzerzentriertheit optimiert ist, und ein zweites ganz auf den Business Value ausgerichtetes Product Centric Model, bei dem IT- und Business-Kollegen in agilen Product Teams zusammenarbeiten. Das war ein weiterer wichtiger Schritt für uns als IT und für das Unternehmen im Zuge der Digitalisierung.

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Zur Person

Markus Schümmelfeder, 53, leitet seit 2018 als CIO die IT-Organisation von Boehringer Ingelheim. Der Ökonom mit einem Diplom der Universität Augsburg war zuvor seit 2014 als Corporate Vice President IT im Unternehmen tätig. Er berichtet an den CFO und verantwortet alle strategischen und operativen Themen in der IT für Boehringer Ingelheim weltweit. Zuvor war er in unterschiedlichen Positionen bei Infineon und Siemens tätig und zuletzt als CIO beim Chiphersteller Lantiq.

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