Märkte & Unternehmen

BPI-Vorsitzender Feldmeier warnt vor einer Verschärfung der Arzneimittelengpässe

„Schlecht organisierte Planwirtschaft“

22.02.2023 - Fiebersaft, Blutdrucksenker, Antibiotika – in den deutschen Apotheken fehlen derzeit viele versorgungsrelevante Arzneimittel.

Für die Lieferengpässe macht Hans-Georg Feldmeier, der Vorsitzende des Bundesverbands der Pharmazeutischen Industrie (BPI), die Rabattpolitik der deutschen Krankenkassen verantwortlich. Im Interview mit Steffen Höhne spricht Feldmeier über den Preisdruck in der Branche, die Auslagerung von Produktion und wie die Bundesregierung die Probleme lösen sollte.

CHEManager: Herr Feldmeier, am Jahresende 2022 listete das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte, kurz: BfArM, 300 versorgungsrelevante, verschreibungspflichtige Medikamente auf, bei denen es in Deutschland Lieferengpässe gibt. Der Apothekerverband Nordrhein warnt sogar davor, dass 1.000 Produkte nicht lieferbar sind. Wie angespannt ist die Lage?

Hans-Georg Feldmeier: Bei der BfArM-Liste müssen Produkte gemeldet werden, die voraussichtlich mehr als 14 Tage nicht geliefert werden können und verschreibungspflichtig sind. Eine Apotheke führt bis zu 100.000 Produkte. Dennoch: Jedes Produkt, das nicht geliefert werden kann, ist ein fehlendes Medikament zu viel. Vor allem fehlten Produkte mit hoher Relevanz wie Fiebersäfte, Schmerztabletten, Antibiotika und Blutdrucksenker.

Wo sehen Sie die Gründe für die Lieferengpässe?

H.-G. Feldmeier: Für die Arzneimittelengpässe gibt es unterschiedliche Ursachen. Das sind zum einen strukturelle Ursachen, die mit dem Vergütungssystem für Arzneimittel zu tun haben. Zum anderen sind es aktuelle Phänomene wie außergewöhnlich viele Erkältungskrankheiten. Während der Coronapandemie gab es aufgrund der Hygienemaßnahmen kaum Grippefälle. Das kommt jetzt umso geballter zurück. Aber es ist der Job der Industrie, solche Engpässe zu vermeiden. Es gibt also Lieferengpässe, aber keinen Versorgungsengpass.

 

 

„Eine kostendeckende Produktion von Generika
ist in Deutschland vielfach
nicht mehr möglich.“



Wie unterscheiden Sie das?

H.-G. Feldmeier: Wir haben im Gesundheitswesen den Vorteil, dass alle Beteiligten Fachleute sind. Das heißt, Ärzte und Apotheker können eine gute Beratung zu alternativen Medikationen vornehmen. Bei nicht rezeptpflichtigen Arzneimitteln können Apotheker auch ohne Rücksprache mit den Ärzten diese Beratung vornehmen. Beim Fiebersaft kann zum Beispiel auf wirkstoffgleiche Zäpfchen ausgewichen werden. Kranke Menschen werden auf jeden Fall auch bei Lieferengpässen versorgt.

Früher wurde Deutschland die Apotheke der Welt genannt. Das sind wir offenbar nicht mehr. Was ist passiert?

H.-G. Feldmeier: Wir haben im Arzneimittelmarkt folgende grobe Unterteilung: 80 % der verschreibungspflichtigen Medikamente sind Generika, also Arzneimittel, die nicht mehr unter Patentschutz stehen. Dabei handelt es sich zum Beispiel um Herz-Kreislauf-Produkte, Blutfettsenker oder Diabetesmedikamente. Ein wesentlich kleinerer Verordnungsanteil sind Originalprodukte, die unter Patentschutz stehen. Diese Arzneimittel sind das Ergebnis intensiver Forschungen und ermöglichen es, immer mehr Krankheiten zu therapieren oder zu lindern. Es handelt sich hierbei etwa um Medikamente zur Behandlung seltener Krankheiten oder spezielle Krebstherapien oder auch um Impfstoffe, wie wir es gerade erlebt haben. Forschung und Produktion dieser Arzneimittel sind in den hochentwickelten Ländern angesiedelt.

 

 

„Für Generika ist Deutschland
nicht mehr die Apotheke der Welt.“

 


Generika stehen unter einem erheblichen Kostendruck. Aus diesem Grund haben wir es mit einer Abwanderung der Produktion von Wirkstoffen und zunehmend auch von Arzneimitteln nach Asien zu tun. Dieser Kostendruck ist in den letzten Jahren permanent erhöht worden, so dass vielfach eine kostendeckende Produktion in Deutschland nicht mehr möglich ist. Deshalb ist Deutschland für diese Produkte nicht mehr die Apotheke der Welt.

Wie wurde der Markt ausgehebelt?

H.-G. Feldmeier: Ab 2009 gibt es ein Preismoratorium für alle verschreibungspflichtigen Arzneimittel. Das heißt, es gab danach keine Preiserhöhungen mehr. Doch damit nicht genug: Der Gesetzgeber hat sogenannte Rabattverträge eingeführt. Diese ermöglichen es den Krankenkassen, Ausschreibungen bei wirkstoffgleichen Arzneimitteln vorzunehmen. Der Hersteller, der den günstigsten Preis macht, erhält den Zuschlag. Große Krankenkassen konnten so erhebliche Rabatte von den Herstellern erzielen. Das führte aber dazu, dass von den 30 bis 40 Herstellern nur noch einige, meist große Unternehmen, den Zuschlag bekamen. Viele mittelständische Arzneimittelhersteller wurden aus dem Markt gedrängt oder haben diesen freiwillig verlassen.

Wie viele waren das?

H.-G. Feldmeier: Zahlen dazu sind sehr schwer zu ermitteln, weil es eine solche Breite an Produkten gibt. Viele Unternehmen haben Rabattvertragsprodukte ausgelistet. Ich kann für unsere Unternehmensgruppe Dermapharm sagen, dass wir uns von fast 300 Produkten getrennt haben, die von diesen ruinösen Ausschreibungen betroffen sind. Kurz: Die Anbietervielfalt sinkt.

Ganz praktisch: Mein Arzt verschreibt mir doch nicht ein bestimmtes Medikament, weil ich in einer bestimmten Krankenkasse bin, oder?

H.-G. Feldmeier: Der Arzt verschreibt bei Generika oft nur eine Wirkstoffdosierung und die Arzneiform, also zum Beispiel „Wirkstoffname 250 mg Tabletten“. Auf dem Rezept steht jedoch auch ihre Krankenkasse, die bei diesem Medikament einen Rabattvertrag mit einer bestimmten Firma hat. Das weiß das Computersystem des Apothekers und der muss dann dieses Medikament abgeben. Es gibt drei große Verbünde bei Krankenkassen, die marktbeherrschend sind. Leider bekommt oft nur ein Hersteller im Ergebnis der Ausschreibungen den Zuschlag. Dies wiederum führt zu einem Verlust der Anbietervielfalt und ist oftmals Ursache von Lieferproblemen.

Führte das auch zur Verlagerung von Herstellung ins Ausland, um dort billiger zu produzieren?

H.-G. Feldmeier: So ist es. Es wird und wurde nicht nur die Wirkstoffproduktion etwa nach China oder Indien verlagert. Auch die Medikamentenproduktion findet heute bei Generika vielfach in Asien statt. Es gibt große indische Generikahersteller. Es gab aber auch eine Verlagerung nach Osteuropa. Mal ein Beispiel: Für Penicillin, es ist das Antibiotikum schlechthin, gibt es nur noch eine Fabrik in Europa. Diese steht in Österreich. Insgesamt ist die Produktion von Antibiotika schon zu großen Teilen in Asien. Wenn es bei einem dieser großen, internationalen Hersteller Lieferprobleme gibt, dann kann das auch schnell zu Lieferengpässen in Deutschland führen.

Aber tragen nicht auch die deutschen Hersteller eine Verantwortung für diese Situation? Sie kaufen doch auch Arzneimittelwirkstoffe günstig im Ausland ein.

H.-G. Feldmeier: Ja, natürlich. Viele deutsche Arzneimittel-Hersteller haben sich günstige Lieferanten im Ausland gesucht. Denn sie standen und stehen vor der Wahl, entweder günstiger anzubieten oder aus dem Markt auszuscheiden.

 

Wie wichtig die Pharmaindustrie ist,
hat uns die Coronapandemie gezeigt. 

 



Die Bundesregierung will mit neuen Gesetzen die Probleme angehen. Was fordern Sie als Verbandschef?

H.-G. Feldmeier: Es gibt in Deutschland und Europa noch leistungsfähige Wirkstoff- und Medikamentenhersteller. Diese Basis muss jetzt zunächst einmal erhalten bleiben. Dafür sollte ein möglichst einfaches System entwickelt werden. Bei den Ausschreibungen der Krankenkassen sollten bei einem Produkt mindestens drei Anbieter den Zuschlag erhalten, damit der Wettbewerb erhalten bleibt. Und eines dieser drei Unternehmen sollte auch die Firma mit der höchsten europäischen Wertschöpfung sein. Wenn also Wirkstoff, Medikament und Verpackung aus Europa kommen, hätte der Hersteller gute Chancen, eines der drei Unternehmen zu sein, das den Zuschlag erhält. So würden wir sicherstellen, dass eine pharmazeutische Industrie für die Grundversorgung in Europa erhalten bleibt. Das System würde ohne Subven­tionen auskommen. Wie wichtig die Pharmaindustrie ist, hat uns die ­Coronapandemie gezeigt.

Sind Sie optimistisch, dass Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach ihren Vorschlägen folgt oder diese zumindest mit einbezieht?

H.-G. Feldmeier: Das wünsche ich mir. Herr Lauterbach hat auch gesagt, dass die Sparpolitik überzogen wurde. Dennoch hat er im GKV-Finanzstabilisierungsgesetz einen zusätzlichen Herstellerrabatt von 5 % für 12.000 Arzneimittel eingeführt. Doch auch die Pharmaunternehmen haben extrem gestiegene Energie- und Einkaufskosten. Die Gesundheitspolitik ist orientierungslos – zumindest bei der Preisgestaltung. Meine Befürchtung ist, dass das bestehende System erhalten bleibt, nur noch stärker reguliert wird. Wir nähern uns einer schlecht organisierten Planwirtschaft.

Erst kürzlich, Mitte Februar, hat das Bundesgesundheitsministerium einen Referentenentwurf für ein Gesetz zur Bekämpfung von Lieferengpässen bei patentfreien Arzneimitteln und zur Verbesserung der Versorgung mit Kinderarzneimitteln vorgelegt. Wie beurteilen Sie es?

H.-G. Feldmeier:  Die Gesundheitspolitik hat spät, aber richtigerweise erkannt, dass strukturelle Maßnahmen im Generikabereich nötig sind, um die Versorgungssicherheit zu stärken. Wir kennen das Pro­blem von Lieferengpässen bereits seit Jahren und wissen, was die Hauptursache ist: Der ungeheuere Preisdruck bei generischen Arzneimitteln der Grundversorgung, der, wie es Gesundheitsminister Lauterbach selbst eingeräumt hat, bis zum Äußersten getrieben wurde. Die Lage ist ernst, das wird am Beispiel der Kinderarzneimittel auch im Gesetzesentwurf deutlich. Hier wird der Spardruck weggenommen, was aber mit Blick auf die gesamte Versorgung völlig unzureichend ist. Warum setzt man nur in einzelnen Bereichen an, wo die Probleme doch die gesamte Grundversorgung betreffen? Pharmazeutische Unternehmen können durch diverse Sparzwänge, wie beispielsweise dem Preismoratorium und ruinöse Rabattverträgen zwischen Krankenkassen und Herstellern, die gestiegenen Kosten nicht weitergeben und wirtschaftlich produzieren. Jetzt braucht es ein Umdenken bei den Preisen der Arzneimittel der Grundversorgung, und zwar nicht nur in einzelnen Versorgungsbereichen, sondern in der Breite. Der BPI steht für eine konstruktive Diskussion zur Verbesserung der Versorgungslage jederzeit zur Verfügung. Unsere Vorschläge liegen auf dem Tisch.

ZUR PERSON
Hans-Georg Feldmeier ist seit Ende 2020 Vorsitzender des Bundesverbands der Pharmazeutischen Industrie (BPI). Der gebürtige Rostocker studierte Pharmazie an der Ernst-Moritz-Arndt-Universität in Greifswald und promovierte 1991 an der Berliner Humboldt-Universität. Seine berufliche Karriere in der Pharmabranche begann er 1987 bei Berlin Chemie, wo er als Leiter Produktion und Technik maßgeblich die Modernisierung des Unternehmens nach der Wende gestaltete. Nach einem Jahr bei Schering kam Feldmeier 2003 als Projektleiter zu Mibe Arzneimittel nach Brehna, Sachsen-Anhalt,. 2009 wurde er bei der Muttergesellschaft Dermapharm in Grünwald bei München Vorstandsmitglied für Produktion & Entwicklung und 2018 Vorstandsvorsitzender.

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